Aus meiner Sicht werden auch die Kinder hier sehr früh darüber aufgeklärt (im Prinzip ja gut) und darauf „gedrillt“, sich bei „Benachteiligungen“ sofort bei offiziellen Stellen zu beschweren, ohne zunächst mal eine Lösung im Kleinen zu probieren. Als Theo in der letzten Woche von einem Jungen in der Schule ein paar Bemerkungen einstecken musste, wollte er sofort eine „bully note“ schreiben. So eine „bully Note“ (Mitteilung übers Mobben) geht ohne Umweg ganz bis nach oben zur Direktorin, die dann die „Übeltäterin“ oder den „Übeltäter“ vorlädt und zur Rede stellt. Ich konnte Theo gerade noch davon abhalten, diese Mitteilung zu schreiben, und wir haben die Sache ganz in Ruhe mit dem Jungen und seiner Mutter geklärt. Der „offizielle“ Klärungsweg hätte so unglaublich viel mehr Wirbel verursacht und vielleicht sogar einen Kollateralschaden angerichtet. Der Hintergrund dieser „zero tolerance“ policy gegenüber dem Mobben ist sicherlich auch der Freitod einiger minderjähriger Schüler/innen in den letzten Monaten in den USA, die massiven Schikanen durch Mitschüler/innen ausgesetzt waren. Das Thema „Mobbing an Schulen“ und effektive Gegenstrategien sind aber sicherlich ein eigenes Kapitel. In Deutschland habe ich an meiner Schule bisher die gegenteilige Erfahrung gemacht: Da spielt das Thema überhaupt keine Rolle, und die Anregung einiger engagierter Lehrerinnen und Lehrer, doch ein Schülerschlichtungsprogramm aufzubauen, wurde jahrelang von einer mächtigen Lehrerfraktion immer wieder mit dem Argument abgelehnt, dass wir dann ja offiziell zugeben würden, dass es an unsere Schule Probleme unter den Schulkindern gäbe. Das macht mich auch zornig und mir stehen auch die Haare zu Berge! Was lernen wir von diesen Vorfällen? Vorsicht mit flapsigen Bemerkungen – das gilt sowohl für unsere Kinder (die ja auch sonst auf einmal bei den Schulleiter/innen vorgeladen werden könnten), als auch für uns in Beruf (auch für mich als Lehrerin) und Privatleben. Hier gelten einfach andere Regeln als in Europa.
KEEP TALKING (5) – Neun Monate USA
Warum Paul auch nach neun Monaten USA in der preschool noch nichts auf Englisch sagt und wie sich bei Tim, Theo und Ole die Sprachen langsam miteinander vermischen. Und wie „learning by doing“ richtig gut funktioniert. Und wie sehen das Deutsche und das Englische jetzt nach neun Monaten USA aus? Es ist faszinierend, wie die Kids (bis auf Paul in der preschool-Situation) so unbefangen an eine Sprache herangehen, wild drauflosreden, viele Fehler machen, sich nicht darum scheren und das Englische dabei auch noch richtig gut lernen – „learning by doing“ par excellence.
„Ich sag nix.“
Paul (3) macht sich insgesamt weiterhin gut. Er redet immer mehr Englisch, zumindest mit unserem Au-pair Morena und vielen anderen Leuten. Verrückterweise hat er bisher noch kein einziges Wort in seiner neuen Kindergartengruppe gesprochen, was uns überrascht. Als Marc ihn fragte, warum er nicht redet, sagte er, dass die anderen Kinder alle viel besser seien im Englischen. Aber wir machen uns keine Sorgen – er geht gerne in die preschool und spielt auch mit den anderen Kids. Abwarten.
