Das Abschiednehmen von unserem Leben hier, von unseren Gewohnheiten, unserem Alltag mit all unseren Freunden und den anderen Menschen, die dazugehören, ist eine knifflige Sache. Immerhin haben wir die letzten 30 Monate hier miteinander gelebt und inzwischen unseren Platz gefunden. Dieses Gefühl ist nicht wie ein Koffer, den man einfach packen, zumachen und mitnehmen kann. Unser „Pack-an“ an diese Sache: sich ordentlich von den Leuten hier verabschieden (Abschiedspartys) und ihnen auch noch einmal „Danke“ sagen – Stichwort: „Thank-you notes“. Das haben wir doch mittlerweile gelernt von den Amis. Einigen Leuten haben wir wirklich viel zu verdanken: besonders den Lehrerinnen, die sich sehr um unsere Kinder bemüht haben, Oles Therapeutinnen und Vitoria, unserem Au-pair, die uns mit ihrem südamerikanischen Temperament, ihrer unkomplizierten Art und dem Herz am rechten Fleck tatkräftig unterstützt hat. Und dann sind da natürlich all unsere Bekannten und Freunde, die uns Platz in ihrem Leben gemacht haben, obwohl sie wussten, dass wir nur „auf Zeit“ hier waren. Ohne sie wären wir hier nicht angekommen. Paul (5) und Ole malen Bilder, Theo und Tim schreiben thank-you notes an ihre Lehrer/innen (unter Protest, aber sie tun es), ich schreibe Briefe an Lehrer/innen, Schulleitungen, Therapeutinnen. Das hilft. Zumindest mir.
Thanks for having us
Wir feiern Abschied bei uns im Garten, um noch einmal befreundete Familien, die Nachbarschaft, bekannte Eltern, Arbeitskolleginnen und -kollegen und Laufkameradinnen und -kameraden zu sehen. Ein letztes Mal gibt es Multi-Kulti zum Anfassen und als Abschiedgeschenke bekommen wir jede Menge neue Rezepte von unseren Gästen: Gram´s Noodle Pudding, Texas Trash, Sweet Potatoe and Pecan Pie, Pulled Pork – super lecker. Und dann noch viel Internationales (homemade Mexican Salsa vom Fluglehrer, Italian Meetball Recipe von Ole Lehrerin, Chinese Cucumber Salad, Finnish „Pulla“, South African Curry Chicken, Pasta e Fagioli und auch deutsches „Fischragout“). Trotz großer Party-Konkurrenz von Bar Mitzwahs, graduations, weddings und anderen BBQs ist unser Garten voll. Eigentlich ist alles gut, wenn nur der Anlass nicht so traurig wäre. Eine deutsche Freundin, die mit amerikanischem Mann und Kindern fest hier lebt, äußert ganz offen ihren Frust. Sie sagt, sie wolle sich nicht mehr mit deutschen Expat-Familien anfreunden, weil sie in den letzten Jahren so viele wieder verabschieden musste. Ich kann das echt gut nachvollziehen.
Lauter liebe Karten
Und die Leute, die nicht kommen, schreiben E-Mails und Karten (und nicht nur einen Satz). Ich wusste gar nicht, dass ich soooo tolle Kinder habe 😉 : „It cannot believe time has passed so quickly. It seems like yesterday you arrived.“ „You have smart and wonderful children, keep up the great training, for they are a blessing and a privilege to bring up.“ / „I so enjoyed your boys. Both of them have such a special love in their hearts. Peace, love, and many joys raising those boys.“ / „Theo will be greatly missed at Alexander Hamilton School and we would like to wish him all the best for his future. It was a true pleasure having Theo in Class.“ Solche Sätze schreiben tatsächlich diverse Lehrerinnen der Kids – würde keine deutsche Lehrkraft tun, oder?) Theos Lehrerinnen schenken uns sogar noch eine Stars and Stripes-Porzellanschüssel. Wir werden sie in Ehren halten! „We will be very sad to see you go.“ „We wish you all a great journey back home with new adventures and many blessings to follow each one of you always! Goodspeed to all!“ „See you later, hasta luego, bye-bye …“
