Warum Paul auch nach neun Monaten USA in der preschool noch nichts auf Englisch sagt und wie sich bei Tim, Theo und Ole die Sprachen langsam miteinander vermischen. Und wie „learning by doing“ richtig gut funktioniert. Und wie sehen das Deutsche und das Englische jetzt nach neun Monaten USA aus? Es ist faszinierend, wie die Kids (bis auf Paul in der preschool-Situation) so unbefangen an eine Sprache herangehen, wild drauflosreden, viele Fehler machen, sich nicht darum scheren und das Englische dabei auch noch richtig gut lernen – „learning by doing“ par excellence.
„Ich sag nix.“
Paul (3) macht sich insgesamt weiterhin gut. Er redet immer mehr Englisch, zumindest mit unserem Au-pair Morena und vielen anderen Leuten. Verrückterweise hat er bisher noch kein einziges Wort in seiner neuen Kindergartengruppe gesprochen, was uns überrascht. Als Marc ihn fragte, warum er nicht redet, sagte er, dass die anderen Kinder alle viel besser seien im Englischen. Aber wir machen uns keine Sorgen – er geht gerne in die preschool und spielt auch mit den anderen Kids. Abwarten.
Wenn Theo und Tim reden
In Theos (8) Kopf hat sich anscheinend jetzt nach sieben bis acht Monaten ein Hebel im Kopf umgelegt – er spricht nun jedenfalls öfter spontan Englisch als Deutsch. Im Deutschen ist er zwar noch viel kompetenter (Wortschatz, Grammatik), aber vor allem, wenn ich ihn aus der Schule abhole, redet er nur noch Englisch, ohne dass er das bewusst steuert. Er hat mich auch schon verbessert, als ich im Restaurant „tuna“ bestellte. Ich sprach es englisch [tjunɒ] aus, er sagte, dass es [tunɒ] hieße. Wir fragten den Kellner – er bestätigte Theos Version (wohlgemerkt die amerikanische). Ich war platt, dass Theo inzwischen ein eigenes englisches Hörsprachgefühl zu entwickeln scheint. Tim (6) bleibt eher beim Deutschen, vor allem, wenn er mit Marc und mir redet. Aber ich habe ihn zuletzt auf Englisch träumen hören. Untereinander reden Theo und Tim oft Englisch bzw. wechseln hin und her. Ole (5) wird im Englischen auch zunehmend flüssiger, benutzt dabei gerne Füllwörter, wie z. B. „you know“, und versucht, komplexe Zusammenhänge auf Englisch zu erklären. Im Deutschen geht die Vermischung der beiden Sprachen weiter, bis hin zu klaren Grammatikfehlern. Tim: „Ich hab‘ noch Hunger. Ich könnte noch drei von den Tabletten essen.“ – nachdem er gerade alle Tomaten von einem Brett aufgegessen hatte. Tim wundert sich: „Warum darf man in Amerika rechts über die rote Ampel fahren? Das ist doch gar nicht safe at all!“ Mal so. Mal so. Der deutsche Plural ist wohl besonders anfällig und bekommt jetzt grundsätzlich ein Extra-„S“ von den Kids, z. B. Fingernägels, Computers, Fensters … Auch einige unidiomatische Sätze kann man ab und zu hören: „Was ist das für?“ (Theo: „What is it for“?) oder die Übernahme von gleichklingenden Wörtern ins Deutsche, die aber verschiedene Bedeutungen haben. Theo beim Basteln von Papierfliegern: „Puh, das ist echt hart.“ Er meint „schwierig“ = engl. hard – ein Klassiker. Es ist faszinierend, wie Kinder so unbefangen an eine Sprache herangehen, wild drauf losreden, viele Fehler machen, sich nicht darum scheren und das Englische dabei auch noch richtig gut lernen – „learning by doing“ par excellence.
