Am Heiligabend sind wir nachmittags bei Freunden zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Das heißt, vielmehr zu eggnog und Kuchen. Diese dicke, sehr süße Milch mit aufgeschlagenen Eiern und einer Prise Muskat wird mit bunt gemischten Keksen serviert. Das alte Haus unserer Freunde ist wunderschön renoviert, überall liegen „Hohoho-Kissen“ auf den Sofas, an den Kaminen stehen jeweils ein Meter große Nussknacker und für jedes Familienmitglied hängen dort auch schon dick gefüllte stockings (lange Strümpfe) – ein sehr gemütlicher Einstieg in den Heiligabend. Kirche mit Funkmikro und goldenen Tellern Kirche gehört für mich auf jeden Fall mit zu Weihnachten, daher suchen wir uns einfach eine von den vielen Gotteshäusern aus, die schon Wochen vorher Plakate aufgestellt haben und einladen, an Weihnachten zum „Carol-Singen“ oder „Krippenspiel“ vorbeizukommen. Wir gehen direkt mit unseren Freunden zu Fuß in die Presbyterianische Kirche am Markplatz in Morristown und der Priester begrüßt uns persönlich mit Handschlag: „Merry Christmas!“ Ein guter Anfang, der Verbindung schafft. In der Kirche steht ein Flügel, eine Stars and Stripes hängt vorne im Chor, überall rote Christrosen und sogar ein Adventskranz mit drei lila Kerzen und einer rosa Kerze. Es ist nicht so überfüllt wie bei uns und die Leute singen kräftig mit. Die Orgel hat einen „Gang“ mehr als bei uns – sie schaltet nicht nur mit jeder Strophe mehr „Fülle“ mit ein, sondern in der letzten Strophe kommt eine sehr angenehme „Glöckchentonstimme“ mit dazu. Damit bringt sie stimmungsvolle Leichtigkeit in die durchaus feierlichen Lieder. Der Priester führt mit Funkmikro am Kopf durch die Messe. Ähnlich wie in Deutschland gibt es ein von Kindern aufgeführtes Krippenspiel und einen Kinderchor in blauen, wallenden Gewändern. Die Weihnachtsgeschichte wird aus der Kinderbibel vorgelesen, es wird gesungen, die Adventskerzen werden nacheinander angezündet und die Kollekte wird eingesammelt – verrückterweise nicht im „Beutelchen“, sondern auf einem goldenen Teller, wo man genau sehen kann, was die Person vor einem so drauflegt. Alle Kinder sind herausgeputzt, vor allem die Mädchen tragen wieder ihre „Prinzessinnenkleider“. Viele mit nackten Armen – wie halten die das nur aus bei der Kälte? Die Messe war kurzweilig, und am Ausgang bekommen wir – …
Mein XXL-Projekt
Und da wir unseren XXL-Backofen auch mal richtig ausreizen wollten, haben wir dieses Jahr zwei befreundete Familien zu Thanksgiving eingeladen. Wir feiern allerdings einen Tag später (also freitags, da sie donnerstags bei ihren Familien sind). Gesagt, getan: Ich habe einen ganzen Tag in der Küche gewirbelt, mich durch „gallons, quarts, pints und cups“ (imperiale Maßeinheiten) gearbeitet, jede Menge neue Vokabeln gelernt (oder weiß einer von euch auf Anhieb was „clove“, „turnips“ oder „basting“ ist?), ein überraschendes Feuerwerk an Farben und Düften erlebt und dann einen ziemlich perfekten Zehn-Kilo-Truthahn aus dem Ofen gezaubert.
Unser Thanksgiving-Donnerstag
Wir haben zwei Alternativen: Morgens zur großen Macy’s Thanksgiving-Parade nach NYC fahren, bei der riesengroße Ballons durch die Straßenschluchten getragen werden, oder den lokalen „Turkey trot“, den Fünf-Kilometer-Lauf mitmachen. Mir ist der „Turkey trot“ wichtiger: Im Truthahnkostüm einfach mal „silly“ sein – eine spezielle Übung für mich als Deutsche. Die Leute nehmen es mit Humor, winken, hupen und wollen Fotos mit mir, und beim Rennen treffe ich tatsächlich noch einen anderen turkey, einige Siedler und zwei „Indianer“. Ich liebe diese Rennen – ist fast schon ein „family community event“. Neben den Läuferinnen und Läufern sind auch Kinder in Theos Alter, Kinderwagen und Hunde mit dabei.
