New Jersey runterfahren – Deutschland hochfahren

Bei uns geht es jetzt richtig zur Sache. Eine Nachbarin sagte mir zuletzt traurig: „So, you are winding down?“ Wörtlich heißt das „ruhiger werden, etwas nach unten kurbeln“. Aber ich habe eher das Gefühl, dass es jetzt erst richtig stressig wird. So steht der Mai im Zeichen von Entmisten und Aufräumen hier und in Deutschland – eine Woche in New Jersey und eineinhalb Wochen in Deutschland für mich. Währenddessen geht unser Alltagsleben in voller Fahrt weiter. Dazu kommen die ersten Abschiede (von meiner Deutschen Schule und meinen Schulkindern), aber auch mental wird es anstrengend, zum Beispiel wegen Oles (6) Perspektiven in Deutschland – wir hängen voll zwischen beiden Welten und Zuständen, stehen mit jeweils einem Bein in den USA und einem in Deutschland. Manchmal bin ich etwas überwältigt. Marc hat ebenfalls das volle Programm auf beiden Seiten des Atlantiks – sein Büro hier alleine „zum Fliegen“ bringen, Leute positionieren und dann selbst wieder in Deutschland Fuß fassen. Zur Vorbereitung fliegt er zwei Wochen nach Deutschland. Marc erzählt: Als ich aus Deutschland weggegangen bin, habe ich eine Lücke hinterlassen, die sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren geschlossen hat. Ich muss mir also eine neue Aufgabe und eine neue Rolle suchen. Das wird sicher nicht einfach und meine Kollegen werden sich bedanken, wenn ich einfach so auftauche. Außerdem ist die deutsche Kultur an vielen Stellen doch total anders und ich habe großen Respekt vor der Aufgabe, in Deutschland wieder Fuß zu fassen.

Und ab geht die Fahrt

Um eins vorweg zu sagen: Ich habe mich geirrt mit meiner Vermutung, dass wir in Sachen Umzug schon sehr bald den anstrengendsten Teil hinter uns hätten und es danach wieder leicht „bergab“ gehen würde. Im Moment habe ich eher das Gefühl, dass wir auf einer Skiabfahrtsschanze sind, auf der wir mit atemberaubender Geschwindigkeit auf das Ziel (unseren Abflug) zurasen. Und die ganzen Aufgaben, die wir noch zu erledigen haben, überholen mich im Moment rechts und links – hämisch grinsend – und ich weiß manchmal nicht so recht, wie mir geschieht. Jetzt heißt es Nerven behalten und das bewährte „Notprogramm“ fahren: peanutbutter icecream, red velvet cheesecake (mega-fett, aber „yummy“), laufen gehen, Trockner und DVDs einsetzen, Pediküre genießen. Damit bekommt man wieder Bodenhaftung, es wirkt Wunder und schöne Füße hat man auch noch. 🙂   Vitoria wächst über sich hinaus, erledigt alles Alltägliche im Haushalt noch selbstverständlicher als früher. Selbst ihre Morgenmuffeligkeit ist wie weggewischt. Sie packt schon seit Tagen ihre Koffer und man sieht sie öfter mal mit Waage unterm Arm aus dem Badezimmer kommen – anscheinend haben ihre Koffer noch nicht ihr „Wunschgewicht“ erreicht. So langsam fahren wir die wöchentlichen Großeinkäufe runter und brauchen schon mal unsere Lebensmittel aus dem großen Vorratsschrank in der Küche auf. Zwischenzeitlich scheint diesen Monat alles ziemlich chaotisch zu sein, aber am Ende reißen wir das Ruder noch einmal herum. Daher endet der Mai zwar sehr geschäftig, aber doch geordnet, und wir „quetschen“ sogar noch eine Reise zur „Mayflower“, dem Schiff der Pilgrim Fathers rein.

Unsere Jobs in Deutschland

Zuerst ist Marc für zwei Wochen in Deutschland und „kümmert“ sich um seinen Job. Schon seit Monaten führt er mit seiner Firma Verhandlungen, es ist von „Umstrukturierung“ die Rede. Als ich dann auf einmal etwas von „China“ höre, ziehe ich die Handbremse: Die letzten drei Jahre als „Stay-at-home Mom“ reichen mir, jetzt will ich endlich auch wieder arbeiten gehen! Ich bekomme Panik, dass ich auf den häuslichen Arbeiten „sitzenbleibe“. Beim Umzug nach Deutschland geht es bei Marc und mir auch um die Neuverteilung von Ressourcen, und wir beide müssen unsere Gebiete neu abstecken. Das wird noch ein ziemliches Armdrücken und die Stimmung ist stellenweise auf dem Nullpunkt. Aber da müssen wir wohl durch.   Als Marc zurück in die USA kommt, machen wir fliegenden Wechsel am Flughafen: Ich bekomme die Haustürschlüssel vom Haus in Deutschland, er die Schlüssel vom Auto, mit dem ich zum Flughafen gekommen bin. Es bleibt Zeit für ein Essen am Airport und dann bin ICH für eineinhalb Wochen weg.

