Warum „overwhelming“ unsere Zeit in Deutschland so gut beschreibt und wie wir trotz Zeitsprüngen, Virenattacken und Autoblötsche doch noch rechtzeitig vor Weihnachten die Kurve kriegen. Vor einigen Stunden sind wir wieder in Newark gelandet. Den Flughafen, die Leute, die Stimmung, die Sonne und das Licht – haben wir alles sofort wiedererkannt und das tat gut. Als wir zuhause ankamen, sind Marc und ich erst mal erschöpft auf die Küchenstühle gefallen und haben durchgeatmet: Puh, das waren drei dichtgepackte Wochen in Deutschland, und wir sind froh, dass wir jetzt wieder hier sind! Unsere Zeit in Deutschland war schön, aber auch intensiv – pickepackevoll mit Feiern und Eindrücken ganz verschiedener Art. In Amerika benutzen sie für diesen Zustand der vielfältig einströmenden Eindrücke den Begriff „overwhelming“ (überwältigend) und ja, er trifft es tatsächlich genau – man selbst hat kein Oberwasser, sondern ist eher „drunter“, unter einem Berg von Dingen, die auf einen einströmen. Nach den letzten drei Wochen können wir jedenfalls nachvollziehen, was uns Expats nach ihrem Heimaturlaub in Deutschland schon öfters erzählt haben: „Es war total schön, aber auch super anstrengend! Bin froh wieder hier zu sein.“
Keine Zeit zum Verschnaufen
Also, es gab kaum eine Minute zum Verschnaufen, und ich hoffe, dass uns die Routine in NJ (ja, immer wieder die!) ein wenig Ruhe bringt. Ich erliege einfach öfter dem Irrglauben, dass es in Deutschland ruhiger sei – aber das stimmt so nicht, denn unsere Kinder sind ja nicht mehr im „System“ drin (also keine Schule, kein Kindergarten) und springen somit von morgens bis abends im Haus herum. Und ich schaffe es kaum, sie alle „zu verteilen“ bei Oma/Opa/Freunden – von daher bleibt keine bis gar keine Zeit für mich. Wir können uns schon glücklich schätzen, dass wir noch unser Haus in Deutschland haben. Viele Expats müssen in Deutschland bei Verwandten oder Freunden unterkommen und ziehen dann oft von einem zum nächsten. Puh, also das wäre dann wirklich noch anstrengender und für mich keine Option.
Zurück in die Zukunft
Während wir bei unserem Sommeraufenthalt sehr schnell wieder in Deutschland „angekommen“ waren, war die Landung bzw. die ganze erste Woche zu Weihnachten einfach sehr ruppig. Was war anders? Trauriges Gefühl zu Weihnachten Zunächst einmal ist es gerade Winter in Deutschland: saukalt, mega glatt (kein Streusalz mehr!) und einfach Grau in Grau (ja richtig, hatte ich schon fast vergessen). In der warmen Jahreszeit kann man per se leichter Fuß fassen, glaube ich. Hinzu kommt, dass der Effekt „zurück in die Zukunft“ (man erwartet Alt-Vertrautes, aber landet doch irgendwo in der Zukunft) nach einem knappen Jahr im Ausland deutlich gravierender ausfällt als noch im Sommer. Klar, mit vielem ist man zuhause sofort wieder vertraut, aber bei einigen Dingen muss man quasi einen „Schnellverdauungsdurchgang“ einlegen (all das, was die Umwelt bereits im normalen Tempo verdaut hat). Das empfinde ich vor allem für die kleinen Menschen, die inzwischen neu dazugekommen sind (und jetzt schon fast laufen können), aber noch viel mehr für die zwei Menschen, die nicht mehr da sind (ein Nachbar und eine Verwandte – beide im Herbst gestorben). Ihre „Lücke“ in der alt vertrauten Umgebung haut mich fast um – viel mehr als in Morristown, wo sie mir nicht so richtig fehlen konnten, weil sie nie zum Leben dort dazu gehört haben. Aber in Deutschland werde ich jedesmal daran erinnert, wenn ich das Haus verlasse – nein, das kalte, traurige Gefühl im Bauch passt nicht zu Weihnachten.
Chaos
Als ich am Tag nach unserer Ankunft um zwei Uhr nachts in der Waschküche inmitten riesiger Wäscheberge stehe, in einem Haus, das noch unvertraut riecht, wo die meisten Koffer unausgepackt die Hausflure blockieren, Tim (6) und Paul (3) putzmunter im Esszimmer „zu Abend essen“, während Theo (8) sich mit Magen-Darm im Bett quält, da frage ich mich schon, was ich hier mache. Ich kann kaum glauben, dass wir gerade erst angekommen sind und bereits so ein Chaos herrscht. Vor 24 Stunden saßen wir noch voller Vorfreude im Flugzeug, und jetzt fühle ich mich elend … Und wo, bitte sehr, kommt soviel Wäsche in so unglaublich kurzer Zeit her? Ich traue mich kaum, es zuzugeben, aber ich vermisse ganz kurz meine amerikanische Waschmaschine, die eine doppelt so große Waschtrommel hat wie meine „Miele“ in Deutschland. Struktur gegen Chaos Da dies die zweite Chaos-Nacht in Folge ist – die Nacht davor wurde uns durch die Zeitverschiebung ganz „geklaut“ – geht man dann doch ganz schön auf dem Zahnfleisch. Ich habe das Gefühl, dass ich vor lauter Müdigkeit und Reizüberflutung gar nicht mehr geradeaus denken kann. Das Einzige was hilft: kühlen Kopf bewahren und den Tag strukturieren (Marcs Spezialität), sich fokussieren und dann aufräumen (meine Spezialität)! Also: einfach irgendwo anfangen und wenigstens schon an einer Stelle ein bisschen Struktur ins allgemeine Chaos bringen!