We´re outta here
Die letzten 30 Stunden sind angebrochen und wir sind erstaunlich ruhig. Meine letzte offizielle „Amtshandlung“ heute bei uns im Haus: Die Mülltonnen sauber machen. Verrückt? Nein, muss sein. Das ist mein Abschied vom Haus: 35 Grad, super schwül und ich schrubbe unsere schwarzen stinkenden Tonnen auf dem driveway blitzeblank. Ein unvergesslicher Abend bisher – noch ein letztes Mal diese versonnene Abendstimmung auf unserer Straße, noch einmal von der Nachbarin verabschieden, die gerade vom Gassi gehen nach Hause kommt. Als die Tonnen sauber sind, bin ich nass und dreckig. Unser Haus ist komplett leer, unsere Sachen sind alle im Container verstaut, der mittlerweile irgendwo im Hafen von New York steht. Ich habe Glück: Im Trockner sind noch ein paar Klamotten, die wir vergessen haben. Praktisch, auch ein T-Shirt von mir ist dabei – besser ein eingelaufenes T-Shirt als gar keins. Als ich mich zum Abendessen aufmache, turnen schon unzählige squirrels auf unseren Müllsäcken herum, die an der Straße stehen – auf der Suche nach Essbarem. Wir nehmen langsam wieder Geschwindigkeit auf, hören den Wasserfall schon rauschen, genießen am Abend noch das Abschiedsdinner bei unseren besten Freunden, einmal schlafen und dann sind wir vogelfrei – für sechseinhalb Stunden. Bangemachen gilt nicht – packen wir´s! Also, tief Luft holen, Anlauf nehmen, Augen zu und springen …
Schnipp-schnapp – das war’s
Anfang April sind es noch zweieinhalb Monate bis zu unserem Umzug zurück nach Deutschland – bei dem Tempo, mit dem die Wochen hier verfliegen, ist das für mich schon ein bisschen beängstigend. Unsere engen Freunde haben die „Trauerphase“ des Abschieds inzwischen, wie es scheint, schon hinter sich. Jedenfalls fragt niemand mehr nach, warum wir zurückgehen und es versucht auch keiner mehr, uns umzustimmen. Das war vor einigen Monaten, als ich mich noch gar nicht damit auseinandersetzen wollte, ganz anders. Aber einige meiner Bekannten, die es jetzt erst mitbekommen, sind tatsächlich kurz heftig überrascht und manchmal auch geschockt: „Oh, but I don’t want you to go – that’s sad.“ Da fällt mir dann irgendwie nie eine passende Antwort ein – Mist. Was kann man da auch sagen? Von wegen „… wir kommen ja öfter zu Besuch“ oder so etwas, das klingt alles irgendwie hohl, denn: „Let´s face it“ – das gemeinsame Alltagsleben mit den Leuten hier ist nun mal bald endgültig vorbei – schnipp, schnapp, abgeschnitten. Die gute Nachricht zu diesem Thema: Ich hatte ganz schönen Horror vor der Umzugsgeschichte, aber es zeigt sich mal wieder, dass die Sache ihren Schrecken verliert, wenn man sie systematisch angeht. Jetzt haben Marc und ich jedenfalls eine vier Seiten lange Liste mit „action items“ und „due dates“ erarbeitet. Wir haben dadurch den Kopf wieder frei und baggern einfach Punkt für Punkt ab – geht besser als gedacht. Für mich heißt das: eine Menge E-Mails und weiterhin eine Stunde „Entmisten“ pro Tag – funktioniert gut. Da unsere Kids zu den Jägern und Sammlern gehören, muss ich alles sofort entsorgen bzw. für die Kids „unsichtbar“ machen. Extramüll kann man hier ja gottseidank ganz bequem zum normalen Hausmüll dazustellen – wird alles mitgenommen, egal wie viel. Cool.
