Wie viele Gebote bzw. Verbote gibt es im YMCA? Aber nun zur Antwort: Es gibt unfassbar viele Gebote und Verbote an Türen und Wänden, einfach überall! Als Europäer/in kann man sich gar nicht vorstellen, was hier im Alltag alles genau reglementiert oder direkt ganz verboten ist! Der Klassiker – egal ob im YMCA oder in der Schule – no food, no drinks allowed due to allergic reactions! Es gibt hier sogar „nut-free“ (nussfreie) Klassenräume und Spielplätze! Der für mich absurdeste Fall bisher ist die „no running“-Regel, die sowohl auf Theos (7) und Tims (6) Schulhof als auch im YMCA auf der Laufbahn im Indoor-Spielplatz gilt: Die Jungs dürfen auf dem großen Schulhof nicht laufen, aber sie müssen gehen (stehen bleiben dürfen sie auch nicht!) – es ist ein bisschen wie beim Gefängnis-Freigang. Im Schwimmbad des YMCAs gibt’s dann direkt fünffach folgendes Verbot an der Wand: „No breath-holding activities permitted“ (zu Deutsch: Man darf die Luft nicht unter Wasser anhalten – ich vermute es geht darum, dass man sich da keine Wettbewerb liefern soll). Wer ein solches Schild schon einmal in Deutschland gesehen hat, der schreibe mir bitte sofort. 🙂 Das ist wohl der amerikanische Ansatz, jedes Risiko vor absurd hohen Schadenersatzklagen auszuschließen, getarnt mit dem Deckmäntelchen der Fürsorglichkeit: „Better safe than sorry“, „Your safety is our primary concern.“ Oder auch ganz knapp „Safety first!“ (Ähnlichkeiten zu Aussagen von Donald Trump konnten wir damals noch nicht erkennen 🙂 ). So ist auch der Zugang zu Scheren in preschool und Schule extrem limitiert (bloß keine Schere mitgeben – dann wird man noch rausgeworfen), mit dem Ergebnis, dass selbst einige Zehnjährige kaum eine Schere halten können. Ohne waiver läuft hier nichts Als wir Ole zu einem Kindergeburtstag bringen, der in einem „Indoor-Spielplatz“ stattfindet, mussten wir vorher eine ganze Litanei von Haftungsverzichtserklärungen unterschreiben (die sogenannten „waiver“). Und der Nachsatz „Sorry, no exception“ ist hier Standard – ein „no“ ist und bleibt ein „no“, da sind die Amis unnachgiebig. Also, wer die Haftungsverzichtserklärung nicht unterschreibt und zu Beginn der Kinderparty abgibt, bleibt draußen. Jetzt wisst ihr auch, wieso man Lindt-Osterhasen generell nur ohne …
„Welcome to the neighborhood“ – unsere Einweihungsparty
Unsere housewarming party Anfang Februar war ein voller Erfolg. Wir hatten das Haus (bzw. die Küche) voll mit Jennifers, Dicks und Bobs. Und obwohl so eine Einladung wohl unüblich ist in Amerika, haben uns dennoch alle herzlich willkommen geheißen und uns mit guten Tipps versorgt. Sie haben das selbstgemachte Essen gelobt, allem voran das Knäckebrot meiner Mutter. Bemerkenswert, dass fast jeder neben Geschenken auch noch eine Karte zur Begrüßung geschrieben hat, auf der er oder sie uns ihre Hilfe anbietet und direkt die Telefonnummern dazu geschrieben hat. Das Eis ist gebrochen. Und wenn ich jetzt mit den Kindern draußen auf der Einfahrt spiele, dann winken uns die Leute fröhlich aus ihren Autos zu.
