Das Geheimnis nächtlicher Telefonate und der bad hair month. Von hochgeklappten Bürgersteigen und letter days. Und warum wir bei eisigen Temperaturen und Schnee dann doch irgendwann von faulen Sofahockern zu fleißigen Schneeschippern geworden sind.
Nächtliches Klingeln
Wir haben in den letzten vier Wochen so viele nächtliche Anrufe bekommen wie bisher noch nie in unserem Leben. Wenn es nachts um kurz vor vier Uhr grell durchs schlafende Haus klingelt, dann ist das entweder die Bank aus der Heimat, die meine Finanzen durchsprechen will oder die Schule von den Jungs, die uns mitteilt, dass morgen kein Unterricht stattfindet, weil wieder Schnee gefallen ist. Wir hatten tatsächlich keine einzige reguläre Woche, sondern mindestens immer einen snow day, dazu einige „delayed openings“ und „early dismissals“.
Neben dem ganzen Schnee gab es auch eisige Temperaturen und wir haben sogar die Null Grad Fahrenheit Marke geknackt (das sind dann knapp minus 18 Grad Celsius). Letzte Woche waren es sogar minus sechs Grad Fahrenheit (minus 21 Grad Celsius – sprich „minus twenty degrees centigrade“). Bei diesen Temperaturen frieren unsere Vorhänge manchmal am Fenster fest, es steigen überall dicke, weiße Dampffontänen aus den Kanaldeckeln auf die Straßen hoch und in den Cafés setze ich mich etwas weiter in den Raum rein, weil mir meine Lieblingsplätze am Fenster selbst mit Winterjacke zu kalt sind und meine Füße durchfrieren. Und wenn man morgens verschlafen vor die Haustüre tritt und einmal einatmet, ist man sofort putzmunter und glasklar im Kopf und hat das Gefühl, man habe ein extra scharfes Fisherman`s friend Mint inhaliert.
Eisprinzessinnen-Joggen
Ich gehe weiter stur morgens laufen. Was zieht man sich bei diesen Temperaturen fürs Laufen an? Also: Ich versuche es mit drei Oberteilen plus Jacke, zwei dicken Laufhosen übereinander, einer Skimaske, dicker Mütze und Handschuhen – damit geht es ganz gut, auch wenn das Laufen durch den Mundschutz echt mühsam ist und meine Oberschenkel bei der Rückkehr eiskalt und knallrot sind und ziemlich stechen.
An einem Morgen fand ich nach meiner Laufrunde einen Eisblock in meiner Jackentasche – da habe ich doch etwas überlegen müssen, bis ich verstanden habe, dass das wohl mein Trinkvorrat für unterwegs war, der von mir unbemerkt aus der Flasche ausgelaufen und sofort gefroren ist. Die Kinder staunen immer bei meiner Rückkehr, denn meine schwarze Mütze und die Skimaske schimmern glitzernd weiß, weil sie von vielen winzigen Eiskristallen übersät sind – sieht etwas spooky aus, wenn man leicht angefroren wieder ins Haus kommt.
Also: Hinfallen und Nicht-gefunden-werden ist keine echte Option bei diesem Wetter – aber ich laufe ja brav durch Wohngebiete.
Mit nackter Haut der Kälte trotzen
Aber dann wundert man sich doch immer wieder – denn die Leute hier lassen sich durch den Winter nicht aus dem Konzept bringen und führen ein vom Wetter entkoppeltes Leben. Man sieht immer noch jede Menge nackte Haut! Einige Middle School-Kids warten weiterhin im Sweater auf den Schulbus, in der preschool erscheinen Mädchen im ärmellosen Hängerchen und Ballerinas, die Jungs tragen Shorts und T-Shirt und das kleine Geschwisterchen wippt sogar barfuß auf Mamas Hüfte. Man geht weiterhin in Flip-Flops zur Pediküre, eine Frau war gar barfuß auf dem Eis unterwegs (das muss doch wehtun!).
