Und als mich eine ukrainische Mutter vor unserem Kindergarten in Deutschland vor kurzem fragte, wie es uns denn so gefallen würde, mal wieder in der Heimat zu sein, da habe ich ehrlich gesagt, dass es richtig gut tun würde. Da bekam sie leuchtende Augen und seufzte: „Ja, kenne ich, das ist doch was anderes, wenn man zuhause ist.“ Wenn wir auch unterschiedliche „Heimaten“ haben, so weiß ich jetzt ohne viele Worte, wovon sie redet. Was ihr wohl in Deutschland alles fehlt? Fazit Irgendwie sieht man alles aus einer neuen, dritten Perspektive, die wohl auf eine Kombination aus den alteingessenen Erfahrungen in der Heimat und den ganz frischen Erfahrungen im neuen Land zurückgeht. Und am Ende des Tages gibt es für uns in Deutschland sogar noch eine Stunde Helligkeit gratis obendrauf. Denn Morristown liegt im Vergleich zu unserem Zuhause am Niederrhein viel weiter südlich (auf demselben Breitengrad wie Neapel) und deswegen ist es dort früher dunkel. Und wenn es dann an der Zeit ist, ins Bett zu gehen, dann freue ich mich drauf! Denn in meinem deutschen Bett versinke ich nicht in der Matratze, weil die so weich ist (Amis lieben einfach alles, was dick und fluffy ist). Welch eine Wohltat ist die harte Matratze für meinen Rücken, einfach purer Luxus!
Nix mit Routine
Unsere Routine vom Mai ist leider wieder dahin. Unser Leben stand im Juni und Juli ziemlich Kopf: Ole hat sich das Handgelenk gebrochen (die Erfahrungen in der Notfallaufnahme waren nicht die besten) und der Schreck sitzt uns allen noch in den Knochen. Wir hatten aber auch einige Feiern (zwei Kindergeburtstage, eine Sommerparty) und sind inzwischen um einiges klüger, was amerikanische Partyregeln angeht. Die Kinder haben ihr erstes Schul(halb)jahr beendet, es gab Zeugnisse (report card) und sie standen mit ihren Klassen auf der Bühne. Und unsere Hilfe, Duaa, ist wieder weg. Hals-über-Kopf. Bumms. Trotz der unruhigen Zeiten gab es zwei absolute Highlights (gute Laune und schöne Füße), an denen ich mich hochziehen kann. Und wir sind jetzt ein knappes halbes Jahr hier – Zeit für eine zweite Bilanz (auch hier später mehr).
Oma statt Duaa
Oma Karin kommt zu Besuch und packt ganz kräftig mit an. Zum Glück! Denn Duaa hat uns Hals-über-Kopf wieder verlassen. Danke an Oma Karin! Und dann noch zwei Unfälle und viele Abschiede Tim (6) läuft beim Herumtoben gegen eine Tür und muss an der Augenbraue genäht werden. Ole (4) fällt die Treppe runter, bricht sich das Handgelenk und zieht sich eine dicke Platzwunde am Kinn zu. Was dann auf uns zukam, lest ihr bei „Hilfe! Emergency Room!“
Hilfe! Emergency Room!
