Ich kaufe für die Jungs Unmengen von Schuhen – offene Sandalen und gute Lederschuhe für Herbst und Winter (denn die habe ich in den USA noch nicht gefunden). Aber als ich in einem Schuhladen von einer Verkäuferin angeraunzt und einfach stehengelassen wurde, als ich sie nur darum bat, bei Ole (5) die Füße zu messen – also, da ist mir schon die Hutschnur gerissen. Irgendwie habe ich bei vielen deutschen Verkäufer/innen das Gefühl, ich würde sie belästigen, wenn ich sie anspreche. Aber die wollen doch eigentlich was von MIR (nämlich mein Geld), oder? Wer amerikanische Standards gewöhnt ist, der kann nur den Kopf schütteln, wie hier mit Kundschaft umgesprungen wird. In den USA würden solche Geschäfte direkt durch die Konkurrenz platt gemacht bzw. die Angestellten entlassen (hire and fire) werden, denn so was lässt sich in New Jersey niemand gefallen. Ich auch nicht mehr: Ich habe denen im Schuhladen gesagt, wie unmöglich ich ihr Verhalten finde, dass ihnen gerade so um die 500 Euro durch die Lappen gehen und dass ich jetzt zur Konkurrenz gehe. So richtig Pretty-Woman-like. 🙂 Und Tschüss.
Last but not least: der Toilettenvergleich
Es tut auch gut, einfach mal wieder auf die „Toilette“ gehen zu dürfen – und eben nicht in den „Ruheraum“ (restroom), ins „Badezimmer“ (bathroom), oder den „Puderraum“ (powder room). Das Wort „toilet“ gibt es zwar im Englischen, es wird aber de facto in den USA nie benutzt, um den Raum zu bezeichnen. Selbst die Tiere gehen hier zum „bathroom“. So fragte der Tierwärter die Kinder auf dem Bauernhof: „What does the cow do if it needs to go to the bathroom?“ Dazu eine kleine Anekdote: Theo (damals 7) ist in der ersten Woche in der amerikanischen Schule (im Januar) fast die Blase geplatzt, als er vergeblich versuchte herauszufinden, wo die Toiletten sind: „Who is the toilette?“, hat er gefragt. Klar, das war das falsche Fragepronomen, aber auch das Wort „toilette“ hat einfach keine Glocken klingeln lassen, so dass gegen Mittag vor Schmerzen Tränen flossen, bis sie ihn dann doch noch verstanden haben (armer Kerl). Inzwischen geht die wörtliche Übersetzung genau andersherum, so dass Theo sogar im Deutschen sagt, dass er mal ins Badezimmer muss („I have to go to the bathroom“). Aber das kriegen wir auch wieder hin 🙂 . Zu den Unterschieden zwischen deutschen und amerikanischen „stillen Örtchen“ könnte man glatt einen ganzen Roman schreiben. Zuerst ein technischer Vergleich: Viele Toiletten in New Jersey laufen zuerst ganz voll Wasser und saugen dann im letzten Moment alles ab. Wenn man das nicht kennt, hält man schon mal die Luft an und befürchtet, dass alles überläuft. Womit man auch oft richtig liegt! Denn weil das Abflussrohr einen ziemlich kleinen Durchmesser hat, kommt es öfter zu Blockaden, und dann läuft das Wasser nämlich tatsächlich richtig über! In vielen öffentlichen Toiletten in New Jersey steht daher nicht die Toilettenbürste, sondern der Plömpel neben der Toilette (sinnvollerweise). Auch das Duftspray fehlt hier nie – habe ich in Deutschland bisher eher selten gesehen. Knüddeln oder falten? In diesem Zusammenhang gibt es eine weitere Glaubensfrage: Knüddeln oder falten? Diese Papier-Diskussion trennt tatsächlich einige deutsch-amerikanische Familien. Denn wir Deutschen sind meist „Falter“, d. h. wir falten relativ dickes Toilettenpapier. Die Menschen hier aber haben hauchdünnes …
„Tiefere“ Einblicke sorgen für mehr Verständnis
Manchmal hat man Vorstellungen von seinen Mitmenschen, die sich im Laufe der Jahre wenig ändern und quasi fossilisiert sind, weil es einfach bequem ist und keinen Grund gibt, diese Vorstellungen (Vorurteile?) zu ändern. Eine Zeit im Ausland bringt da so einiges in Bewegung, weil es dann nicht mehr ins Bild passt. Ich habe jedenfalls jetzt eine andere Einstellung zu türkischen „Big Mamas“ bekommen: Unsere türkische Nachbarin in Deutschland, die seit 18 Jahren hier lebt, hat fünf Kinder (zwischen 2 und 18 Jahren) und spricht nur sehr gebrochenes Deutsch. Ihr Mann spricht gut Deutsch, und alle Kinder sind bilingual aufgewachsen. Diese Diskrepanz war für mich schwer nachzuvollziehen, weil man nach so langer Zeit in einem