Unsere Routine vom Mai ist leider wieder dahin. Unser Leben stand im Juni und Juli ziemlich Kopf: Ole hat sich das Handgelenk gebrochen (die Erfahrungen in der Notfallaufnahme waren nicht die besten) und der Schreck sitzt uns allen noch in den Knochen. Wir hatten aber auch einige Feiern (zwei Kindergeburtstage, eine Sommerparty) und sind inzwischen um einiges klüger, was amerikanische Partyregeln angeht. Die Kinder haben ihr erstes Schul(halb)jahr beendet, es gab Zeugnisse (report card) und sie standen mit ihren Klassen auf der Bühne. Und unsere Hilfe, Duaa, ist wieder weg. Hals-über-Kopf. Bumms. Trotz der unruhigen Zeiten gab es zwei absolute Highlights (gute Laune und schöne Füße), an denen ich mich hochziehen kann. Und wir sind jetzt ein knappes halbes Jahr hier – Zeit für eine zweite Bilanz (auch hier später mehr).
WM-Fieber!
Nicht zu vergessen: Wir haben natürlich auch Fußball geguckt, unsere Mannschaft angefeuert und mitgejubelt. Die WM ist inzwischen tatsächlich auch ein Thema in den USA, viel größer als noch vor vier Jahren, wie uns einige Amerikaner/innen sagten. Aber es kann einem schon mal passieren, dass sie in einer Bar mitten in einem spannenden Fußballspiel auf Baseball umschalten und dann auch dabei bleiben – Pech für Marc und mich 🙁 . Wir sind gespannt, Deutschland am Tag des Endspiels noch im Fußballfieber vor Ort zu erleben (auch wenn unsere Mannschaft nicht mehr dabei ist). Wir freuen uns, bald endlich mal wieder deutsche Fahnen zu sehen, denn im Moment hat die Verteilungsdichte der amerikanischen Flaggen einen Höhepunkt erreicht (sie sind einfach ÜBERALL). Was allerdings nichts mit der WM, sondern mit dem 4. Juli zu tun hat, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag.
Hilfe! Emergency Room!
Ole (4) ist in unserem Haus die Treppe heruntergefallen. Ich war mit ihm zunächst in einer ambulanten Notarztpraxis, wo seine Platzwunde genäht und Röntgenaufnahmen von Hand und Kiefer gemacht wurden. Der Arzt und die Helfer/innen waren alle super nett zu uns, einer hat sogar sein angestaubtes Highschool-Deutsch rausgekramt und sich unheimlich Mühe gegeben, Ole abzulenken. Die ganze Mannschaft hat zwei Überstunden gemacht (bis 22 Uhr), bis er soweit versorgt war, dass wir zunächst mal nach Hause konnten. Ich musste meine Kreditkarte übrigens nicht schon gleich zu Beginn abgeben wie sonst – sie wollten sie erst am Ende haben! Die ganze Sache war für mich eine Herausforderung der neuen Art: Ich hatte keine Ahnung, wo Marc steckte (ich hoffte, irgendwo in der Luft auf dem Weg zu uns) und bin bei blutigen Angelegenheiten nicht die erste Wahl (da behält Marc eher den kühlen Kopf – er hat ja als Kind genug Erfahrungen aus erster Hand gemacht, als er nach einigen Unfällen und Verletzungen Stammgast in der Notaufnahme war). Leider wurden die Diagnosen in der Praxis immer schlimmer: komplizierter Handgelenksbruch und Verdacht auf Kieferbruch. Hieß: Ole musste auf jeden Fall zum Richten noch in der Nacht ins Krankenhaus, also in den emergency room (ER). Ole weinte und blutete, mir sackte der Kreislauf weg. Zum Glück fiel mir dann der Name einer neuen Expat-Freundin ein, die tatsächlich auch direkt kam, um zu helfen. Aber es war schon ein ungewohnt hilfloses Gefühl, in einer Situation, die einen selbst umhaut, die volle Verantwortung zu haben. Dazu kamen auch noch die fremden Namen der Schmerzmittel (Tylenol, Advil, Benadryl …) – kein Mensch hat mich verstanden, als ich etwas von „Paracetamol“ oder „Nurofen“ erzählte. Marc ist um Mitternacht tatsächlich in Newark gelandet und mit Ole sofort in den ER (Emergency Room) gefahren. Dort waren allerdings 41 (!) Leute vor ihnen dran und sie mussten bis morgens um acht Uhr warten, bis die Knochen wieder in die richtige Position gebracht waren – ganz ohne OP, nur durch Ziehen! Kommentar Marc: „Ole hat ganz schön gejunkt!“. Sechs Wochen Gips („cast“) sind jetzt für Ole angesagt. Nach zwei Wochen …
