„Tis this time of the year again …“ – das sind die Worte, die einem jetzt überall begegnen, egal ob es um Spendengesuche, Schulinformationen zur Festzeit oder Aufrufe zur Grippeschutzimpfung geht. Was die Verabschiedungsformel im öffentlichen Leben angeht, kann man auf den November aufbauen und braucht sich zum Dezember gar nicht umzugewöhnen: „Happy Holidays!“ bzw. „Have a nice Holiday!“. Was zum Thanksgiving-Fest passte, ist auch jetzt noch aktuell, man liegt damit immer goldrichtig und tritt keinem auf die Füße. Bei Leuten, die man jeden Tag sieht, sagt man natürlich weiterhin „Have a nice day“! Der schriftliche Gruß (auf Karten oder in Geschäften) ist neben „Happy Holiday!“ auch oft „Seasons’ Greetings“. Kein Adventskranz Die Weihnachtszeit ist hier viel kürzer als in Deutschland, weil wir im Oktober und November noch voll mit Halloween und Thanksgiving beschäftigt waren. Wir gehen also frisch und unverbraucht in die Weihnachtswochen im Dezember – wie angenehm – und verpassen glatt die ersten zwei Adventssonntage. Der Brauch mit dem Adventskranz ist hier sowieso nicht so verbreitet – jedenfalls sehe ich keinen einzigen Adventskranz in den Geschäften, und die öffentlichen Schulen unserer Kinder haben ja sowieso keinen (keine religiösen Feste an public schools).
Nicht besinnlich, aber stimmungsvoll
Unmittelbar nach Thanksgiving machen sich die Leute an die Arbeit und schmücken ihre Häuser und Vorgärten. Auch in der Stadt und in den Geschäften taucht flächendeckend üppige weihnachtliche Dekoration auf. Ein „must-have“: die grünen Kränze aus echtem Tannengrün, die mit roten Schleifen und Lichterketten festliche Stimmung verbreiten (also quasi wie deutsche Adventskränze, nur ohne Kerzen). Sie hängen an Haustüren und Fenstern, an öffentlichen Gebäuden, Kirchen, Polizeistationen und Feuerwachen, an den Anzeigetafeln auf den Sportplätzen, an Tankstellen, vorne an Kühlern der Autos und sogar an Grabsteinen habe ich einige gesehen. Und in Morristown hat JEDE Straßenlaterne einen dieser grünen Kränze mit Schleife drumherum – das wirkt einfach feierlich. Viele Bäume sind mit Lichterketten umwickelt und verbreiten Festtagsstimmung in der Nacht. Morristown könnte jedenfalls glatt als Kulisse für einen schmalzigen amerikanischen Weihnachtsfilm herhalten! Zugegeben: Es gibt einige Leute, die es zu gut meinen und ihr Haus und ihren Vorgarten tatsächlich komplett mit Leuchtfiguren zustellen. Und es stimmt ebenso, dass das Schmücken anscheinend ansteckend ist (jedenfalls kommt eine verrückte Person selten allein). Auch Krippen, die es hier in allen Größen und Ausführungen gibt und die oft in Parks aufgebaut werden, sind manchmal schon nicht mehr grenzwertig, sondern eindeutig kitschig. Aber das scheinen eher Randerscheinungen zu sein.
Vorweihnachts-Highlights
Schon seit Anfang Dezember werden überall Weihnachtsbäume zum Verkauf angeboten und tatsächlich auch gekauft. Der Transport nach Hause erfolgt auf dem Autodach. Ich freue mich immer, wenn ich ein Auto mit Weihnachtsbaum obendrauf an uns vorbeifahren sehe – die Kinder hingegen jauchzen, wenn sie ein „Rudoph-Auto“ entdecken: die dicke, rote Ponpon-Nase steckt vorne am Kühler und das Rentiergeweih ist seitlich an den Scheiben befestigt. Es ist übrigens üblich, die Weihnachtsbäume schon früh in voller Montur im Haus aufzustellen, und so sieht man sie in vielen Häusern schon im Dezember festlich erleuchtet im Wohnzimmer stehen.