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Ausmisten. Ausmisten. Ausmisten.

Statt Bar Mitzwa gibt es für mich Ausmisten in Deutschland – unser Haus einmal „auf links“ drehen und für die Ankunft unserer sechsköpfigen Familie vorbereiten. Mein erster Eindruck von Deutschland nach zehn Monaten „Entzug“: kühler, technischer, stabiler, viele Leute wirken wie unter Strom, als ob sie alle „Red Bull“ getrunken hätten, ungeduldiger, stoffeliger, viele Frauen mit „Storchennest“ auf dem Kopf, asymmetrischer Brille und vor allem JEANS! Wir Deutsche lieben doch wirklich unsere Jeanshosen über alles und ich komme mir komisch vor, weil ich auf einmal so gut ins Bild passe und gar nicht mehr auffalle – ist das bescheuert?! Autofahren ist anstrengender, weil sich so viel bewegt auf Straße und Bürgersteig (wie ein Wimmelbild). Ich vermisse meine Musiksender und „WNYC“ im Radio, weiß geklinkerte Häuser lösen bei mir Hallenbadgefühle aus (ungemütlich und kalt), oh je! Und viele Leute auf dem Fahrrad, die im Verkehr auf ihrem Handy texten – das kannte ich bisher noch nicht.   Unser Haus: Es ist schon ein verrücktes Gefühl, nach so langer Zeit wieder da zu sein: Unser Haus ist wie ein alter Kleiderschrank – vieles ist vertraut, man erinnert sich, wo alles liegt und steht. Aber diverse Sachen passen nicht mehr (im wörtlichen wie im übertragenen Sinn), alles ist irgendwie muffig – so wie ein alter Schuh, der bequem, aber ausgelatscht ist. Sieben Tage großes Reinemachen – mit zweieinhalb Jahren Abstand kann man sich leichter von Sachen trennen – danach habe ich mich durch die wichtigsten Räume „gefräst“: Teppich gereinigt, Wände gestrichen, aus Kleinkindzimmer ein Kinderzimmer gemacht, aus Grundschulkind-Zimmer ein Jugendzimmer. Beide Altkleidercontainer im Ort quellen über, der Müllcontainer vor unserem Haus ist rappelvoll und ich bin unzählige Male beim örtlichen Wohltätigkeitsverein gewesen. Abgesehen vom schimmeligen Keller und der kaputten Waschmaschine gibt es noch ein grundlegendes Problem: Mir gefällt die ganze Atmosphäre im Haus nicht mehr – nach fast drei Jahren im gemütlichen Holzhaus ist so ein weißes Steinhaus schon irgendwie kalt. Das müssen wir ändern – so halte ich das nicht aus. Da haben es die Expat-Familien besser, die sich vor ihrem Umzug eine ganz neue Bleibe in Deutschland suchen, denn da können …

Zurück in Morristown

Als ich aus Deutschland zurückkomme, tickt unsere Zeit hier auf einmal ganz laut – es ist schon ein Realitätsschock, wenn man die verbleibenden Wochen plötzlich an einer Hand abzählen kann. Bei mir löst das ähnliches Unwohlsein wie ein Stromausfall aus – nicht mehr alles im Griff haben, den Boden unter den Füßen verlieren. Und wie bei unserem Start in den USA sind es die kleinen Dinge, die einen aus dem Tritt bringen, z. B. ein krankes Kind, Zahnschmerzen und solche alltäglichen „Kleinigkeiten“ – als ob der Rest nicht auch schon reichen würde! Aber erst mal geht es noch nach Plymouth in Massachusetts, an die Wiege der USA.

Three weeks to go

Etwas melancholisch steigen wir nun in die letzten drei Wochen ein – und machen Dinge, die wir sonst nicht (mehr) gemacht haben: Fotos von squirrels (denen wir nach der ersten Euphorie kaum noch Beachtung schenkten) oder extra früh zur Pick-up-line bei Tim fahren (noch mal ohne Stress anstehen dürfen). Am Ende ein Spruch aus Theos Schule, den ich bestimmt auch bald wieder als Englischlehrerin in meiner Schule benutzen kann: „Put „Said“ to Bed“ – soll die Kids dran erinnern, dass sie nicht immer nur „said“ (also „sagte“) in ihren Aufsätzen wiederholen sollen 😉 Was noch übrig bleibt: Farewell-Party – die Einladungen für 50 Erwachsene und 30 Kids sind schon raus Tim hat Recht: „Das Jahr ist fast über mit der Schule.“ diverse Abschiedspartys: frozen yogurt-Party für 70 Kinder (das sind alle Kinder aus den Klassen von Ole, Tim und Paul), Theos 10. Geburtstag Oles „graduation ceremony“ in der preschool (jawolla – mit mortarboard (so heißt der eckige Hut mit Quaste) und grünem Umhang und dann schließlich Packen, raus aus unserem Haus, fünf Tage Hotel, Abflug.

