Living it up

Nun gibt´s noch ein paar Fotos von all den Erlebnissen, die trotz der ganzen Packerei echte Highlights waren: Oles „graduation“-Feier, ein Flug über Manhattan in Marcs kleiner Maschine für mich, ein Mittagessen im berühmten „Katz“ in NYC für Marc und mich und Theos Schulfest „shindig“ mit Squaredance-Performance. Und am Ende erwischen wir uns doch tatsächlich dabei, wie wir bei einem „sing-along“ vor Theos Schule patriotische „Hymnen“ mitsingen (die sind aber auch soooo schön eingängig!). Dazu der perfekte Sommerabend und die tolle Stimmung – einfach umwerfend: „This land is your land, this land is my land, from California, to the New York Island, from the red wood forest, to the gulf stream waters. This land was made for you and me …” Und dann auch noch: „This is my country“, „Yankee Doodle Dandy“, „America the Beautiful“. Als ich beim Pick-up von unseren Aktionen erzähle, grinst eine Freundin mich an und meint dann zu den anderen: „Hey, she´s really living it up.“ Das heißt so viel wie „Na, sie haut ja mal wirklich auf den Putz “ oder „Sie lässt die Puppen tanzen“. Ja, stimmt, dafür bleibt irgendwie auch noch Zeit.

How are the kids coping?

Jeden Tag, der uns näher an den Abflug rückt, stehen mehr Kisten herum, verschwinden persönliche Sachen (wie z. B. gemalte Bilder von den Kids) und das Haus wird ein bisschen weniger unseres. Die Kinder bekommen das natürlich auch mit – und drehen mehr auf bzw. werden anhänglicher (finde ich). Schon vor Wochen hatten wir die ersten nassen Betten. Theo ist vor einigen Tagen 10 Jahre alt geworden. Er ist damit offiziell ein „tween“ – also ein „between“ Kind und Teenager – und man merkt es ihm an! Er hatte am Freitag direkt seine ganze Klasse zur Party eingeladen. Hinterher war er traurig und sagte, dass es ihm das Herz schwer gemacht habe. Ebenso trauert er jetzt schon seit längerem seiner „science class“ hinterher, die er so geliebt hat. Er pfeift und singt im Moment fleißig die amerikanische Nationalhymne (keine Ahnung, woher er die jetzt hat …) und reagiert super defensiv („Hast du etwa was gegen die USA?“), wenn ich ihn – ein wenig genervt – darum bitte, doch damit mal aufzuhören. Auf der anderen Seite möchte er weiterhin mittwochs früher aus der Schule abgeholt werden, damit wir die Deutsch-Nachhilfe machen (damit hatten wir im Mai aufgehört, weil die anderen Dinge so drängten).   Tim (8) wirkt noch recht entspannt, aber ab und zu merkt man es doch. Er hatte schon vor über einem Monat einen Brief von einem Klassenkameraden über die „Schulpost“ (Wee Deliver Postal Service) bekommen: „You are leaving in 33 days. I´m so sad that you are going. I want to have more playdates with you before you go.“   Wir tun, was wir können. Im Auto höre ich dann zufällig eine Unterhaltung mit eben jenem Freund mit an und bin platt: „Do you think it would have been better if we had not met? Then we would not be sad now.“ Ist doch ein tiefsinniger Gedanke für 8-jährige, oder? Tim wird auch unruhig, wenn er an die deutsche Schule denkt. Er hatte ja hier einen ziemlich harten Einstieg. Im Moment fragte er mich öfter, wie diverse deutsche Wörter buchstabiert werden und erzählt Freunden von seiner ersten Zeit …

