Der Februar ist vorbei und der übereinstimmende Tenor bei uns allen ist: GENUG von Schnee, Eis und Kälte! Wir wollen Frühling mit Wärme! OHNE Schnee! Klar, das Gefühl kennen wir auch aus Deutschland, aber hier ist es eben noch ein bisschen stärker, weil die Einschränkungen des Winters deutlich größer sind. Die Kids werden langsam wirklich kirre (und ich deswegen eben auch), weil sie jetzt schon für so viele Wochen so viele Stunden drinnen verbringen müssen. Wir haben genug von Schneehosen, Mützen, Schals, Handschuhen, umständlichem Anziehen, Laufnasen, Erkältungen und diesem „den-ganzen-Tag-im-Haus-sein“. Wir waren oft genug diesen Monat beim Arzt – es reicht! Special: Ärztliche Behandlung in New Jersey Warum es lange dauert, bis man am Telefon einen Termin machen kann und wieso die Patient/innen hier „bitte obenrum freimachen“ nie zu hören bekommen. Und aus welchem Grund einem schließlich bei der Rechnung heftig die Ohren klingeln. Pillen und Putzmittel aus der Pharmacy Was man alles in einer amerikanischen Pharmacy kaufen kann, warum jedes Rezept 15 Minuten dauert und wieso Ohrenschmerzen richtig teuer werden können. Wir wollen Matsche! Vor allem für Ole (5) ist das eine wirklich lange Durststrecke ohne den sensorischen Input, den er eigentlich braucht – Linsenwanne, Knete und Kuchenteig kneten können eben keine richtige Erde oder den Sandkasten an der frischen Luft ersetzen. Wie dringend er das braucht, zeigte sich deutlich, als er eines Tages an einer Tankstelle plötzlich verschwunden war. Wir fanden ihn auf einem ziemlich ekligen (aber schneefreien!) Stück Erde, wo er selbstvergessen mit den Händen im Dreck wühlte und dabei alles um sich herum vergaß. Kurz: Es wird Zeit, dass der Frühling kommt und Erde, Matsche und Sand wieder überall frei verfügbar sind!
Ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk
Diese Sorge muss ich nicht haben, denn ich habe mein Weihnachtsgeschenk für dieses Jahr schon letzte Woche bekommen – weder von Santa noch vom Christkind, sondern von Ole (5): Er kommt an einem Abend leise heruntergeschlichen, setzt sich ganz ruhig in unsere Weihnachts-Bastelecke im Wohnzimmer und fängt an, Ausmalbilder mit Tannenbäumen, Engelchen und anderen Motiven auszuschneiden. Ich höre im Nebenraum unablässig das schneidende Geräusch seiner Schere. Er schneidet über eine Stunde ein Bild nach dem anderen aus, sogar recht akkurat, legt die fertigen Motive weg und nimmt sich ohne abzuwarten ein Neues. Er bemerkt gar nicht, dass ich ihn beobachte, so vertieft ist er. „Das sind Überraschungen für’s Christkind“, erklärt er mir, als er mich dann doch bemerkt – was auch sonst …? Im Sommer war Ausschneiden für ihn noch eine Qual. Und jetzt sitzt er völlig ruhig, konzentriert und in sich ruhend da und wirkt wie ausgewechselt – einfach nur „happy“. Was immer wir gemacht haben seit dem Sommer (mit Ergotherapie, Änderungen zuhause, weniger Druck, mehr Rücksicht) – so falsch kann es nicht gewesen sein. Mein Mutterherz hat endlich einmal Frieden – das tut gut.
Sand und Stress
Ole macht sich weiterhin gut. Sein Englisch wird immer besser und er fasst jeden Tag mehr Vertrauen in seine Umgebung. Die Routine hilft ihm sehr. Es gibt sogar endlich Sand auf dem Spielplatz in seiner preschool. Das hat zwar gar nichts mit einem deutschen Sandkastenerlebnis zu tun, aber immerhin bemühen sie sich. Eine Lehrerin ist jetzt immer abgeordnet, um bei den Sandschalen für Ordnung zu sorgen (viele Kids, wenig Sand = Stress). Unglaublich, wieviel Aufruhr zwei Eimer Sand in einem amerikanischen Kindergarten auslösen können. Am wirklich deutschen Sandkasten in unserem eigenen Garten (wo unsere vier Jungs mindestens zwei Stunden brauchen werden, um ihn ein Mal umzugraben) arbeiten wir weiter (schwierig, schwierig, jemanden zu finden, der uns eine große Ladung Sand in den Garten kippt).