Hier findet das Leben im Moment nur drinnen statt, und in den Räumen sind die Temperaturen sogar teilweise höher als im Sommer. Unsere ehemalige Babysitterin, die jetzt in einem Büro in Manhattan arbeitet, berichtet, dass es dort unglaubliche 37 Grad sind. Ich kann bestätigen, dass ich in einigen Innenräumen im Moment wirklich weniger Kleidung anziehen muss als im Sommer, wenn man immer besser einen dicken Pullover mitnimmt. Ausnahme: meine geliebten Cafés, leider. In der Middle School der Kinder einer Freundin, die in Madison wohnt, springt jetzt auch mal öfter die Klimananlage an – es ist sonst einfach zu heiß drinnen. Die Pausen in Schule und preschool finden alle drinnen (indoor recess) statt, draußen spielen die meisten Kinder nicht mehr. Unsere schon, die müssen, da kenne ich nichts.
Bad Hair Month
Ich erkläre diesen Monat ganz offiziell zum „bad hair month“. Meine Lösung: Ich lasse meine wollige Wintermütze auch im Haus an – dann sieht man die Haare wenigstens gar nicht mehr und meinen angeschlagenen Stirnhöhlen tut es ebenfalls sehr gut. Viel mehr ist dann bei uns im Januar nicht passiert – immer wieder Eis und Schnee, Schneeschauer, Eisregen, Schnee und Eis …
Der Anfang war richtig gut …
Wir sind seit dem 7. Januar wieder zurück aus Deutschland. Die Ankunft hier tat überraschend gut: Unser Haus ist durch den draußen liegenden Schnee ungewöhnlich hell, es ist warm und sehr gemütlich – im Winter kann ich Holzhäusern definitiv mehr abgewinnen als im Sommer. Marc und ich sinken unmittelbar nach der Ankunft in die Sessel im family room und genießen den Moment Ruhe: kein Weihnachtsstress mehr, keine Anrufe, keine Besucher … Der Aufenthalt in Deutschland war sehr schön, aber auch ganz schön anstrengend. Jetzt nur noch die Koffer auspacken und dann ist wieder für ein halbes Jahr Ruhe.
Theo (8) und Tim (6) meistern ihren ersten Schultag nach drei Wochen unterrichtsfrei gut: Sie werden begeistert von ihren Klassenkameraden empfangen – die freuen sich tatsächlich, denn unsere beiden wurden vermisst. Und so kommen die Jungs gut gelaunt von ihrem ersten Schultag nach Hause – ein guter Start. Und zusätzlich ist es morgens um sieben Uhr schon angenehm hell (wenn es in Deutschland ja immer noch stockfinster ist).
Aber der Rest … naja …
Der Schnee und die Kälte stellen das Leben hier jedoch ganz schön auf den Kopf – jedenfalls unseren Alltag. Paul (3) stimmt immer wieder Weihnachtslieder an und Ole (5) gibt ihm recht, dass „hier alles immer so nach Weihnachten aussieht“. Neben den Briefkästen in unserem Wohngebiet liegen wochenlang ausgediente echte Weihnachtsbäume herum (hier hatte also mindestens jeder zweite Haushalt einen echten Tannenbaum!), die im Laufe der Wochen wieder komplett unter dem neuen Schnee verschwunden sind und erst Ende Januar von einem kombinierten Schneepflug-Grünabfallauto abgeholt werden.
Während unser Rasen und unsere Bürgersteige hier seit Wochen unter einer dicken Schneeschicht liegen, sind die Straßen komplett frei. Wer den Bürgersteig vor seinem Haus im Zentrum von Morristown nicht schneefrei macht, muss ein 100 Dollar-Ticket zahlen, erzählte mir eine Freundin. Im Gegensatz zu Deutschland werden die Straßen alle unmittelbar während bzw. nach Schneefall von Schneepflügen freigeräumt – und das gilt auch für die kleinsten Nebenstraßen! Die weißen Häufchen, die man hin und wieder auf den Straßen sieht, sind übrigens kein Schnee, sondern tatsächlich Salzanhäufungen – denn was die Amis machen, machen sie richtig, halbe Sachen gibt´s hier nicht: Also, mit Salz sparen kommt nicht in die Tüte. Da die Straßen durch die Sonne abgetrocknet sind, ist das Fahren völlig unproblematisch.
