Anfang Juni sind es auf den Tag genau noch drei Wochen, bis wir in den Flieger steigen – am 21. Juni ist unser Rückflug – das ist schon krass … Im Vergleich zum letzten Monat zieht das Tempo noch mal heftig an – jetzt zählt fast jede Stunde. Naja, jedenfalls fühlt es sich so an. Nun steht für uns der endgültige Abschied von allem hier unmittelbar bevor – von unseren Freunden, unserem Haus, von Morristown und New Jersey, von unserem Leben hier in Amerika.
Mixed feelings
Wir haben im Moment weder Zeit, uns ausgiebig auf Deutschland zu freuen, noch uns unserem Abschiedsschmerz hinzugeben – dafür steht zu viel auf unseren To-do-Listen. Und wenn uns jemand fragt, wie wir uns fühlen, dann ist die Antwort: „We have mixed feelings.“ Das ist nicht nur eine diplomatische Antwort, sondern gleichzeitig die Wahrheit – ein lachendes und ein weinendes Auge, wie sollte es auch anders sein …
Wir sind im maximalen „Spagat“: „Winding down“ – also alles langsam runterfahren, abmelden, vieles „zum letzten Mal“ machen, Reste essen, ausmisten, ausmisten, ausmisten … Und „unwinding“ – also mental Abschied nehmen von unserem Alltag hier, Abschiede feiern, traurig sein – und gleichzeitig unser Leben in Deutschland vorbereiten. Heißt: Kinder in den Schulen/im Kindergarten anmelden, nach Sportvereinen und anderen Freizeitaktivitäten Ausschau halten, unser Haus für die Familie vorbereiten, Ferien strukturieren … Da wird einem schon manchmal schwindelig, denn unser Alltag hier läuft ja auch voll weiter. Das Ende des Schuljahres steht unmittelbar bevor, und es gibt wie immer viele Extraaktionen wie Klassenpartys, Picknicks und field trips. Der amerikanische „summer“ ist für alle eine natürliche Zäsur im Jahresverlauf, aber wir kommen nach diesem „summer“ eben nicht mehr zurück – „we are gone for good“. Das ist schwer zu kapieren.
Ich bin eigentlich ganz fit, was die normale Organisation unseres Haushaltes angeht. Aber mit diesem Projekt komme selbst ich an meine Grenzen. Jedenfalls bin ich bei der abendlichen Gute-Nacht-Geschichte oft die erste (und einzige), die einschläft. Und das, obwohl ich es bin, die vorliest … 🙂
Und auch, wenn hier alle ein bisschen unruhig werden und ungewöhnliche Dinge im Haus passieren, ist auf die squirrels Verlass. Sie sind völlig unbeeindruckt von der commotion und frech wie immer. Unsere Garage ist schon fast ein Stammplatz für sie (wenn wir mal wieder ein Tor aufgelassen haben) und sie stecken sogar manchmal den Kopf bei uns durch die Türe im family room. Theo (9) versucht, einige zu fangen und hat als Köder Vogelfutter im Wägelchen verstreut (ein Leckerbissen für sie). Kurze Zeit später kreisen direkt mehrere mächtige Greifvögel über die Szene (das war von uns nicht beabsichtigt) – aber keine Sorge: Die squirrels waren schlauer als Theo und schneller als die Adler.
Im ganzen Stress gibt es aber doch einige echte Highlights, z. B. die „graduation“ von Ole im Kindergarten – fast so, wie man das von „Highschool-Filmen“ kennt – Tims (8) „moving up ceremony“ in der Schule oder den „Viereckstanz“ (Theo, 9) in Theos Schule.
Unser Juni-Countdown
Noch drei Wochen, dann werden wir in den Flieger nach Deutschland steigen. Bis dahin stehen noch unendlich viele Dinge an – natürlich ganz viel ausmisten und aufräumen, dazu zahlreiche Aktionen in preschool und Schule und dann natürlich ganz viele Abschiedsfeiern.
