Recht und Unrecht

Marc arzählt: Anklage wegen sexueller Belästigung und feindlicher Arbeitsumgebung bei P3 Im Oktober hatten wir den ersten case von sexual harassment und hostile work environment in der Firma. Die Anschuldigung gipfelte in der Aussage, dass der Kläger auch vom Management (also von mir) rassistisch beschimpft worden sei. Man muss dazu wissen, dass die Amerikaner/innen überhaupt keinen Spaß verstehen, wenn derartige Vergehen vom Management gedeckt werden. Glücklicherweise hatten wir zur Überwachung eines Tresors eine Kamera installiert und so konnte ich den Vorgang nachvollziehen: Ich hatte jetzt ein Video, in dem zu sehen war, wie der Mitarbeiter gegen 17 Uhr das Büro verlassen will, sich kurz vor meiner geschlossenen Bürotür mit seinem Handy beschäftigt und dann das Office verlässt. Damit war bewiesen, dass zum angeblichen Tatzeitpunkt gar keine Kommunikation mit mir stattgefunden hat. Wir haben uns zur Klärung Hilfe von einem Rechtsanwalt geholt. Trotzdem haben wir uns am Ende auf einen Vergleich in Höhe von 12.000 USD geeinigt, denn eine gerichtliche Klärung hätte deutlich höhere Anwaltskosten zur Folge gehabt, und es hätte das Risiko einer Jury bestanden, die möglicherweise trotzdem einen Schadensersatz zugestanden hätten. Mein Verständnis von Recht und Unrecht hat unter diesem Ereignis durchaus gelitten – es war sehr schwer, solchen Abzockern 12.000 USD zu überweisen.   Wir haben danach die Dokumentation für die Mitarbeiter deutlich ausgebaut. Jeder Mitarbeiter bekommt jetzt am ersten Arbeitstag 50 Seiten Regeln vorgesetzt, in denen genau steht, was er darf und an wen er sich im Zweifelsfall wenden kann. Damit wird der Spielraum für Klagen eingeengt.

View Post

Weihnachtsheimatfieber

Die Koffer sind gepackt, die Stimmung ist unglaublich ausgelassen und gleich geht es los nach Hause! Die Tatsache, dass wir in ein paar Minuten schon ins Flugzeug nach Deutschland steigen dürfen, verdanken wir übrigens einer total entspannten Schulpolitik in Bezug auf Beurlaubungen: Bis zu zehn Tage darf man während der Schulzeit im Ausland sein. Theo und Tim werden ganze neun Schultage verpassen (und das unmittelbar vor und nach den amerikanischen Winterferien). Da zucken einige Eltern vielleicht kurz zusammen, aber was sollen wir machen – für eine Woche Deutschland lohnen sich das Packen und der Jetlag nun wirklich nicht (Winterferien sind hier nur vom 23. Dezember bis 1. Januar). Also, alles was erforderlich war, war eine E-Mail an die nurse von Tims Schule (über die muss ich unbedingt mal mehr schreiben 🙂 ) und an die Direktorin von Theo, in der wir darüber informieren, dass wir mit den Kindern vom 21.12. bis 7.1. in Weihnachtsurlaub nach Deutschland fahren. Kein Nachfragen – fertig, genehmigt. Ab dem zehnten Tag Abwesenheit in Folge wird man dann allerdings automatisch von der Schule abgemeldet und muss sich nach der Rückkehr wieder anmelden (und hoffen, dass der Platz noch frei ist). Es ist hier aber durchaus Usus, mitten im Schuljahr für zwei Wochen in die Ferien zu fahren – das machen die Nachbarsfamilien auch. Wenn ich da an diese Regelung in Deutschland denke, wo schon wegen eines einzigen Tages vor den Ferien ein Riesenaufstand gemacht wird (klar, dafür gibt es bestimmt auch gute Gründe, aber irgendwie ist das unglaublich stur: Beurlaubensverbot vor/nach den Ferien, Verfahren wegen Ordnungswidrigkeit, Paragraph 16 Schulpflichtgesetz mit Geldstrafe bis zu 1.000 Euro!).   Da haben wir es hier im Moment richtig gut und nehmen ein paar Extra-Tage frei. Zum Abschied haben sowohl Theo als auch Tim von ihren Lehrerinnen auch noch ein kleines Geschenk bekommen, und Theos Lehrerin schreibt uns auf die Thank-you Note: „Dear Theo and Family, Thank you for your kindness! Have a great vacation, Merry Christmas and a Happy New Year.“ Gemaltes Herzchen und Unterschrift von Mrs. Ciorcalo. Da bin ich mal wieder sprachlos (also ich habe noch keinem meiner …

Und noch etwas zum Thema „liability“

Viele Leute hier hängen übergroße Socken an das Kaminsims, sogenannte „Christmas stockings“, und hoffen, dass Santa etwas hineinlegt, wenn er durch den Kamin rutscht. Klar, dass ich auch so einen haben muss. An diesem roten Stofflappen mit Santa-Applikation finde ich dann tatsächlich folgenden Warnzettel: „This is not a toy – keep out of reach from children under the age of 14.“ Also mal ehrlich – das ist doch absurd, oder?