Alles ist slushy und mushy …
Kurios finde ich, dass die allermeisten Autos hier keine Winterreifen haben. Kein Wunder, dass die Welt stehenbleibt, sobald ein Schneeschauer herunterkommt (da sind wir in Deutschland definitiv cooler). Schnee ist natürlich nicht gleich Schnee, daher hier noch einige nützliche Wörter, die uns immer wieder begegnen: slushy (gesprochen [slaʃɪ] matschig, schmierig), sleet (Schneeregen, Graupelschauer) und mushy [maʃɪ] (breiig, weich).
Um hier im Alltag, z. B. beim Wettfrieren am bus stop mit den anderen Eltern, bei den Wettervorhersagen für den nächsten Tag mitreden zu können, kommt man um die „inches“ nicht herum: „Tomorrow we will have 5-7 inches of snow.“ (ca. 15-18 cm; 1 inch/Zoll = 2,54 cm). Aber auch, wenn man nicht ganz so schnell ist im Umrechnen, tut es im Moment ein „Oh, no, not again!“ eigentlich immer.
Snow days
Snow days heißen offiziell „emergency closing day“, d. h. die Schulen bleiben geschlossen. Solche snow days haben eine ganz eigene Stimmung, alles ist gedämpfter und irgendwie verlangsamt. Die Straßen sind natürlich viel leerer und jedes vierte Auto hat einen Schneepflug vorne drangeschnallt. Ich weiß nicht, wie viele Schneepflüge es hier in NJ gibt, aber mir sind innerhalb von einer Zehn-Minuten-Fahrt über zehn Pickups mit Pflügen entgegengekommen. Wenn man das mal hochrechnet, kann man sich vorstellen, wie viele Tausend solcher Fahrzeuge an diesen Tagen im Einsatz sind. Mit einem solchen Gefährt will man definitiv keinen Zusammenstoß haben – da muss ich immer dran denken, insbesondere, wenn mir in engen Kurven eins davon entgegenkommt (auch wenn die ihren Pflug, der ja oft breiter ist als das Auto, seitlich entsprechend „anlegen“ können).
Kein snow day ist wie der andere – es gibt da verschiedene Variationen. Eins steht aber fest: Diesen Monat hatten wir vier davon (plus einen regulären Feiertag) und ganz ehrlich: „We´ve had our share!“ Manche kündigen sich schon am Vortag an – entweder durch die Wettervorhersage oder mit leichten bis starken Schneefällen. Und dann machen im Städtchen die Geschäfte und Cafés früher zu und selbst öffentliche Stellen schließen vorzeitig ihre Türen. Ich stand schon oft enttäuscht vor verschlossenen Cafés. Eine andere deutsche Mutter wollte ihren Führerschein machen und fand dann nur ein verlassenes Straßenverkehrsamt vor („closed due to inclement weather“ – geschlossen wegen ungünstiger/widriger Wetterbedingungen). Und das, obwohl zu dem Zeitpunkt noch gar kein Schnee gefallen war!
Hochgeklappte Bürgersteige überall
Hier klappen sie schon die Bürgersteige hoch, wenn in Deutschland noch alles normal weitergehen würde. Manchmal entdeckt man morgens auch nur eine hauchdünne Schneedecke und trotzdem wird vom school district ein Schneetag ausgerufen. Da fragt man sich dann: warum? Aber das hat mit den Schulbussen zu tun, die überall im Schulbezirk gute Fahrbedingungen brauchen (closed due to „hazardous road conditions“ – gefährliche Straßenbedingungen). Verständlich, denn wir haben tatsächlich auch einige sehr steile Straßen in der Stadt, wo die Ungetüme hochkommen müssen.
Wenn die Straßen früh genug wieder frei sind, gehen die Kids einfach später in die Schule („delayed opening“), oder aber man wird bei starkem Schneefall informiert, dass man sie früher abholen muss („early dismissal“). Dann ist schon um kurz nach elf Uhr Schluss.
Und gibt es natürlich auch die snow days, die ihren Namen wirklich verdienen, weil man morgens kaum zur Haustüre raus kommt, bis zur Hüfte im Schnee versinkt und sich zuerst mal ausgraben muss.
So funktionieren snow days
Ein solcher „echter“ snow day fängt früh an …
- … nämlich um etwa vier Uhr morgens: Das Telefon klingelt und eine weibliche Computerstimme teilt einem recht teilnahmslos und abgehackt mit: „This is a message from the Morris School District. Due to inclement weather all schools will be closed tomorrow, Friday, January 21. All extracurricular activities, the sunrise sunset programs and all community school classes are also cancelled.“ Dann kommt eine freundlichere, flottere Computerstimme (auch weiblich): „To acknowledge this call press 1. To repeat this message press 2”.