1. Juni | Porsche wird abgeholt |
8. Juni | Theos Geburtstagsparty und Abschied von seiner Klasse |
9. Juni | Farewell-Party mit unseren Freunden bei uns im Garten |
10. Juni | Theos 10. Geburtstag |
14. Juni | Oles (6) „graduation“ in der preschool |
15. Juni | Tims „moving up“-Zeremonie in der Schule |
17. Juni | Ice cream-Party – Abschied von Tims Klasse und den preschool-Kindern |
18. Juni | Die Packer kommen – Auszug aus dem Haus, dann ab ins Hotel |
21. Juni | Abflug Newark |
22. Juni | 6.00 Uhr Ankunft Flughafen Düsseldorf |
Wir packen unsere Siebensachen
Ich laufe in letzter Zeit mit verschiedenfarbigen Aufklebern durch unser Haus: Alles, was im Haus bleibt, bekommt einen grellorangen Aufkleber mit „DO NOT PACK“, die Sachen für unser Haus in Deutschland bekommen einen blauen und die für das Ferienhaus in der Eifel einen gelben Sticker. Ist wichtig, damit die professionellen Packer den Überblick behalten. Die Sachen werden fünf Tage vor Abflug in einen Container gepackt, der dann einige Wochen nach uns in Deutschland ankommen wird. Und wir melden ab, was das Zeug hält: Strom, Wasser, Gas, Telefon, YMCA, Bank, cleaner, Schulen, preschool …
Unser Haus in Morristown ist mittlerweile fast komplett entmistet: Ich veranstalte einen „garage sale“, allerdings nur digital mit E-Mails an alle Expats. So verkaufen wir noch Gitterbettchen und Co. sowie sämtliche elektrischen Geräte – in Deutschland können wir die ja nicht gebrauchen wegen der anderen Spannung. Der gute Siemens-Staubsauger (echt deutsche Qualität), den ich vor zwei Jahren von einer anderen deutschen Familie übernommen hatte, erfreut sich reger Nachfrage, den hätte ich glatt 15 Mal verkaufen können. Am Ende, als die Zeit knapp wird, verschenken wir alles gegen eine optionale Spende (ans „Team for Kids“).
Alle Sachen, die wir in Deutschland sofort brauchen, kommen in unsere Koffer – allerdings dürfen wir diesmal nur sieben Koffer mitnehmen (2010 durften wir noch zwei Koffer pro Person mitnehmen, jetzt erlaubt Lufthansa nur noch einen). Nur Marc darf als Vielflieger mit seinem „Senator“-Status zwei Koffer mitnehmen.
Souvenirs, Souvenirs
Mit im Gepäck sind natürlich auch unsere Souvenirs – solche zum Anfassen, Angucken oder Anhören. Diverse Tüten Sand von unseren Ausflügen und Reisen, die Schüttelkugeln und Pokale von Ole (6), die Zeichnungen der Kids, Fotos und Filme, eine Baumstammscheibe vom umgestürzten „hurricane tree“ aus unserem Garten, Marcs Fluglizenz, ein verbogener Basketballkorb (auch von Sturm „Irene“), Tims Panda, Kopien der „Declaration of Independence“ und und und … Meine „Laufhymnen“ habe ich sicher auf meinem iPhone gespeichert – so kann ich in mich in Sekundenschnelle zurück in den Central Park beamen. 🙂
Und sollte mich einmal ganz doll das Heimweh nach Amerika packen, dann schließe ich mich im Klo ein und schrubbe das ganze Bad mit dem schärfsten Chlorox, das es in Deutschland auf dem Markt gibt, und esse anschließend jede Menge Reeses – das sollte funktionieren….
Unwinding
Das Abschiednehmen von unserem Leben hier, von unseren Gewohnheiten, unserem Alltag mit all unseren Freunden und den anderen Menschen, die dazugehören, ist eine knifflige Sache. Immerhin haben wir die letzten 30 Monate hier miteinander gelebt und inzwischen unseren Platz gefunden. Dieses Gefühl ist nicht wie ein Koffer, den man einfach packen, zumachen und mitnehmen kann.
Unser „Pack-an“ an diese Sache: sich ordentlich von den Leuten hier verabschieden (Abschiedspartys) und ihnen auch noch einmal „Danke“ sagen – Stichwort: „Thank-you notes“. Das haben wir doch mittlerweile gelernt von den Amis.