Weihnachtsmusik
Und zur Weihachtszeit gibt es nun endlich auch Musik – Halloween und Thanksgiving fand ich irgendwie recht „stumme“ Feste – so ganz anders als bei uns in Deutschland St. Martin. Aber jetzt geht’s richtig los und von überall her tönt Weihnachtsmusik. Diese ist oft weniger besinnlich als in Deutschland (und daher auch irgendwie besser im Alltag zu ertragen), sondern eher fröhlich, bunt, viele Big Bands, viel Glöckchengebimmmel, viele Popsongs und natürlich ganz viele Klassiker, wie „I’m dreaming of a white Christmas“ (Bing Crosby), „Let it snow, let it snow, let it snow …“ – direkt mit dem ganzen Orchester, inklusive Trompeten und Geigen. Es darf auch gerockt werden, z. B. Bruce Springsteens Version von „Santa Claus is coming to town“ – mein Favorit, um in Stimmung für die amerikanische Weihnacht zu kommen. Hört es euch doch an, während ihr weiterlest – das passt gut…. 🙂 Also, ich muss die Amerikaner/innen (zumindest die hier bei uns) in Schutz nehmen, was den gängigen Kitsch-Vorwurf angeht, denn das Gros der Dekos finde ich einfach sehr geschmackvoll und die Stimmung durch Musik, Laune der Leute und Glöckchengeklingel ist fast schon magisch – den Dezember erlebt man hier als eine wirklich sehr festliche Zeit. Und wer sich drauf einlässt, der wird garantiert angesteckt.
Hannukah, Kwanzaa und andere Feste
Aber selbst wenn hier viele Zeichen unübersehbar auf Weihnachten stehen, bereiten sich viele Leute auch noch auf zwei andere wichtige religiöse bzw. kulturelle Feierlichkeiten vor: Die Christen feiern die Geburt Jesu (Weihnachten), die jüdischen Menschen gedenken acht Tage lang der Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem im Jahr 164 v. Chr. (Lichterfest/Hannukah/Chanukkah) und die Afro-Amerikaner/innen feiern ihr kulturelles und historisches afrikanisches Erbe (Kwanzaa). Ganz ehrlich, von Kwanzaa hatte ich bis vor einigen Wochen noch nie etwas gehört, von Hannukah (Chanukkah) ganz entfernt – also, wir haben viel gelernt diesen Dezember und einen Crash-Kurs in der amerikanischen Multi-Kultur erhalten. Klarer Fall, dass man da nicht zusammen feiern kann, zumal z. B. Kwanzaa 1966 erst ins Leben gerufen wurden, um Afro-Amerikaner/innen ein eigenes Fest zu ermöglichen. Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten bei den Festen: Kerzen, die nacheinander angezündet werden (bei den Christen vier, bei den jüdischen Leuten acht (plus „Hilfskerze“ zum Anzünden), bei den Afro-Amerikaner/innen sind es sieben). Geschenke, vor allem für die Kinder traditionelles Essen und Feier Zusammenkommen von Familien und Freunden Und wie immer ist es nicht so ganz „schwarz und weiß“ wie bei uns: Es gibt z. B. praktizierende christliche Afro-Amerikaner/innen, die sowohl Weihnachten als auch Kwanzaa feiern. Bei vielen gemischt-religiösen Familien, wie sie z. B. bei uns in der Nachbarschaft sind, wurden Anfang Dezember schon Hannukah-Partys gefeiert und am 25. Dezember gibt’s dann noch Weihnachten hinterher. Und viele Leute feiern auch einfach gar nichts (einige Kinder in der deutschen Schule zum Beispiel). Kleine Hilfe zur Orientierung: Wenn man nicht genau weiß, welcher Religion die Deko, Süßigkeit, der Leuchter zuzuordnen sind, kann man nach den Farben gucken: Weihnachten hält sich viel in Grün/Rot und Hannukah in Blau/Weiß. Zu Kwanzaa habe ich bisher wenig gesehen. Ihr seht, dass der Gruß „Happy Holidays!“ auf jeden Fall angebracht ist, oder man hält sich noch neutraler mit „Happy anything“ (habe ich als Spruch auf einer Tasse gesehen). 🙂
Und was haben wir damit zu tun?
