View Post

Unser zweiter Start

Jetzt, vier Wochen nach unserer (Wieder-)Ankunft in Morristown, kann ich sagen: Es war ein guter zweiter Start. Viel runder als der im Januar, alles schon viel vertrauter – wir haben die erste anstrengendste Phase wohl hinter uns. Marc hat in fast allen Punkten gute Vorarbeit geleistet, und alle Kinder sind gut ins neue Schuljahr gestartet. Selbst Ole macht sich richtig gut – mit verkürztem preschool-Alltag und Ergotherapie. Nur auf seinen Sandkasten muss er noch warten.   Und es hat tatsächlich geklappt: Wir haben seit zwei Wochen ein Au-pair aus Brasilien! Das wird eine große Erleichterung im Alltag sein. Ich habe endlich auch wieder einen Job – an der Deutschen Schule von Morris County, jeden Samstagvormittag. Es tut mir soooo gut und ist richtig spannend, mal einen Einblick ins amerikanisch-deutsche Schulleben zu bekommen. Marc hat zwar keinen neuen Job, hat sich dafür aber ein neues (ziemlich zeitintensives) Hobby zugelegt: Fliegen. Doch dazu später mehr. Also – wir sind wieder im Rennen und freuen uns über einige Upsides wie z. B. eine neue Waschmaschine (ha, ich bin die Albtraumwaschmaschine los 🙂 ), ärgern uns ein bisschen über einige Downsides wie z. B. endlose Bürokratie in der Schule. Aber selbst kleinere kulturelle Unterschiede wie bei Matratzen oder Kinderkarussels können uns im September nicht aus der Fassung bringen.

Rieseneinkauf Linsen

Das Wichtigste zuerst: Ole geht es schon besser. Er geht weiterhin zur Montessori-preschool (die haben einfach unschlagbar gutes Material für die Kids) und bleibt inzwischen schon zwei Stunden pro Tag alleine dort. Das Gespräch mit der Leitung und den Lehrerinnen verlief gut, denn sie sind bereit, Ole an vielen Stellen entgegenzukommen. Er geht zwei Mal pro Woche zu seiner Ergotherapeutin Mrs. Thompson, mit der er sich sehr gut versteht. Er hat einfach wieder viel mehr Selbstvertrauen, ist fast schon ein anderes Kind, macht große Fortschritte in allen Bereichen – auch im Englischen – und ist in jeder Hinsicht in der Aufwärtsspirale. Uns fällt ein riesengroßer Stein vom Herzen (alle, die Kinder haben, wissen, wie sich das anfühlt) und entsprechend leichter fällt der Rest. Er wartet zwar noch vergeblich auf den Sand in den zwei Minisandbecken in seiner preschool (seit über fünf Monaten!), aber dafür haben wir schon mal einen Großeinkauf Linsen getätigt, die nun in Wannen bei uns im Wohnzimmer stehen und in denen alle Kids, nicht nur Ole, „Fühlbäder“ nehmen – da hat sich die Geduldsprobe beim Einkaufen dann auch gelohnt. Unsere Fall-back-Lösung, die Koffer an Weihnachten für immer zu packen, falls es Ole nicht besser ginge, scheint daher im Moment obsolet.   Tägliche Übung: der Fahneneid Paul ist wie immer komplett flexibel – er war bisher in der gleichen Gruppe mit Ole, hat jetzt aber in eine andere gewechselt, damit er unabhängiger von mir ist. Ich bin ja wegen Ole immer früh da, und dann kann er natürlich nicht verstehen, weshalb ich nur seinen Bruder mitnehme. Paul ist zwar noch sehr schüchtern, erobert aber die Herzen im Flug und ich lerne neue Worte von den Lehrerinnen, wenn sie über ihn reden: „He is a love bug (Liebeskäfer)“ oder „He is such a sweet pea (süße Erbse)“. Für ihn gibt es jeden Morgen den Pledge of Allegiance, eine Pflicht für alle Kinder in Kindergarten und Schule in NJ – keiner unserer Jungs kommt da dran vorbei: „I pledge allegiance to the flag of the United States of America, and to the republic for which it stands, one nation under …