Einigen Leuten haben wir wirklich viel zu verdanken: besonders den Lehrerinnen, die sich sehr um unsere Kinder bemüht haben, Oles Therapeutinnen und Vitoria, unserem Au-pair, die uns mit ihrem südamerikanischen Temperament, ihrer unkomplizierten Art und dem Herz am rechten Fleck tatkräftig unterstützt hat. Und dann sind da natürlich all unsere Bekannten und Freunde, die uns Platz in ihrem Leben gemacht haben, obwohl sie wussten, dass wir nur „auf Zeit“ hier waren. Ohne sie wären wir hier nicht angekommen.
Paul (5) und Ole malen Bilder, Theo und Tim schreiben thank-you notes an ihre Lehrer/innen (unter Protest, aber sie tun es), ich schreibe Briefe an Lehrer/innen, Schulleitungen, Therapeutinnen. Das hilft. Zumindest mir.
Thanks for having us
Wir feiern Abschied bei uns im Garten, um noch einmal befreundete Familien, die Nachbarschaft, bekannte Eltern, Arbeitskolleginnen und -kollegen und Laufkameradinnen und -kameraden zu sehen. Ein letztes Mal gibt es Multi-Kulti zum Anfassen und als Abschiedgeschenke bekommen wir jede Menge neue Rezepte von unseren Gästen: Gram´s Noodle Pudding, Texas Trash, Sweet Potatoe and Pecan Pie, Pulled Pork – super lecker. Und dann noch viel Internationales (homemade Mexican Salsa vom Fluglehrer, Italian Meetball Recipe von Ole Lehrerin, Chinese Cucumber Salad, Finnish „Pulla“, South African Curry Chicken, Pasta e Fagioli und auch deutsches „Fischragout“). Trotz großer Party-Konkurrenz von Bar Mitzwahs, graduations, weddings und anderen BBQs ist unser Garten voll.
Eigentlich ist alles gut, wenn nur der Anlass nicht so traurig wäre. Eine deutsche Freundin, die mit amerikanischem Mann und Kindern fest hier lebt, äußert ganz offen ihren Frust. Sie sagt, sie wolle sich nicht mehr mit deutschen Expat-Familien anfreunden, weil sie in den letzten Jahren so viele wieder verabschieden musste. Ich kann das echt gut nachvollziehen.
Lauter liebe Karten
Und die Leute, die nicht kommen, schreiben E-Mails und Karten (und nicht nur einen Satz). Ich wusste gar nicht, dass ich soooo tolle Kinder habe 😉 :
- „It cannot believe time has passed so quickly. It seems like yesterday you arrived.“
- „You have smart and wonderful children, keep up the great training, for they are a blessing and a privilege to bring up.“ / „I so enjoyed your boys. Both of them have such a special love in their hearts. Peace, love, and many joys raising those boys.“ / „Theo will be greatly missed at Alexander Hamilton School and we would like to wish him all the best for his future. It was a true pleasure having Theo in Class.“ Solche Sätze schreiben tatsächlich diverse Lehrerinnen der Kids – würde keine deutsche Lehrkraft tun, oder?) Theos Lehrerinnen schenken uns sogar noch eine Stars and Stripes-Porzellanschüssel. Wir werden sie in Ehren halten!
- „We will be very sad to see you go.“
- „We wish you all a great journey back home with new adventures and many blessings to follow each one of you always! Goodspeed to all!“
- „See you later, hasta luego, bye-bye …“
Living it up
Nun gibt´s noch ein paar Fotos von all den Erlebnissen, die trotz der ganzen Packerei echte Highlights waren: Oles „graduation“-Feier, ein Flug über Manhattan in Marcs kleiner Maschine für mich, ein Mittagessen im berühmten „Katz“ in NYC für Marc und mich und Theos Schulfest „shindig“ mit Squaredance-Performance. Und am Ende erwischen wir uns doch tatsächlich dabei, wie wir bei einem „sing-along“ vor Theos Schule patriotische „Hymnen“ mitsingen (die sind aber auch soooo schön eingängig!). Dazu der perfekte Sommerabend und die tolle Stimmung – einfach umwerfend:
„This land is your land, this land is my land, from California, to the New York Island, from the red wood forest, to the gulf stream waters.