- Erste Reaktion: kurze Freude, denn man kann den Wecker ausmachen und sich noch mal ins warme Bett kuscheln. Aber je mehr Erfahrung man mit snow days hat, desto mehr kommt auch schnell das dumpfe Gefühl: Puh, das wird ein langer Tag! Und unbedingt dran denken: Telefon mit ans Bett nehmen, denn um sechs Uhr kommt der zweite Weckruf. Diesmal ist es eine der class moms von Oles preschool Und da aller guten Dinge drei sind, ruft kurze Zeit später auch noch die class mom von Pauls preschool Gruppe an. So richtig ausschlafen ist also auch nicht …
- Um etwa sieben Uhr: Erstes Kind wird wach, krabbelt aus dem Bett, guckt aus dem Fenster, freut sich einen Wolf und weckt die anderen, es herrscht Hochstimmung, alle vier spielen zusammen – Frieden!
- Im Laufe des Vormittags: Die cleaner sagen ab (super, dann selbst putzen, denn das Haus hat es dringend nötig). Ergotherapie fällt auch aus (also kein Workout für Ole). Die Kinder werden langsam unruhiger, erste Auseinandersetzungen, Ole weigert sich, sich so spät noch anzuziehen. Das Haus sieht immer chaotischer aus, die Kinder sind auf „Frei-haben“ eingestellt. Warum also sich anziehen, aufräumen oder gar rausgehen? Alle werden übermütig, aufmüpfig bis rotzfrech. Da hilft nur eins (auch gegen alle Widerstände): RAUS MIT EUCH!
- Einmal draußen: Entspannung – die frische Luft und die Sonne tun gut – allen! Ausflug mit dem Schlitten zu den Freunden, die um die Ecke wohnen, die Straßen sind wie leergefegt, selbst die Hauptstraßen sind noch sehr schneeig. Die Kids haben Spaß mit den Freunden, spielen auf der Straße, alle Geräusche sind gedämpft. Ich halte Ausschau nach den Riesenschneepflügen der Stadt, die man gar nicht so gut herankommen hört, die einfach nur riesig sind und auch ganz schön Tempo drauf haben – die halte ich für die Kids echt für gefährlich.
- Irgendwann hat man den Tag dann geschafft und alle Kids sind im Bett – und hoffen natürlich wieder auf einen snow day. Um so größer ist die Enttäuschung – zumindest bei den Kindern – wenn dann am nächsten Tag keiner ist.
Lesson learned
Wir sind weder Skiurlauber noch haben wir viel Erfahrung von Zuhause mit wochenlangen Schneeperioden. Insofern gab es wieder eine Menge dazuzulernen – das reichte vom „Wundern“ bis zum Blamieren. Einmal habe ich mich zum Beispiel gewundert, warum auf einem Parkplatz alle Scheibenwischer der geparkten Autos in die Luft hochstanden – ich vermutete einen Streich und ließ meine da, wo sie immer sind – nämlich auf der Scheibe. Als ich dann nach zwei Stunden – Nieselregen bei eisigen Temperaturen – wiederkam, waren meine Scheibenwischer auf der vereisten Scheibe schön festgefroren, da tat sich nichts mehr. Aha, deshalb …
Eine weitere Überraschung gab es, als ich an einem echten snow day nachmittags mit unserem noch etwas verschneiten Honda auf dem Weg in die Stadt war. An der ersten roten Ampel wurde es vor der Windschutzscheibe auf einmal dunkel – nichts mehr zu sehen. Die Scheibenwischer bewegten sich keinen Zentimeter, sondern jaulten nur. Beim Aussteigen sah ich die Bescherung: Die ganze Schneeschicht vom Autodach (ca. 25 Zentimeter hoch) war nach vorne gerutscht und hing jetzt zur Hälfte auf der Scheibe, zur Hälfte auf dem Dach. Die anderen Autos sind Gott sei Dank geduldig um mich herumgefahren, während ich, so schnell ich konnte, den Schnee runtergewischt habe. Merke: beim nächsten Mal also schön das Dach freischaufeln, auch wenn es einige Minuten extra dauert (oder noch besser: das Auto in der Garage parken).