Special-needs-Sport
Marc erzählt: Ich gehe jetzt alle zwei Wochen mit Ole zum Sport. Wir haben hier in Morristown eine offene, kostenlose Sportstunde gefunden, bei der Kinder mit Special Needs einen Buddy zugeteilt bekommen, mit dem sie dann eine Stunde lang Sport treiben. Die Buddys sind Teenager, die sich dort ehrenamtlich engagieren. Das ist eine tolle Sache, denn Ole liebt Bewegung. Er spielt Fußball oder läuft und genießt die exklusive Zeit. Danach ist er viel ausgeglichener und absolut happy. Manchmal lasse ich dann den Blackberry bewusst im Auto und schalte auch einfach mal eine Stunde am Rand des Spielfeldes ab 🙂 . SNAP Matt Certner hat mit 13 Jahren SNAP (Special Needs Athletics Programs) ins Leben gerufen, um seinem autistischen Nachbarn zu helfen, weiterhin Sport zu machen. Ich finde das wirklich imposant, denn bei den ganzen Gesetzen, die die hier haben, kann man sich vorstellen, wie viele Hürden da zu überwinden waren. Matt’s Tipp für Nachahmer/innen: „Dont’ take ‚No‘ for an answer.“ Hut ab – denn ein amerikanisches „No“ ist nach meinen bisherigen Erfahrungen noch viel stärker als ein deutsches „Nein“.
Unser zweiter Start
Jetzt, vier Wochen nach unserer (Wieder-)Ankunft in Morristown, kann ich sagen: Es war ein guter zweiter Start. Viel runder als der im Januar, alles schon viel vertrauter – wir haben die erste anstrengendste Phase wohl hinter uns. Marc hat in fast allen Punkten gute Vorarbeit geleistet, und alle Kinder sind gut ins neue Schuljahr gestartet. Selbst Ole macht sich richtig gut – mit verkürztem preschool-Alltag und Ergotherapie. Nur auf seinen Sandkasten muss er noch warten. Und es hat tatsächlich geklappt: Wir haben seit zwei Wochen ein Au-pair aus Brasilien! Das wird eine große Erleichterung im Alltag sein. Ich habe endlich auch wieder einen Job – an der Deutschen Schule von Morris County, jeden Samstagvormittag. Es tut mir soooo gut und ist richtig spannend, mal einen Einblick ins amerikanisch-deutsche Schulleben zu bekommen. Marc hat zwar keinen neuen Job, hat sich dafür aber ein neues (ziemlich zeitintensives) Hobby zugelegt: Fliegen. Doch dazu später mehr. Also – wir sind wieder im Rennen und freuen uns über einige Upsides wie z. B. eine neue Waschmaschine (ha, ich bin die Albtraumwaschmaschine los 🙂 ), ärgern uns ein bisschen über einige Downsides wie z. B. endlose Bürokratie in der Schule. Aber selbst kleinere kulturelle Unterschiede wie bei Matratzen oder Kinderkarussels können uns im September nicht aus der Fassung bringen.