Ole (4) ist in unserem Haus die Treppe heruntergefallen. Ich war mit ihm zunächst in einer ambulanten Notarztpraxis, wo seine Platzwunde genäht und Röntgenaufnahmen von Hand und Kiefer gemacht wurden. Der Arzt und die Helfer/innen waren alle super nett zu uns, einer hat sogar sein angestaubtes Highschool-Deutsch rausgekramt und sich unheimlich Mühe gegeben, Ole abzulenken. Die ganze Mannschaft hat zwei Überstunden gemacht (bis 22 Uhr), bis er soweit versorgt war, dass wir zunächst mal nach Hause konnten. Ich musste meine Kreditkarte übrigens nicht schon gleich zu Beginn abgeben wie sonst – sie wollten sie erst am Ende haben! Die ganze Sache war für mich eine Herausforderung der neuen Art: Ich hatte keine Ahnung, wo Marc steckte (ich hoffte, irgendwo in der Luft auf dem Weg zu uns) und bin bei blutigen Angelegenheiten nicht die erste Wahl (da behält Marc eher den kühlen Kopf – er hat ja als Kind genug Erfahrungen aus erster Hand gemacht, als er nach einigen Unfällen und Verletzungen Stammgast in der Notaufnahme war). Leider wurden die Diagnosen in der Praxis immer schlimmer: komplizierter Handgelenksbruch und Verdacht auf Kieferbruch. Hieß: Ole musste auf jeden Fall zum Richten noch in der Nacht ins Krankenhaus, also in den emergency room (ER). Ole weinte und blutete, mir sackte der Kreislauf weg. Zum Glück fiel mir dann der Name einer neuen Expat-Freundin ein, die tatsächlich auch direkt kam, um zu helfen. Aber es war schon ein ungewohnt hilfloses Gefühl, in einer Situation, die einen selbst umhaut, die volle Verantwortung zu haben. Dazu kamen auch noch die fremden Namen der Schmerzmittel (Tylenol, Advil, Benadryl …) – kein Mensch hat mich verstanden, als ich etwas von „Paracetamol“ oder „Nurofen“ erzählte. Marc ist um Mitternacht tatsächlich in Newark gelandet und mit Ole sofort in den ER (Emergency Room) gefahren. Dort waren allerdings 41 (!) Leute vor ihnen dran und sie mussten bis morgens um acht Uhr warten, bis die Knochen wieder in die richtige Position gebracht waren – ganz ohne OP, nur durch Ziehen! Kommentar Marc: „Ole hat ganz schön gejunkt!“. Sechs Wochen Gips („cast“) sind jetzt für Ole angesagt. Nach zwei Wochen …
Von schönen Händen und Füßen
Es gibt im Moment zwei Highlights hier: Das ist zum einen die gute Laune der Menschen, die freundlich grüßen, einen anlächeln, die Türe aufhalten und auch mal interessiert beim Smalltalk nachfragen, wo man denn herkommt. Zum anderen ist das die für mich neue Welt der „Nail Shoppes“ – Pediküre und Maniküre stehen hier für viele Frauen genauso auf dem Wochenplan wie Arbeiten gehen, Einkaufen, Kinder abholen … Ich kenne bisher nur wenige amerikanische Frauen persönlich, aber ich kann sie ziemlich treffsicher von Frauen anderer „Herkunft“ unterscheiden: Ihre Haare sind immer in Form, sie tragen eine große Sonnenbrille, haben weiße, absolut gerade Zähne und makellose Finger- und Fußnägel – zumindest die der weißen Mittelschicht, mit denen wir in New Jersey im Alltag am meisten zu tun haben. Wenn diese Komponenten stimmen, gibt es bei dem Rest, das heißt der Kleidung, relativ große Freiheiten: Viele Frauen laufen entweder in sweatpants und Fleecejacken oder aber in femininen Kleider herum. Jeans-Trägerinnen sehe ich dagegen kaum. Stimmt eins dieser Merkmale nicht, ist man (meist) eindeutig als Nicht-Inländerin identifiziert. Das bestätigte mir auch eine Finnin, die seit neun Jahren hier lebt und arbeitet. Ihrer 12-jährigen Tochter war langweilig auf unserem BBQ und sie wollte mit ihrer Freundin zur Maniküre und Pediküre gehen. Da sind meine Mutter und ich dann einfach spontan mitgegangen – ohne Termin rein in eins der unzähligen Studios, in denen sich sehr viele weiblichen Wesen (vom Teenager bis zur alten Frau) regelmäßig die Füße und Hände „machen“ lassen – auch ein sozialer Treffpunkt also. Nach einer Stunde mit Fußbädern, diversen Massagen und dem Lackieren waren wir fertig – eine durchaus entspannende Aktion zu erschwinglichem Preis (30 Dollar). Nagellack an den Fingern ist zwar nichts für mich, aber was die Füße angeht, könnte ich mich dran gewöhnen …
