Fangen wir beim Jüngsten an: Paul (3) macht uns langsam doch Sorgen: Er hat immer noch kein einziges Wort (also wirklich GAR KEINS) in seinem Kindergarten gesprochen – und das seit über einem halben Jahr. Weder seine Lehrerinnen noch die anderen Kinder kennen seine Stimme. Er geht sogar weg, wenn andere Kids mit ihm spielen wollen und beobachtet dann alles aus sicherer Entfernung, bis sie wieder gegangen sind. Das Ganze passt irgendwie gar nicht zu Paul: Er ist sonst eigentlich immer ein „Gute-Laune-Bär“ – weder schüchtern noch introvertiert – der sich auch gegen seine großen Brüder durchsetzt, kräftig mitschreit und sich immer besonders viel Mühe gibt, beim Wettrennen endlich auch mal der erste zu sein (was ihm leider selten gelingt, weil seine Beine einfach kürzer sind als die der anderen). Er ist von den vieren der Kontaktfreudigste, der außerhalb des Kindergartens auf wildfremde Kinder zugeht und sich ganz entspannt mit vielen anderen Leuten (Postboten, Verkäufer/innen) auf Englisch unterhält. Er kann sich gut ausdrücken und auch blitzschnell zwischen Deutsch und Englisch hin- und herschalten. An mangelndem Englisch kann es also eigentlich nicht liegen. Zugegeben, solche Geschichten hört man ja selber öfter von ausländischen Kindern in Deutschland, die verstört für lange Zeit in der Ecke im Kindergarten „herumstehen“. Aber wenn es das eigene Kind ist, macht einem dieser Zustand dann doch irgendwann Sorgen – und dieser Punkt war jetzt bei uns erreicht. Ich habe mich dagegen entschieden, das Fachwort „selective muteness“ zu googeln, weil man sich erfahrungsgemäß hinterher oft eher schlechter fühlt – noch will ich nicht mehr darüber wissen und weiter hoffen, dass es von alleine mit der Zeit verschwindet. Folgende Geschichte brachte das Fass dann zum Überlaufen: Beim Abholen erzählte mir seine Lehrerin, dass er beim Lunch Hilfe beim Öffnen seiner Banane brauchte und mit der Banane herumwedelte, um Hilfe herzuholen. Sie versuchte, ein „please“ aus ihm herauszulocken, aber er blieb stumm. Nichts. Auch nicht, als sie ihm das Öffnen dann verweigerte (mein Bauchgefühl sagt mir, dass das auch nicht gerade pädagogisch war … egal). Jedenfalls hat er dann anschließend so lange an der Banane herumgefummelt, bis er sie …
Gute Überraschungen. Schlechte Überraschungen.
Der Februar war insgesamt ein ziemlich bewegter Monat für uns, weil mitten in der Winterzeit viele unvorhergesehene Dinge passierten, die uns doch eine Menge Kraft kosteten. Reese’s (die fettigen Peanut-Butter-Cups – ihr erinnert euch? – man liebt sie oder man hasst sie), meine „Soforthilfe“ bei Stress, hatten Hochkonjunktur bei mir. Soviel vorab.
Was sagen Familie und Freunde dazu?
Als wir „die Bombe platzen ließen“, was wir als komplette Familie vorhaben, fielen die spontanen Reaktionen sehr unterschiedlich aus: Der eine Opa war ehrlich geschockt, der andere Opa bekam leuchtende Augen – wahrscheinlich, weil er selbst einmal ausgewandert war – und die Oma trauerte ihrem wöchentlichen „Oma-Tag“ (Besuch eines der Kinder bei ihr) hinterher. Insgesamt waren alle etwas traurig, aber nach dem ersten Schock auch gleichzeitig gespannt, was wir alles erleben würden. Die Tatsache, dass unser Umzug nicht auf ewig ist, dass wir auch in den Ferien wieder nach Deutschland kommen würden und die Aussicht auf einen Besuch bei uns in New Jersey mit Ausflügen nach New York milderten den Trennungsschmerz ab. Viele unserer Freunde fanden die Idee super und fieberten mit uns. Manche fanden es auch richtig mutig. Eine Freundin schüttelte allerdings den Kopf: Nein, so was würde sie nicht machen, weil ihr Sohn sonst ja seinen besten Freund verlieren würde. Punkt für sie – einfach ist genau das wirklich nicht. Vor allem Theo (7) hat im Vorfeld damit zu kämpfen, dass er seine Freunde erst einmal zurücklässt.