Wenn Theo und Tim reden
In Theos (8) Kopf hat sich anscheinend jetzt nach sieben bis acht Monaten ein Hebel im Kopf umgelegt – er spricht nun jedenfalls öfter spontan Englisch als Deutsch. Im Deutschen ist er zwar noch viel kompetenter (Wortschatz, Grammatik), aber vor allem, wenn ich ihn aus der Schule abhole, redet er nur noch Englisch, ohne dass er das bewusst steuert. Er hat mich auch schon verbessert, als ich im Restaurant „tuna“ bestellte. Ich sprach es englisch [tjunɒ] aus, er sagte, dass es [tunɒ] hieße. Wir fragten den Kellner – er bestätigte Theos Version (wohlgemerkt die amerikanische). Ich war platt, dass Theo inzwischen ein eigenes englisches Hörsprachgefühl zu entwickeln scheint. Tim (6) bleibt eher beim Deutschen, vor allem, wenn er mit Marc und mir redet. Aber ich habe ihn zuletzt auf Englisch träumen hören. Untereinander reden Theo und Tim oft Englisch bzw. wechseln hin und her. Ole (5) wird im Englischen auch zunehmend flüssiger, benutzt dabei gerne Füllwörter, wie z. B. „you know“, und versucht, komplexe Zusammenhänge auf Englisch zu erklären. Im Deutschen geht die Vermischung der beiden Sprachen weiter, bis hin zu klaren Grammatikfehlern. Tim: „Ich hab‘ noch Hunger. Ich könnte noch drei von den Tabletten essen.“ – nachdem er gerade alle Tomaten von einem Brett aufgegessen hatte. Tim wundert sich: „Warum darf man in Amerika rechts über die rote Ampel fahren? Das ist doch gar nicht safe at all!“ Mal so. Mal so. Der deutsche Plural ist wohl besonders anfällig und bekommt jetzt grundsätzlich ein Extra-„S“ von den Kids, z. B. Fingernägels, Computers, Fensters … Auch einige unidiomatische Sätze kann man ab und zu hören: „Was ist das für?“ (Theo: „What is it for“?) oder die Übernahme von gleichklingenden Wörtern ins Deutsche, die aber verschiedene Bedeutungen haben. Theo beim Basteln von Papierfliegern: „Puh, das ist echt hart.“ Er meint „schwierig“ = engl. hard – ein Klassiker. Es ist faszinierend, wie Kinder so unbefangen an eine Sprache herangehen, wild drauf losreden, viele Fehler machen, sich nicht darum scheren und das Englische dabei auch noch richtig gut lernen – „learning by doing“ par excellence.
Pledge of Allegiance und die Stars und Stripes als „gesellschaftlicher Klebstoff“
Über die Allgegenwärtigkeit der amerikanischen Flagge habe ich schon oft genug geschrieben, ebenso über den überwältigenden Stolz, den die Amerikaner/innen für ihr Land empfinden und der einem als Nicht-Amerikaner/in manchmal ganz schön auf die Nerven geht. Und dann ist da auch noch der Fahneneid: Jeden Morgen sprechen etwa 70 Millionen Kinder und Jugendliche – die sich in vielerlei Hinsicht mehr voneinander unterscheiden als viele in Deutschland lebende Kinder – gemeinsam mit Blick auf die amerikanische Flagge den Spruch: „I pledge allegiance to the flag of the United States of America, and to the republic for which it stands, one nation under God, with liberty and justice for all.“ Alle Kids, egal welche Hautfarbe, welche Religion, welche Muttersprache – alle schwören auf die Flagge. In vielen Staaten ist das sogar Pflicht, so auch bei uns in New Jersey! Das ist für unser Empfinden und im Hinblick auf unsere deutsche Geschichte etwas sehr Befremdliches: diese Uniformität, die Pflicht, das Annehmen einer bestimmten Pose (Hand aufs Herz, Blick zur Flagge) von Kindern, das Nachsprechen bzw. Herunterbeten eines nationalen Gelübdes – nein, so etwas kann uns Deutschen nicht so recht schmecken und muss verdächtig wirken. So funktioniert Gemeinschaft Aber (und das ist ein dickes ABER) vielleicht darf man das nicht mit deutschen Augen sehen, sondern muss es durch die Brille der heterogenen amerikanischen Gesellschaft sehen?! Im Hinblick auf die vielen verschiedenen Komponenten, aus denen sich die amerikanische Gesellschaft zusammensetzt, sind die Amerikaner/innen vielleicht darauf angewiesen, mit verschiedenen Ritualen ein Gemeinschaftsgefühl zu vermitteln, das stärker ist als die Diversität ihrer Bürger/innen und Bürger, die ja sicherlich auch Fliehkräfte verursacht. Jeder Mensch hat ein Bedürfnis nach Zugehörigkeit, und es ist wichtig, dass die Menschen hier, die ihre eigene Kultur weiter ausleben, sich auch einem größeren Ganzen zugehörig fühlen und eben nicht nur ihrer ursprünglichen Identität. Ansonsten bestünde sehr schnell die Gefahr, dass das Ganze zerfasert und in viele kleine Einzelteile zerfällt, die dann nicht mehr als Gemeinschaft funktionieren könnten. Da macht es also vielleicht wirklich Sinn, im Interesse der Stabilität der gesamten Nation solche Maßnahmen wie den Fahneneid fest zu „installieren“ und auch zu forcieren, …
