Ansonsten durfte ich mich beim Super Hero Halbmarathon in Morristown austoben und, bevor es losging, wieder einmal die Anstelldisziplin der Leute vor dem Start bewundern: Da sind fünf Minuten vor dem Startschuss noch 40 Meter lange, kreuz und quer über den Campus laufende Schlangen der Läufer/innen, die alle vor den Dixi-Klos enden – nein, kein Gedrängel, keine bösen Blicke, alle nähern sich einfach langmütig im Gänseschritt den Toiletten. Da kann man als Deutsche nur mit offenem Mund dastehen. Habe niemanden gesehen, der sich in die Büsche geschlagen hat. Nach dem Rennen gab es dann wieder einige kostenlose Reklame-Leckerbissen, an denen ich natürlich nicht vorbeigehen konnte: „Balance Bars“ in interessanten Geschmacksrichtungen wie „cookie dough“ und „double chocolate brownie“ – sie waren lecker, aber ich habe Sodbrennen davon bekommen (dann doch lieber die übliche Banane hinterher).
Strep Throat
Wieso das Wort „Strep Throat“ hier fast dieselbe Wirkung hat wie das Wort „Pest“ und wie teuer ein kurzer Abstrich im Hals ist. Und warum Marc von all dem verschont worden ist. Es gibt Wörter, die man hier je nach Situation am besten gar nicht laut ausspricht, weil man sonst MEGA-Ärger bekommen kann. So sollte man z. B. bei der Einreise in die USA NIEMALS auch nur im Spaß das Wort „Bombe“ aussprechen – das gibt „Befragung in der Einzelkabine“ (und tschüss). Ähnliches ist uns jetzt im Mai mit dem Wort „strep throat“ in der preschool passiert. Insofern ist das jetzt eine gute Gelegenheit, um Einblicke in den Umgang mit Hygienevorstellungen und dem alltäglichen Staatfeind No. 1, den „germs“, also Krankheitserregern, zu geben: Mit bakteriellen Entzündungen im Hals darf man nicht spaßen, weder in Deutschland noch in den USA – keine Frage. Die Bezeichnungen und Diagnosen dafür sind dagegen eine interkulturelle Herausforderung. Vorweg: Wer hier an „angina“ leidet, hat’s mit dem Herzen zu tun („Angina pectoris“ – Vorsicht, false friend!). An dieser Stelle ein kurzer Ausflug zu Herpes: “I have a cold sore” sagen die Leute hier bei Lippenherpes. “Herpes” wird umgangssprachlich immer nur für Genitalherpes genutzt! Das kann sonst ziemlich peinlich werden, weil einem direkt eine STD (sexually transmitted disease) angedichtet wird. Zurück zur Halsenzündung: Wenn ein Kind in der Schule fehlt, hört man öfter: „He/she has strep.“ Was dann soviel heißt wie „strep throat“ oder auf Deutsch: „eine durch Streptokokken hervorgerufene Halsinfektion“. Dies ist nicht unbedingt deckungsgleich zum deutschen Klassiker „eitrige Mandelentzündung“, die bei uns ja üblicherweise diagnostiziert wird, wenn man mit starken Schluckbeschwerden zur kinderärztlichen Praxis geht. Es gibt diverse Internetforen, die über die Beteiligung von Körperteilen, verursachende Erreger und semantische Schnittmengen diskutieren: Was ist also was? „Mandelentzündung“ „Angina“ „sore throat“ „angina tonsillaris“ “tonsillitis” „pharyngitis“ „pharyngotonsillitis“ Viel Spaß schon mal beim Googeln … Das Tückische bei strep: Kann ganz verschiedene Symptome haben, also neben den klassischen Halsschmerzen und Fieber auch Bauchschmerzen oder Hautausschlag. Das Praktische bei strep: Kurzer Abstrich im Hals und zehn Minuten später gibt es Gewissheit– und das für schlappe 120 Dollar pro Test! …
Britta beim Zahnarzt