Zeitsprünge
Auch die Kids müssen sich erst wieder zurechtfinden und jeder reagiert anders. Sie treffen sich direkt mit ihren Freunden, nach einer kurzen Aufwärmphase ist alles fast wie immer. Aber eben nur fast – es ist genau, wie einer von Theos Freunden leise zu mir meint: „Theo ist anders geworden“. Es klingt weniger vorwurfsvoll, sondern mehr überrascht und vor allem ratlos. Ja, Theo hat sich sicherlich verändert (man braucht ja nur an sein Pizzaerlebnis zu denken, als er erfuhr, dass sein Freund kein Weihnachten sondern Hannukah feiert) und jetzt steht er ziemlich bedröppelt daneben. Was soll er dazu sagen? Mir fällt auch nichts ein – da hilft nur ein Drückerchen für beide. Die Zeit ist eben doch nicht stehen geblieben, weder für unsere Freunde noch für uns. Das Flugzeug überwindet die räumliche Distanz von 6.000 Kilometern in sechseinhalb Stunden mühelos, aber danach muss man selber auch noch einmal in der Zeit springen (und damit meine ich nicht den realen Zeitunterschied), damit man wirklich dort ankommt, wo man gelandet ist – irgendwo zwischen Vergangenheit und Zukunft. Und in diesem Durcheinander geht einem die Weihnachtslust schon mal verloren. Wie gut, dass man dafür Kinder hat! Ole (5) beschwert sich in den ersten Tagen immer wieder: „Hier sieht es noch gar nicht nach Weihnachten aus!“ Und was soll ich sagen? Er hat Recht! Puh …
Aber die schönen Momente kommen dann doch
Aber keine Sorge: Nach einer Woche, genau rechtzeitig vor Weihnachten, haben wir dann das Gröbste hinter uns und können trotz diverser Aufholjagden, Attacken von Viren und Bakterien, einer neuen Autoblötsche (mir ist jemand reingerutscht, kein Wunder bei den total vereisten Straßen hier!) und einem Uauh!-Erlebnis (waren die Salatgurken hier tatsächlich immer schon so groß? Sie kommen mir gigantisch vor) viele wunderschöne Momente mit den Kindern, der Familie und auch unseren Freunden genießen. Nur leider sind die verbleibenden zwei Wochen sehr knapp, ein Fest jagt das nächste, und vor noch nicht mal 48 Stunden haben wir dann auch noch Tims 7. Geburtstag in Deutschland gefeiert – mit Star-Wars-Kindergeburtstag und Familienkaffee. Marc durfte verkleidet als Jango Fett die Ausbildung der Jedi-Ritter durchführen, bei minus acht Grad und totalem Glatteis.
Home again
Jetzt, wieder in Morristown angekommen, genießen wir die Ruhe und freuen uns darauf, dass in den nächsten Wochen Alltag einkehrt. Was haben wir diesmal mit in den Koffern, die wir gleich auspacken werden? neue Winterpullover für die Kids (bisher habe ich hier nämlich keine anständigen gefunden – die sind meist zu dünn und mit ganz viel Synthetik) für Tim Schreibhefte fürs 1. Schuljahr mit Hilfslinien (in NJ schreiben die Kids sofort nur auf einfachen Linien) alle Weihnachtsgeschenke der Kinder, die nun z. T. schon ihren zweiten Interkontinentalflug hinter sich haben Aufnehmer (bisher habe ich noch keinen in NJ gefunden) wie immer Tesafilm und Servietten (schöne findet man drüben einfach nur sehr schwer) Taschentücher (die sind drüben super teuer und viel zu dünn, genau wie das Toilettenpapier) – immer auch als Mitbringsel bei unseren Gästen beliebt Mini-Gummibärchen-Tüten und Überraschungseier (die gibt es zwar beim deutschen Metzger, aber der ist 30 Minuten entfernt von uns) Eins steht jetzt schon fest: Nächstes Jahr bleiben wir über die Feiertage in Morristown und werden Weihnachten und Neujahr in den USA erleben. Dann können wir das besondere Flair der amerikanischen „holiday season“ von vorne bis hinten genießen und brauchen uns nicht mit Packen, Jetlag und Umstellungen herumzuschlagen …