Neu an Bord: Morena

Ich kann es selbst kaum glauben, aber wir haben tatsächlich ein Au-pair (unerlaubterweise, da wir weder American citizens noch permanent residents sind). Wir haben in der Bewerbung als Gastfamilie einfach ein Kreuz bei permanent residents gemacht und sind glücklich durchgeschlüpft durch das sonst doch so feine Netz aus Gesetzen, Regeln und Kontrollen hier. Und bleiben hoffentlich unentdeckt 🙂 . Ihr Name: Morena, 23, aus Brasilien. Morena hat uns auf Anhieb beim Auswahlverfahren sehr gut gefallen. Sie ist sehr kommunikativ, herrlich unamerikanisch und hat in Brasilia am College unterrichtet. In den ersten Wochen kam schnell heraus, dass sie keinerlei Erfahrung im Haushalt hat (privilegiertes Leben mit Hausangestellen bisher, räumte in der Spülmaschine alle Gläser verkehrt herum ein und fühlte mit der Gabel, ob denn die Eier im Wasserbad bald gut wären), aber sie scheint bereit zu sein, sich reinzuknien – darauf kommt es an. Auch mit den Kindern kommt sie ganz gut klar – Ole und Paul haben ihr schon beigebracht, wie man Kuchen backt. Obwohl sie noch einige Übungsstunden im Autofahren braucht und wir sie bisher nicht alleine mit den Kids fahren lassen, ist sie eine große Hilfe und bringt definitiv mehr Ruhe in unser Alltagsleben. Und Marc und ich lernen auch wieder etwas dazu: Am Wochenende ist Morena meist perfekt gestylt auf Partys unterwegs und föhnt sich vorher ZWEI Stunden die Haare (wusstet ihr, dass das geht?) – so ab der 90. Minute fliegt wegen Überhitzung des Föns alle fünf Minuten die Sicherung heraus. Aber gemach – ich bin zuversichtlich, dass es diesmal gutgeht (unser dritter Versuch in Sachen Nanny).

Bullauge willkommen

Ich bin sie los – unsere Zombie-Waschmaschine. Unsere neue Waschmaschine hat das Bullauge vorn, kennt zwar auch keine Gradeinstellungen, aber sie schleudert ordentlich, hat ein Fusselsieb, und sogar ein Programm mit „very hot“, mit dem ich mir einmal schon die Wäsche verfärbt habe (und ich habe mich darüber gefreut). Endlich!

Die September-Flops :-(

Erster Flop ist der Paperwork-Frust. Die spinnen, die Amerikaner/innen: Zu Beginn eines neuen Schuljahres müssen Eltern hier etliche Formulare ausfüllen, auch wenn wir genau dieselben schon vor acht Monaten ausgefüllt haben und sich einfach die allermeisten Dinge nicht geändert haben (wie z. B. Adresse, Telefonnummern etc). Bei vier Kindern kostet uns diese Ausfüllarbeit mindestens zwei Abende und mich ziemlich viele Nerven: Das Beste sind die Formulare, auf denen man drei Mal unterschreiben muss, nämlich so ungefähr nach jedem Satz. Hier eine kurze Liste von den Papieren, die wir für Theo und Tim ausfüllen mussten (oft mehrere Seiten pro Punkt und z. T. auch mit der Unterschrift der Kids): Direct Donation Drive Morris School District Emergency Card Student Health Questionnaire MSD user agreement of understanding Transportation Department Universal Sign-off form Internet Use Policy Transportation Rules Photo Permission Form Character Code Annual Integrated Pest Management Notice … Puh! Marc liegt immer noch mit der preschool von Ole und Paul im Clinch, weil die wollen, dass wir wieder mit den Kids zum Arzt gehen und 400 Dollar dafür ausgegeben. Und das nur, um das gleiche Formular (Universal Health Child Record) von Ole noch mal ausfüllen zu lassen (klar, mit leicht anderem Körpergewicht und Größe). Da wird man ganz schnell zum Querulanten abgestempelt, obwohl man nur seinen Menschenverstand benutzt. In dieser Hinsicht ist Deutschland ein Paradies: Eine Unterschrift reicht da für drei Jahre (Kita) oder sogar vier Jahre (Grundschule) – purer Luxus.