Embracing diversity: Offenheit und Neugierde mit Respekt für das Andersartige
Was mich hier bei uns in Morristown beeindruckt, ist die Einstellung der Menschen, diese Vielfalt zu „umarmen“ und sie auf positive Weise in ihr Leben zu integrieren. Entsprechend sind die Umgangsformen der Menschen untereinander und miteinander. „Where do you come from?“ Ich habe in „Kennenlernsituationen“ noch nie das Gefühl gehabt, dass die Leute mir mit Skepsis begegnen. Im Gegenteil, viele Leute („bunt“ gemischt) fragen eher neugierig nach, wenn sie meinen Akzent bemerken. Eine Frau, die in der Bäckerei neben mir wartete, fragte mich: „Where does your lovely accent come from?“ Dann fragte sie, warum wir hier seien, seit wann, wie es uns gefiele und woher genau wir in Deutschland kämen – solche Gespräche laufen mal eben nebenbei beim Einkaufen. Und wenn die Leute schon einmal in Deutschland gewesen sind, erzählen sie dann, was sie erlebt und gesehen haben – oft positive Dinge oder eben für sie Erstaunliches, ob beim Urlaub oder bei der Armee. Bisher hat mich noch niemand als „foreigner“ bezeichnet – das Wort habe ich kein einziges Mal gehört. Es ist fast so, als ob es das hier im Vokabular gar nicht gäbe. Ich muss natürlich sagen, dass das meine Erfahrungen als weiße Person sind. Ob es anders wäre, wenn ich anders aussähe, kann ich natürlich nicht sagen. Sprachvielfalt In Morristown hört man sehr viele verschiedene Sprachen – allen voran natürlich Englisch und Spanisch – aber auch viele andere (europäische) Sprachen. Die meisten deutschen Expats sprechen ausschließlich Deutsch in der Familie, während in amerikanischen Familien, in denen der Vater oder die Mutter eine andere Muttersprache hat, auch die zweite Sprache aktiv benutzt wird – selbst wenn alle Familienmitglieder fließend Englisch sprechen.Und wenn die Leute nicht wissen, was man da redet, dann fragen sie nach: Für mich sehr einprägsam war eine Begegnung mit einer orthodoxen Jüdin im Zoo, die Jiddisch mit ihrer Familie sprach. Sie drehte sich plötzlich zu uns um und wollte wissen, was das denn für eine Sprache sei, die wir sprechen. Vielleicht hat sie uns ja sogar verstanden, denn Jiddisch und Deutsch sind sich an einigen Stellen ähnlich – jedenfalls habe ich einige Brocken von dem, …
Deutsch, Amerikanisch, Russisch, Finnisch und mehr
Theo (8) geht zu einer öffentlichen Grundschule hier in Morristown. Mit einigen Klassenkameraden ist er näher befreundet: Eric ist halb Deutscher, halb Amerikaner. Theo und Eric kommen gut miteinander aus. Sein Freund Samuel ist aus Russland adoptiert, lebt jetzt in einer jüdischen Familie und feiert eben kein Weihnachten, sondern Hanukkah. Rachel ist ebenfalls Jüdin und geht jeden Sonntag in die „Hebrew School“. Ansonsten kennt Theo noch vom letzten Schuljahr Mikka, einen Finnen, und Max, einen deutschen Jungen. Das sind seine beiden besten Freunde hier. Dazu kommen noch einige Kinder mit hispanischen Eltern und einige junge Afro-Amerikaner/innen. Das Klassenfoto, das Theo dieses Schuljahr mit nach Hause gebracht hat, ist daher richtig „bunt“.
„Kunterbuntes“ Multi-Kulti Morristown
Von „bunt“ gemischten Schulklassen und vom Bild der amerikanischen Gesellschaft als Schmelztiegel und Salatschüssel. Von Amerikaner/innen, die auch Deutsch sprechen – und außerdem Französisch, Spanisch und Vietnamesisch. Von der beeindruckenden Tatsache, dass es in Morristown 35 Kirchen für 19.000 Einwohner/innen gibt. Und wo die amerikanische Flagge überall präsent ist. Als ein absolutes Highlight erlebe ich die „bunte“ Mischung von Menschen, die hier zusammenleben und gemeinsam die amerikanische Gesellschaft bilden – jedenfalls bei uns in Morristown. Deutsch, Amerikanisch, Russisch, Finnisch und mehr Theo (8) geht zu einer öffentlichen Grundschule hier in Morristown. Mit einigen Klassenkameraden ist er näher befreundet: Eric ist halb Deutscher, halb Amerikaner. Theo und Eric kommen gut miteinander aus. Sein Freund Samuel ist aus Russland adoptiert, lebt jetzt in einer jüdischen Familie und feiert eben kein Weihnachten, sondern Hanukkah. Rachel ist ebenfalls Jüdin und geht jeden