Land einfach etwas anderes erwartet. Aber jetzt ist es mir ähnlich gegangen: Marc und die Kinder hatten durch Job und preschool/school schnell einen festen Platz in der neuen Gesellschaft und dadurch täglich mehrere Stunden Kontakt zur neuen Sprache. Bei mir sah das anders aus: Ich war voll ausgelastet mit Hausarbeit und Kinderbetreuung und hatte trotz Bemühen kaum Zeit, mich um „authentischen Sprachinput“ zu kümmern. Als Hausfrau und Mutter von vielen, noch jungen Kindern lebt man tatsächlich ziemlich isoliert vom Rest der einheimischen Welt (im Ausland durch die Kulturunterschiede noch verstärkt), und man muss schon auf die Pauke hauen, um da herauszukommen. Ich kann jetzt also gut nachvollziehen, warum unsere Nachbarin, die den ganzen Tag im Haus putzt, kocht, Kinder hütet und aufräumt, so wenig Deutsch kann. Das muss schon ein verrücktes Leben sein, so lange in einem Land zu leben und kaum Zeit zu haben, eine eigene Berührungfläche mit den „Einheimischen“ zu haben (abgesehen von den Dingen, die im Zusammenhang mit den Kindern stehen). Ich könnte das nicht aushalten, aber man braucht, um aus dieser Falle herauszukommen, einen Mann, der mitzieht, extra Geld für Babysitter und genug Energie, sich selber diesen Raum zu schaffen.
Heimat tut gut
Und als mich eine ukrainische Mutter vor unserem Kindergarten in Deutschland vor kurzem fragte, wie es uns denn so gefallen würde, mal wieder in der Heimat zu sein, da habe ich ehrlich gesagt, dass es richtig gut tun würde. Da bekam sie leuchtende Augen und seufzte: „Ja, kenne ich, das ist doch was anderes, wenn man zuhause ist.“ Wenn wir auch unterschiedliche „Heimaten“ haben, so weiß ich jetzt ohne viele Worte, wovon sie redet. Was ihr wohl in Deutschland alles fehlt? Fazit Irgendwie sieht man alles aus einer neuen, dritten Perspektive, die wohl auf eine Kombination aus den alteingessenen Erfahrungen in der Heimat und den ganz frischen Erfahrungen im neuen Land zurückgeht. Und am Ende des Tages gibt es für uns in Deutschland sogar noch eine Stunde Helligkeit gratis obendrauf. Denn Morristown liegt im Vergleich zu unserem Zuhause am Niederrhein viel weiter südlich (auf demselben Breitengrad wie Neapel) und deswegen ist es dort früher dunkel. Und wenn es dann an der Zeit ist, ins Bett zu gehen, dann freue ich mich drauf! Denn in meinem deutschen Bett versinke ich nicht in der Matratze, weil die so weich ist (Amis lieben einfach alles, was dick und fluffy ist). Welch eine Wohltat ist die harte Matratze für meinen Rücken, einfach purer Luxus!
Über die magische Elf, Sommercamps und Hitze. Von Oles Unfall und unseren ersten Erfahrungen im Emergency Room. Wie uns hilfsbereite Amerikaner/innen in schwierigen Situationen aus der Patsche helfen, und warum ein amerikanischer Kindergeburtstag kein fröhlicher, improvisierter Nachmittag ist, sondern ein zweistündiges, streng durchgetaktetes und etwas fantasieloses Event.
Die magische Elf
Bei uns hat eine neue Ära angefangen: Alle fragen einen jetzt: „What are you guys doing over the summer?“ Das heißt dann soviel wie: „Was tut ihr in den nächsten drei Monaten?“ Der amerikanische Sommer fängt am Memorial Day (Ende Mai) an und geht bis Labor Day (Anfang September). Es gibt ab Mai sogar extra „Sommer-Kalender“, die von Juni 2010 bis August 2011 gehen. In dieser Zeit gelten andere Gesetze, denn die Schule ist vorbei und die Kids haben 11 – in Worten „ELF!“ – Wochen frei. Schulbusse haben ebenso lange Ferien. Ole (4) und Paul (3) haben sogar noch zwei Wochen länger preschool-frei. Das alles stellt nicht nur unser Leben auf den Kopf, sondern ist auch eine Herausforderung für viele andere amerikanische Familien hier. Die Zauberworte in diesem Zusammenhang sind „Pool“ oder „summercamp“. Fast alle Familien werden also Mitglied in einem der örtlichen Freibäder (für mehrere hundert Dollar). Heißt: Die Kinder springen morgens in ihre Badesachen und verbringen den Tag am Pool, sprich Freibad. Das macht hier (fast) jeder – ich könnte mir das allerdings mit unseren Vieren nicht so gut vorstellen. Je nachdem, wie weit man vom Pool wegwohnt, zahlt man zwischen 350 und 500 Dollar für die Familienmitgliedschaft.