Party Nutrition Guidelines

Diese E-Mail erreichte mich von der Class-Mom (vergleichbar mit einer Elternpflegschafts-vorsitzenden) von Tims Klasse: Hi Everyone, We will be having a party on Wed. Nov. 24 at 11:10 in the class room. We are allowed to bring food! I have attached the food guidelines for you. …. Linda Diese Richtlinien sind schon eine Nummer für sich – hier gilt es, sich zuerst schlau zu machen, bevor man das Falsche kauft: keine zuckerhaltigen Getränke, keinen Kuchen oder Kekse, nichts mit Erdnüssen, geschnittenes Gemüse nur fertig aus dem Geschäft, nur fettarmer Mozzarella, generell keine Lebensmittel über acht Gramm Fett pro Portion. Bei Geburtstagsfeiern ist dann Essen direkt komplett verboten („foodless“)! Was man den Kindern (nicht!) mitgeben darf: The following Party Nutrition Guidelines for the Morris School District need to be followed at all parties and celebrations held at school. This includes holidays and any school-wide or classroom celebrations, except for birthday celebrations which are foodless. The Party Nutrition Guidelines are consistent with the Morris School District nutrition policy, as well as Board of Health Guidelines. Please do not send: Foods and drinks with high sugar content or sugar listed as the first ingredient, including: cookies, cakes, cupcakes, candy of any kind, and soda (regular or diet). Peanuts or foods containing peanuts. Foods with more than 8 grams of fat per serving. Here are some ideas for healthier party foods: Fresh fruit: You may bring whole fruit from home. Cut fruit must come from a store. It can be served with yogurt dip. Dried fruit Fruit leathers: No Fruit Rollups or other brands with added sugar. Look for brands that are all natural, with no added sugar. Fruit popsicles: Made with real fruit and/or 100% fruit juice only. Veggies and dip: Cut up vegetables must be purchased from a store, not prepared at home. Whole grain muffins: Fruit may be added. Baked goods can be prepared at home. Mini rice cakes Baked tortilla, pita, potato or bagel chips with salsa or other dip, such as hummus (under 8 grams of fat/serving) Low fat popcorn Pumpkin seeds or Sunflower seeds Pretzels – plain or …

Turkey Trot

Das heißt übersetzt „Truthahn Traberei“ und bedeutet ein bisschen Bewegung vor dem Festmahl! Um im Bauch Platz für den Truthahn zu bekommen, laufe ich morgens an Thanksgiving noch einen 5-km-Lauf mit. Beeindruckend ist mal wieder die Anstelldisziplin der Leute vor den Dixie-Klos (zwei 50 Meter lange Schlangen – hier schlägt sich wirklich niemand in die Büsche).   Vom 5-Kilometer-St.Patties-Lauf im März bin ich „vorgewarnt“: Unterwegs wird die zurückgelegte Distanz in Meilen und nicht etwa in Kilometern angegeben. Heißt: Beim 3-Meilen-Schild kann man in den Endspurt starten, denn dann hat man es fast geschafft (5 km = 3,1 Meilen).