Meine erste „Baby Shower“
Ich habe meine erste Einladung zu einer „Baby Shower“ bekommen, noch dazu von einer Frau, die ich gar nicht kenne. Da war ich im ersten Moment platt. Was ist das und wie geht das? Also: Bei einer „Baby Shower“ wird nicht etwa ein Baby geduscht – wie man meinen könnte – sondern eine werdende Mutter wird mit Geschenken überschüttet, also „geshowered“. Und das meist, bevor das Baby da ist. Es ist Usus, dass einige gute Freundinnen der Mama in spe zu diesem Event einladen – nämlich deren Bekannte und Freundinnen (deswegen kannte ich die „host“, also die Gastgeberin auch nicht). Die Schwangere hat bei der ganzen Sache nur einen einzigen Job: alle Geschenke vor allen anwesenden Frauen öffnen – und begeistert sein! Gefeiert wurde in einem „fire department“, anwesend waren etwa 60 Frauen, von denen ich einige vom Pick-up her kannte. Und dann ging´s los: Zuerst gab es Essen – anderthalb Stunden Fingerfood (viele Gäste hatten etwas mitgebracht) und dabei quatschen – nett und gemütlich und lecker. Dann ging’s ans Geschenke-Auspacken – top organisiert von den „hosts“. Eine Helferin gab der werdenden Mutter die Geschenke vom Geschenketisch an, die sie ausgepackt und allen gezeigt hat, was es ist. Die zweite Helferin packte anschließend alles wieder ein (sie haben ja hier kein Geschenkpapier, sondern „Geschenktüten“ mit Seidenpapier – wie praktisch: dann kann der ältere Sohn, der als „Mann“ bei dieser Veranstaltung nicht dabei sein darf, zuhause auch noch mal alles auspacken). Eine dritte Helferin schrieb dabei genau auf, welches Geschenk von wem ist. Da die meisten den Geschenketisch bei Babies `r us genutzt hatten, gab es wohl keine großen Überraschungen. Zum Abschluss durften wir noch von den phänomenal dekorierten, bunten Cupcakes und Kuchen naschen. Ich fand es schon klasse, einmal mit dabei zu sein. Es ist super, dass sich die Hauptperson um rein gar nichts kümmern muss, sondern nur sitzen und Geschenke auspacken darf. Aber es ist bei den Amerikaner/innen generell viel mehr Sitte als bei uns, für andere die Partys zu organisieren. Einer unserer amerikanischen Freunde äußerte sich einmal total befremdet darüber, dass wir Deutschen unsere Geburtstagspartys immer für …
Spaß als Irish Race Buddy
Ich gehe nicht tanzen, sondern dafür laufen: Bei einem „Irish Race“ in Washington Heights im Norden von Manhattan bin ich diesmal der „Race Buddy“ für einige Kinder, die ihren ersten 5-Kilometer-Lauf machen. Ich hatte mich nach dem Marathon als ehrenamtliche Helferin bei den NYRR (Lauforganisation in NYC) angemeldet, weil ich doch mal einige der Kinder kennenlernen wollte, die von euren Spenden profitieren. Und was soll ich sagen? Es fühlt sich gut an, auch mal das rote T-Shirt mit dem breiten Schriftzug „volunteer“ anzuhaben. 🙂 „Giving back?!“, freut sich einer meiner alten Trainer, als er mich frühmorgens am NYRR-Stand entdeckt. Mein Job ist es, mit zwei anderen Freiwilligen auf sechs Jungs zwischen acht und neun Jahren, also in Theos und Tims Alter, aufzupassen. Seit einem halben Jahr trainieren sie und heute ist ihr erster Lauf. Die Gefühle: Vorfreude und Aufregung! Vor dem Rennen steht das Übliche an: Naseputzen (es ist saukalt), Doppelknoten in die Schuhe, Laufnummer anstecken, Pipi machen gehen und gucken, dass die Kinder nicht im ganzen Gewusel der Läufer/innen verloren gehen. Gar nicht so einfach, denn im Vergleich zu den über 7.000 Teilnehmer/innen sind sie einfach drei Köpfe kleiner. Wir laufen ganz am Ende des Feldes los. Es ist ein Riesenspaß, die Jungs zu begleiten: Am Anfang sprinten sie mit ihren kurzen Beinen entschlossen los, singen gemeinsam: „Downhill rocks – uphill sucks“ (ist nämlich ganz schön hügelig), geraten beim seitlichen Überholen fast in die männliche „Elite“, die mit gewaltiger Geschwindigkeit auf der anderen Straßenseite schon auf dem Rückweg ist (HILFE!), werden dann ruhiger, bekommen rote Wangen und fangen an zu keuchen. James und die anderen halten das Tempo durch, ich falle mit Ryan zurück, der über seinen Fuß klagt. Ich gebe mein Bestes beim Anfeuern: „Good job.“ – „Looking good.“ – „Keep it up.“ Ich bin mir nicht so sicher, wie überzeugend ich bin, da muss ich noch üben. Während Ryan sich etwas quält, aber durchhält, kann ich die Bands am Rand endlich mal in Ruhe genießen (Big-Bands mit Strohhüten, Dudelsäcke, Rockbands, Alleinunterhalter) und höre sogar ein paar neue Sprüche: „Nice legs. – Be cute.“ Aha. Am Ende …
Paul und Dr. Seuss haben Geburtstag
Mit dem Frühling kommt nun auch wieder die Zeit der Kindergeburtstagspartys (im Winter feiert hier fast niemand und die Partys werden fröhlich hin und her verschoben). Paul hat seinen „High-five-Birthday“. Er ist super stolz, dass er jetzt endlich einen Wackelzahn hat und fragt mich sofort: „Mama, kannst du den rausmachen?“ Dr. Seuss hatte auch wieder Geburtstag und daher steht der „Dr. Seuss Day“ am 2. März unter dem Motto „Read across America“. Unsere ganze Familie, selbst Marc, ist im Dr. Seuss-Fieber: Paul kommt mit Dr. Seuss-Hut und „I love to read“-Armband aus der Schule. Tim (8) liest „Green eggs with ham“, löst in der Schule „Dr. Seuss- Crossword Puzzles“ und „Cat in the hat word search“. Ole sucht nur noch nach Reimen (Dr. Seuss‘ Spezialität), und Marc hat sich ein „Cat in the hat“-Kostüm bestellt und erzählt zu jeder Gelegenheit: „The cat in the hat knows a lot about that.“ Theos Klasse macht bei der Read across America-celebration mit: „We will spend a glorious hour reading as a group in the library.“ Mit Decke, „clean“ Snack, Kuscheltier und jede Menge Büchern.
