Aber die erste Hitzewelle ist jetzt erst mal vorbei. Zurzeit genießen wir herrliche Frühlingstemperaturen und staunen über die farbenfrohe Blütenpracht, die sich mit aller Macht jeden Tag mehr und überall entfaltet. Besonders die üppigen Magnolien und leuchtend gelben Forsythien verbreiten gute Laune. Für mich waren sie richtige kleine Erholungsinseln auf meinen „Taxidiensten“ zur preschool. Um diese Jahreszeit bekommt der Beiname von New Jersey als „The Garden State“ tatsächlich eine Bedeutung. Woher dieser Spitzname stammt – der übrigens auch auf unseren Auto-Nummernschildern steht – ist historisch nicht eindeutig geklärt. Aber es gibt hier im Süden außer den erwähnten Blumen und blühenden Sträuchern tatsächlich sehr viele Obst- und Gemüsefarmen. Der Norden New Jerseys ist allerdings eher industriell geprägt.
Los geht’s: Es ist soweit – It´s spring clean time!
Ganz Morristown macht jetzt großen Frühjahrsputz – überall wird frischer Rasen gesät und sorgfältig mit Stroh abgedeckt, die letzten Laubreste vom Vorjahr verschwinden und Freiwillige sammeln fleißig Müll in Stadt und Umgebung. Hut ab – alles ist jetzt „spring-cleaned“ und überall spürt man Aufbruchsstimmung. Auf den großen Sportplätzen sieht man immer mehr Leute, die Sport machen, die Grillsaison ist eröffnet und neben Mückenschutz-Kerzen gibt es jetzt an jeder Ecke die „Stars and Stripes“ (US-Flagge) zu kaufen. Und während Morristown in neuem Glanz erstrahlt, gibt es ganz woanders im Moment richtig dicke Luft: Der Vulkan Ejafjallajökull auf Island spukt im Moment so viel Vulkanasche, dass der Flugverkehr in weiten Teilen Nord- und Mitteleuropas diesen Monat zeitweise eingestellt ist – Marcs Kolleginnen und Kollegen können daher nicht zum Meeting nach Morristown fliegen. Das Wall Street Journal titelt: „Volcanic cloud keeps fliers grounded – turning airports into hostels”.
Specht gegen Rasenmäher
Bei uns im Garten hämmert der Specht jeden Vormittag unbeeindruckt gegen die Armada von motorisierten Gartengeräten an, die die Grundstücke der Nachbarschaft wieder auf Vordermann bringt. Auch in unserem Vorgarten stand eines Samstags plötzlich eine Horde Männer, die fleißig Herbizide und Pestizide versprühte – damit sind die hier nicht zimperlich. Ich konnte gerade noch Schlimmeres im Garten hinter unserem Haus (backyard – verrückt „front yard“ schreibt man getrennt, „backyard“ tatsächlich zusammen) verhindern.
Viele Väter, viele Kinder
Die Spielplätze füllen sich und vor allem am Wochenende sieht man sehr, sehr viele Väter, die sich um ihren Nachwuchs kümmern – genau wie beim Eltern-Kind-Turnen von Ole (4) und Paul (3) im YMCA, bei dem ich tatsächlich schon öfter die einzige Frau in der Halle war. Außerdem scheinen wir hier in einer sehr fruchtbaren Gegend zu leben, denn es gibt viel mehr Geschwister-Kinderwagen (mit Sitzplätzen für zwei Kinder) als in Deutschland. Ein Blick auf die Statistik bestätigt meinen Eindruck aus dem Alltag: Während wir in Deutschland durchschnittlich weniger als anderthalb Kinder pro Frau haben, sind es in den USA über zwei Kinder. Das fällt sofort auf und diese Tendenz scheint quer durch alle ethnischen Gruppen zu gehen.