View Post

Gefahr beim Straßenüberqueren

Und es ist uns noch ein Licht aufgegangen: Im Stadtkern von Morristown ist das Überqueren von Ampeln kein Problem, auch für Kinder nicht. Die Autofahrer sind aufmerksam, es gibt meist nur eine Geradeausspur und alle fahren eh langsam. Anders sieht es außerhalb aus, in Richtung von Theos Schule. Dort ist das Überqueren von Ampeln als Fußgänger/in tatsächlich nicht ohne bzw. für Kinder ganz schön gefährlich. Zum einen fahren die Autos oft sehr zügig (also über den erlaubten 25 Meilen/Stunde), rechnen in diesem Teil der Stadt dann auch nicht mit Fußgänger/innen und passen daher weniger auf. Zweitens dürfen die Autos hier auch bei roter Ampel rechts abbiegen. Das führt dazu, dass der Weg, den man als Fußgänger/in an einer Ampel zurücklegt, von drei Seiten durchquert werden kann (rechts- und linksabbiegende Autos der parallel fahrenden Autos (wie in Deutschland), aber eben auch Wagen von der in Deutschland sicheren Seite (einmündende Straße). Und da bei Rot oft dicke Autos und Trucks an der Kreuzung warten (zum Geradeausfahren und Linksabbiegen), haben die Rot-Rechtsabbiegenden Leute in der Spur daneben dann eine sehr schlechte Sicht (nach links) und fahren einfach bis zur Sichtlinie vor – tja und da sind eben wir, die zu Fuß unterwegs sind. Also: Alleine dürfen Theo und Tim an ihrer Schule nicht über die Ampel gehen! Ich muss schon alle meine Sinne offenhalten und für die Autos mitdenken, dann ist es o.k. Das Laufen hat nur Vorteile für uns: Wir bewegen uns, sind draußen an der Luft, können einen Bogen um die gefährlichen Parkplätze machen und bekommen leichter Kontakt zu den Leuten hier. Ich hoffe, das Wetter bzw. der Schnee machen uns nicht zu schnell einen Strich durch diese schöne Rechnung.

Ungewöhnlicher Schilderwald

Ich habe wieder soooo viele Schilder entdeckt … Aber versprochen, es ist das letzte Mal, dass ich mich darüber auslasse … Ich finde nur immer wieder neue auffällige Exemplare, die sich doch von den deutschen Pendants deutlich unterscheiden. Klare Ansage der Konsequenzen:   Bei vielen Schildern bekommt man direkt klipp und klar gesagt, was einem blüht, wenn man sich nicht dran hält. Ist doch gar nicht schlecht und bestimmt effektiver als die deutschen Pendants, oder? Aber auf der anderen Seite muss man sich hier durch mehr Informationen wühlen, um nicht die Hauptaussage zu verpassen. Was ist wohl effektiver?   Einfach reicht oft nicht – es wird verstärkt mit „unexceptionably“, „absolutely“ oder auch durch die Wiederholung bzw. Darstellung einer Regel auf diverse Arten. Das ist beim Autofahren manchmal ganz schön verwirrend, weil die Straßenränder oft gepflastert sind von Schildern, die eigentlich überflüssig sind (in meinen Augen). Die Krönung habe ich bei uns in Madison (Nachbarort) gefunden: Linksabbiegeverbot: direkt sechs Mal als Bild und noch drei Mal „No left turn“ (die Leute biegen dort übrigens immer noch links ab).

View Post

„In the US, anybody can sue anybody on anything“

Das Team ist mittlerweile auf 30 Leute angewachsen, und ich mache die erste unangenehme Begegnung mit dem amerikanischen Rechtssystem: Anfang Oktober hat ein neuer Mitarbeiter über eine Zeitarbeitsfirma bei uns angefangen, doch schon nach dem zweiten Tag ist er nicht mehr aufgetaucht. Kurze Zeit später hat er uns über seine Zeitarbeitsfirma ausrichten lassen, dass wir ein hostile work environment (feindliche Arbeitsumgebung) hätten und eine weitere Mitarbeit nicht zumutbar sei. Wir haben dann alle Kollegen befragt, und in der Tat hat ihm ein Kollege einen Spruch gedrückt, der zwar witzig gemeint, aber nicht angemessen war. Mittlerweile haben wir Post von seinem Anwalt, und der junge Mann hätte gerne eine sechsstellige Summe von uns (P3), dann wäre er bereit, von einer Klage abzusehen. Denn er wäre von uns in diesen zwei Tagen aufs Übelste rassistisch und (auf der Toilette) sexuell belästigt worden. Die Vorwürfe sind frei erfunden, aber wir müssen uns damit natürlich jetzt auseinandersetzen und Stellung nehmen. Selbstverständlich werden wir keinen Vergleich über eine sechsstellige Summe eingehen. Es gibt aber in den USA tatsächlich immer wieder Leute, die nur zum Vorstellungsgespräch oder zum ersten Arbeitstag gehen, um danach zusammen mit einem Anwalt Klage anzudrohen, um einen Vergleich zu erzwingen. Die Anwälte bekommen ein Drittel der erstrittenen Summe und haben so ein Interesse an möglichst hohen Forderungen. Die Firmen müssen sich dagegen wehren und zahlen oft einen Vergleich, um das Thema schnell zu beenden. Mal sehen, wie das bei uns endet. In der Folge haben wir jetzt das interne Regelwerk, das wir seit 2001 hatten, für die USA auf ca. 45 Seiten ausgewalzt und alles haarklein geregelt. Auf diese Weise zwingen wir unseren Mitarbeiter zwar viel Papier auf, aber wir schützen uns vor haltlosen Klagen. Jetzt ist also klar, dass man, wenn man sich belästigt fühlt, mit den Vorgesetzten reden soll, damit sie die Belästigung abstellen. Na klasse.