Vorbereitungen in Deutschland
Ein Leben voller To-do-Listen Die Vorbereitungen in Deutschland sind nicht ganz so umfangreich wie in den USA, aber Kleinvieh macht ja bekanntlich auch Mist. Marc ist in den Monaten vor unserer Abreise fast nur in New Jersey, so dass ich die meiste Zeit mit den Kindern allein in Deutschland bin. Langeweile kommt also nicht auf. 🙂 Was gibt’s in Deutschland zu tun? rechtzeitig Elternzeit einreichen (Britta) Visum in Frankfurt beantragen (wir alle, Marc und Britta persönlich) Auto abmelden und für die lange Ruhezeit präparieren (unseren VW-Bus behalten wir) Nachsendeauftrag einrichten ausgiebige Gesundheitschecks, v. a. die Zähne in Ordnung bringen kündigen, kündigen, kündigen: Zeitung, Abos, Kindergarten, Musikschule, Turnvereine, Essensgeld Kita, Au-pair, Fördervereine, GEZ, Telefon, Müll, Krankenversicherung (ruhen lassen) … unsere Medikamentenvorräte auffüllen, z. B. das Rectodelt für Pauls Pseudokrupp Haus aufräumen Platz für Untermieter/innen machen alle Lebensmittel verschenken Aber wir behalten auch eine ganze Menge: Allem voran – unser Haus! Es steht fest, dass wir nur auf Zeit umziehen (zwei bis drei Jahre), also brauchen wir bei unserer Rückkehr nach Deutschland wieder ein Zuhause. Solange wir weg sind, ziehen eine Freundin und mein Bruder ein.
Countdown – die letzten drei Wochen vor dem Abflug
Wir kommen aus dem Feiern irgendwie nicht mehr raus – Tim wird 6 Jahre jung, Marc 38 Jahre alt. Im Indoor-Spielplatz richten wir (Geburtstags-)Abschiedsfeiern für Theo und Tim aus. Auch Tim und Ole werden von ihren Spielkamerad/innen im Kindergarten mit einer kleinen Feier verabschiedet und bringen Abschiedsgeschenke mit nach Hause: eine Kollage mit Fotos von ALLEN Kindern und Erzieherinnen, und Theo bekommt von seinem besten Freund ein gerahmtes Foto von beiden. Bei unserer Abschiedsparty für Freunde und Familie kommen trotz wilden Schneetreibens ganz viele und sagen uns auf Wiedersehen. Das ist schon etwas Besonderes, dass sich so viele Zeit für uns nehmen. Für unsere Gäste gibt’s „Hamburger“ und amerikanisches Bier – für uns gibt’s als Abschiedsgeschenk jede Menge Lieblingsrezepte inklusive Foto und E-Mail-Adresse. Die Rezeptblätter, teilweise sehr liebevoll und kreativ gestaltet, passen alle noch mit in den Koffer. Jetzt können wir bei akutem Heimweh die Trauer einfach „wegkochen“ (und haben alle aktuellen E-Mails auch direkt dabei). Was die Vorbereitungen für die Abreise angeht, so ist jetzt nicht mehr viel zu tun – wir haben gute Vorarbeit geleistet und das meiste schon hinter uns gebracht.
Countdown – die letzten 24 Stunden
Der Großteil unserer 15 Koffer ist bereits fertig gepackt und blockiert den ganzen Hausflur. Ole und Tim haben noch einen Freund zum Spielen da, aber die unmittelbar bevorstehende Abreise liegt natürlich zum Greifen nahe. Einen Teil der Koffer bringen wir schon zum Flughafen, weil wir das sonst mit zwei Autos am nächsten Tag nicht schaffen. Dann bricht der letzte Abend an: Oma, Opa und unsere Geschwister sind gekommen, um uns ein letztes Mal zu drücken und uns alles Gute zu wünschen. Die Stimmung ist gut und es liegt gespannte Vorfreude in der Luft (jedenfalls bei uns). Ich bin ganz ehrlich froh, dass es jetzt nach den ganzen Feiern und den unzähligen Verabschiedungen ENDLICH losgeht.
Das Mehrgenerationenhaus
Was unseren Haushalt angeht, so kommt unser Haus (und ich beim Einkaufen) jetzt an seine Grenzen. Mit drei „Langzeit“-Besuchern sind wir zu neunt – allen voran meine Mutter, die die Frauenquote etwas anhebt und mir ganz viel im Haus und mit den Kids hilft. Nach dem stressigen Februar komme ich wieder zur Ruhe und genieße die kleinen Freiräume umso mehr. Tausend Dank! Ansonsten sind wir fast wie ein alternatives Wohnprojekt, in dem viele Menschen verschiedener Generationen unter einem Dach wohnen: Unsere Kids (unter 10 Jahre), Philipp aus Marcs Familie (20 Jahre), Martin, Marcs Cousin (fast 30 Jahre), Marc und ich (fast 40 Jahre) und meine Mutter als Oma – da kommt Leben ins Haus und feine Beziehungsnetze spannen sich kreuz und quer. Theo und Tim stürzen sich auf Philipp, da sie endlich jemanden haben, der sich mit Star Wars auskennt (und nicht wie ich immer nur „hmm … ja … ja“ sagt), Fußball spielt und Nachtpartys zu Bruno Mars’ „Grenade“ mit ihnen feiert. Aber es läuft wirklich gut, und wenn man nicht gerade als letzte oder letzter morgens duscht, hat man auch noch warmes Wasser 😉 . Ich kann eine „Lost and found“-Stelle in der Waschküche aufmachen, weil es mal wieder zahlreiche Socken und Pullover gibt, die herrenlos bleiben und die niemandem gehören wollen – faszinierend.