Mein aktuelles Grübelthema: Kindererziehung
Was mich diesen Monat besonders umtreibt, sind vor allem die Unterschiede in der Kindererziehung, die sich immer klarer im Alltag zeigen und für mich oftmals sehr widersprüchlich sind. Eine gängige Regel: Eltern sollten ihre Kids bis zum Alter von zwölf Jahren nicht alleine zuhause lassen – ein beliebtes Thema unter den deutschen Expats. Es gibt zwar nur in wenigen Staaten wirklich entsprechende Gesetze wie z. B. in Maryland (bis 8) und in Illinois (bis 14), aber die Altersgrenze von zwölf Jahren geistert hier trotzdem überall herum. Sie wird von der Organisation „Safe Kids“ national empfohlen und von Eltern, Erzieher/innen und Lehrer/innen als inoffizielle guideline akzeptiert. „Playdates“, also Verabredungen zum Spielen, machen nicht die Kinder, sondern die Eltern – selbst in Theos Alter (und Theo ist 7!). Kleine Kinder dürfen sich keine zwei Meter von den Eltern entfernen, sonst wird man – wie ich neulich – angehupt. Und Paul lief gerade mal drei Meter vor mir auf dem Bürgersteig! Oder aber man bekommt böse Blicke und spitze Kommentare („He was walking down the driveway (Einfahrt) all by himself!“ Ja, mein Gott, aber ich hatte doch alles im Blick! Auch unsere Nachbarin klingelte verstört an der Haustüre, als Paul auf unserer Einfahrt mit Kreide malte, ohne dass ich direkt neben ihm stand! Schulweg? Nur mit den Eltern. Es gibt eine lückenlose Begleitung zur Schule und wieder zurück, Theo und Tim dürfen morgens noch nicht mal allein über unsere Straße zum bus stop gehen und dort allein warten. Ich muss die ganze Zeit mit dabei sein. Und so stehen sich häufig morgens vier Eltern gemeinsam die Beine in den Bauch, bis der Schulbus kommt – kann man das nicht besser verteilen? Es gibt kaum Zugang zu „gefährlichen“ Gegenständen – auch jetzt gerade wieder bei Theos science-project-Anweisungen: Nichts mit Feuer, Glas oder spitzen Gegenständen! Andererseits … … übertragen Eltern und Pädagog/innen viele Einstellungen aus der Erwachsenenwelt auf die Kinder: Zum Beispiel diese Einstellung in der preschool: „It’s not about having fun, it’s about learning and working“ (O-Ton einer der Erzieherinnen). Es gibt einige bierernste Erzieherinnen, die ich gerne einmal durchschütteln und ihnen sagen möchte: …
Der Osterhase hat uns gefunden!
Bei uns ist der Schnee inzwischen geschmolzen – endlich! – die Bürgersteige sind wieder begehbar und es sprießen immer mehr Frühlingsblumen in den Beeten (wie auch amerikanische Flaggen in den Vorgärten). Die Amis holen schon beim ersten Sonnenstrahl ihre Sommersachen raus, während wir noch mit Wintermantel herumlaufen. Selbst die kleinsten Kinder werden barfuß und ärmellos auf den Spielplatz geschickt. Als deutsche Mutter schüttelt es mich da … In vielen Bereichen läuft es schon etwas runder und wir haben in einen ersten Alltag gefunden, der vieles erleichtert.
Wir lernen im Moment jeden Tag etwas Neues
Dennoch haben wir zurzeit eine steile Lernkurve in Bezug auf die Eigenheiten der Amerikaner/innen – vieles betrifft unser Leben als Familie mit kleinen Kindern so unmittelbar, dass es großen Einfluss auf unseren Alltag hat. Wer Lust hat, diese Lernkurve selbst nachzuempfinden, kann gerne unser kleines Quiz machen. Auf die Idee mit den Fragen bin ich übrigens durch meine New Jersey-Führerscheinprüfung gekommen, die ich erfolgreich vor zwei Wochen hinter mich gebracht habe – es war ein Hochgenuss für mich, mal wieder mit vollkommen vorhersehbaren, trockenen Fakten zu tun zu haben 🙂
Auflösung zu Frage 1 – Der März ist grün!
Ich war beim Einkaufen vollkommen überrascht, als diesen Monat auf einmal überall grünes Essen auftauchte – grüne Bagels, grüne Cupcakes und Eier, sogar der Käse war auf einmal grün. Der ganze Zauber hat ursprünglich gar nichts mit Amerika zu tun, sondern mit dem Schutzpatron der Iren, St. Patrick. Er soll am 17. März im fünften Jahrhundert gestorben sein, und seitdem wird jedes Jahr am 17. März in Irland dieses Mannes gedacht und er wird mit Straßenumzügen gefeiert. Im 18. Jahrhundert brachten irische Immigrant/innen den Brauch mit nach Amerika und seitdem steht der März auch hier im Zeichen des irischen Nationalhelden – zumindest überall da, wo Amerikaner/innen mit irischen Wurzeln leben – und das sind immerhin knapp 40 Millionen. Irland in New Jersey An vielen Häusern in Morristown hängt zurzeit die irische Fahne (orange, weiß, grün) in trauter Eintracht direkt neben der US-Flagge, viele Leute laufen in grünen Klamotten herum und unsere Nachbarn/innen fragen sich am bus stop gegenseitig: „Are you Irish?“ Es ist sehr sympathisch zu sehen, dass trotz unerschütterlichem Patriotismus eine andere Nationalität hier fröhlich von vielen gefeiert wird – ein neuer Blick aufs Land für mich. Übrigens färben sie in Chicago gleich den ganzen Fluss grün ein! Und wie wohl ein grünes Bier so schmeckt? Ich hab’s nicht ausprobiert und bin stattdessen beim örtlichen 5-km-St. Patrick-Lauf mitgelaufen – beim Start gab´s für alle Läufer/innen ein T-Shirt mit grünem dreiblättrigem Kleeblatt drauf. Ostern dagegen ist hier Nebensache, man sieht kaum easter bunnies oder Ostereier in den Läden. Man muss schon selbst dran denken, sonst könnte man es glatt verpassen. Wir hatten gerade eine Woche spring break (Frühjahrsferien) und morgen, Ostermontag, geht’s für uns alle schon wieder zurück in den Alltag – Schule, preschool, Arbeiten – ungewohnt und komisch.