Warum man beim Zahnarzt wie in einem Großraumbüro liegt und wie ich Bekanntschaft mit einem Ganzkörperkondom machte. Und warum ich danach immer noch Zahnschmerzen hatte, aber froh war übers Auftauen. Und dann ging es weiter mit meinen Zähnen: Ich hatte mir wirklich ganz fest vorgenommen, keine Zahnschmerzen in Amerika zu bekommen. Aber es hilft ja alles nichts – am Ende war der Leidensdruck so groß, dass ich nicht um einen Zahnarzt-Besuch herumkam. Nach Hause fliegen stand nur kurz im Raum, aber das wäre dann doch etwas kostspielig geworden 🙂 Mein allererster Eindruck von amerikanischen Praxen: Riechen tut es wie bei uns, auch die typischen Geräusche sind da, nur dass sie sich mit Country Music vermischen. Und die Sprechstundenhilfen sind definitiv viel netter als ihre durchschnittlichen Kollegen/innen in den allgemeinmedizinischen Praxen hierzulande. Auf dem Tresen begrüßt mich das Schild: „Deep bleaching! The most effective whitening process ever invented.“ Hier wird also auch gebleicht – Hauptsache, es ist hinterher weiß. Der auszufüllende Fragebogen lässt keinen Zweifel, dass Zahnhygiene sehr groß geschrieben wird: Ob ich „mouth wash“ benutze und wie oft, und dann soll ich Zutreffendes bitte ankreuzen: „previous teeth cleaning frequency“: 3 months, 4 months, 6 months. Also, jetzt mal Hand aufs Herz: Lasst ihr eure Zähne seit Jahren alle drei Monate reinigen? Hab ich da was verpasst? Großraumbehandlung Die größte Überraschung gibt es, als ich dran bin: Hier gibt es für uns alle nur eine Art „Großraum-Behandlungszimmer“. Ich sehe mehrere Leute auf den Stühlen liegen, getrennt durch Stellwände (so wie man das in Spielfilmen bei amerikanischen Büros oft sieht); das Bohren und Gurgeln ist von diversen Stellen zu hören. Der Behandlungsstuhl in meinem „cubicle“ ist mit einem „Ganzkörperkondom“ hygienisch verpackt – ich muss mich an den Armlehnen festkrallen, weil es so rutschig ist. Eine Zahnhygienikerin macht die Erstuntersuchung mit ziemlich modernen Geräten – ich kann jedenfalls alles vom Stuhl aus am Bildschirm mitverfolgen. Da sie nichts Verdächtiges am Zahn erkennen kann, schlägt sie direkt X-rays vor. Kein Aufstehen nötig – wird alles im Stuhl erledigt. Das Röntgengerät steckt auch in tausend Plastiktüten. Und da es bei den ersten …
Musik, Musik, Musik!
Was hält die Laune oben, bei so vielen Fahrten zwischen Kinderarzt, pharmacy and Abholen von kranken Kindern? Laute Musik im Auto – ich habe bisher noch nichts drüber geschrieben – aber jetzt! Es macht definitiv gute Laune, wenn man hier über die Straßen und den Highway braust und dabei einen Sender hört, der, wie Marc immer sagt, die „ten songs club rotation“ spielt – also so ungefähr die zehn aktuellen Hits rauf und runter. Das war mir in Deutschland nicht klar, aber amerikanische Musik passt einfach viel, viel besser nach Amerika und macht viel mehr Sinn hier: Die Straßen sind breiter, der Himmel ist meist blauer und vielleicht kommt ja auch noch ein bisschen mehr Abenteuer in unserem Leben dazu. Allein dafür lohnt es sich mal, rüber nach Amerika zu kommen – um im Auto zu sitzen und endlich mal amerikanische Musik zu hören. In dem Land, wo sie herkommt und hinpasst. Auch Theo und Tim hören immer ganz fasziniert auf der Rückfahrt von der Schule zu – sie gucken zum Fenster raus, lassen die Landschaft und Musik auf sich wirken und genießen einfach nur. Das Lied „Granade“ von Bruno Mars ist auf diese Weise jedenfalls tief in ihre Köpfe eingebrannt.
