Washington, D.C.

Washington, D.C., Mai 2011

An wem wir in der Präsidentenstadt vorbeigerollt sind und wo ich im Halbdunkel und Eiskalten meinen ganz persönlichen Schatz gefunden habe.

 
Zu zweit nach Washington
Wie schön! Marc und ich haben mal wieder zweieinhalb Tage Familien-Auszeit – und diesmal geht es nach Washington. Vier Stunden Autofahrt durch vier Staaten: New Jersey, Pennsylvania, Delaware, Maryland. Wir sind ziemlich abgearbeitet, aber das Wetter ist super und nach einem Tag Durchatmen in diversen Cafés sind wir bereit fürs minimale Sightseeing-„Pflicht“programm.

In Washington wohnt ja nicht nur der Präsident der Vereinigten Staaten im White House, sondern hier gibt es wirklich jede Menge „amerikanische Geschichte“, Museen und Gedenkstätten zu bestaunen – vieles sogar kostenlos, wie die Smithsonians Museen.

 

Auf Rollen durch die Stadt
Eine neue Art der Stadtführung ist hier momentan Segway fahren. Anfangs noch ungewohnt, fühlt man sich nach einer Stunde schon sicher, nach zwei Stunden ist man Profi. So düsen wir von der National Mall vom Capitol (dem Sitz des Repräsentantenhaus‘ und des Senats) zum Washington Memorial und weiter zum Lincoln Memorial, wo der 16. Präsident der USA gigantisch groß auf seinem Marmorstuhl sitzt.

 

Auf dem Rückweg geraten wir in eine Total-Sperrung, überall ist Polizei. Rätselraten, bis wir sehen, wer da kommt: eine lange Schlange von Motorrädern und schwarzen Limousinen. Als der Krankenwagen hinter einer der Limousinen auftaucht, werden alle ganz nervös und rufen „That´s the president“. Na bitte, hat sich also schon gelohnt die Reise – Obama fährt keine 75 Meter von uns entfernt in seiner Limousine vorbei (wenn er es denn wirklich war!) 🙂 .

 

Mein ganz persönlicher Schatz
Aber das Beste kommt am nächsten Tag. Der Tipp von unserem asiatisch aussehenden, amerikanischen Touristenführer, der zu unserer totalen Überraschung mit muttersprachlichem Deutsch in ein Gespräch zwischen Marc und mir einsteigt (sein Vater war in Deutschland stationiert): In den nationalen Archiven kann man sich kostenlos eine Sammlung an historischen Dokumenten der Unabhängigkeit der USA anschauen. In imposanten halbrunden Gewölbehallen liegen die drei „Charters of Freedom“ nebeneinander in prunkvollen Schaukästen: „Declaration of Independence“ (1776), die „US Constitution“ (1787) und „The Bill of Rights“ (1789), im Halbdunkeln und Eiskalten und im Edelgas Argon gelagert. Hier ist nichts „hands-on“: Nicht zum Anfassen, nicht zum Riechen, nicht zum Fotografieren, aber doch wohl zum Lesen und nicht weniger beeindruckend.

 

Ich weiß sofort, wo ich hinwill: Es ist schon ein besonderer Moment für mich, eine ca. 60 x 80 Zentimeter große Original-Urkunde der Unabhängigkeitserklärung aus dem Jahr 1776 vor mir zu haben. Das Lesen fällt nicht gerade leicht: Eine Zeile ist 60 Zentimeter lang, die Schrift recht klein und verschnörkelt und in den letzten knapp 230 Jahren fast komplett verblichen (das dicke Panzerglas macht die Sache auch nicht gerade leichter). Trotzdem: Ich lehne mich auf den Schaukasten und suche die Zeilen mit meinem Finger ab. Und dann finde ich doch tatsächlich den Satz, den ich auswendig kenne und den ich schon so oft als Papierarbeitsblatt an meine Schulkinder ausgeteilt habe:

„We hold these truths to be self-evident that all men are created equal, that they are endowed by their creator with certain unalienable rights, that among these are life, liberty and the pursuit of happiness …“

Das steht echt da, Wort für Wort! Auf Deutsch wäre das so ungefähr:
„Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen wurden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt wurden, dass zu diesen Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit gehören.“

 

Die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten, maßgeblich verfasst von Thomas Jefferson, ist das erste offizielle Dokument, das allgemeine Menschenrechte postuliert hat. Sie ist bis heute unübertroffen als Signal, wenn es um die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Volkssouveränität geht.

Ich bin jedenfalls hin und weg und kann mich kaum losreißen. Die Museumsaufsicht entdeckt mich erst spät und ihre Ermahnung „please don’t lean on the display“ fällt erfreulich milde aus – Glück gehabt. Ich habe gesehen, was ich sehen wollte, und außerdem ist es auch schon wieder höchste Zeit, sich auf den Rückweg zu machen.

Ich habe vier Stunden Autofahrt zum Schwärmen (bevor mich der Alltag wiederhat) und auch die total irren Truckfahrer/innen auf dem Highway können mich nicht aus meiner „Glückseligkeit“ reißen – das war es allemal wert. Wenn ihr das euren Kindern noch zeigen wollte, dann solltet ihr nicht mehr allzu lange warten – in ein paar Jahren ist da nichts mehr zu lesen.