Fourth of July
Am 4. Juli feiert ganz Amerika den Unabhängigkeitstag – daher schießen hier im Moment auch überall die amerikanischen Flaggen aus dem Boden wie Blumen. Wenn man nicht mehr sicher ist, was hier so alles gefeiert wird, dann kann man einfach einen Blick auf die Parkuhren in Morristown werfen – dort steht, wann man NICHT zahlen muss, sprich welche „Parkuhr-Feiertage“ (meter holidays) es hier gibt: Neujahr (1. Januar) Memorial Day (Ende Mai) 4. Juli (Unabhängigkeitstag) Labour Day (Anfang September) Thanksgiving Day (Ende November) 25. Dezember Offiziell gibt es insgesamt zehn Feiertage in den USA, also noch vier weitere: Martin Luther King Day (Januar) Presidents‘ Day (Februar) Columbus Day (Oktober) Veterans Day (11. November) Die allermeisten dieser Tage haben geschichtliche oder gesellschaftliche Hintergründe. Aber Vorsicht – Feiertage für den öffentlichen Dienst hier sind nicht generell für alle arbeitsfrei, das hängt vom Vertrag ab. Eins ist aber auf jeden Fall sicher – es gibt weniger bezahlte Feiertage als in Deutschland.
Camp-Ferien (Summercamp)
Wenn beide Eltern arbeiten müssen, gehen die Kinder in ein „summercamp“, was etwa einer deutschen Ferienfreizeit entspricht. Die „Animateure“ halten die Kids zwischen einer und zwölf Stunde(n) am Tag mit den verschiedensten „Camps“ bei Laune: Sportcamp, Musikcamp, YMCA-Camp, Adventurecamp und viele andere mehr. Unser Nachbarsjunge Drake (8 Jahre) ist letzte Woche für neun Wochen in die Apalachen gefahren (ein bewaldetes Mittelgebirge im Osten) und kommt Anfang September zurück – so einfach geht das hier. Die Preise für solche Camps verschlagen einem allerdings den Atem – zwischen 100 bis über 1.000 Dollar für eine Woche Day-Camp muss man hinblättern!
Wasser und Kühlung marsch!
Auch die Hitze hat jetzt noch einmal zugelegt – das Thermometer in Morristown zeigt 101 Grad Fahrenheit, also über 38 Grad. Tagsüber kann man sich eigentlich nur im klimatisierten Haus oder im Wasser aufhalten. Da überall die Klimaanlagen laufen, kommt es wegen Netzüberlastung immer wieder zu Stromausfällen. In den letzten Tagen gab’s Temperaturen über 100 Grad Fahrenheit (knapp unter 40 Grad Celsius)! Das Erschlagende ist oft die Luftfeuchte – mir beschlägt manchmal die Brille, wenn ich aus klimatisierten Räumen (gefühlte Kühlschranktemperatur) nach draußen gehe. Joggen fällt bei diesem Wetter im Moment leider für mich flach, da ich sonst fast explodiere. Es gibt aber immer noch einige Sportler/innen (Verrückte?), die sich in der prallen Mittagssonne quälen. Die Rasenflächen werden langsam gelblich-bräunlich und das Bewässern des Gartens ist in einigen Landkreisen schon wegen Wassermangels verboten. Die Formel „Sommerzeit gleich Urlaubszeit“ scheint hier übrigens nicht zu stimmen: Zu meiner Überraschung winken viele Leute ab, wenn man sie nach ihrem Urlaubsziel fragt – viele nehmen ihren Familienurlaub einfach irgendwann anders im Jahr, wenn keine Schulferien sind (da sind die Schulen sehr kulant). Einige haben allerdings auch irgendwo ein „summer house“, in dem sie den Sommer verbringen – zum Beispiel an der Küste, um dem schwülen Klima hier zu entkommen.
Nix mit Routine
Unsere Routine vom Mai ist leider wieder dahin. Unser Leben stand im Juni und Juli ziemlich Kopf: Ole hat sich das Handgelenk gebrochen (die Erfahrungen in der Notfallaufnahme waren nicht die besten) und der Schreck sitzt uns allen noch in den Knochen. Wir hatten aber auch einige Feiern (zwei Kindergeburtstage, eine Sommerparty) und sind inzwischen um einiges klüger, was amerikanische Partyregeln angeht. Die Kinder haben ihr erstes Schul(halb)jahr beendet, es gab Zeugnisse (report card) und sie standen mit ihren Klassen auf der Bühne. Und unsere Hilfe, Duaa, ist wieder weg. Hals-über-Kopf. Bumms. Trotz der unruhigen Zeiten gab es zwei absolute Highlights (gute Laune und schöne Füße), an denen ich mich hochziehen kann. Und wir sind jetzt ein knappes halbes Jahr hier – Zeit für eine zweite Bilanz (auch hier später mehr).