Neuigkeiten von P3
Marc erzählt: Bei mir wird es leider noch nicht besser – ich fliege nach Ost und nach West und hänge zwischen den Zeitzonen. Meine neue Assistentin ist nach nur wenigen Wochen komplett abgetaucht (im wahrsten Sinne des Wortes, denn niemand weiß, wo sie steckt!), daher muss ich mein Backoffice auch wieder selbst organisieren – Zeitfresser! Seit einer Woche gibt es den ersten Messwagen: Bisher haben wir alle Projekte immer mit Leihwagen abgewickelt, aber jetzt haben wir ein Projekt, bei dem eine riesige Antenne auf das Fahrzeug montiert werden muss. Also haben wir für nur 18.000 USD einen Ford E350 mit 5-Liter-Motor gekauft. In den 12-Sitzer passt alle Elektronik und die Antenne lässt sich einfach montieren. Es macht tierisch Spaß, das Teil zu fahren, aber der Wagen schluckt auch Sprit ohne Ende. 15-Stunden-Tage Bei P3 communicaions Inc. durften wir in den letzten beiden Monaten viele Erfolge feiern. Wir haben zahlreiche neue Aufträge bekommen, die hohe Arbeitslast der Akquise ist inzwischen ersetzt worden durch die noch höhere Last des Personalaufbaus und der Lieferung all dieser Projekte an die Kunden. Wir stellen ein wie verrückt, und alle arbeiten 12-15 Stunden pro Tag, oft länger. Ich fürchte, dass das auch noch eine Weile anhält, bis unser Personal hinreichend gewachsen ist. Aber genau dafür sind wir ja angetreten und das ist der Preis für den Erfolg. Auch die nächsten Monate werden daher sehr, sehr arbeitsreich! Kreatives Chaos Ich mag dieses kreative Chaos: Es gibt super viel zu tun, aber man kann die Veränderungen sofort sehen. An einem Freitag hatte ich die Idee, wie man die Mobilfunkfrequenzen in einer Stadt wie New York besser nutzen könnte. Ich habe überlegt, wie ich daraus eine Dienstleistung machen könnte, die man verkaufen könnte und habe eine E-Mail an einen Kontakt bei AT&T geschrieben, der im Nachbargebäude sitzt und für New York zuständig ist. Ich habe genau den richtigen Nerv getoffen, denn am Montag hatten wir ein erstes Meeting bei ihm und kurze Zeit später haben wir diese Leistungen für AT&T und andere Betreiber quer durch die USA erbracht. Das Problem: Nach dem ersten „Proof of Concept“ benötigt man Mitarbeiterinnen …
Deutschland, wir kommen!
Zurzeit freuen wir uns alle darauf, ein paar Wochen in Deutschland Luft holen zu können. Wir sind von Anfang Juli bis Mitte August in der Heimat und freuen uns sehr, viele unserer Freunde und die restliche Familie wiederzusehen – und endlich mal wieder mit ziemlicher Gewissheit in den nächsten Tag zu leben, ohne vor „Wände“ zu laufen. Wir freuen uns auf müde Kinder nach dem Schwimmen, Picknick-Pipi auf den Spielplätzen für die Kids nach Herzenslust und darauf, endlich mal wieder zu Fuß unterwegs zu sein. Unsere Kinder sind auch schon ganz aufgeregt und rasen seit zwei Tagen mit ihrem rollenden Handgepäck durch die Gegend …
Schon ganz gut paddelnd unterwegs
Warum ich das Haus nicht ohne mein TomTom verlasse und mich nur schwer an die „staying-at-home mom“ gewöhnen kann. Warum aber zum Glück die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der amerikanischen Leute einfach nur gute Laune machen. Bilanz nach sechs Monaten USA Vieles ist jetzt – im Juni/Juli 2010 – toll, vieles nicht. Ich ziehe den Hut vor allen Leuten, die ihre Heimat verlassen und sich woanders niederlassen – vor allem vor denen, die nicht Zugriff auf die Dinge hatten, die mir/uns hier das Leben am Anfang erleichterten und jetzt fester Bestandteil sind: Gleichgesinnte In unserer Gegend sind viele deutsche und europäische Firmen angesiedelt (z. B. BASF, Novartis …). Daher gibt es selbst bei uns in Morristown eine Menge deutsche Familien. Das Verrückte ist, dass man nur eine/einen Deutsche/Deutschen treffen muss, um – im Zeitalter von Mailing-Listen – auf einmal mit ganz vielen Leuten vernetzt zu sein, die alle in derselben Situation stecken. Ich war direkt im Januar bei einer „wine tasting“-Party eingeladen, und schwupps, schon hatte ich Gleichgesinnte gefunden und sofort ein soziales Netz. Von den Expats bekommt man Antworten auf die vielen größeren und kleinen Fragen, wie z. B. „Wie war das bei euch am Anfang?