Pauls Geburtstagsüberraschung
Endlich! Genau an seinem 4. Geburtstag am 1. März überwindet Paul tatsächlich sein monatelanges konsequentes Schweigen und spricht seine ersten Worte in der preschool! Überglücklich erzählt mir seine Lehrerin beim Abholen, dass er tatsächlich einige Worte geredet hat, nachdem sie einen deutschen Jungen aus Oles Gruppe für 15 Minuten „ausgeliehen“ hatte. Die beiden redeten zunächst deutsch, aber wechselten dann auf Englisch! Nach 15 Minuten hatte der andere Junge keine Lust mehr und wollte wieder zurück in seine eigene Gruppe (und auch in den nächsten Tagen nicht mehr zu Paul rüber). Diese Viertelstunde hat aber gereicht, um den Knoten bei Paul zum Platzen zu bringen. Er ist super, super stolz und erzählt mir beim Abholen immer wieder: „Ich habe sogar geredet heute“, und strahlt mich dabei wirklich an. Am ersten Tag spricht er nur wenige Worte und diese nur auf Anfrage („What color is this?“ und Paul gibt die passende Antwort). Aber im Laufe der nächsten Tage bekomme ich immer wieder positive Rückmeldung von der Lehrerin, dass er auch von sich aus erzählt und sich dann sogar auch mit anderen Kindern unterhält. Inzwischen plaudert er ganz ungehemmt schon beim Abgeben an der Tür mit seiner Lehrerin auf Englisch. Na bitte, ab und zu passieren doch noch kleine Wunder, und wir haben einen dicken Kloß weniger im Hals. 🙂 Amis verschieben munter hin und her Da Pauls Geburtstag mitten in der Woche liegt – wo hier kaum Zeit zum Feiern bleibt – haben wir die Feier einfach auf das nächste Wochenende verschoben (seinen wirklichen Geburtstag verbringen wir als normalen Tag – bis auf das kleine Wunder 🙂 ). Damit liegen wir übrigens voll im Trend, denn viele Leute verschieben den Geburtstag so, dass es gut mit dem Feiern passt. Dabei zögern sie auch nicht, die Geburtstagsfeier vor den eigentlichen Geburtstag zu legen: Wer im August Geburtstag hat, wenn alle Leute in Urlaub sind, feiert dann eben schon im Juni vor. Mit dem Aberglauben, dass das Pech bringen könnte, haben die hier nichts am Hut. Paul bekommt zu seinem Wiegenfest einen Stoff- und einen Schokohasen, und er ist sehr zufrieden damit …
Diskussionsrunde in der Volkshochschule
Einmal wöchentlich gehe ich zu einer Diskussionsrunde in der hiesigen Volkshochschule. Zum Überthema „Great Decisions“ (große Entscheidungen) im Bereich „Foreign Policy“ (Außenpolitik) gibt es immer ein anderes Spezialgebiet, z. B. den Wiederaufbau in Haiti, nationale Sicherheit, Horn von Afrika. Auch der „Germany Ascendant“ (der wirtschaftliche und politische Aufstieg Deutschlands nach der Finanzkrise) war eine Woche das Thema (da war ich leider nicht da). Für mich ist die Veranstaltung immer ein Highlight, weil ich mal „incognito“ mitten unter Amerikaner/innen bin, etwas für meine Allgemeinbildung tun kann und von zuhause wegkomme. Die Leute dort sind übrigens ziemlich gebildet. Es hat mich überrascht, dass sie sich alle einig waren, dass die USA sich mal lieber um ihre eigenen Themen kümmern sollen, anstatt den Weltpolizisten zu spielen.
Der Sommer als Reizthema
Unser neues Reizthema ist der Sommer, also die Zeit von Ende Juni bis Anfang September (elf lange Wochen), in der die Kids keine Schule haben. Die ersten Reklameblätter für die summercamps flattern ins Haus und die ersten Organisationsversuche (wer, wo, mit welchen Kindern, wie lange, welche summercamps) verlaufen wenig euphorisch – ein Thema, das definitiv weder bei Marc noch bei mir gut ankommt. Aber da müssen wir – noch einmal – durch!