Vertraut und fremd

Bei unserer Ankunft in Deutschland waren wir überrascht: Nach sechs Monaten US-Kultur fühlt sich die Heimat auf einmal anders an – eine Kombination aus vertraut und fremd. Besonders in den ersten Tagen kann man rein gar nichts machen, ohne dass einem die Unterschiede nicht auffallen würden. Deutschland punktet in vielen, aber auch nicht in allen Bereichen.   Abgesehen von den kulturellen Überraschungen war unser Sommer eine verrückte Mischung: unbeschwerte Momente im luxuriösesten Ferienhaus, das wir je hatten (nämlich unserem eigenen – unsere „Untermieter“ hatten sich für diese Wochen verzogen). viele schöne Erlebnisse mit Freunden und Familie vier Wochen ohne Theo (8) und Tim (6), da sie schon nach einem Monat Deutschland mit Marc nach NJ zurückgeflogen sind. sieben Wochen ohne Marc (der musste ja in New Jersey arbeiten) über 20 Arztbesuche (viele aufgesparte Vorsorgetermine) einige Dämpfer und eine Hammernachricht, die wir erst noch verdauen müssen… Im Moment steht unser Leben jedenfalls – mal wieder – ziemlich Kopf, und es stand auf Messers Schneide, ob wir unseren Aufenthalt in Morristown überhaupt weiter fortsetzen oder ob ich mit den Kindern in Deutschland bleibe.   Sollte mich nächste Woche eine Nachbarin in der Carton Road bei unserer Rückkehr auf der Straße fragen: „How was your summer?“ werde ich wohl gutgelaunt erwidern: „Good – very good! …  How was yours?“ und dann werden wir weiter über das plaudern, was so in unserer Carton Road und Morristown passiert ist. Das finde ich auch völlig in Ordnung. Für euch gibt es jetzt die deutsche Version.

Die Dämpfer

Dann kamen leider die schlechten Nachrichten: Wir hatten einen medizinischen Notfall bei den Großeltern, so dass Marc, der den Sommer in Morristown verbracht hat, extra wieder für einen Blitztrip nach Deutschland kam. Und gleich darauf die Sache mit Oles (gerade 5) Handgelenk, das leider schief zusammengewachsen ist. Zunächst stand eine Korrekturoperation zur Diskussion. Dann haben die Ärzte aber doch entschieden, zunächst abzuwarten, ob der Knochen sich selber wieder richtet. Außerdem hat der Kinderarzt bei Ole eine Wahrnehmungsstörung festgestellt. Damit hatten wir nicht gerechnet und so mussten wir uns erst mal schlaumachen: Bei einer sensorischen Wahrnehmungsstörung ist die „sensorische Integration“ gestört. Darunter versteht man das Ordnen von Sinneseindrücken durch das Nervensystem. Wenn dieser Prozess nicht richtig läuft, dann sind Bewegungs- und Verhaltensweisen oft nicht angemessen. Ole ist u. a. motorisch nicht altersgemäß entwickelt, packt oft zu fest an, läuft gegen Sachen, verschluckt sich häufig. Zusätzlich besteht der Verdacht, dass er eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung hat – ADHS, habt ihr doch bestimmt schon öfter gehört. Umgangssprachlich wird das als „Zappelphilipp-Syndrom“ bezeichnet – eine psychische Störung, die sich durch Auffälligkeiten bei der Aufmerksamkeit, durch Impulsivität und Hyperaktivität auszeichnet. Wir machen uns jetzt erst mal selbst schlau und lesen uns ins Thema ein. Das „Gute“ an dieser Neuigkeit ist, dass es zumindest mit Blick auf die Wahrnehmungsstörung einen guten „Pack-an“ gibt, denn mit Ergotherapie kann man Ole in einigen Bereichen (z. B. in der Grob- und Feinmotorik) fördern. Damit haben wir dann auch sofort in Deutschland angefangen. Im Nachhinein lässt sich seine „Schieflage“ in den USA jetzt auch mit diesen Einschränkungen erklären – er braucht im Moment genau die Sachen, die in New Jersey und vor allem in der preschool eben nicht ganz einfach zu bekommen sind: viel Bewegung, Erleben mit allen Sinnen (also z. B. Sand und Matsch), keinen Erfolgsdruck und Rückzugsmöglichkeiten, wenn es ihm zu „bunt“ wird. Das war ehrlich gesagt ein ganz schöner Schock für uns. Wir haben überlegt, ob ich mit den Kindern nun doch in Deutschland bleibe. Marc ist allerdings für die nächsten Jahre in New Jersey eingebunden und wird weiter dort wohnen bleiben müssen – und eine Trennung der Familie …