Winter Wonderland
Marcs Schwester hat auf dem Weg vom Office zum Highway mal die Fahrt durch das märchenhafte Winter Wonderland aufgenommen. Dabei ist sie auch an “unserer” Carton Road vorbeigefahren. 🙂
Kratzen und Schaufeln
Unsere Blamage: Wenn es hier richtig geschneit hat, dann dauert es nicht lange, bis alle Leute auf den Beinen sind – dann werden die Straßen und auch die driveways (Einfahrten) geräumt. Die sonoren, kratzenden Geräusche hört man selbst im Haus, wenn die großen Schneepflüge über den Asphalt schaben. Und ebenso die Nachbarsfamilien, die mit den Schneeschaufeln scheppern (das kennt man ja auch aus Deutschland).
Unser über 80-jähriger Nachbar holt seinen snowblower heraus (eine Art „Rasenmäher“ mit seitlichem Rohr, aus dem der Schnee rausgeschossen kommt). So fährt er nach einem ausgeklügelten System seine gesamte Einfahrt ab und ist nach anderthalb bis zwei (! J) Stunden fertig.
Zuerst Entspannung …
Bei der Nachbarsfamilie gegenüber packen alle an und schaufeln Schnee (Schule fällt ja aus) – nach anderthalb Stunden Schipperei ist die gesamte Einfahrt frei. Und während die ganze Carton Road fräst, schaufelt und schwitzt, sitzen wir noch drinnen im Haus, die Kids spielen, wir machen den Kamin an und gucken in den Garten, der so wunderschön winterlich daherkommt. Unser driveway interessiert uns nicht sonderlich. Mit dem Allradantrieb des BMW kommen wir sogar durch den Schnee rauf und runter, und den Honda lassen wir vorsorglich unten an der Straße (soweit haben wir noch mitgedacht). Nach deutscher Art machen wir nur einen kleinen Weg für den Paketboten zur Garage frei (oder habt ihr das bisher etwa anders gemacht?) Ansonsten genieße ich das Knirschen des frischen Schnees unter unseren Füßen. Das war’s. Wir sind die einzige Einfahrt auf unserer Straße, die noch Schnee drauf hat – wirklich die allereinzige, aber noch finden wir das o.k. So weit, so gut, die ersten zwei Tage läuft es auch nicht schlecht.
… dann das böse Erwachen!
Aber dann … ja dann schmilzt ein großer Teil des Schnees tagsüber, als die Sonne scheint, wird wässrig und matschig. Nachts fallen die Temperaturen derart, dass wir am nächsten Morgen eine komplett vereiste Einfahrt haben. Es ist kaum möglich, da runter zu kommen, ohne sich hinzulegen (es sei denn, man geht durch den Schnee auf dem Rasen, aber da ist man immer komplett voll), der BMW kommt auch kaum noch rauf (vom Honda ganz zu schweigen).
Die Nachbarsfamilien sprechen uns beim bus stop darauf an – viel zu spät höre ich auf dem Anrufbeantworter die Nachricht einer netten Nachbarin, die uns schon zwei Tage zuvor die Telefonnummer eines professionellen Schneeplowers gegeben hat – nichts geht mehr!
Wir versuchen es mit Salz (sehr viel Salz!). Funktioniert aber nicht, denn die Eisschicht ist viel zu dick, die Fläche zu groß und die Temperaturen zu kalt. Wir rufen einen professionellen Pick-up mit riesigem Schneepflug herbei, aber der Fahrer hebt nur die Augenbrauen und zuckt die Achseln, guckt uns fragend an, er kann auch nichts mehr verrichten – das Eis ist zu dick.
So leben wir also im Moment mit einer Eisschicht vor unserem Haus und es sieht nicht so aus, als ob das in der nächsten Zeit besser wird, denn es gibt einfach Dauerfrost und immer neuen Schneefall. Klarer Fall: Sollten wir je wieder einen eisfreien driveway haben, werde ich bei Schnee die erste sein, die die gesamte Fläche freiräumt – wir sind von jeder Winterromantik bei snow days für alle Zeiten geheilt. Und: Unser driveway-Fiasko hat uns gelehrt, dass wir in Zukunft gut daran tun, aufzupassen und nachzumachen, was die Einheimischen so tun – auch wenn es auf den ersten Blick keinen Sinn macht. Um das Thema „driveway“ nun doch noch zu einem netten Abschluss zu bringen, noch ein kleiner Beitrag zum Thema „sprachliche Paradoxien“: You park on a driveway (Einfahrt), and you drive on a parkway (Bundesstraße) – verrückt, oder?