This land was made for you and me …”
Und dann auch noch: „This is my country“, „Yankee Doodle Dandy“, „America the Beautiful“.
Als ich beim Pick-up von unseren Aktionen erzähle, grinst eine Freundin mich an und meint dann zu den anderen: „Hey, she´s really living it up.“ Das heißt so viel wie „Na, sie haut ja mal wirklich auf den Putz “ oder „Sie lässt die Puppen tanzen“. Ja, stimmt, dafür bleibt irgendwie auch noch Zeit.
The shindig is coming!
Von einer „shindig“ hatte ich noch nie gehört – die Ankündigung lautete: „We´ll have a hootin´ an a hollerin´ good time! Bring your dancin´ boots and join the fun“ – hat also was mit Tanzen zu tun. Theo sprach zuhause immer vom „Viereckstanz“. Das Erlebnis des „Squaredance“ (ein Volkstanz) ist wirklich etwas für „fortgeschrittene“ Expats: Die Frauen mit Petticoat, die Herren im Westernlook, dazu „Cowboy-Musik“. Vorne steht eine Person, die durchs Mikro die Tanzfiguren ansagt, denen die Tanzgruppe dann folgt.
Nach der Vorführung schwingt die ganze Schule das „Squaredance“-Tanzbein. Auch Theo tanzt mit einer Klassenkameradin, wobei sie sichtlich mehr Spaß an der Sache hat als er. Viele Kinder und Lehrerinnen und Lehrer tragen Cowboyhüte und rote Halstücher. Übrigens ist auch hier wieder ein Junge mit Kopfhörern dabei, der zwar etwas anders tanzt als der Rest, aber total engagiert mitmacht. Faszinierend.
How are the kids coping?
Jeden Tag, der uns näher an den Abflug rückt, stehen mehr Kisten herum, verschwinden persönliche Sachen (wie z. B. gemalte Bilder von den Kids) und das Haus wird ein bisschen weniger unseres. Die Kinder bekommen das natürlich auch mit – und drehen mehr auf bzw. werden anhänglicher (finde ich). Schon vor Wochen hatten wir die ersten nassen Betten.
Theo ist vor einigen Tagen 10 Jahre alt geworden. Er ist damit offiziell ein „tween“ – also ein „between“ Kind und Teenager – und man merkt es ihm an! Er hatte am Freitag direkt seine ganze Klasse zur Party eingeladen. Hinterher war er traurig und sagte, dass es ihm das Herz schwer gemacht habe.
Ebenso trauert er jetzt schon seit längerem seiner „science class“ hinterher, die er so geliebt hat.
Er pfeift und singt im Moment fleißig die amerikanische Nationalhymne (keine Ahnung, woher er die jetzt hat …) und reagiert super defensiv („Hast du etwa was gegen die USA?“), wenn ich ihn – ein wenig genervt – darum bitte, doch damit mal aufzuhören. Auf der anderen Seite möchte er weiterhin mittwochs früher aus der Schule abgeholt werden, damit wir die Deutsch-Nachhilfe machen (damit hatten wir im Mai aufgehört, weil die anderen Dinge so drängten).
Tim (8) wirkt noch recht entspannt, aber ab und zu merkt man es doch. Er hatte schon vor über einem Monat einen Brief von einem Klassenkameraden über die „Schulpost“ (Wee Deliver Postal Service) bekommen: „You are leaving in 33 days. I´m so sad that you are going. I want to have more playdates with you before you go.“
Wir tun, was wir können. Im Auto höre ich dann zufällig eine Unterhaltung mit eben jenem Freund mit an und bin platt: „Do you think it would have been better if we had not met? Then we would not be sad now.“ Ist doch ein tiefsinniger Gedanke für 8-jährige, oder?