Unser Thanksgiving-Festmahl
Morgens stürmen aufgeregte Kinder in unser Schlafzimmer: „Mama, der turkey.“ (Theo), „Daddy, is the turkey in the oven?“ (Tim). Aber klar, ich habe ihn morgens direkt als erstes in die Backröhre geschoben. Am Nachmittag treffen die Gäste ein. Unsere amerikanischen Freunde – sonst immer in Shirt und Turnschuhen – sind heute mit Hemd und Kleid herausgeputzt! Ooops – ich schicke Marc direkt wieder nach oben, damit er sich umziehen kann. Und dann wird es trotz aller Vorbereitungen doch etwas hektisch in der Küche, weil alles auf den Punkt fertig sein muss. Es stellt sich heraus, dass selbst unser gigantischer Backofen zu klein ist, um alles gleichzeitig zu garen und warmzuhalten. Ich muss also zugeben, dass es für Thanksgiving durchaus hilfreich sein kann, zwei Backöfen in einer Küche zu haben, wie es in manchen amerikanischen Familien üblich ist. Unser Truthahn lässt sich von der commotion nicht beeindrucken – nach knapp fünf Stunden kommt der Truthahn aus der Röhre – schön knusprig von außen und richtig saftig von innen. Selbst die „Einheimischen“ sind voll des Lobes – das Fleisch fällt zart und locker vom Knochen, so soll es sein. Ja, da hatte die Dame im New York Times-Video also recht – bloß nicht immer wieder die Ofentür aufmachen … Wie letztes Jahr passt kaum alles auf einen Teller, so viele verschiedene Speisen gibt es. Ein bunt zusammengewürfeltes Essen, eine gesellige Runde – ein perfekter Nachmittag. Eins steht jetzt aber auch fest: Ich mag definitiv immer noch keinen keinen pumpkin pie – brrr. Im Gegensatz zu allen Amerikaner/innen, die ich bisher kenne – für sie gehört Kürbiskuchen untrennbar zu Thanksgiving. Und wer keinen turkey mag? Ich will ehrlich sein – einige mögen turkey nicht gern, finden ihn langweilig oder zu trocken. Daher gibt es bei vielen „ham“ (Schinken in Schweinebratenform) als Alternative. Einige probieren auch mal etwas anderes aus und frittieren den Truthahn: „Deep fried turkey“. Dabei kommt der Vogel im Garten in einen mit heißem Fett gefüllten Blecheimer (Vorsicht: vorher die Kids festbinden!). Für Vegetarier/innen, wie z. B. die Familie von Tims Freund Deepak aus Indien (Hindus), die aus …
Alles mellow
Die Stimmung ist gut – mir macht die Hitze viel weniger aus als letztes Jahr, und unsere Spaziergänge nach der Schule sind ein absolutes Highlight. Das Leben vieler Familien findet jetzt auf den „porches“ statt, den etwas höher gelegenen Veranden vor der Haustür, ausgestattet mit Korbmöbeln und Pflanzen. Man grüßt sich – es gibt ja nur selten Zäune um die Gärten – man sieht viele Kinder auf den Spielplätzen, die Leute sind noch besser gelaunt als sonst, und hier und da gibt es eine spontane Einladung zum Eis im Garten der anderen Kinder, die zu Fuß gehen – alles sehr „mellow“, alle in Vorfreude – tut gut!
Was sagen Familie und Freunde dazu?