Sonntag in die „Hebrew School“. Ansonsten kennt Theo noch vom letzten Schuljahr Mikka, einen Finnen, und Max, einen deutschen Jungen. Das sind seine beiden besten Freunde hier. Dazu kommen noch einige Kinder mit hispanischen Eltern und einige junge Afro-Amerikaner/innen. Das Klassenfoto, das Theo dieses Schuljahr mit nach Hause gebracht hat, ist daher richtig „bunt“. Vom Schmelztiegel zur Salatschüssel Wie ihr wisst, sind die USA ein Einwanderungsland und die Gesellschaft besteht aus Leuten ganz verschiedener Herkunft, Religion, Hautfarbe, Sprache und kultureller Tradition. Etwa 61 Prozent der Bevölkerung sind im Moment weiß, 18 Prozent lateinamerikanisch, 13 Prozent afroamerikanisch, 6 Prozent asiatisch und 1 Prozent indigen (also Native Americans oder Native People). Viele von ihnen können einem ganz genau Auskunft geben, wann und woher Vater und Mutter, Großtante oder Urgroßvater nach Amerika gekommen sind. Eine meiner Schülerinnen an der deutschen Schule erzählte mir, dass einer ihrer Vorfahren im Jahr 1776 die Declaration of Independence mitunterschrieben habe. Wer weiß – vielleicht stimmt das sogar…. Aus meinem Englisch-Oberstufenunterricht kenne ich nur allzu gut die beiden Metaphern, die für die amerikanische Bevölkerung benutzt wurden bzw. werden. Früher wurde das Bild des Schmelztiegels (melting pot) benutzt, der die Idee veranschaulichte, dass es zu einer Assimilierung und Integration von Einwander/innen in die Kultur des Landes kommt und dass …
Von Riesenkürbissen, Stinktieren und Kolibris. Vom Jahresstart im September und dem „upside down“-Wirbel in der Schule. Und welches die Tops und Flops im September waren. Seit dem 5. September sind wir wieder „zuhause“ in NJ. Marc, Theo (8) und Tim (6), die schon vor Paul (3), Ole (5) und mir zurück nach NJ geflogen waren, haben uns drei vom Flughafen abgeholt. Nach vier Wochen Trennung fallen sich die Kids am Flughafen in Newark freudig in die Arme, tragen sich gegenseitig durch’s Gewühl, tanzen und singen! Das hätten wir gar nicht gedacht, da sie eigentlich keine Entzugserscheinungen von den anderen gezeigt hatten. Aber es tut nach sieben Wochen tatsächlich mal wieder richtig gut, komplett zu sein. Tim will sofort von Paul wissen: „Liegt denn schon Schnee bei euch in Deutschland?“ und auf dem Weg nach Hause erzählen die vier sich im Auto gegenseitig, was sie alles erlebt haben. Es herrscht absolute Hochstimmung – das war doch mal ein überraschend guter Startschuss. In den Geschäften und Farmen rund um Morristown gibt es nun Kürbisse in allen Farben und Formen zu kaufen – von riesengroß bis Zierkürbis. Viele Leute benutzen sie als Deko für ihre Hauseingänge.
Sommer im Herbst
Wir haben die Wochen in Deuschland sehr genossen und sie waren wichtig, weil sie uns eine erholsame Auszeit verschafft haben. Aber ich muss auch sagen, dass es wieder unheimlich inspirierend ist, hier zu sein und diese unglaubliche Vielfalt zu erleben, die es eben in dieser Form in Deutschland nicht gibt. Während ihr wahrscheinlich gerade die ersten Lebkuchen und Spekulatius in den Geschäften entdeckt, ist es bei uns noch richtig sommerlich warm – von Weihnachtsplätzchen keine Spur. Dafür gibt’s hier überall Kürbisse – in beeindruckenden Übergrößen und im Übermaß. Wir packen also erstmal unsere mitgebrachten Herbstsachen nach hinten in den Kleiderschrank und holen die T-Shirts und Sandalen wieder raus. Es ist aber deutlich früher dunkel (so gegen 19 Uhr), in den ersten Herbststürmen fallen die Blätter von den Bäumen und man kann den Eichhörnchen und Streifenhörnchen zusehen, wie sie sich über die Eicheln hermachen und diese auch in ihre Verstecke bringen – eben wie in Deutschland. Der Rest aber fühlt sich eher wie Sommer bzw. eine ziemlich verrückte Mischung an. Zu Beginn sind die Nächte noch über 25 Grad warm und wenn man rauskommt (in Erwartung von Kühle), läuft man gegen eine Wand aus feuchter Luft und Grillengezirpe. Ähnlich geht es einem beim Verlassen der Geschäfte, wo zumindest ich immer wieder platt bin, dass es draußen immer noch wärmer ist als drinnen. Ein Laden in Madison meinte wohl, etwas für’s Herbstgefühl tun zu müssen und lockt mit Christmas Card Sale, während die Leute in ihren Flip-Flops vorbeimarschieren. Und während die Flaggendichte wieder abnimmt, bekommt man dafür überall Angebote für Grippeschutzimpfungen („flu shots“) präsentiert.