Rieseneinkauf Linsen
Das Wichtigste zuerst: Ole geht es schon besser. Er geht weiterhin zur Montessori-preschool (die haben einfach unschlagbar gutes Material für die Kids) und bleibt inzwischen schon zwei Stunden pro Tag alleine dort. Das Gespräch mit der Leitung und den Lehrerinnen verlief gut, denn sie sind bereit, Ole an vielen Stellen entgegenzukommen. Er geht zwei Mal pro Woche zu seiner Ergotherapeutin Mrs. Thompson, mit der er sich sehr gut versteht. Er hat einfach wieder viel mehr Selbstvertrauen, ist fast schon ein anderes Kind, macht große Fortschritte in allen Bereichen – auch im Englischen – und ist in jeder Hinsicht in der Aufwärtsspirale. Uns fällt ein riesengroßer Stein vom Herzen (alle, die Kinder haben, wissen, wie sich das anfühlt) und entsprechend leichter fällt der Rest. Er wartet zwar noch vergeblich auf den Sand in den zwei Minisandbecken in seiner preschool (seit über fünf Monaten!), aber dafür haben wir schon mal einen Großeinkauf Linsen getätigt, die nun in Wannen bei uns im Wohnzimmer stehen und in denen alle Kids, nicht nur Ole, „Fühlbäder“ nehmen – da hat sich die Geduldsprobe beim Einkaufen dann auch gelohnt. Unsere Fall-back-Lösung, die Koffer an Weihnachten für immer zu packen, falls es Ole nicht besser ginge, scheint daher im Moment obsolet. Tägliche Übung: der Fahneneid Paul ist wie immer komplett flexibel – er war bisher in der gleichen Gruppe mit Ole, hat jetzt aber in eine andere gewechselt, damit er unabhängiger von mir ist. Ich bin ja wegen Ole immer früh da, und dann kann er natürlich nicht verstehen, weshalb ich nur seinen Bruder mitnehme. Paul ist zwar noch sehr schüchtern, erobert aber die Herzen im Flug und ich lerne neue Worte von den Lehrerinnen, wenn sie über ihn reden: „He is a love bug (Liebeskäfer)“ oder „He is such a sweet pea (süße Erbse)“. Für ihn gibt es jeden Morgen den Pledge of Allegiance, eine Pflicht für alle Kinder in Kindergarten und Schule in NJ – keiner unserer Jungs kommt da dran vorbei: „I pledge allegiance to the flag of the United States of America, and to the republic for which it stands, one nation under …
Die Dämpfer
Dann kamen leider die schlechten Nachrichten: Wir hatten einen medizinischen Notfall bei den Großeltern, so dass Marc, der den Sommer in Morristown verbracht hat, extra wieder für einen Blitztrip nach Deutschland kam. Und gleich darauf die Sache mit Oles (gerade 5) Handgelenk, das leider schief zusammengewachsen ist. Zunächst stand eine Korrekturoperation zur Diskussion. Dann haben die Ärzte aber doch entschieden, zunächst abzuwarten, ob der Knochen sich selber wieder richtet. Außerdem hat der Kinderarzt bei Ole eine Wahrnehmungsstörung festgestellt. Damit hatten wir nicht gerechnet und so mussten wir uns erst mal schlaumachen: Bei einer sensorischen Wahrnehmungsstörung ist die „sensorische Integration“ gestört. Darunter versteht man das Ordnen von Sinneseindrücken durch das Nervensystem. Wenn dieser Prozess nicht richtig läuft, dann sind Bewegungs- und Verhaltensweisen oft nicht angemessen. Ole ist u. a. motorisch nicht altersgemäß entwickelt, packt oft zu fest an, läuft gegen Sachen, verschluckt sich häufig. Zusätzlich besteht der Verdacht, dass er eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung hat – ADHS, habt ihr doch bestimmt schon öfter gehört. Umgangssprachlich wird das als „Zappelphilipp-Syndrom“ bezeichnet – eine psychische Störung, die sich durch Auffälligkeiten bei der Aufmerksamkeit, durch Impulsivität und Hyperaktivität auszeichnet. Wir machen uns jetzt erst mal selbst schlau und lesen uns ins Thema ein. Das „Gute“ an dieser Neuigkeit ist, dass es zumindest mit Blick auf die Wahrnehmungsstörung einen guten „Pack-an“ gibt, denn mit Ergotherapie kann man Ole in einigen Bereichen (z. B. in der Grob- und Feinmotorik) fördern. Damit haben wir dann auch sofort in Deutschland angefangen. Im Nachhinein lässt sich seine „Schieflage“ in den USA jetzt auch mit diesen Einschränkungen erklären – er braucht im Moment genau die Sachen, die in New Jersey und vor allem in der preschool eben nicht ganz einfach zu bekommen sind: viel Bewegung, Erleben mit allen Sinnen (also z. B. Sand und Matsch), keinen Erfolgsdruck und Rückzugsmöglichkeiten, wenn es ihm zu „bunt“ wird. Das war ehrlich gesagt ein ganz schöner Schock für uns. Wir haben überlegt, ob ich mit den Kindern nun doch in Deutschland bleibe. Marc ist allerdings für die nächsten Jahre in New Jersey eingebunden und wird weiter dort wohnen bleiben müssen – und eine Trennung der Familie …
Ausblick auf den September 2010
Mit Beginn des neuen Schuljahres kommt Theo auf eine neue Schule (die Alexander Hamilton), Tim bleibt auf der Hillcrest School, Paul geht ebenso weiter in seine preschool-Gruppe. Morena, unser Au-pair aus Brasilien, wird Anfang September anfangen und ich beginne als Deutschlehrerin an der deutschen Schule in Morristown. Und ganz wichtig: Wir müssen Ole einen guten, langsamen Start ermöglichen. Heißt: Gespräch mit der preschool, langsames Eingewöhnen, Ergotherapie und einige Änderungen in Haus und Garten, damit es insgesamt ruhiger wird und Ole sich wohler fühlt. Für Paul ändert sich nichts und er wird weiterhin mit Ole zur preschool gehen.