It´s about time

Es wird Zeit, dass wir den Heimweg antreten, sonst kommen wir hier gar nicht mehr los: Wir haben jetzt zehn Kindergeburtstage hier gefeiert – Paul hat so ziemlich die Hälfte seines Lebens hier verbracht. Bei unserer Ankunft war er zwei, jetzt ist er fünf Jahre alt. Auf dem Hinflug hatte er noch Windeln an, kroch mit seiner Thomas-Lok auf allen Vieren über die Flugzeugflure und fing gerade an, erste komplette Sätze auf Deutsch zu bilden. Jetzt plappert er munter auf Englisch, ist von Zahlen bis 1.000 besessen, sein Zimmer schmücken meterlange Papierschlangen mit Zahlen. Und er erkennt Abraham Lincoln treffsicher unter allen amerikanischen Präsidenten, während er mit dem Namen „Angela Merkel“ gar nichts anfangen kann. Paul kann sich nicht mehr an Karneval erinnern, und Ole kennt den Unterschied zwischen Halloween und Karneval auch nicht mehr.   Die Kids können „genug“ Englisch, Tims Akzent kann nicht noch „amerikanischer“ werden und zuletzt fragte er mich: „Mama, bist du echt mit diesen Haaren geboren worden?“ Die Jungs haben genug „Good Job“-Aufkleber und „certificates/awards“ für die nächsten zehn Jahre gesammelt und mehr „pledges-Gelöbnisse“ in den letzten 30 Monaten geleistet als die meisten deutschen Menschen das in ihrem ganzen Leben tun.

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KEEP TALKING – Kurzüberblick über zweieinhalb Jahre

Wie heftig Bewegung ins Sprachzentrum der Kinder kommt und auf welche Weise sie sich ganz nebenbei die englische Sprache aneignen. Und was dabei manchmal mit dem Deutschen passiert.   Kreatives Abenteuer im Kinderkopf Zu Beginn unserer USA-Zeit im Januar 2010 kannte lediglich Theo ein paar Brocken Englisch aus dem Englischunterricht in der Grundschule – die anderen drei sprachen nur Deutsch. Zu dieser Zeit waren Paul 2, Ole 4, Tim 6 und Theo 7 Jahre alt. Seitdem sind zweieinhalb Jahre vergangen. Die allerersten Wochen waren schwer, aber kurz darauf ging es schon hoch her im Sprachzentrum der Kinder. Da wurde bunt gemischt, wild ausgeliehen und auch mal gut, mal schlecht getarnt untergeschummelt. Aber ich dachte nur: Ruhe bewahren. Die Leute würden hier wohl sagen: „You have to trust the process.“ Fehler machen ist Teil des Sprachlernprozesses und es zeigt auch, wie Kinder Sprachregeln, die sie verstanden haben, kreativ anwenden. So wie ihr Englisch mit der Zeit immer stärker wurde, so war auch ihr Deutsch in ständiger Bewegung, bis am Ende sogar deutsche Sätze kamen, die „rein deutsche“ Kinder gar nicht sagen würden. Wenig verwunderlich, wenn man über sieben Stunden am Tag ein ausschließlich englisches Sprachbad genießt und am Ende nur noch mit einem Menschen zuverlässig Deutsch spricht: mit der Mama. Nebenbei besser werden Innerhalb der letzten zweieinhalb Jahre haben die Jungs nun unterschiedliche Level im Englischen erreicht. Theo und Tim sind auf einem höheren Level – Tim sei sogar nicht mehr von einem amerikanischen Kind zu unterscheiden, sagen unsere Freunde. „He can function as a native speaker“, erklärte uns auch seine Lehrerin. Es war faszinierend zu sehen, wie die Kinder „nebenbei“ immer besser im Englischen wurden. Ohne dass ich mit ihnen auch nur eine Vokabel gepaukt oder ihnen ein grammatisches Phänomen erklärt hätte. Ich habe mich beim Englischen komplett rausgehalten. Während Marc öfter zwischen den beiden Sprachen hin und her wechselt (er redet im Job ja auch nur Englisch), war bei mir nur Deutsch „im Angebot“. Wenn die Jungs einen Fehler im Deutschen machen, sage ich meist gar nichts. Bei falscher Grammatik oder Wortstellung versuche ich höchstens, die korrekte Version „hinterherzuschieben“ …

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KEEP TALKING – Die absoluten Highlights unserer Jungs