Als wir „die Bombe platzen ließen“, was wir als komplette Familie vorhaben, fielen die spontanen Reaktionen sehr unterschiedlich aus: Der eine Opa war ehrlich geschockt, der andere Opa bekam leuchtende Augen – wahrscheinlich, weil er selbst einmal ausgewandert war – und die Oma trauerte ihrem wöchentlichen „Oma-Tag“ (Besuch eines der Kinder bei ihr) hinterher. Insgesamt waren alle etwas traurig, aber nach dem ersten Schock auch gleichzeitig gespannt, was wir alles erleben würden. Die Tatsache, dass unser Umzug nicht auf ewig ist, dass wir auch in den Ferien wieder nach Deutschland kommen würden und die Aussicht auf einen Besuch bei uns in New Jersey mit Ausflügen nach New York milderten den Trennungsschmerz ab. Viele unserer Freunde fanden die Idee super und fieberten mit uns. Manche fanden es auch richtig mutig. Eine Freundin schüttelte allerdings den Kopf: Nein, so was würde sie nicht machen, weil ihr Sohn sonst ja seinen besten Freund verlieren würde. Punkt für sie – einfach ist genau das wirklich nicht. Vor allem Theo (7) hat im Vorfeld damit zu kämpfen, dass er seine Freunde erst einmal zurücklässt.
Countdown – die letzten drei Wochen vor dem Abflug
Wir kommen aus dem Feiern irgendwie nicht mehr raus – Tim wird 6 Jahre jung, Marc 38 Jahre alt. Im Indoor-Spielplatz richten wir (Geburtstags-)Abschiedsfeiern für Theo und Tim aus. Auch Tim und Ole werden von ihren Spielkamerad/innen im Kindergarten mit einer kleinen Feier verabschiedet und bringen Abschiedsgeschenke mit nach Hause: eine Kollage mit Fotos von ALLEN Kindern und Erzieherinnen, und Theo bekommt von seinem besten Freund ein gerahmtes Foto von beiden. Bei unserer Abschiedsparty für Freunde und Familie kommen trotz wilden Schneetreibens ganz viele und sagen uns auf Wiedersehen. Das ist schon etwas Besonderes, dass sich so viele Zeit für uns nehmen. Für unsere Gäste gibt’s „Hamburger“ und amerikanisches Bier – für uns gibt’s als Abschiedsgeschenk jede Menge Lieblingsrezepte inklusive Foto und E-Mail-Adresse. Die Rezeptblätter, teilweise sehr liebevoll und kreativ gestaltet, passen alle noch mit in den Koffer. Jetzt können wir bei akutem Heimweh die Trauer einfach „wegkochen“ (und haben alle aktuellen E-Mails auch direkt dabei). Was die Vorbereitungen für die Abreise angeht, so ist jetzt nicht mehr viel zu tun – wir haben gute Vorarbeit geleistet und das meiste schon hinter uns gebracht.
Staying-at-home moms und working moms
Ich bin übrigens nicht die einzige, die ein wenig über die snow days jammert. Die sonst recht korrekten Moms beim pick-up äußern sich ungewohnt deutlich (hinter vorgehaltener Hand und mit leiser Stimme): „Honestly, this weather sucks.“ So ziemlich alle staying-at-home moms haben langsam die Faxen dicke und wollen wieder Routine. Aber was sollen da erst die working moms sagen? Was tun mit Kindern, wenn man zur Arbeit muss und nicht für die snow days seinen halben Jahresurlaub nehmen möchte? Einige machen dann „home office“ (wobei das wohl oft nur beim guten Vorsatz bleibt), manche arbeiten in „Schichten“ (morgens fährt die Mutter, dann nachmittags der Vater zur Arbeit), manche nehmen die Kids einfach mit (Marc hat unsere auch schon mal mitgenommen). In einer Arztpraxis saßen direkt zwei Kids hinter dem Tresen, mit Chipstüten und Soda ausgestattet. Wieder andere lassen die Kids auch einfach alleine zu Hause – was aber hier vor dem 12. Lebensjahr keine wirkliche Option ist. Die gängige Regel lautet, Kinder unter zwölf Jahren nicht alleine zu Hause zu lassen, auch wenn das kein offizielles Gesetz ist. Aber es wird von Eltern und Erzieher/innen als inoffizielle guideline akzeptiert. Egal – es ist einfach so, wie eine der Mütter mir trotz Bedauerns über die erneuten snow days sagte: „Better safe than sorry.“ Das ist übrigens einer der Lieblingssprüche der Amis. Und das Wetter hier hat ja auch einiges in petto, was ich in dieser Form aus Europa nicht kenne. Folglich schütteln die Leute hier nur völlig verständnislos den Kopf, wenn man ihnen erzählt, dass es bei uns trotz Eis, Schnee und Glätte keine snow days gibt.