Hilfe! Emergency Room!
Ole (4) ist in unserem Haus die Treppe heruntergefallen. Ich war mit ihm zunächst in einer ambulanten Notarztpraxis, wo seine Platzwunde genäht und Röntgenaufnahmen von Hand und Kiefer gemacht wurden. Der Arzt und die Helfer/innen waren alle super nett zu uns, einer hat sogar sein angestaubtes Highschool-Deutsch rausgekramt und sich unheimlich Mühe gegeben, Ole abzulenken. Die ganze Mannschaft hat zwei Überstunden gemacht (bis 22 Uhr), bis er soweit versorgt war, dass wir zunächst mal nach Hause konnten. Ich musste meine Kreditkarte übrigens nicht schon gleich zu Beginn abgeben wie sonst – sie wollten sie erst am Ende haben! Die ganze Sache war für mich eine Herausforderung der neuen Art: Ich hatte keine Ahnung, wo Marc steckte (ich hoffte, irgendwo in der Luft auf dem Weg zu uns) und bin bei blutigen Angelegenheiten nicht die erste Wahl (da behält Marc eher den kühlen Kopf – er hat ja als Kind genug Erfahrungen aus erster Hand gemacht, als er nach einigen Unfällen und Verletzungen Stammgast in der Notaufnahme war). Leider wurden die Diagnosen in der Praxis immer schlimmer: komplizierter Handgelenksbruch und Verdacht auf Kieferbruch. Hieß: Ole musste auf jeden Fall zum Richten noch in der Nacht ins Krankenhaus, also in den emergency room (ER). Ole weinte und blutete, mir sackte der Kreislauf weg. Zum Glück fiel mir dann der Name einer neuen Expat-Freundin ein, die tatsächlich auch direkt kam, um zu helfen. Aber es war schon ein ungewohnt hilfloses Gefühl, in einer Situation, die einen selbst umhaut, die volle Verantwortung zu haben. Dazu kamen auch noch die fremden Namen der Schmerzmittel (Tylenol, Advil, Benadryl …) – kein Mensch hat mich verstanden, als ich etwas von „Paracetamol“ oder „Nurofen“ erzählte. Marc ist um Mitternacht tatsächlich in Newark gelandet und mit Ole sofort in den ER (Emergency Room) gefahren. Dort waren allerdings 41 (!) Leute vor ihnen dran und sie mussten bis morgens um acht Uhr warten, bis die Knochen wieder in die richtige Position gebracht waren – ganz ohne OP, nur durch Ziehen! Kommentar Marc: „Ole hat ganz schön gejunkt!“. Sechs Wochen Gips („cast“) sind jetzt für Ole angesagt. Nach zwei Wochen …
Ole spricht seine ersten Worte Englisch
Ole (4) spricht seine ersten Worte Englisch. Sein Verhalten in der preschool und auch zuhause zeigt aber, dass er noch nicht über den Berg ist. Beim Abholen höre ich manchmal: „He was screaming to the top of his lungs …“ Er schubst andere Kinder, wirft mit „woodchips“ auf dem Spielplatz … nein, das alles ist noch nicht wirklich richtig gut. Aber immerhin beschwerte er sich kürzlich, warum es denn immer Kartoffelpüree mit Fischstäbchen gäbe. Time to move on 🙂 , zumindest beim Mittagessen.