Unsere Kinder sind richtig nah dran und erleben diese Viefalt unmittelbar, weil sie in preschool und Schule die Traditionen teilweise aus erster Hand vermittelt bekommen. An Pauls preschool kündigt schon der monatliche Newsletter an: „We welcome this joyful month of December. Of course, our shelves are beginning to look a lot like Christmas, Hannukah and Kwanzaa.“ Theo singt nach der Schule öfter sein „Happy Hannukah“-Lied, Ole kommt mit einem ausgemalten neunarmigen Hanukkah-Kerzenleuchter nach Hause, und Tim jammert den ganzen Tag, dass seine Lehrerin gesagt hätte, dass alle Kinder heute ein kleines Geschenk bekommen sollten (was für die jüdischen Kinder natürlich stimmt – Hannukah liegt dieser Jahr zeitlich vor Weihnachten), er aber nichts bekommen hätte. Als Trost gab es für ihn eine dicke Lindt-Weihnachtskugel von mir. Ich erlebe zufällig mit, wie Pauls Klasse in der preschool tatsächlich Hannukah zelebriert (die Eltern können dort die kulturellen Feste mit der Gruppe ihres Kindes mitfeiern): mit Latkes, den traditionellen Kartoffelpuffern, und mit Apfelmus. Als Mitbringsel für alle Kids gibt es den typischen „Dreidl“, einen Kreisel, der mit Schokolade gefüllt ist. Die Klasse nebenan singt lautstark „Jingle Bells, Jingle Bells“ und klingelt wild mit ihren Glöckchen, und bei mir tauchen durch den Kartoffelkuchenduft der Latkes auch noch Kindheitserinnerungen an „Schnibbelskuchen“, unser wöchentliches Samstagsmittagessen auf – das war mal wieder eine sehr buntes Erlebnis, wo so einiges nicht zusammenpasst – eine kleine Dehnungsübung für mein Gehirn, in diesem Fall aber eine richtig angenehme. Unsere Kinder nehmen das alles hin, hinterfragen nichts (jedenfalls fragen sie mich nicht danach) und machen einfach mit. Der einzige, bei dem dann doch ein wenig das „Weltbild“ erschüttert wird, ist Theo (8). Er erfährt von einem deutschen Klassenkameraden zufällig beim Pizzaessen, dass sein Schulkamerad und Freund Samuel (der jeden Tag neben ihm sitzt, sich super in Star Wars auskennt und auch sonst cool ist) kein Weihnachten feiert, sondern eben Hannukah. Theo guckt im ersten Moment ziemlich ungläubig und fragt einmal nach. Danach hat er nichts mehr dazu gesagt. Man sah ihm aber schon an, dass sein Kopf gerade auf Hochtouren arbeitete. Auf diesem Brocken wird er definitiv länger herumkauen als auf …
Winterkonzerte
Bei den Winterkonzerten der Kinder dürfen Marc und ich dann an einem echten musikalischen Kulturbad teilnehmen. Wie jedes Jahr im Dezember bereiten die Kids in den Grundschulen ein Konzert vor. Die Musikschullehrerinnen von Theo und Tim haben also die Aufgabe, ein Programm auf die Beine zu stellen, das alle Eltern zufriedenstellt und niemandem auf die Füße tritt. Und sie schaffen es: Diese eine Stunde in der Aula ist ein ziemlich beeindruckendes Multikulti-Spektakel, was die kulturelle Vielfalt dieser Festzeit gut widerspiegelt: Kinder aller Hautfarben präsentieren sich in schicken Klamotten und Spitzenkleidchen – und sind noch dazu unheimlich diszipliniert auf der Bühne. Bei Tim alle Kinder der Schule – über 300 zwischen fünf und acht Jahren! – auf einmal auf der Bühne – WAHNSINN und alle benehmen sich (für 45 Minuten!) super und präsentieren klassenweise, was sie geübt haben. Musikalische Vielfalt An Theos Schule singen sie Lieder über die Dreidelspiele von jüdischen Kindern, über das Glöckchengeklingel in der Weihnachtszeit, über Piñatas, die voller Süßigkeiten und Spielzeug sind und zerschlagen werden, über den Weihnachtsmann im Kamin, über Winterlandschaften und über „African Noël“. Tims Klasse singt von Potato Laktes (die jüdische „Reibekuchen“-Spezialität zu Hannukah), von einem „Hip Hop Reindeer“ und von Weihnachten auf Hawaii „Mele Kalikimaka“. Sie singen auf Englisch, Jiddisch, Spanisch, Hawaiisch und auch auf Deutsch (den „Tannenbaum“). Vor allem aber sind es die Melodien und Rhythmen, durch die die verschiedenen Kulturen/Religionen mit ihren Stimmungen leichtfüßig, aber dennoch unglaublich eindringlich präsentiert werden: Der wiegende Walzerschritt, das fröhliche, helle „Rauf und Runter“ der amerikanischen Lieder, die etwas klagenden, orientalisch klingenden jüdischen Melodien, die südländischen Rumba-Rhythmen und die nach Südsee klingenden Ukulele-Töne. Wenn diese musikalische Reise vorbei ist, muss man zuerst mal tief durchatmen, sich wieder orientieren und kann dann schon etwas besser nachvollziehen, warum die Leute hier: „Happy Holidays!“ sagen.