Erst mal beschweren

Aus meiner Sicht werden auch die Kinder hier sehr früh darüber aufgeklärt (im Prinzip ja gut) und darauf „gedrillt“, sich bei „Benachteiligungen“ sofort bei offiziellen Stellen zu beschweren, ohne zunächst mal eine Lösung im Kleinen zu probieren. Als Theo in der letzten Woche von einem Jungen in der Schule ein paar Bemerkungen einstecken musste, wollte er sofort eine „bully note“ schreiben. So eine „bully Note“ (Mitteilung übers Mobben) geht ohne Umweg ganz bis nach oben zur Direktorin, die dann die „Übeltäterin“ oder den „Übeltäter“ vorlädt und zur Rede stellt. Ich konnte Theo gerade noch davon abhalten, diese Mitteilung zu schreiben, und wir haben die Sache ganz in Ruhe mit dem Jungen und seiner Mutter geklärt. Der „offizielle“ Klärungsweg hätte so unglaublich viel mehr Wirbel verursacht und vielleicht sogar einen Kollateralschaden angerichtet. Der Hintergrund dieser „zero tolerance“ policy gegenüber dem Mobben ist sicherlich auch der Freitod einiger minderjähriger Schüler/innen in den letzten Monaten in den USA, die massiven Schikanen durch Mitschüler/innen ausgesetzt waren. Das Thema „Mobbing an Schulen“ und effektive Gegenstrategien sind aber sicherlich ein eigenes Kapitel. In Deutschland habe ich an meiner Schule bisher die gegenteilige Erfahrung gemacht: Da spielt das Thema überhaupt keine Rolle, und die Anregung einiger engagierter Lehrerinnen und Lehrer, doch ein Schülerschlichtungsprogramm aufzubauen, wurde jahrelang von einer mächtigen Lehrerfraktion immer wieder mit dem Argument abgelehnt, dass wir dann ja offiziell zugeben würden, dass es an unsere Schule Probleme unter den Schulkindern gäbe. Das macht mich auch zornig und mir stehen auch die Haare zu Berge! Was lernen wir von diesen Vorfällen? Vorsicht mit flapsigen Bemerkungen – das gilt sowohl für unsere Kinder (die ja auch sonst auf einmal bei den Schulleiter/innen vorgeladen werden könnten), als auch für uns in Beruf (auch für mich als Lehrerin) und Privatleben. Hier gelten einfach andere Regeln als in Europa.

Und schon wieder: Anstellen

Tim fühlt sich ebenfalls in seiner neuen Klasse richtig wohl. Seine Hilfslehrerin, Mrs. Abato, schwärmte mir vor: „Oh, he is so cute. I love his accent.“ Na dann! Für ihn stellt das Lesen zurzeit eine große Herausforderung dar, denn die Vokale im Englischen werden einfach je nach Wort verschieden ausgesprochen – viel komplizierter als im Deutschen. Das Konzept im 1. Schuljahr ist hier komplett anders als bei uns an der deutschen Schule, denn die Kinder sind ja auf ganz verschiedenen Niveaus. Viele können schon lange lesen (letzte Woche hat ein Kind aus Pauls Klasse zu seinem vierten! Geburtstag flüssig vorgelesen – ich war platt!). Aber das kindergarten-Jahr ist nicht verpflichtend in New Jersey, von daher gibt es eben auch einige (wenige) Kinder, für die Buchstaben und Zahlen noch Neuland sind und auch Tim fängt ja gerade erst damit an. Aber Tim ist guter Dinge, genau wie wir, denn die übrigen Bereiche fallen ihm leicht und er geht gerne mit seinem neuen Delfinrucksack zur Schule. Er lernt im Moment so richtig amerikanische Gedichte.   Hier ist eins, das von der Anstell-Etikette handelt – richtiges Anstellen will gelernt sein (Tipp: am besten laut lesen, mit breitem amerikanischen Akzent, dann reimt es sich sogar): Lining up I will not shove, (Ich werde nicht drängeln,) I will not push, (Ich werde nicht schubsen,) I will not try to pass, (Ich werde nicht versuchen zu überholen,) I will not lag behind the rest, (Ich werde nicht zurückfallen,) I’ll line up with my class. (Ich werde mich mit der Klasse aufstellen.)