Beliebt bei allen Kids: Tim: Ich will das Kids Menü bei McDonalds. Das kommt mit einem schönen Spielzeug. (Das deutsche „ist/hat mit dabei“ ersetzen alle Kinder durch „kommt mit“.) Ole: Papa, kannst du das mal fixen? (April 2011, inzwischen fest bei allen drin – ist ja auch viel griffiger als das deutsche „reparieren“.) Und wenn sie in ein Brettspiel vertieft sind und am Ende einer von ihnen gewinnt, ruft Tim laut: Spiel über! Es ist gut zu wissen, dass die Kinder trotz Sprachenmix im Kopf immer einen Weg finden, sich Gehör zu verschaffen: Ole: Mama, ich warn dir nur! (Jan 2012) Paul schießt den Vogel ab. Er ist super sauer auf mich und macht seinem Ärger Luft: Paul: Und alles nur wegen du! (März 2011) Die Dauerbrenner Einige Formulierungen tauchen schon nach sechs Monaten auf und halten sich hartnäckig für die restliche Zeit. Mal abwarten, wann die Kinder diese Wörter in Deutschland wieder „aufgeben“… Theo: Was ist diese Mappe für? (Juni 2010, er guckt sich gerade eine Weltkarte an, auf der Bodenschätze verzeichnet sind) Tim: Ich liebe die so viel. (Juni 2010) Theo: Ich esse kein mehr Brot. (Juni 2010) Theo: Ich mag es besser, wenn es ohne Joghurt ist. (Juli 2010) Tim: Ich will das Stück hier fixen. (Mai 2010)

Freude …

Wir freuen uns auf Deutschland und euch. Wir hoffen, dass wir wieder mehr Kontakt zu euch aufbauen werden, viele in den nächsten Wochen wiedersehen und dann auch erfahren, was bei euch so ansteht im Moment. Außerdem freuen wir uns auf viel Bewegung auf guten deutschen Bürgersteigen (und abends körperlich platte Kinder), die Fußball-Europameisterschaft (und die lockere Stimmung), Mittagessen zur Mittagszeit (und nicht um 16.30 Uhr), Reistopf mit Fleischklößchen, Hausaufgaben vor 15 Uhr (und nicht am Abend), Familienschwimmen am Sonntagmorgen, selbstständigere Kinder, Schokoküsse, funktionierende Toiletten, deutsche Fleischwurst vom Metzger, Fahrradtouren, „nur“ sechs Wochen Sommerferien (und nicht mehr drei Monate), weniger Autofahren, nie wieder „Snack-Schmiererei“ für lange Schultage, Sand auf den Spielplätzen, gute Schokolade, Tunfischpizza, weniger Einbahnstraßen auf Parkplätzen, lärmfreie Sonntage (jedenfalls ohne Laubgebläse von der einen und Rasenmäher von der anderen Seite), Essengehen mit deutscher Gemütlichkeit (auch, wenn wir wieder eine halbe Stunde aufs Essen warten müssen). Aber uns ist schon klar, dass wir uns an viele Sachen auch erst wieder werden gewöhnen müssen. Zum Beispiel oft im blauen Dunst der Raucher stehen zu müssen – das sind wir von hier gar nicht mehr gewöhnt.

… und Vorfreude

Theo und Tim werden übrigens direkt für zwei Wochen in ihre deutsche Schule gehen, bis die deutschen Sommerferien starten. Und in den Ferien gibt es dann Schreibschrift für Tim und deutsche Rechtschreibung für Theo. Wir werden unsere Koffer auspacken, auf den Container warten, alle Kisten auspacken und für alles wieder einen Platz im Haus finden. Ich habe mittlerweile eine Allergie gegen Kisten, aber es hilft ja nichts. Wir wollen – bzw. ich will – sofort wieder einen Rhythmus in unser Leben bekommen, denn vier Kinder im „luftleeren Raum“ sind so mit das Anstrengendste, was ich mir vorstellen kann. Aber nun stehen ja erst mal die Sommerferien an, von daher wird echte Routine wohl noch auf sich warten lassen. Die Ferien können wir immerhin schon mal nutzen, um den ersten Kulturschock hinter uns zu bringen und etwas aufgeräumter in die aufregende deutsche Schulzeit zu starten. Ole ist dann unser i-Dötzchen, Tim kommt ins dritte Schuljahr und Theo aufs Gymnasium. Wir werden also erst einmal drei Schultüten und drei Tornister besorgen müssen. Paul darf noch ein Jahr in den deutschen Kindergarten – wie gesagt, er hat eigentlich keine Lust mehr auf „Buddeln“, aber ich hoffe ja immer noch, dass er daran Geschmack finden wird. Ich werde erst im Mai nächsten Jahres wieder in meine Schule zurückgehen. Ich würde zwar lieber heute als morgen zurück, möchte unser Einleben in Deutschland aber auch nicht zu sehr „auf Kante nähen“. Diesmal bin ich auf einiges gefasst, und mittlerweile kenne ich auch die „W-Kurve“ beim Anpassungsprozess – das zweite „Tal“ steht uns nämlich bei der Rückkehr in die Heimat bevor („It’s my second time around!“). Und dann noch „re-connecten“ – die Zeit ist ja in Deutschland auch nicht stehen geblieben. Neue Kinder da, andere Menschen weg, unsere „Lücke“ ist längst geschlossen – also einfach irgendwo anfangen. Das wird eh einige Zeit dauern. Wie gut, dass die Europameisterschaft gerade läuft: Deutschland ist im Fußballfieber, alle Leute sind in Feierstimmung, und das Leben scheint den Deutschen in diesen Zeiten einfach mal fröhlich und leicht von der Hand zu gehen – gute Voraussetzungen, um uns damit die Umstellung etwas …