Snow days – weiße Stolpersteine im Alltag
Als ihr in Deutschland Altweiber gefeiert habt, haben wir hier unseren ersten snow day erlebt – das ist komplett neu für uns. Im Unterschied zu Deutschland schneit es hier stundenlang und hört einfach nicht mehr auf! Dann geht gar nichts mehr, Schule und preschool fallen aus. Ab und zu fährt ein Schneepflug an unserem Fenster vorbei und türmt den Schnee von der Straße an den Straßenrändern auf. Am Vortag hatte ich mich noch über völlig überfüllte Parkplätze vor den Supermärkten gewundert – am snow day hingegen fährt das öffentliche Leben auf Sparflamme runter: Viele Geschäfte in der Stadt schließen früher oder machen gar nicht erst auf. Wer unbedingt etwas zu erledigen hat, fährt los, alle anderen bleiben zu Hause. So ein snow day hat sicherlich zwei Seiten: Zum einen ist er wie eine vom Himmel fallende Auszeit, die das hektische Alltagsleben von jetzt auf gleich total ausbremst und die Umgebung in eine zauberhafte Schneelandschaft verwandelt. Ich aber empfinde es im Moment eher als eine Ablenkung auf unserer Suche nach Alltag (insbesondere in Bezug auf Schule und preschool), die die Kinder erneut aus dem Trott bringt. In den letzten drei Wochen gab es jetzt insgesamt vier solcher snow days und ich bekomme erste Anzeichen von Budenkoller, wenn ich mit vier Kindern von morgens bis abends im Haus bzw. Garten bin und einfach nicht weg kann. Die Kinder mögen das anders sehen, da sie sich natürlich über den schulfreien Tag freuen und auch im Schnee spielen. Aber mir reicht’s! So weit, so gut. Jetzt will ich von den Dingen erzählen, die uns ständig eine Portion Extrakraft kosten, weil sie einfach Teil unseres Lebens hier sind – und vorläufig wohl auch bleiben werden:
Bloß nicht bewegen
Das Zweite, was mich ziemlich schockt, ist der geringe Stellenwert, den die Bewegung der Kinder und der Menschen überhaupt im Alltag einnimmt. Sowohl in der Schule als auch in der preschool gibt es oft über den ganzen Tag nur eine einzige Bewegungspause von 20 (!) Minuten. Wie halten die Kinder das bloß aus? Wie werden Ole und Paul mit diesem „Bewegungsmangel“ in ihrer preschool umgehen? Mich selbst nervt es auch ohne Ende, dass ich für alles das Auto brauche, dass es einem selbst bei gutem Willen unmöglich gemacht wird, sich hier zu Fuß zu bewegen – oft fehlen einfach die Bürgersteige oder sie sind, wie im Moment, komplett mit Schneemassen zugeschüttet. Und Spaziergänge mit vier Kindern auf den Straßen? Zu gefährlich, da die Autofahrer nicht gerade rücksichtsvoll sind.
Meine absoluten Highlights
Als sehr positiv erlebe ich dagegen das ziemlich kunterbunte kulturelle Neben- und Miteinander in der amerikanischen Gesellschaft. Ein Beispiel: Am Aschermittwoch kamen unsere Familienmitglieder so nach Hause: Ole (preschool) mit einer Geschichte zum gerade beginnenden chinesischen Neujahr. Tim (kindergarten) mit 100 winzig kleinen Süßigkeiten zum 100-days-of-school (über Fastenzeit haben sie nicht gesprochen). Jane, unsere Hilfe, mit Aschenkreuz auf der Stirn. Und gleichzeitig schmücken hier immer noch Weihnachtsdekorationen die Vorgärten unzähliger Häuser. Die Elterninformationen aus der Schule sind sowohl auf Englisch als auch auf Spanisch gedruckt, man hört in Morristown viele verschiedene Sprachen und sieht zahlreiche unterschiedliche Hautfarben und Gesichter. Die Amerikaner/innen, die wir bisher kennengelernt haben, haben oft Verwandtschaft, die ursprünglich aus Europa oder einem anderen Land kommt. Ich habe bisher noch nie das Gefühl gehabt, hier nicht willkommen zu sein, weil wir Deutsche sind. Hier ist Anderssein irgendwie normal. Und das fühlt sich für uns alle gut an.