“, „Wie habt ihr eure Kinder beim Englischlernen unterstützt?“, Wo gibt es hier Leberwurst/gutes Brot/Quark/Würstchen?“, „Welcher Kinderarzt/Friseur/Kindergarten ist empfehlenswert?“, „Wie viel Geld muss ich für ein Geschenk bei einem Kindergeburtstag ausgeben?“ … Außerdem lernt man, dass man nicht die einzige ist, die manchmal gegen die unsichtbaren Wände knallt. Und dann kann man sich auch mal schön gemeinsam wundern. 🙂 Ich treffe übrigens immer wieder zufällig auf Deutsche, einfach weil sie sich an denselben Orten aufhalten wie ich mit unseren Kindern – zum Beispiel auf dem einzigen Spielplatz mit Sandkasten im Nachbarort Madison. Hier scharen sich die deutschen Frauen mit ihren Kleinkindern. Wer nur mit locals zu tun haben möchte, muss die Orte meiden, die die eigenen Kinder lieben.
Mein heißgeliebtes TomTom
Im Ausland Autofahren ist einfach anders. Auch wenn die Leute hier i. d. R. viel gelassener und wohlwollender fahren als deutsche Autofahrer/innen (Ausnahme: Trucks – komplett Irre), ist das schon öfter eine Herausforderung. Dazu kommt, dass mein „sense of direction“ miserabel ist und ich auf dem Rückweg von der Toilette im Restaurant schon mal verloren gehe 🙂 . Schlechte Voraussetzungen für einen kompletten Neustart in fremder Umgebung! Ohne Navi wäre das alles noch viel stressiger, und die Kids und ich kämen wohl oft hoffnungslos zu spät (wenn wir denn überhaupt ankämen). Daher bekenne ich offen: Nie wieder ohne mein TomTom! Internet: Kindergärten, Restaurants, Geschäfte, Sportmöglichkeiten … welch ein Segen, im Internet nachschauen zu können und einen Überblick zu bekommen. Wie viel mühsamer muss ein Quereinstieg mit einer Familie noch vor 20 Jahren gewesen sein! E-Mails: Ich telefoniere kaum mit Deutschland (Zeitverschiebung), dafür kann ich bequem abends E-Mails schreiben und dann am nächsten Morgen die Antworten lesen.
Negativ (nach 6 Monaten)
Aber trotz alldem: Es ist ein echter Kraftakt, eine Familie mit vier Kindern an einen anderen Ort in einem anderen Land zu „verpflanzen“, wo es ja schon zuhause ganz schön anstrengend war. Es ist nicht das eine „Problem“, das einen zum Wanken bringt, sondern es sind die Intensität und die Dichte der Dinge, die uns immer wieder an unsere Grenzen bringen: kulturelle Unterschiede (z. B. Konzept der preschool, überall Fernsehen in „Kinderbereichen“, „freizügiger“ Umgang mit Pestiziden), strukturelle Besonderheiten (lange Schule mit Hausaufgaben, lange Sommerferien), die Bedürfnisse und unterschiedlichen Reaktionen der Kinder (Theo (8) und Tim (6) schwimmen schon recht wacker, Ole (5) geht gerade unter …), meine Situation als „staying-at-home mom“ (ich war nie „ausschließlich“ nur Hausfrau und Mutter, ich vermisse meine Arbeit in der Schule, meine Schulkinder und muss mich dauernd umstellen) und Marcs Herausforderungen im privaten wie beruflichen Bereich. Dazu kommen dann noch die „Extra“-Dinge, die man wirklich nicht brauchen kann: Oles Unfall, Duaas Weggang, eine super nervige Waschmaschine (die weder sauber wäscht noch ordentlich schleudern kann 🙁 ) … Da kommt einem vor lauter Kämpfen manchmal die positive Einstellung abhanden (ganz zu schweigen von der Kraft) und wir haben mehr als einmal darüber gesprochen, das „Experiment“ abzubrechen und wieder nach Deutschland zu ziehen – aber dann müsste Marc wieder pendeln.