Pledge of Allegiance und die Stars und Stripes als „gesellschaftlicher Klebstoff“
Über die Allgegenwärtigkeit der amerikanischen Flagge habe ich schon oft genug geschrieben, ebenso über den überwältigenden Stolz, den die Amerikaner/innen für ihr Land empfinden und der einem als Nicht-Amerikaner/in manchmal ganz schön auf die Nerven geht. Und dann ist da auch noch der Fahneneid: Jeden Morgen sprechen etwa 70 Millionen Kinder und Jugendliche – die sich in vielerlei Hinsicht mehr voneinander unterscheiden als viele in Deutschland lebende Kinder – gemeinsam mit Blick auf die amerikanische Flagge den Spruch: „I pledge allegiance to the flag of the United States of America, and to the republic for which it stands, one nation under God, with liberty and justice for all.“ Alle Kids, egal welche Hautfarbe, welche Religion, welche Muttersprache – alle schwören auf die Flagge. In vielen Staaten ist das sogar Pflicht, so auch bei uns in New Jersey! Das ist für unser Empfinden und im Hinblick auf unsere deutsche Geschichte etwas sehr Befremdliches: diese Uniformität, die Pflicht, das Annehmen einer bestimmten Pose (Hand aufs Herz, Blick zur Flagge) von Kindern, das Nachsprechen bzw. Herunterbeten eines nationalen Gelübdes – nein, so etwas kann uns Deutschen nicht so recht schmecken und muss verdächtig wirken. So funktioniert Gemeinschaft Aber (und das ist ein dickes ABER) vielleicht darf man das nicht mit deutschen Augen sehen, sondern muss es durch die Brille der heterogenen amerikanischen Gesellschaft sehen?! Im Hinblick auf die vielen verschiedenen Komponenten, aus denen sich die amerikanische Gesellschaft zusammensetzt, sind die Amerikaner/innen vielleicht darauf angewiesen, mit verschiedenen Ritualen ein Gemeinschaftsgefühl zu vermitteln, das stärker ist als die Diversität ihrer Bürger/innen und Bürger, die ja sicherlich auch Fliehkräfte verursacht. Jeder Mensch hat ein Bedürfnis nach Zugehörigkeit, und es ist wichtig, dass die Menschen hier, die ihre eigene Kultur weiter ausleben, sich auch einem größeren Ganzen zugehörig fühlen und eben nicht nur ihrer ursprünglichen Identität. Ansonsten bestünde sehr schnell die Gefahr, dass das Ganze zerfasert und in viele kleine Einzelteile zerfällt, die dann nicht mehr als Gemeinschaft funktionieren könnten. Da macht es also vielleicht wirklich Sinn, im Interesse der Stabilität der gesamten Nation solche Maßnahmen wie den Fahneneid fest zu „installieren“ und auch zu forcieren, …
Von Riesenkürbissen, Stinktieren und Kolibris. Vom Jahresstart im September und dem „upside down“-Wirbel in der Schule. Und welches die Tops und Flops im September waren. Seit dem 5. September sind wir wieder „zuhause“ in NJ. Marc, Theo (8) und Tim (6), die schon vor Paul (3), Ole (5) und mir zurück nach NJ geflogen waren, haben uns drei vom Flughafen abgeholt. Nach vier Wochen Trennung fallen sich die Kids am Flughafen in Newark freudig in die Arme, tragen sich gegenseitig durch’s Gewühl, tanzen und singen! Das hätten wir gar nicht gedacht, da sie eigentlich keine Entzugserscheinungen von den anderen gezeigt hatten. Aber es tut nach sieben Wochen tatsächlich mal wieder richtig gut, komplett zu sein. Tim will sofort von Paul wissen: „Liegt denn schon Schnee bei euch in Deutschland?“ und auf dem Weg nach Hause erzählen die vier sich im Auto gegenseitig, was sie alles erlebt haben. Es herrscht absolute Hochstimmung – das war doch mal ein überraschend guter Startschuss. In den Geschäften und Farmen rund um Morristown gibt es nun Kürbisse in allen Farben und Formen zu kaufen – von riesengroß bis Zierkürbis. Viele Leute benutzen sie als Deko für ihre Hauseingänge.
Unser zweiter Start
Jetzt, vier Wochen nach unserer (Wieder-)Ankunft in Morristown, kann ich sagen: Es war ein guter zweiter Start. Viel runder als der im Januar, alles schon viel vertrauter – wir haben die erste anstrengendste Phase wohl hinter uns. Marc hat in fast allen Punkten gute Vorarbeit geleistet, und alle Kinder sind gut ins neue Schuljahr gestartet. Selbst Ole macht sich richtig gut – mit verkürztem preschool-Alltag und Ergotherapie. Nur auf seinen Sandkasten muss er noch warten. Und es hat tatsächlich geklappt: Wir haben seit zwei Wochen ein Au-pair aus Brasilien! Das wird eine große Erleichterung im Alltag sein. Ich habe endlich auch wieder einen Job – an der Deutschen Schule von Morris County, jeden Samstagvormittag. Es tut mir soooo gut und ist richtig spannend, mal einen Einblick ins amerikanisch-deutsche Schulleben zu bekommen. Marc hat zwar keinen neuen Job, hat sich dafür aber ein neues (ziemlich zeitintensives) Hobby zugelegt: Fliegen. Doch dazu später mehr. Also – wir sind wieder im Rennen und freuen uns über einige Upsides wie z. B. eine neue Waschmaschine (ha, ich bin die Albtraumwaschmaschine los 🙂 ), ärgern uns ein bisschen über einige Downsides wie z. B. endlose Bürokratie in der Schule. Aber selbst kleinere kulturelle Unterschiede wie bei Matratzen oder Kinderkarussels können uns im September nicht aus der Fassung bringen.