KEEP TALKING (9) – knapp zweieinhalb Jahre USA

Warum Theo nur auf Deutsch flucht und Tim nach zweieinhalb Jahren in den USA mittlerweile genauso gut Englisch spricht wie amerikanische Kinder. Und warum Ole manchmal etwas als „komisches Englisch“ bezeichnet.   Bevor es jetzt bald zurückgeht nach Deutschland, noch mal ein Blick auf die Sprache: Die Kinder verfügen mittlerweile über eine hohe Kompetenz in beiden Sprachen. Ob sie aber nun besser Deutsch oder besser Englisch sprechen, kann man so gar nicht sagen, weil es auch abhängig vom „Fachgebiet“ ist. Fluchen tut Theo (10) mittlerweile ausschließlich auf Deutsch – keine Ahnung, wo er diese Fremdworte her hat. Etwa von mir??? Die Kids reden untereinander sehr viel Englisch, aber nicht komplett durchgängig. Mit mir reden sie nach wie vor Deutsch. Theo hat sich weiter dem amerikanischen Akzent angenähert, Tim (8) war ja eh immer „gut“ darin. Ein amerikanischer Freund sagte uns, dass er Tim mittlerweile nicht mehr von amerikanischen Kindern unterscheiden könne. Die beiden Jüngeren hören sich vom Akzent her dagegen noch eher deutsch an (finde ich).   Alle nehmen inzwischen deutlich wahr, dass es verschiedene Varianten des Englischen gibt, das ist dann eben „komisches Englisch“ (laut Ole, 6). Vor allem Theo horcht immer auf, wenn er „Britisch English“ hört. Dann steht er ganz still „mit dabei“ und lauscht fasziniert (die Mutter eines Klassenkameraden hier kommt aus Großbritannien). Und als zuletzt ein irisches Kinderlied auf der CD kam, hörte Paul (5) sehr aufmerksam zu und meinte hinterher mit einem Stirnrunzeln, dass das ja wohl ziemlich schlechtes Deutsch gewesen sei. Das Englisch der Kids ist übrigens mittlerweile so gut, dass sie nebenbei Radio beim Autofahren mithören und nachfragen, wenn sie etwas interessiert: „Three people dead … why?“ Ihr Deutsch hört sich an manchen Stellen lustig und unidiomatisch an (Rückübersetzung), manchmal auch etwas falsch an (falsche Satzstellung oder Präposition). Aber sie haben immer noch einen wirklich großen Wortschatz und verstehen alles. Vom Schreiben wollen wir hier nicht reden … Man findet auch noch Anglizismen in ihren deutschen Sätzen, wobei ihnen da inzwischen teilweise wohl die deutschen Vokabeln fehlen, wenn sie über Dinge sprechen, die sie primär aus der Schule kennen. Sie haben einfach …

Schnipp-schnapp – das war’s

Anfang April sind es noch zweieinhalb Monate bis zu unserem Umzug zurück nach Deutschland – bei dem Tempo, mit dem die Wochen hier verfliegen, ist das für mich schon ein bisschen beängstigend. Unsere engen Freunde haben die „Trauerphase“ des Abschieds inzwischen, wie es scheint, schon hinter sich. Jedenfalls fragt niemand mehr nach, warum wir zurückgehen und es versucht auch keiner mehr, uns umzustimmen. Das war vor einigen Monaten, als ich mich noch gar nicht damit auseinandersetzen wollte, ganz anders. Aber einige meiner Bekannten, die es jetzt erst mitbekommen, sind tatsächlich kurz heftig überrascht und manchmal auch geschockt: „Oh, but I don’t want you to go – that’s sad.“ Da fällt mir dann irgendwie nie eine passende Antwort ein – Mist. Was kann man da auch sagen? Von wegen „… wir kommen ja öfter zu Besuch“ oder so etwas, das klingt alles irgendwie hohl, denn: „Let´s face it“ – das gemeinsame Alltagsleben mit den Leuten hier ist nun mal bald endgültig vorbei – schnipp, schnapp, abgeschnitten. Die gute Nachricht zu diesem Thema: Ich hatte ganz schönen Horror vor der Umzugsgeschichte, aber es zeigt sich mal wieder, dass die Sache ihren Schrecken verliert, wenn man sie systematisch angeht. Jetzt haben Marc und ich jedenfalls eine vier Seiten lange Liste mit „action items“ und „due dates“ erarbeitet. Wir haben dadurch den Kopf wieder frei und baggern einfach Punkt für Punkt ab – geht besser als gedacht. Für mich heißt das: eine Menge E-Mails und weiterhin eine Stunde „Entmisten“ pro Tag – funktioniert gut. Da unsere Kids zu den Jägern und Sammlern gehören, muss ich alles sofort entsorgen bzw. für die Kids „unsichtbar“ machen. Extramüll kann man hier ja gottseidank ganz bequem zum normalen Hausmüll dazustellen – wird alles mitgenommen, egal wie viel. Cool.