Save the Date!
Was gibt es Neues in Sachen „Umzug“? Also, zumindest das Datum steht fest: Donnerstag, 29. Juni. Fühlt sich etwas verrückt an, dass man es jetzt fest in den Kalender eintragen kann. Komisch. Wir haben auch bereits ein Unternehmen beauftragt, das unsere Sachen einpackt und in einem riesigen Container über den großen Teich bringt. Die Kinder sind schon ganz nervös, dass der Container ins Wasser fallen könnte (soll ja tatsächlich schon vorgekommen sein). Sie haben spontan damit begonnen, die ersten großen Teile ihrer Legoschätze in einige Umzugskartons zu packen (ohne, dass ich sie dazu angehalten hätte) – allen voran Ole, der sich so sehr auf Deutschland freut. Ich mache mir keine Illusion, dass die nächsten drei Monate wie im Flug vergehen werden und versuche tief durchzuatmen. Vor kurzem fragte mich eine amerikanische Mutter beim Pick-up, was ich am meisten vermissen werde, wenn wir wieder in Deutschland sind. Klarer Fall: die Leute hier (also die, die mit zu unserem Leben gehören). Zur Wahl standen auch das Wetter, die gute Eiscreme, die netten Leute auf der Straße, die positive Einstellung der Amerikaner/innen. Keine Frage, auch das werde ich bestimmt vermissen. Von daher habe ich meine Pläne wieder über den Haufen geworfen, noch so viel Sightseeing reinzuquetschen wie möglich, sondern möchte eher eine schöne Zeit mit unseren Freunden verbringen. Für die Kids soll es einige letzte Playdates mit ihren Freunden geben. Und das Ganze kann man ja auch bequem mit Eisessen verbinden. New York wird schon nicht weglaufen und ist in ein paar Jahren auch noch da. Aber vorher fahren wir erst einmal eine Woche in Urlaub nach Florida – Anfang April sind schließlich „Frühlingsferien“ in der Schule. Also erneut Sonne, Sand und Wasser genießen … P.S.: Wir hatten diesen Monat übrigens geheimnisvollen Besuch hier in Morristown – einige Teile der Stadt wurden am frühen Nachmittag für mehrere Stunden komplett gesperrt und wir mussten die Kinder eher von der preschool abholen. Auf dem Infozettel war von einem „important politician“ die Rede. Es war wohl der Vizepräsident, wie man munkelt (um unseren Gouverneur Chris Christie macht jedenfalls niemand so viel Aufhebens).
Neue Perspektiven
Ja, bisher habe ich es erfolgreich verdrängt, aber jetzt ist es nicht mehr zu leugnen: Unser letztes halbes Jahr ist angebrochen! Es ist also Zeit, einen Plan zu machen, sich um einige Dinge zu kümmern und trotzdem irgendwie die verbleibende Zeit zu genießen. Ich komme mir vor, als würden wir unsere Freunde hier betrügen – die “gemeinsame Zukunft” verschwindet langsam bzw. wir lösen unsere Bindungen wieder. Das klingt vielleicht hochtrabend, aber es fühlt sich wirklich ungut an. Gleichzeitig poppt bei mir im Kopf häufig die Frage auf: „Wie amerikanisch sind wir jetzt?“. Es hat sich viel getan in den letzten Monaten (viele, viele Stunden Schule und Preschool, mein Fundraising, gemeinsam erlebte „Naturgewalten“ und, und, und…Da ist so ein Innehalten nach zwei Jahren USA doch mal ganz spannend.