Tim wird auch unruhig, wenn er an die deutsche Schule denkt. Er hatte ja hier einen ziemlich harten Einstieg. Im Moment fragte er mich öfter, wie diverse deutsche Wörter buchstabiert werden und erzählt Freunden von seiner ersten Zeit hier in Amerika, als er noch kein Wort verstand. „Wenigstens verstehe ich Deutsch“, tröstet er sich (lesen und schreiben kann er es ja nicht), und damit hat er Recht. Dann hoffen wir doch, dass die erste Zeit diesmal einfacher für ihn wird.
Ole (6) reagiert am offensichtlichsten auf den Übergang. Ist schon verrückt, weil er ja eigentlich die ganze Zeit nur zurück nach Deutschland wollte („Wie lange bleiben wir noch hier?“, hat er mich sooooo oft gefragt). Bis vor wenigen Wochen erzählte er noch jedem freudestrahlend, dass wir bald wieder zurückgehen. Aber jetzt weint er oft und meint, dass er seine Freunde vermissen wird und malt Bilder für sie (Weltkarten mit der Flugzeugroute von Deutschland nach Amerika und dem Weg der Titanic). Er fragt sich, ob die Kinder ihn in Deutschland wohl mögen werden. Abends ist er auch kaum noch ins Bett zu bekommen, wacht oft mit Alpträumen auf, und seine Emotionen kochen bei Konflikten schnell hoch. Er ist dauernd auf der Suche nach sensorischem Input und meine Oberarme sehen entsprechend aus – anstrengend.
Paul (5) interessiert sich momentan eigentlich nur für seine Wackelzähne (die nach wie vor zu seinem Leidwesen fest im Kiefer sitzen). Aber Ole hat ihn dann wohl doch mit seinen Abschiedsgedanken angesteckt, und inzwischen fragt auch er jeden Morgen als erstes, in wie vielen Tagen wir in den Flieger steigen. Und weil er ja mittlerweile zweieinhalb Jahre amerikanisch-akademischen preschool-„Drill“ hinter sich hat, rechnet er es halt direkt selbst aus – das aktuelle Datum weiß er oft besser als ich und unser Abflugdatum kennt er im Schlaf: „Wir fliegen am 21. Juni zurück und heute ist der 6. Juni. Dann sind das noch 15 Tage!“ Es ist schon verrückt, was die hier mit 5-Jährigen machen.
Gestern Abend hat er dann übrigens doch noch eins seiner Ziele erreicht: Im Gesicht und am Mund blutend kam er mir entgegengelaufen und erzählte begeistert, dass er jetzt endlich Wackelzähne habe! Der Grund: Er hatte bei Freunden eine Baumschaukel mit vollem Schwung mitten ins Gesicht bekommen – Hilfe!
Ansonsten gibt es zurzeit viele Diskussionen, wer in unserem deutschen Haus in welches Zimmer zieht – wir haben drei Zimmer für vier Kinder. Aber auch dafür werden wir noch eine Lösung finden …
It´s about time
Es wird Zeit, dass wir den Heimweg antreten, sonst kommen wir hier gar nicht mehr los: Wir haben jetzt zehn Kindergeburtstage hier gefeiert – Paul hat so ziemlich die Hälfte seines Lebens hier verbracht. Bei unserer Ankunft war er zwei, jetzt ist er fünf Jahre alt. Auf dem Hinflug hatte er noch Windeln an, kroch mit seiner Thomas-Lok auf allen Vieren über die Flugzeugflure und fing gerade an, erste komplette Sätze auf Deutsch zu bilden. Jetzt plappert er munter auf Englisch, ist von Zahlen bis 1.000 besessen, sein Zimmer schmücken meterlange Papierschlangen mit Zahlen. Und er erkennt Abraham Lincoln treffsicher unter allen amerikanischen Präsidenten, während er mit dem Namen „Angela Merkel“ gar nichts anfangen kann. Paul kann sich nicht mehr an Karneval erinnern, und Ole kennt den Unterschied zwischen Halloween und Karneval auch nicht mehr.
Die Kids können „genug“ Englisch, Tims Akzent kann nicht noch „amerikanischer“ werden und zuletzt fragte er mich: „Mama, bist du echt mit diesen Haaren geboren worden?“ Die Jungs haben genug „Good Job“-Aufkleber und „certificates/awards“ für die nächsten zehn Jahre gesammelt und mehr „pledges-Gelöbnisse“ in den letzten 30 Monaten geleistet als die meisten deutschen Menschen das in ihrem ganzen Leben tun.