Ein Zimmer verschwindet in 45 Minuten

Zurück zum Packen: Eines Nachmittags packen Theo (9) und Tim (8) auch schon mal mit an. Marc hatte ihnen gesagt, dass sie beim wöchentlichen Zimmeraufräumen alles, was sie bis Juli nicht mehr brauchen, in Kisten packen sollen. Und was geschah? In einer geschlagenen Dreiviertelstunde haben sie ihr GESAMTES Zimmer – wenig fachgerecht – in Kisten gestopft. Diesen Schlamassel muss Marc jetzt leider alleine auslöffeln, da habe ich mich diskret zurückgezogen. Letzte „News“ zum Auszug: Wir haben unseren Rückflug wegen des verfrühten Sommerferienbeginns noch mal um eine Woche vorgezogen. Kinder sind etwas Wunderbares – aber beim Zusammenpacken eines Hauses kann ich sie echt nicht brauchen – das kann nur schiefgehen. Daher fliegen wir jetzt schon am 22. Juni zurück nach Deutschland. Also, der Urlaub in Florida war für uns der Grenzpfeiler – danach wollen wir schon mal in die Feinplanung gehen. Es bleiben ja auch nur noch knapp zwei Monate …

Family Bits and Pieces April 2012

Vitoria muss vor Gericht, weil sie ihre NJ drivers license (die sie nie erworben hat) abgeben soll. Kurios. Ein offizieller Brief wegen der vielen vermasselten Prüfungen ist nie bei uns angekommen, daher ist irgendeine Frist verstrichen. Nun geht es um eine hohe Geldstrafe. Marc geht mit zur Verhandlung. Verrückterweise ist es hier hilfreich und effektiv, sich bei Verkehrsdelikten dagegen zu wehren und vor Gericht zu verhandeln (auch ohne Anwältin oder Anwalt). Die beiden sind erfolgreich: Vitoria muss am Ende 140 Dollar zahlen (billiger als gedacht) und eine zweite Verhandlung abwarten. Na ja, vielleicht wäre es doch einfacher gewesen, einfach mal richtig für die Theorieprüfung zu lernen – hätte ihr und uns den ganzen Schlamassel erspart. Die wirklich gute Nachricht: Vitoria verlängert ihren Au-pair-Vertrag mit uns für die knapp drei Monate, die wir noch hier sind. Das ist super für uns – könnte nicht besser laufen. Theo (9) ist immer noch total im „Harry Potter Fieber“. Man hört und sieht von ihm tagsüber nicht viel. Aber wenn man es in der Küche klappern hört, dann ruft Tim sofort: „Theo, are you trying out a new potion (Zaubertrank)?“ Dann finde ich dort Überreste von Brühwürfeln und anderen Gewürzen. Er hat immer einige Zauberstäbe („wands“) dabei, die er selber aus Papier gedreht hat. Damit versucht er nun neuerdings „ganz unauffällig“ halb hinter dem Sofa versteckt, den DVD-Player für Ole und Paul anzumachen. Tim ist schon voll genervt davon. Theo liest wie ein Wahnsinniger, seine Bücher sind schon ganz zerlesen und haben viele „Pferdeöhrchen“, wie er mir zuletzt sagte. Und er hat ein neues Problem: „I need a book. How to understand girls.“ Er beschwert sich, dass sie sich so komisch verhalten 🙂 . Das Ergebnis des Parent/Teacher Conference (Elternsprechtags) zu Theo: “High maturity level, serious, has to slow down, add details in the stories, doesn´t explain them thoroughly, more time to plan the story, good sense of humour, witty, funny, more flexible to trust teachers, his language has blossomed, on 3rd grade level, improved reading, spelling”. Also bis auf die fehlende Sorgfalt alles wunderbar im grünen Bereich. Er beschwert sich nur, dass er …