The final countdown – überraschend ruhig

Es ist fünf Tage vor Schluss. Die Leute von der Spedition kommen und packen innerhalb von eineinhalb Tagen alles ein – Bücher, Spielzeug, Kleidung, Küchenzeug, Betten – alles, wo kein Sticker „DO NOT PACK“ dranklebt. Die Kids sitzen am Anfang noch gemeinsam auf einen Sessel gequetscht und gucken zu. Doch dann wird auch der irgendwann eingepackt. Man hört den ganzen Tag im Haus nur das „Ratsch, Ratsch, Ratsch“ der Paketband-Abroller.   Ich habe auch ein Auge auf die Leute, denn meine Panik ist, dass sie etwas einpacken, was nicht mit soll, wie z. B. irgendwelches Essen. Es grassiert hier nämlich die Story vom eingepackten Spanferkelabschiedsessen bzw. dessen Resten, die dann für vier Wochen ganz in Ruhe mit dem Rest des Hausstandes in einem Container im Sommer über den Atlantik schipperten … 🙂 Am Ende sind es 404 Gepäckstücke – alle für den Zoll fein säuberlich nummeriert und mit Inhalt aufgeführt – die so gerade in einen Container reinpassen. Glück gehabt und gut abgeschätzt vom Chef der Spedition. Nachmittags fahren wir ins Hotel. Abfliegen dürfen wir noch nicht, falls es noch Fragen gibt. Also warten, bis wirklich alles „eingeboxt“ ist.

Überraschung!

Und dann, ganz am Schluss und nach dem ganzen Stress mit Packen kommt mit dem Auszug aus unserem Haus eine vollkommen überraschende Entschleunigung: Leben im Hotel, Einladungen zum BBQ und zum Pool von Freunden, noch mal Shoppen … fast wie in einem stinknormalen Urlaub.

We´re outta here

Die letzten 30 Stunden sind angebrochen und wir sind erstaunlich ruhig. Meine letzte offizielle „Amtshandlung“ heute bei uns im Haus: Die Mülltonnen sauber machen. Verrückt? Nein, muss sein. Das ist mein Abschied vom Haus: 35 Grad, super schwül und ich schrubbe unsere schwarzen stinkenden Tonnen auf dem driveway blitzeblank. Ein unvergesslicher Abend bisher – noch ein letztes Mal diese versonnene Abendstimmung auf unserer Straße, noch einmal von der Nachbarin verabschieden, die gerade vom Gassi gehen nach Hause kommt. Als die Tonnen sauber sind, bin ich nass und dreckig. Unser Haus ist komplett leer, unsere Sachen sind alle im Container verstaut, der mittlerweile irgendwo im Hafen von New York steht. Ich habe Glück: Im Trockner sind noch ein paar Klamotten, die wir vergessen haben. Praktisch, auch ein T-Shirt von mir ist dabei – besser ein eingelaufenes T-Shirt als gar keins. Als ich mich zum Abendessen aufmache, turnen schon unzählige squirrels auf unseren Müllsäcken herum, die an der Straße stehen – auf der Suche nach Essbarem.   Wir nehmen langsam wieder Geschwindigkeit auf, hören den Wasserfall schon rauschen, genießen am Abend noch das Abschiedsdinner bei unseren besten Freunden, einmal schlafen und dann sind wir vogelfrei – für sechseinhalb Stunden. Bangemachen gilt nicht – packen wir´s! Also, tief Luft holen, Anlauf nehmen, Augen zu und springen …