Auflösung zu Frage 2 – Dauerregen!
Von Gummistiefeln im Restaurant und einem schwimmenden Taxi. Lovers in the rain Marc und ich sind “highschool sweethearts” – so bezeichnet man hier Pärchen, die sich aus der Schulzeit kennen. Unseren New York-Ausflug zum 20. Jahrestag werden wir wohl so schnell nicht vergessen: Es fiel stundenlanger, horizontaler Starkregen, wir waren bis zur Hüfte nass, nichts ging mehr – jetzt weiß ich, warum kniehohe Gummistiefel hier absolut ausgehfein sind und einige Damen sie sogar im Restaurant tragen. Abends wurden zu allem Überfluss auch noch alle Züge abgesagt und wir sind mit einem Taxi zurück nach Morristown „geschwommen“. Am nächsten Tag folgte ein Stromausfall für fünf Stunden – der dritte in diesem Monat. Ein umgestürzter Baum hatte mal wieder eine Überlandleitung umgehauen – wie gut, dass wir stolze Besitzer eines Kamins sind. Beim Holzhacken ist Marc dann zudem noch ein Holzstück auf den Fuß gefallen (er war barfuß – eine wahre Marc-Aktion). Nun denn, Marc hat es überlebt – so gerade eben 🙂 – sein Zehennagel leider nicht 🙁 .
Auflösung zu Frage 3 – Man muss erfinderisch werden!
Kind muss Pipi auf dem Spielplatz – Was tun? Amerikaner/innen sind prüde – das habe ich nicht für möglich gehalten. Unmittelbar betrifft uns diese Realität auf dem Spielplatz, wo zwar Hunde an die Bäume pinkeln, Paul (3) und Ole (4) dies aber nicht dürfen. Selbst wenn man versteckte Bäume nimmt, kann man hier richtig Ärger bekommen: „If I ever see you doing this again, I’ll call the Police!“ – Worte eines Vaters zu mir – da war ich echt sprachlos. „Public exposure“, wie sie das hier nennen, ist einfach strengstens verboten. Also, wenn ihr uns besucht und mit einem unserer Jungs zum Pipi-Machen hinter einem Baum verschwindet, landet ihr glatt als Sexualtäter/in hinter Gittern – kein Witz, New Jersey Law, davon kann ich nur abraten. Nacktheit bringt die hier fast um. Kleinkinder nackt im eigenen Garten beim Plantschen? No go! Nackt unter der Dusche Mein zweites Aha-Erlebnis hatte ich neulich im Fitnessstudio, als ich aus der Dusche kam. Es waren Sanitäter im Umkleideraum, weil es einer Frau nicht gut ging. Es kamen direkt zwei andere Frauen auf mich zugestürzt, ob ich ein „extra-towel“ (Handtuch) bräuchte, obwohl ich in einem Bereich war, der für die Sanitäter nicht einsichtig war – zweimal um die Ecke – was für ein Aufstand! Grundsätzlich ziehen sich viele Frauen hier nur um, wenn sie ein Badetuch umgeschlungen haben – sie genießen meine volle Aufmerksamkeit bei diesem Affenzirkus. Bei unserer Kinderärztin werden selbst die Kinder über der Kleidung abgehört. Amerikanische „sleepovers“ (Kids, die bei Freundinnen und Freunden übernachten) schließen sich im Bad ein und ziehen sich dort den Schlafanzug an (so erzählten es mir andere deutsche Expat-Mütter). Ich hoffe, dass unsere Jungs sich diese Hysterie nicht aneignen, sondern ihre natürliche Einstellung zum nackten Körper behalten. Aber die anderen Expats haben mich schon gewarnt, dass ihre Kinder bereits nach kurzer Zeit voll panisch reagieren, wenn sie jetzt die Eltern mal nackt sehen. Verrückt. Aber – wir lernen dazu und passen uns an: Damit wir weiterhin auf den Spielplatz gehen können und nicht beim ersten „Pipi“-Ruf nach Hause müssen, gibt es jetzt in meinem Kofferraum eine leere One-gallon-Apfelsaftflasche, …