Schon ganz gut paddelnd unterwegs
Warum ich das Haus nicht ohne mein TomTom verlasse und mich nur schwer an die „staying-at-home mom“ gewöhnen kann. Warum aber zum Glück die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der amerikanischen Leute einfach nur gute Laune machen. Bilanz nach sechs Monaten USA Vieles ist jetzt – im Juni/Juli 2010 – toll, vieles nicht. Ich ziehe den Hut vor allen Leuten, die ihre Heimat verlassen und sich woanders niederlassen – vor allem vor denen, die nicht Zugriff auf die Dinge hatten, die mir/uns hier das Leben am Anfang erleichterten und jetzt fester Bestandteil sind: Gleichgesinnte In unserer Gegend sind viele deutsche und europäische Firmen angesiedelt (z. B. BASF, Novartis …). Daher gibt es selbst bei uns in Morristown eine Menge deutsche Familien. Das Verrückte ist, dass man nur eine/einen Deutsche/Deutschen treffen muss, um – im Zeitalter von Mailing-Listen – auf einmal mit ganz vielen Leuten vernetzt zu sein, die alle in derselben Situation stecken. Ich war direkt im Januar bei einer „wine tasting“-Party eingeladen, und schwupps, schon hatte ich Gleichgesinnte gefunden und sofort ein soziales Netz. Von den Expats bekommt man Antworten auf die vielen größeren und kleinen Fragen, wie z. B. „Wie war das bei euch am Anfang?“, „Wie habt ihr eure Kinder beim Englischlernen unterstützt?“, Wo gibt es hier Leberwurst/gutes Brot/Quark/Würstchen?“, „Welcher Kinderarzt/Friseur/Kindergarten ist empfehlenswert?“, „Wie viel Geld muss ich für ein Geschenk bei einem Kindergeburtstag ausgeben?“ … Außerdem lernt man, dass man nicht die einzige ist, die manchmal gegen die unsichtbaren Wände knallt. Und dann kann man sich auch mal schön gemeinsam wundern. 🙂 Ich treffe übrigens immer wieder zufällig auf Deutsche, einfach weil sie sich an denselben Orten aufhalten wie ich mit unseren Kindern – zum Beispiel auf dem einzigen Spielplatz mit Sandkasten im Nachbarort Madison. Hier scharen sich die deutschen Frauen mit ihren Kleinkindern. Wer nur mit locals zu tun haben möchte, muss die Orte meiden, die die eigenen Kinder lieben.
Mein heißgeliebtes TomTom
Im Ausland Autofahren ist einfach anders. Auch wenn die Leute hier i. d. R. viel gelassener und wohlwollender fahren als deutsche Autofahrer/innen (Ausnahme: Trucks – komplett Irre), ist das schon öfter eine Herausforderung. Dazu kommt, dass mein „sense of direction“ miserabel ist und ich auf dem Rückweg von der Toilette im Restaurant schon mal verloren gehe 🙂 . Schlechte Voraussetzungen für einen kompletten Neustart in fremder Umgebung! Ohne Navi wäre das alles noch viel stressiger, und die Kids und ich kämen wohl oft hoffnungslos zu spät (wenn wir denn überhaupt ankämen). Daher bekenne ich offen: Nie wieder ohne mein TomTom! Internet: Kindergärten, Restaurants, Geschäfte, Sportmöglichkeiten … welch ein Segen, im Internet nachschauen zu können und einen Überblick zu bekommen. Wie viel mühsamer muss ein Quereinstieg mit einer Familie noch vor 20 Jahren gewesen sein! E-Mails: Ich telefoniere kaum mit Deutschland (Zeitverschiebung), dafür kann ich bequem abends E-Mails schreiben und dann am nächsten Morgen die Antworten lesen.