Komplizierter Adventskaffee
Das Wort „Advent“ gibt es zwar im Englischen auch, und es wird in den Kirchen hier verwendet wie bei uns. Aber im Alltagsleben hat es keine Relevanz (ich habe es bisher jedenfalls kein einziges Mal gesprochen gehört). Das war mir schon früh aufgefallen. Mitte Dezember laden wir dann einige Freunde zu einem „Adventskaffee“ ein – mit selbstgebackenen deutschen Weihnachtsplätzchen (mit teilweise importierten Backzutaten, z. B. dem Lebkuchengewürz). Das Backen macht super viel Spaß und war im Vergleich zur Einladung ein Kinderspiel. Die Einladungs-E-Mail für die deutschen Expats war einfach – das Übliche, genau wie in Deutschland. Aber als ich dann für die amerikanische Seite loslegen wollte, stieß ich doch an mehrere Grenzen: Die direkte Übersetzung funktionierte an vielen Stellen definitiv nicht – es gibt hier keine „besinnliche“ Adventszeit, das sagt kein Mensch („We wish you an Advent Season of contemplation“ oder vielleicht „We wish you a festive season?“ – NEIN!). Und dann waren auch noch einige jüdische Familien dabei – und denen eine schöne Adventszeit zu wünschen, ist ja wohl einigermaßen unpassend (wer meint, ich stelle mich an – also, das ist wirklich nicht so ganz einfach). Ich muss sagen, dass sowohl Konzept als auch Formulierungen eine nur sehr eingeschränkte Überlappung hatten. Unseren amerikanischen Freunden wünschte ich jedenfalls am Ende der E-Mail eine „Happy and Peaceful time“ – eine „besinnliche Weihnachtszeit“ auf Amerikanisch. Also, die Plätzchen sind alle gut angekommen und wir hatten gemeinsam eine gute Zeit. Gegen Abend haben wir noch Pizza geholt und lagen damit wieder voll im amerikanischen Trend „Pizza Party“ – die scheint es hier immer und zu allen Anlässen zu geben.
Sopranos und Pizza
Wir starten den „Sopranos-Club“: Mit einigen deutschen Frauen fangen wir an, die „Sopranos“-Saga auf DVD zu gucken. „Die Sopranos“ ist eine amerikanische Fernsehserie (1999-2007), die vom Leben einer fiktiven italienisch-amerikanischen Mafiafamilie in New Jersey handelt. Die Serie ist hier sehr bekannt, hat Kultcharakter und ist mehrfach preisgekrönt. Die Figuren sind fiktiv, aber die Saga orientiert sich an der Realität, dass New Jersey in fester Hand der italienischen Mafia ist. Sie gibt uns als Neuzugezogenen daher einen guten Einblick, was hier so alles hinter den Kulissen abgeht. Ich habe schon von verschiedenen Leuten verrückte Geschichten gehört, nach denen z. B. italienische Restaurants bzw. deren Besitzer über Nacht auf einmal verschwinden. Ich muss jetzt jedenfalls immer an die „Sopranos“ denken, wenn ich mit Theo und Tim freitags nach der Schule bei „Suvio’s“ Pizza essen gehe – bei den „Sopranos“ ist der zentrale Treffpunkt der Bosse immer die Pizzeria „Vesuvios“. Der Besitzer unserer Pizzeria „Suvio’s“ ist sehr nett zu Theo und Tim, und die Pizza ist auch super lecker – aber es ist doch ein bisschen komisch.