Positiv (nach 6 Monaten)
Aber nach einem „good night’s sleep“ sieht die Welt meist schon wieder anders aus und wir rappeln uns wieder hoch: Wir bleiben fürs Erste hier, denn wahrscheinlich liegt die härteste Zeit hinter uns und es gibt noch so viel zu entdecken, wozu uns bisher einfach die Zeit oder Kraft fehlte. Ich habe zum Beispiel bisher weniger von New York City gesehen als alle Wochenendtourist/innen, und es gibt noch so viele tolle Naturparks mit vielen Abenteuern für die Kids … Und schließlich sind wirklich viele positive Dinge passiert: Wir haben eine Menge sehr nette Leute getroffen, die Kids haben neue Freunde gefunden und plappern Englisch, die Sonne scheint hier fast jeden Tag 🙂 , die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit vieler Menschen machen einfach gute Laune – und meine schriftliche Arbeitsgenehmigung ist tatsächlich genau heute angekommen! Ich habe mich bei der Deutschen Schule von Morris County beworben und darf nun ganz offiziell ab September jeden Samstag Deutsch unterrichten – besser als nichts! Und „last but not least“: Wir sind windelfrei! Paul (3) hat es nach monatelangem „potty-training“ endlich geschafft. Seine Antwort auf unsere Frage nach „Erledigung seines Geschäfts“ „Bist du jetzt stolz?“ – „JAAAA!!!“. Wir nehmen uns also die viel beschriebene positive Lebenseinstellung der Amerikaner/innen zum Vorbild und machen weiter.
KEEP TALKING (4) – Sechs Monate USA
Welche Kapriolen der Wechsel vom Deutschen ins Englische bei unseren Jungs schlägt. Und wie sie dann nach sechs Monaten schließlich doch langsam in der neuen Sprache Fuß fassen. Und immer noch: „looking“ 🙂 . „Eis“ schmeckt genauso gut wie „ice“ Nun noch ein paar Worte zur Sprache der Kids. Das Deutsch der Jungs hat sich in den letzten fünf bis sechs Monaten deutlich verändert und enthält an vielen Stellen geschickt eingebaute englische Worte, z. B. „Wo habt ihr geschlafen, als ihr out of town wart.“ Oder „Mama, kannst du das open machen?“ Manche Sätze sind mittlerweile ohne Englischkenntnisse schwer zu verstehen, z. B. „Was ist diese Mappe für?“ (soll sagen: „Was zeigt diese Landkarte an?“). Sie haben manche deutschen Wörter vergessen: „Mama, was heißt noch mal Goodbye auf Deutsch?“ Und das allererste Wort Englisch „looking“… ja, das wird immer noch rege von Ole und Paul benutzt. Im Englischen geht es bei allen nach oben – jeder in seinem eigenen Tempo. Auf Theos Zeugnis steht, dass er große Fortschritte beim Sprechen gemacht hat und dass auch sein Lesen und Schreiben vorwärts geht. Auch Tim führt laut seiner Lehrerin jetzt Unterhaltungen mit seinen Klassenkamerad/innen auf Englisch und versteht viel von dem, was im Unterricht besprochen wird. Das Deutsche Im Laufe der ersten Monate tauchen bei den Jungs immer mehr englische Wörter in den deutschen Sätzen auf – meist sind es die Verben oder Substantive, die sie gut „getarnt“ und nach deutschen Regeln anpassen, aber englisch aussprechen. Dies gilt zunächst vor allem für Theo (8) und Tim (6). Ab und zu tauchen dabei auch „false friends“ auf, also Wörter, die es in beiden Sprachen gibt, die aber ein unterschiedliches Bedeutungsfeld haben. Hier einige Beispiele aus unserem Alltag: Theo (beim Spielen, als sich zwei Kinder eine Süßigkeit teilen und er nichts bekommt): Das ist gemein. Die sharen! (hört sich an wie das dt. „Scheren“) (Mai 2010). Ole: Ich clean this. (Juni 2010) Ole: Ich kenne meine a hundreds noch nicht. (Juni 2010) Ole: Mama, ich eating you. (Juni 2010) Ole: Mama, kannst du das open machen? (Juni 2010) Paul: Mama, hältst du meine …