Letter Days
Was nach den snow days bleibt: Die allgemeine Verwirrung, welche Fächer am nächsten Tag unterrichtet werden. Und jetzt wird es spannend – also gut aufgepasst: Unser Stundenplan ändert sich nämlich durch einen Schneetag: Alle Schultage rutschen einen nach hinten. Die Schule schreibt dazu: „Please be aware that when we have a snow day the following day is the letter of the snow day. We do not skip letter days.” Also: Die Kinder hier im Morris County school district haben keine Fächerverteilung nach Wochentagen, sondern sie haben ihre Fächer auf sechs verschiedene „letter days“ verteilt, nämlich A-, B-, C-, D-, E-, F-Days. Wie passen sechs „letter days“ in eine fünftägige Schulwoche? Also, ein Beispiel: Tim hat Sport immer an A-Days. In der ersten Schulwoche war Sport also an einem Montag, aber schon in der zweiten Schulwoche rutschte der Sport dann auf den Dienstag, und dann auf den Mittwoch usw. – total unpraktisch zum Tornister-Packen, verrückt und unpraktisch, oder? Die Schule gibt daher jeden Monat eine Übersicht, in der steht, welcher letter day auf welchen Wochentag fällt. Zurück zu den snow days: Vor ein paar Jahren hat der Schuldistrikt beschlossen, dass alle Tage „gleichberechtigt“ sind und keiner einfach durch einen snow day oder einen Feiertag ausfallen darf (könnt ihr noch folgen?). Daher wird dann der „letter day“, der an dem snow day/Feiertag war, einfach am nächsten Tag nachgeholt. Das bedeutet: Alle letter days rutschen wieder einen nach hinten, womit der Plan der Schule nicht mehr stimmt. Man muss also gut aufpassen, wenn man den Tornister packt: Wann muss Theo seine Bücher mitnehmen? C-Day: Library! Wann seine Kunstsachen? E-Day: Art. Das Gleiche gilt für Tim.
Wie einfach ist es doch in Deutschland: Montag ist Sport, Dienstag ist Englisch, Mittwoch ist Schwimmen …
Ich hatte durch den Feiertag und die Schneetage schon recht schnell den Überblick verloren. Um aber alle nun gänzlich zu verwirren, wurde an Theos Schule dann einmal gegen diese Regeln verstoßen, weil sie Besuch von einem Autor bekommen haben. Und sie konnten nicht den Tag „anhalten“, weil das Ganze eben am „library day“ passieren musste J. Also, jetzt haben Theo und Tim am gleichen Tag zwei verschiedene letter days – Theo ist schon beim C-Day, Tim noch beim B-Day. Alles verstanden? Nein? Kein Problem – dann wisst ihr ja jetzt, wie ich mich hier öfter fühle :-).
Staying-at-home moms und working moms
Ich bin übrigens nicht die einzige, die ein wenig über die snow days jammert. Die sonst recht korrekten Moms beim pick-up äußern sich ungewohnt deutlich (hinter vorgehaltener Hand und mit leiser Stimme): „Honestly, this weather sucks.“ So ziemlich alle staying-at-home moms haben langsam die Faxen dicke und wollen wieder Routine. Aber was sollen da erst die working moms sagen? Was tun mit Kindern, wenn man zur Arbeit muss und nicht für die snow days seinen halben Jahresurlaub nehmen möchte?
Einige machen dann „home office“ (wobei das wohl oft nur beim guten Vorsatz bleibt), manche arbeiten in „Schichten“ (morgens fährt die Mutter, dann nachmittags der Vater zur Arbeit), manche nehmen die Kids einfach mit (Marc hat unsere auch schon mal mitgenommen). In einer Arztpraxis saßen direkt zwei Kids hinter dem Tresen, mit Chipstüten und Soda ausgestattet. Wieder andere lassen die Kids auch einfach alleine zu Hause – was aber hier vor dem 12. Lebensjahr keine wirkliche Option ist. Die gängige Regel lautet, Kinder unter zwölf Jahren nicht alleine zu Hause zu lassen, auch wenn das kein offizielles Gesetz ist. Aber es wird von Eltern und Erzieher/innen als inoffizielle guideline akzeptiert.