Ausblick auf den September 2010

Mit Beginn des neuen Schuljahres kommt Theo auf eine neue Schule (die Alexander Hamilton), Tim bleibt auf der Hillcrest School, Paul geht ebenso weiter in seine preschool-Gruppe. Morena, unser Au-pair aus Brasilien, wird Anfang September anfangen und ich beginne als Deutschlehrerin an der deutschen Schule in Morristown. Und ganz wichtig: Wir müssen Ole einen guten, langsamen Start ermöglichen. Heißt: Gespräch mit der preschool, langsames Eingewöhnen, Ergotherapie und einige Änderungen in Haus und Garten, damit es insgesamt ruhiger wird und Ole sich wohler fühlt. Für Paul ändert sich nichts und er wird weiterhin mit Ole zur preschool gehen.

„Tiefere“ Einblicke sorgen für mehr Verständnis

Manchmal hat man Vorstellungen von seinen Mitmenschen, die sich im Laufe der Jahre wenig ändern und quasi fossilisiert sind, weil es einfach bequem ist und keinen Grund gibt, diese Vorstellungen (Vorurteile?) zu ändern. Eine Zeit im Ausland bringt da so einiges in Bewegung, weil es dann nicht mehr ins Bild passt. Ich habe jedenfalls jetzt eine andere Einstellung zu türkischen „Big Mamas“ bekommen: Unsere türkische Nachbarin in Deutschland, die seit 18 Jahren hier lebt, hat fünf Kinder (zwischen 2 und 18 Jahren) und spricht nur sehr gebrochenes Deutsch. Ihr Mann spricht gut Deutsch, und alle Kinder sind bilingual aufgewachsen. Diese Diskrepanz war für mich schwer nachzuvollziehen, weil man nach so langer Zeit in einem Land einfach etwas anderes erwartet. Aber jetzt ist es mir ähnlich gegangen: Marc und die Kinder hatten durch Job und preschool/school schnell einen festen Platz in der neuen Gesellschaft und dadurch täglich mehrere Stunden Kontakt zur neuen Sprache. Bei mir sah das anders aus: Ich war voll ausgelastet mit Hausarbeit und Kinderbetreuung und hatte trotz Bemühen kaum Zeit, mich um „authentischen Sprachinput“ zu kümmern. Als Hausfrau und Mutter von vielen, noch jungen Kindern lebt man tatsächlich ziemlich isoliert vom Rest der einheimischen Welt (im Ausland durch die Kulturunterschiede noch verstärkt), und man muss schon auf die Pauke hauen, um da herauszukommen. Ich kann jetzt also gut nachvollziehen, warum unsere Nachbarin, die den ganzen Tag im Haus putzt, kocht, Kinder hütet und aufräumt, so wenig Deutsch kann. Das muss schon ein verrücktes Leben sein, so lange in einem Land zu leben und kaum Zeit zu haben, eine eigene Berührungfläche mit den „Einheimischen“ zu haben (abgesehen von den Dingen, die im Zusammenhang mit den Kindern stehen). Ich könnte das nicht aushalten, aber man braucht, um aus dieser Falle herauszukommen, einen Mann, der mitzieht, extra Geld für Babysitter und genug Energie, sich selber diesen Raum zu schaffen.

Deutsch bleibt deutsch

Ebenso kann ich jetzt noch besser verstehen, dass man mit den Kindern weiter seine native Sprache spricht. Ich war zwar nie jemand, der es unhöflich fand, wenn Eltern mit ihren Kinder ihre Landessprache gesprochen haben (z. B. beim Abholen im Kindergarten), aber inzwischen weiß ich aus eigener Erfahrung, dass sich alles andere irgendwie falsch anfühlt. Insbesondere mit den eigenen Kindern kann man nicht von heute auf morgen einfach eine andere Sprache sprechen. Für mich ist das Deutsche die Sprache, in der ich mich am wohlsten fühle, in der auch die emotionale Seite der Beziehung verankert ist. Wenn amerikanische Kinder dabei sind, ist das wieder eine völlig andere Sache (z. B. bei playdates), aber wenn man „unter sich“ ist, ist für mich Deutsch die richtige Wahl.