3. Klasse für Theo, 1. Klasse für Tim
Für Theo (8) und Tim (6) geht die Schule endlich wieder los. Tim kommt ins 1. Schuljahr und bleibt weiterhin auf der „Hillcrest“ (Schule für „Kindergarten“ sowie das 1. und 2. Schuljahr), Theo kommt ins 3. Schuljahr und muss auf die Alexander Hamilton School wechseln (Schule fürs 3. bis 5. Schuljahr). Marc und ich sind überrascht, wie einfach es den beiden fällt, nach elf Wochen Ferien wieder mit Rucksack auf dem Rücken in den Schulbus zu steigen. Sie nehmen weiterhin denselben Bus, aber Tim muss eine Station vorher aussteigen. Beide haben es gut angetroffen mit ihren Lehrerinnen und es gibt weniger Hausaufgaben, vor allem für Theo (puh!). In Deutschland würde ich mir vielleicht Sorgen machen (lernen die auch genug?), hier bin ich zunächst mal froh, denn das bedeutet definitiv weniger Stress an unseren Nachmittagen und die Kids haben ja eh schon sehr lange Schule (Theo jeden Tag bis 15.30 Uhr).
Klo-Stress
Theo regt sich in den ersten Tagen ziemlich auf, dass er immer, wenn er in der Schule zur Toilette muss, die Uhrzeit in ein Buch eintragen muss, einen „Passierschein“ für den Flur (floor pass) bekommt und sich dann wieder eintragen muss, wenn er zurück ist. Es nervt ihn, dass sie auf den Schulfluren weder reden noch laufen dürfen und trotz des langen Schultages kaum Zeit haben, sich mal mit den Klassenkameraden auszutauschen. Aber ansonsten ist er zufrieden. Er ist im Mileage Club und rennt in jeder Pause Runden auf dem Rasen des Schulhofes – das ist doch mal ein Fortschritt zur Hillcrest School, wo Laufen ja generell verboten ist. Sein Name steht daher im Schulflur auf dem Plakat des Mileage Clubs. Er ist immer noch im ESL/ELL (English as a Second Language/English language leaner)-Programm und hat daher jeden Tag zwei Einheiten (writing-and-reading-workshop), wo er aus seiner normalen Klasse herausgezogen wird und in einer kleinen Gruppe von acht Schülerinnen und Schülern zusätzliche Unterstützung bekommt.
Und schon wieder: Anstellen
Tim fühlt sich ebenfalls in seiner neuen Klasse richtig wohl. Seine Hilfslehrerin, Mrs. Abato, schwärmte mir vor: „Oh, he is so cute. I love his accent.“ Na dann! Für ihn stellt das Lesen zurzeit eine große Herausforderung dar, denn die Vokale im Englischen werden einfach je nach Wort verschieden ausgesprochen – viel komplizierter als im Deutschen. Das Konzept im 1. Schuljahr ist hier komplett anders als bei uns an der deutschen Schule, denn die Kinder sind ja auf ganz verschiedenen Niveaus. Viele können schon lange lesen (letzte Woche hat ein Kind aus Pauls Klasse zu seinem vierten! Geburtstag flüssig vorgelesen – ich war platt!). Aber das kindergarten-Jahr ist nicht verpflichtend in New Jersey, von daher gibt es eben auch einige (wenige) Kinder, für die Buchstaben und Zahlen noch Neuland sind und auch Tim fängt ja gerade erst damit an. Aber Tim ist guter Dinge, genau wie wir, denn die übrigen Bereiche fallen ihm leicht und er geht gerne mit seinem neuen Delfinrucksack zur Schule. Er lernt im Moment so richtig amerikanische Gedichte. Hier ist eins, das von der Anstell-Etikette handelt – richtiges Anstellen will gelernt sein (Tipp: am besten laut lesen, mit breitem amerikanischen Akzent, dann reimt es sich sogar): Lining up I will not shove, (Ich werde nicht drängeln,) I will not push, (Ich werde nicht schubsen,) I will not try to pass, (Ich werde nicht versuchen zu überholen,) I will not lag behind the rest, (Ich werde nicht zurückfallen,) I’ll line up with my class. (Ich werde mich mit der Klasse aufstellen.)
Arbeiten rund um die Uhr
Ich bin sehr froh, dass sich die Familiensituation wieder etwas eingependelt hat. Viele der Maßnahmen der vergangenen Wochen greifen. Und alle scheinen endlich mehr in sich zu ruhen, obwohl das Leben immer noch ein wahnsinniges Tempo aufweist. In manchen Wochen habe ich so viel gearbeitet, dass ich mehrfach erst um drei Uhr in der Früh aus dem Büro gekommen bin, NACHDEM ich mit meinen Kollegen in Europa telefoniert hatte, die gerade den zweiten Kaffee klargemacht haben. Am Wochenende war es meistens ruhiger, aber ich habe dann so viel Schlaf nachgeholt wie ich nur konnte …