Singen, tanzen, Musik machen … Hauptsache spontan!
Und dann gibt es als Abschluss noch einen kurzen Bericht über die beeindruckendste Darbietung von amerikanischer Lebensfreude und Spontanität, in die Marc und ich rein zufällig eines Abends nach dem Dinner reingeraten sind. Angelockt von Musik und Gejohle entdeckten wir in der sportsbar nebenan einige Herren mittleren Alters, die richtig losrockten (und zwar gut!). Alle in bunten Pyjamas und flauschigen Riesen-Tiger-Hausschlappen. Ich fand das Outfit schon bemerkenswert, aber es schien sich niemand dran zu stören, und die Stimmung war kolossal gut! Während der Bassist und der Drummer leise weitermachten, moderierte der Sänger dann auch noch spontan eine kurze Modenschau von einer zufällig anwesenden Bachelorette-Party (die Kleider alle so grell, dass ich mal wieder nicht so richtig sicher war, ob das eine „most ugly dress“-Party war oder doch normaler Dresscode): Die Damen präsentierten sich alle locker, drehten sich ein paarmal herum und dann kam schon die nächste. Komplett verrückt. Und genauso schnell, wie die Damen gekommen waren, waren sie wieder verschwunden und es ging weiter zum nächsten Programmpunkt: Wer aus dem Publikum will etwas vorsingen? Eine Frau meldete sich, sprach kurz mit der Band das Lied ab und legte dann auch schon richtig los (das war jedenfalls nicht das erste Mal, dass die gesungen hat!). Applaus, sie ging wieder von der Bühne, erneut weiter mit der Band. Also echt, jetzt verstehe ich auch, warum es in amerikanischen Filmen so oft Gesangseinlagen gibt und die öfter mal statt eines Films direkt ein Musical machen. Nehmen die etwa alle Gesangsunterricht? Egal, ich bin beeindruckt, wie entspannt, locker, respektvoll und selbstsicher die Leute hier in Kontakt treten und miteinander umgehen (und das auch noch vor Publikum!), sich selbst nicht immer so ganz ernst nehmen und dabei eine gute Zeit haben. Davon könnten wir uns in Deutschland mal eine dicke Scheibe abschneiden …
Washington, D.C., Mai 2011
An wem wir in der Präsidentenstadt vorbeigerollt sind und wo ich im Halbdunkel und Eiskalten meinen ganz persönlichen Schatz gefunden habe. Zu zweit nach Washington Wie schön! Marc und ich haben mal wieder zweieinhalb Tage Familien-Auszeit – und diesmal geht es nach Washington. Vier Stunden Autofahrt durch vier Staaten: New Jersey, Pennsylvania, Delaware, Maryland. Wir sind ziemlich abgearbeitet, aber das Wetter ist super und nach einem Tag Durchatmen in diversen Cafés sind wir bereit fürs minimale Sightseeing-„Pflicht“programm. In Washington wohnt ja nicht nur der Präsident der Vereinigten Staaten im White House, sondern hier gibt es wirklich jede Menge „amerikanische Geschichte“, Museen und Gedenkstätten zu bestaunen – vieles sogar kostenlos, wie die Smithsonians Museen. Auf Rollen durch die Stadt Eine neue Art der Stadtführung ist hier momentan Segway fahren. Anfangs noch ungewohnt, fühlt man sich nach einer Stunde schon sicher, nach zwei Stunden ist man Profi. So düsen wir von der National Mall vom Capitol (dem Sitz des Repräsentantenhaus‘ und des Senats) zum Washington Memorial und weiter zum Lincoln Memorial, wo der 16. Präsident der USA gigantisch groß auf seinem Marmorstuhl sitzt. Auf dem Rückweg geraten wir in eine Total-Sperrung, überall ist Polizei. Rätselraten, bis wir sehen, wer da kommt: eine lange Schlange von Motorrädern und schwarzen Limousinen. Als der Krankenwagen hinter einer der Limousinen auftaucht, werden alle ganz nervös und rufen „That´s the president“. Na bitte, hat sich also schon gelohnt die Reise – Obama fährt keine 75 Meter von uns entfernt in seiner Limousine vorbei (wenn er es denn wirklich war!) 