Weihnachtsfeier
Im Gegensatz dazu gibt es bei mir an der deutschen Schule eine klassisch-christliche Weihnachtsfeier: In der Mitte der Bühne steht ein festlich geschmückter Weihnachtsbaum und es gibt Geschichten (z. B. vom „Kleinen Tannenbaum“), Gedichte und Lieder (z. B. die „Weihnachtsbäckerei“) zum Weihnachtsfest. Zum Abschluss dann das Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“, bei dem alle mitsingen (sollten 🙂 ). Das kommt mir alles schon vertrauter vor, und das ist auch genau das, was die Eltern unserer Kids von einer deutschen Schule hier erwarten: Besinnliche deutsche Weihnachten! Ja, wir sind eben eine deutsche Schule und ich muss sagen, dass es eine ebenso schöne Feier war.
Komplizierter Adventskaffee
Das Wort „Advent“ gibt es zwar im Englischen auch, und es wird in den Kirchen hier verwendet wie bei uns. Aber im Alltagsleben hat es keine Relevanz (ich habe es bisher jedenfalls kein einziges Mal gesprochen gehört). Das war mir schon früh aufgefallen. Mitte Dezember laden wir dann einige Freunde zu einem „Adventskaffee“ ein – mit selbstgebackenen deutschen Weihnachtsplätzchen (mit teilweise importierten Backzutaten, z. B. dem Lebkuchengewürz). Das Backen macht super viel Spaß und war im Vergleich zur Einladung ein Kinderspiel. Die Einladungs-E-Mail für die deutschen Expats war einfach – das Übliche, genau wie in Deutschland. Aber als ich dann für die amerikanische Seite loslegen wollte, stieß ich doch an mehrere Grenzen: Die direkte Übersetzung funktionierte an vielen Stellen definitiv nicht – es gibt hier keine „besinnliche“ Adventszeit, das sagt kein Mensch („We wish you an Advent Season of contemplation“ oder vielleicht „We wish you a festive season?“ – NEIN!). Und dann waren auch noch einige jüdische Familien dabei – und denen eine schöne Adventszeit zu wünschen, ist ja wohl einigermaßen unpassend (wer meint, ich stelle mich an – also, das ist wirklich nicht so ganz einfach). Ich muss sagen, dass sowohl Konzept als auch Formulierungen eine nur sehr eingeschränkte Überlappung hatten. Unseren amerikanischen Freunden wünschte ich jedenfalls am Ende der E-Mail eine „Happy and Peaceful time“ – eine „besinnliche Weihnachtszeit“ auf Amerikanisch. Also, die Plätzchen sind alle gut angekommen und wir hatten gemeinsam eine gute Zeit. Gegen Abend haben wir noch Pizza geholt und lagen damit wieder voll im amerikanischen Trend „Pizza Party“ – die scheint es hier immer und zu allen Anlässen zu geben.
Gingerbread house
Lebkuchenhäuser sind hier übrigens auch Tradition, nur heißen sie dann „gingerbread house“. Der Teig schmeckt etwas anders, weil die Gewürze anders sind. Bei uns in der Stadt gibt es jedes Jahr einen Wettbewerb, bei dem die Leute ihre Kunstwerke aus gingerbread zeigen und am Ende eine Person gewinnt. Ist schon fantastisch, was einige Leute hier so aus Lebkuchenteig erschaffen … und riechen tut es auch sehr gut. Hier nun ein lang gehütetes Geheimrezept einer befreundeten Familie: Pistazientaler 250 g Mehl 200 g Butter in Flöckchen verteilen 50 g Puderzucker 1 Zitrone – Saft und abgeriebene Schale Alles zu einem glatten Teig verarbeiten und kalt stellen, dann ausrollen, ausstechen, 13-15 min bei 175 °C hellgelb ausbacken.Plätzchen dünn mit Gelee bestreichen und zusammensetzen. 250 g Puderzucker 3-4 EL Zitronensaft rote Lebensmittelfarbe Mit rosa-gefärbter Zitronen-Puderzuckerglasur bestreichen und sofort mit gehackten grünen Pistazien bestreuen. Super lecker, super mürbe 🙂 .