Negativ (nach 6 Monaten)
Aber trotz alldem: Es ist ein echter Kraftakt, eine Familie mit vier Kindern an einen anderen Ort in einem anderen Land zu „verpflanzen“, wo es ja schon zuhause ganz schön anstrengend war. Es ist nicht das eine „Problem“, das einen zum Wanken bringt, sondern es sind die Intensität und die Dichte der Dinge, die uns immer wieder an unsere Grenzen bringen: kulturelle Unterschiede (z. B. Konzept der preschool, überall Fernsehen in „Kinderbereichen“, „freizügiger“ Umgang mit Pestiziden), strukturelle Besonderheiten (lange Schule mit Hausaufgaben, lange Sommerferien), die Bedürfnisse und unterschiedlichen Reaktionen der Kinder (Theo (8) und Tim (6) schwimmen schon recht wacker, Ole (5) geht gerade unter …), meine Situation als „staying-at-home mom“ (ich war nie „ausschließlich“ nur Hausfrau und Mutter, ich vermisse meine Arbeit in der Schule, meine Schulkinder und muss mich dauernd umstellen) und Marcs Herausforderungen im privaten wie beruflichen Bereich. Dazu kommen dann noch die „Extra“-Dinge, die man wirklich nicht brauchen kann: Oles Unfall, Duaas Weggang, eine super nervige Waschmaschine (die weder sauber wäscht noch ordentlich schleudern kann 🙁 ) … Da kommt einem vor lauter Kämpfen manchmal die positive Einstellung abhanden (ganz zu schweigen von der Kraft) und wir haben mehr als einmal darüber gesprochen, das „Experiment“ abzubrechen und wieder nach Deutschland zu ziehen – aber dann müsste Marc wieder pendeln.
Positiv (nach 6 Monaten)
Aber nach einem „good night’s sleep“ sieht die Welt meist schon wieder anders aus und wir rappeln uns wieder hoch: Wir bleiben fürs Erste hier, denn wahrscheinlich liegt die härteste Zeit hinter uns und es gibt noch so viel zu entdecken, wozu uns bisher einfach die Zeit oder Kraft fehlte. Ich habe zum Beispiel bisher weniger von New York City gesehen als alle Wochenendtourist/innen, und es gibt noch so viele tolle Naturparks mit vielen Abenteuern für die Kids … Und schließlich sind wirklich viele positive Dinge passiert: Wir haben eine Menge sehr nette Leute getroffen, die Kids haben neue Freunde gefunden und plappern Englisch, die Sonne scheint hier fast jeden Tag 🙂 , die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit vieler Menschen machen einfach gute Laune – und meine schriftliche Arbeitsgenehmigung ist tatsächlich genau heute angekommen! Ich habe mich bei der Deutschen Schule von Morris County beworben und darf nun ganz offiziell ab September jeden Samstag Deutsch unterrichten – besser als nichts! Und „last but not least“: Wir sind windelfrei! Paul (3) hat es nach monatelangem „potty-training“ endlich geschafft. Seine Antwort auf unsere Frage nach „Erledigung seines Geschäfts“ „Bist du jetzt stolz?“ – „JAAAA!!!“. Wir nehmen uns also die viel beschriebene positive Lebenseinstellung der Amerikaner/innen zum Vorbild und machen weiter.
… und dann endlich einkaufen
Hab ich mein Auto abgestellt, komme ich endlich zu meinen „Hausfrauen“-Erledigungen: Marcs Hemden zur Reinigung bringen (dry-cleaners), einkaufen (grocery shopping) oder auch einfach mal einen Kakao im Café trinken gehen. Um sich unauffällig „unters Volk zu mischen“ braucht man keine tiefgehenden Englisch-Kenntnisse. Hier reden die Leute ja sowieso viele verschiedene Sprachen und alle sind sehr geduldig, wenn man sich im Englischen probiert. Es gibt allerdings einige Phrasen, ohne die hier nichts läuft und die man am besten im Schlaf kann. Uns kommen sie inzwischen schon recht routiniert über die Lippen.