Freude …
Wir freuen uns auf Deutschland und euch. Wir hoffen, dass wir wieder mehr Kontakt zu euch aufbauen werden, viele in den nächsten Wochen wiedersehen und dann auch erfahren, was bei euch so ansteht im Moment.
Außerdem freuen wir uns auf
- viel Bewegung auf guten deutschen Bürgersteigen (und abends körperlich platte Kinder),
- die Fußball-Europameisterschaft (und die lockere Stimmung),
- Mittagessen zur Mittagszeit (und nicht um 16.30 Uhr),
- Reistopf mit Fleischklößchen,
- Hausaufgaben vor 15 Uhr (und nicht am Abend),
- Familienschwimmen am Sonntagmorgen,
- selbstständigere Kinder,
- Schokoküsse,
- funktionierende Toiletten,
- deutsche Fleischwurst vom Metzger,
- Fahrradtouren,
- „nur“ sechs Wochen Sommerferien (und nicht mehr drei Monate),
- weniger Autofahren,
- nie wieder „Snack-Schmiererei“ für lange Schultage,
- Sand auf den Spielplätzen,
- gute Schokolade,
- Tunfischpizza,
- weniger Einbahnstraßen auf Parkplätzen,
- lärmfreie Sonntage (jedenfalls ohne Laubgebläse von der einen und Rasenmäher von der anderen Seite),
- Essengehen mit deutscher Gemütlichkeit (auch, wenn wir wieder eine halbe Stunde aufs Essen warten müssen).
Aber uns ist schon klar, dass wir uns an viele Sachen auch erst wieder werden gewöhnen müssen. Zum Beispiel oft im blauen Dunst der Raucher stehen zu müssen – das sind wir von hier gar nicht mehr gewöhnt.
… und Vorfreude
Theo und Tim werden übrigens direkt für zwei Wochen in ihre deutsche Schule gehen, bis die deutschen Sommerferien starten. Und in den Ferien gibt es dann Schreibschrift für Tim und deutsche Rechtschreibung für Theo. Wir werden unsere Koffer auspacken, auf den Container warten, alle Kisten auspacken und für alles wieder einen Platz im Haus finden. Ich habe mittlerweile eine Allergie gegen Kisten, aber es hilft ja nichts.
Wir wollen – bzw. ich will – sofort wieder einen Rhythmus in unser Leben bekommen, denn vier Kinder im „luftleeren Raum“ sind so mit das Anstrengendste, was ich mir vorstellen kann. Aber nun stehen ja erst mal die Sommerferien an, von daher wird echte Routine wohl noch auf sich warten lassen. Die Ferien können wir immerhin schon mal nutzen, um den ersten Kulturschock hinter uns zu bringen und etwas aufgeräumter in die aufregende deutsche Schulzeit zu starten. Ole ist dann unser i-Dötzchen, Tim kommt ins dritte Schuljahr und Theo aufs Gymnasium. Wir werden also erst einmal drei Schultüten und drei Tornister besorgen müssen. Paul darf noch ein Jahr in den deutschen Kindergarten – wie gesagt, er hat eigentlich keine Lust mehr auf „Buddeln“, aber ich hoffe ja immer noch, dass er daran Geschmack finden wird.
Ich werde erst im Mai nächsten Jahres wieder in meine Schule zurückgehen. Ich würde zwar lieber heute als morgen zurück, möchte unser Einleben in Deutschland aber auch nicht zu sehr „auf Kante nähen“. Diesmal bin ich auf einiges gefasst, und mittlerweile kenne ich auch die „W-Kurve“ beim Anpassungsprozess – das zweite „Tal“ steht uns nämlich bei der Rückkehr in die Heimat bevor („It’s my second time around!“).
Und dann noch „re-connecten“ – die Zeit ist ja in Deutschland auch nicht stehen geblieben. Neue Kinder da, andere Menschen weg, unsere „Lücke“ ist längst geschlossen – also einfach irgendwo anfangen. Das wird eh einige Zeit dauern.