🙂 . Mein ganz persönlicher Schatz Aber das Beste kommt am nächsten Tag. Der Tipp von unserem asiatisch aussehenden, amerikanischen Touristenführer, der zu unserer totalen Überraschung mit muttersprachlichem Deutsch in ein Gespräch zwischen Marc und mir einsteigt (sein Vater war in Deutschland stationiert): In den nationalen Archiven kann man sich kostenlos eine Sammlung an historischen Dokumenten der Unabhängigkeit der USA anschauen. In imposanten halbrunden Gewölbehallen liegen die drei „Charters of Freedom“ nebeneinander in prunkvollen Schaukästen: „Declaration of Independence“ (1776), die „US Constitution“ (1787) und „The Bill of Rights“ (1789), im Halbdunkeln und Eiskalten und …
Memorial Day
Der letzte Montag im Mai ist „Memorial Day“, ein Gedenktag für alle im Dienst gefallenen US-Soldatinnen und Soldaten – und das sind mehr als eine Million Menschen. Das ist nicht zu verwechseln mit dem „Veterans Day“ (dazu hatte ich im November ja schon etwas geschrieben), an dem alle Veteraninnen und Veteranen der US-Armee gefeiert werden. Der Memorial Day diesen Monat ist der zweite „Militär-Gedenktag“, den wir hier ganz bewusst erleben. Das Wochenende davor und der Montag selbst sind jedenfalls schon besondere Tage – eine verrückte Mischung aus Feiertags-Ferienstimmung und landesweiten Gedenkfeiern. Seit der vorangehenden Woche sprechen die Moderatoren und Moderatorinnen im Radio oft vom „Happy Memorial Day Weekend“, denn viele Leute nutzen das lange Wochenende für einen Ausflug. Am Samstag vorher sind einige öffentliche Gebäude geschlossen (z. B. die Bibliothek), montags fällt natürlich die Schule aus, das Parken in Morristown ist kostenlos, und ein offenes Geschäft zu finden, ist reine Glückssache. Ich will mit Theo und Tim essen gehen, aber das Restaurant ist ebenfalls geschlossen – „in observance of memorial day“ (in Einhaltung des Gedenktages). So geraten wir zufällig in die Memorial Day-Gedenkfeier, die auf dem Green mitten in Morristown stattfindet. Überall im Land besuchen die Leute heute die Friedhöfe und Gedenkstätten, stecken unzählige US-Flaggen auf die Gräber und legen Blumen dort ab. Friedhöfe sehen hier übrigens ganz anders aus als die in Deutschland: eine große Anzahl symmetrisch angeordneter kleiner Grabsteine auf einer großen grünen Rasenfläche. Auf der Frontseite unserer Zeitung (WSJ) war das Bild einer jungen Witwe mit Kleinkind auf dem Arm am Grab ihres Mannes – ganz schön traurig. In vielen Städten gibt es Umzüge, die von „marching bands“, militärischem Personal und Militärfahrzeugen geprägt sind. Die US-Flagge weht bis zwölf Uhr mittags auf Halbmast, danach wird sie wieder hochgezogen – als Zeichen dafür, dass die Lebenden den Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit für alle fortsetzen. Auch unser Green ist geschmückt – „1.600 flags were planted on the Morristown Green“ (so die Headline in unserer lokalen Tageszeitung) – das heißt für unseren kleinen zentralen Park, dass dort an den Rändern alle 25 Zentimeter ein Fähnchen in die Erde …
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