Egal – es ist einfach so, wie eine der Mütter mir trotz Bedauerns über die erneuten snow days sagte: „Better safe than sorry.“ Das ist übrigens einer der Lieblingssprüche der Amis. Und das Wetter hier hat ja auch einiges in petto, was ich in dieser Form aus Europa nicht kenne. Folglich schütteln die Leute hier nur völlig verständnislos den Kopf, wenn man ihnen erzählt, dass es bei uns trotz Eis, Schnee und Glätte keine snow days gibt.
Family Bits and Pieces Januar 2011
Marc hatte Geburtstag (seinen 39.) und Theo redet auf einmal wieder mehr Deutsch mit Tim (wohl wegen des Heimatsurlaubs). Aber auch wenn er wegen des ständigen Drinnen-Seins die Wände hochgeht und ziemlich zappelig ist, kommentiert er im Moment fast alles mit „awesome“.
Tim übt fleißig weiter lesen und schreibt seine ersten Wörter. Abends liest er seinen Brüdern etwas vor. Einmal kommt er aufgeregt aus der Schule und erzählt, dass vor längerer Zeit eine schwarze Frau im Bus nicht aufgestanden sei und dafür ins Gefängnis musste – der dritte Montag im Januar ist Martin-Luther-King Day und daher haben sie in der Klasse über Rosa Parks gesprochen.
Dann schicke ich Marc mit Theo und Tim zum Frisör, und beide kommen mit einem ziemlich scheußlichen Pottdeckelschnitt nach Hause – ehrlich gemeinter Kommentar eines Nachbarn am bus stop: „Oh, I like your haircut.“
Für Ole und Paul haben wir jetzt die erste Rate für das neue Schuljahr ab September gezahlt: 2.350 Dollar – puh!! Übrigens redet Paul immer noch nicht in der preschool 🙁
Hartnäckige Wanzen
Und wir haben wieder viele Krabbeltiere im Haus: Wir wissen nicht genau, wo sie herkommen, aber genau wie im letzten Januar sitzen insbesondere in der ersten Etage wieder überall die „stink bugs“ herum (zu Deutsch „Wanzen“, die mit dem Dreieck auf dem Rücken). Ihr erinnert euch vom Sommer noch: Die Kinder und Marc mögen sie gar nicht, mir sind sie recht egal (solange sie leben). Marc hatte mal eine unter der Bettdecke und ist ausgeflippt. Seitdem bekommt er immer fast einen Herzinfarkt, wenn mir meine kleine Haarspange auf den Holzboden fällt, denn das hört sich genauso an, als ob eines von diesen Krebstierchen auf den Boden fällt, wenn es an der Wand abrutscht. Aber eins muss man ihnen lassen: Man kann sie einfach so von der Wand „pflücken“ und in der Toilette runterspülen, weil sie keinerlei Fluchtreaktion zeigen.
Stop-and-go
Der Januar war also ein ständiger Stop-and-go-Betrieb und fühlte sich an wie „zähflüssiger Verkehr mit Stau“: Zehn Minuten Autofahren und dann wieder fünf Minuten Stehen im Wechsel. Und das für etliche Stunden, immer mit der Hoffnung, dass es endlich wieder normal weitergeht – einfach nur anstrengend.
Die Kinder kamen durch die ganzen freien Tage so gar nicht in den Trott und wurden mit der Zeit ganz schön träge. Sie sind nach etlichen Tagen zu Hause nun wirklich „ausgespielt“ und könnten neuen Input und ein bisschen Struktur wieder brauchen. Und ich will auch mal wieder etwas schaffen können, ohne Kinder im Gepäck. Kleiner Hoffnungsschimmer am weißen Horizont: Wegen der vielen snow days im Januar hat der school district einen freien Tag im Februar gestrichen und wieder zum Schultag erklärt. Na bitte, geht also auch andersherum!
KEEP TALKING (6) – Zwölf Monate USA |
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