Wie gut, dass die Europameisterschaft gerade läuft: Deutschland ist im Fußballfieber, alle Leute sind in Feierstimmung, und das Leben scheint den Deutschen in diesen Zeiten einfach mal fröhlich und leicht von der Hand zu gehen – gute Voraussetzungen, um uns damit die Umstellung etwas zu erleichtern.
The final countdown – überraschend ruhig
Es ist fünf Tage vor Schluss. Die Leute von der Spedition kommen und packen innerhalb von eineinhalb Tagen alles ein – Bücher, Spielzeug, Kleidung, Küchenzeug, Betten – alles, wo kein Sticker „DO NOT PACK“ dranklebt. Die Kids sitzen am Anfang noch gemeinsam auf einen Sessel gequetscht und gucken zu. Doch dann wird auch der irgendwann eingepackt. Man hört den ganzen Tag im Haus nur das „Ratsch, Ratsch, Ratsch“ der Paketband-Abroller.
Ich habe auch ein Auge auf die Leute, denn meine Panik ist, dass sie etwas einpacken, was nicht mit soll, wie z. B. irgendwelches Essen. Es grassiert hier nämlich die Story vom eingepackten Spanferkelabschiedsessen bzw. dessen Resten, die dann für vier Wochen ganz in Ruhe mit dem Rest des Hausstandes in einem Container im Sommer über den Atlantik schipperten … 🙂
Am Ende sind es 404 Gepäckstücke – alle für den Zoll fein säuberlich nummeriert und mit Inhalt aufgeführt – die so gerade in einen Container reinpassen. Glück gehabt und gut abgeschätzt vom Chef der Spedition.
Nachmittags fahren wir ins Hotel. Abfliegen dürfen wir noch nicht, falls es noch Fragen gibt. Also warten, bis wirklich alles „eingeboxt“ ist.
Überraschung!
Und dann, ganz am Schluss und nach dem ganzen Stress mit Packen kommt mit dem Auszug aus unserem Haus eine vollkommen überraschende Entschleunigung: Leben im Hotel, Einladungen zum BBQ und zum Pool von Freunden, noch mal Shoppen … fast wie in einem stinknormalen Urlaub.
We´re outta here
Die letzten 30 Stunden sind angebrochen und wir sind erstaunlich ruhig.
Meine letzte offizielle „Amtshandlung“ heute bei uns im Haus: Die Mülltonnen sauber machen. Verrückt? Nein, muss sein. Das ist mein Abschied vom Haus: 35 Grad, super schwül und ich schrubbe unsere schwarzen stinkenden Tonnen auf dem driveway blitzeblank.
Ein unvergesslicher Abend bisher – noch ein letztes Mal diese versonnene Abendstimmung auf unserer Straße, noch einmal von der Nachbarin verabschieden, die gerade vom Gassi gehen nach Hause kommt. Als die Tonnen sauber sind, bin ich nass und dreckig. Unser Haus ist komplett leer, unsere Sachen sind alle im Container verstaut, der mittlerweile irgendwo im Hafen von New York steht.
Ich habe Glück: Im Trockner sind noch ein paar Klamotten, die wir vergessen haben. Praktisch, auch ein T-Shirt von mir ist dabei – besser ein eingelaufenes T-Shirt als gar keins. Als ich mich zum Abendessen aufmache, turnen schon unzählige squirrels auf unseren Müllsäcken herum, die an der Straße stehen – auf der Suche nach Essbarem.
Wir nehmen langsam wieder Geschwindigkeit auf, hören den Wasserfall schon rauschen, genießen am Abend noch das Abschiedsdinner bei unseren besten Freunden, einmal schlafen und dann sind wir vogelfrei – für sechseinhalb Stunden. Bangemachen gilt nicht – packen wir´s! Also, tief Luft holen, Anlauf nehmen, Augen zu und springen …
PS: Hier gibt’s noch einen Nachschlag. Fünf Monate nach unserer Rückkehr nach Deutschland schreiben wir einen Brief an unsere amerikanischen Freunde und erzählen, wie es uns seitdem ergangen ist. Diesmal natürlich auf Englisch 😉 Viel Spaß beim Lesen!