Der Februar war ein Sammelsurium von diversen kleinen und großen Highlights, schon fast frühlingshaften Temperaturen (immerhin plus 16 Grad!) und einem täglichen Freudenschrei von mir: Immer noch kein Schnee! Mich verschlägt es als Prüferin an eine vollwertige deutsche Schule mitten in Amerika und wir machen für eine Woche einen Familientrip nach Kalifornien. Und am Ende gibt es eine Neuigkeit in Bezug auf Ole (6), die wir erst mal verdauen müssen.
Springtime-News!
Die Zeichen stehen auf Frühling: Draußen spielen die ersten Kids jetzt wieder im T-Shirt Basketball, die Sportangebote für die „Spring Season“ wie Soccer, Tee-Ball, Basketball, Baseball und Softball starten und mir läuft sogar schon das erste Streifenhörnchen über den Weg.
Ein Fest jagt jetzt das nächste. Am 2. Februar ist wieder einmal Groundhog Day –glaubt man der Legende nach dem Murmeltier, gibt es weitere sechs Wochen Winter, wenn es an diesem Tag besonders kalt ist. Ansonsten kommt der Frühling.
Und dann, am 5. Februar findet wieder DAS Sportereignis der USA statt: der Super Bowl XLVI! An diesem Tag werden angeblich 100 Millionen Hähnchenflügel auf den „Super Bowl Partys“ in den USA verspeist! Würde man sie alle aneinanderreihen, reichten sie mehr als zweimal um den Äquator – enjoy!
Valentine’s Day
Am 14. Februar ist natürlich Valentine’s Day. Bei Theo (9) gibt’s an diesem Tag süße „smencils“ (Duftstifte mit Kaugummi-, Zimt-, tropischer Brise-, Trauben-, Zuckerwatten-, Wassermelonen-, Orangen-, Very Berry- oder Root Beer-Geschmack) und „scented bookmarks“ (duftende Buchzeichen in sieben Duftrichtungen) und bei Tim (8) rote Früchte und „frozen yogurts“ (gefrorener Joghurt – der Hit hier überhaupt). Als einige Kinder in Tims Klasse doch schon die Lutscher auspacken, die eigentlich für zuhause waren, mahnt die Lehrerin sie, diese ganz schnell aufzuessen, bevor die nurse der Schule das entdecken würde – also schnell zerbeißen, kauen und schlucken … 🙂 .
In den Geschäften verschwinden die Herz-Dekos nach dem Valentinstag sofort, um Platz für Osterhasen und die grünen Kleeblätter für den St. Patrick’s Day zu machen – außerdem taucht wieder überall das „k“ für koscheres Essen auf.
School stuff
Ole feiert seinen „100th Days of School“-Tag, ein großes Fest für alle „kindergarteners“. Es gibt Papp-Hüte, Ketten, Armbänder und eine Parade durch die preschool mit seinem selbstgemachten „100-board“ – einem selbstgebastelten Poster/Bild, auf dem hundert Dinge befestigt sind, die das Kind sich selber aussuchen darf. Er ist mächtig stolz und genießt diesen Tag sehr.
Außerdem gibt es wie jedes Jahr in unserer Deutschen Schule (German School of Morris Country) für die jüngeren Schüler/innen eine Karnevalsparty – mit Kostümen, deutscher Karnevalsmusik und Funkenmariechen-Parade mit großem Finale. Alle landen im Spagat, selbst unsere Schulleiterin macht mit – die Kids sind beeindruckt und klatschen begeistert.
Und dann ist für viele wieder Reisezeit – denn am 20. Februar feiern wir Presidents’ Day und da macht die preschool direkt eine ganze Woche zu. Alle kindergartener der Montessori-preschool haben zu einem selbst ausgewählten Präsidenten ein kleines Portrait geschrieben. Sie stellen ihre Werke in einer Bank aus. Ole hat sich Abraham Lincoln ausgesucht.
Am Ende des Monats gibt es sogar noch einen Tag gratis, den „Freaky February Day“. Der Grund: Wir haben ein leap year (Schaltjahr).
Unser Sorgenkind
Ole ist im Moment körperlich sehr unruhig, reagiert in der preschool schnell überschäumend und wir sind alle ziemlich ‚wundgefahren’. Wenn das Telefon vormittags klingelt, halte ich immer die Luft an, ob schon wieder etwas passiert ist und wir ihn abholen müssen. Wir zählen die Tage rückwärts bis zum Urlaub in Kalifornien – dann hat er erst mal Pause.
Zeugnisse für Theo und Tim
Tim und Theo bekommen ihre Zeugnisse – soweit alles okay. Tim hat die Aussicht, am Ende des Schuljahres auf „grade level“ zu sein, also nicht mehr hinterherzuhinken – fast schon blöd, dass wir dann unsere Sachen packen müssen … Theo schreibt in seinem Zeugnisbegleitbrief an uns:
„Dear Marc and Britta, 4th grade is cool … Writing really can challenge me to wake up after snack … Math really wakes me up and works my brain …“
Aaha, also Schreiben ist eine Herausforderung nach der Snackzeit und Mathe macht ihn wach. 🙂
Theo bekommt einen Rüffel wegen schlechter Ergebnisse bei den Lernwörtern in letzter Zeit – er hat im Moment nur noch Harry Potter im Kopf. Er liest die sieben Bände nun schon zum dritten Mal (O-Ton: „Ich will einfach jedes Detail verstehen!“).
Tim weiß gar nicht, wie ihm geschieht, denn er hat seinen lebenslangen Spielpartner mit einem Mal an den Zauberlehrling verloren. Er schreibt mir einen Brief, dass er mir Geld gibt, wenn ich sie den Film gucken lasse: „Dear Mom, can you let us watch Harry Potter and I pay for it.“ Sein Lesen macht zwar große Fortschritte und reicht für Dr. Seuss, aber für Harry Potter noch lange nicht.
Und dann bleibt ihm auch noch ein Stück Staudensellerie im Hals hängen, so dass wir zum Arzt müssen! GOTT SEI DANK ist Marc da – bei „Atemnot-Aktionen“ versage ich komplett. Da falle ich noch schneller in Ohnmacht als bei blutigen Notfällen …
Eine Deutsche Schule mitten in „Upstate New York“
Meine Schulkinder an der Deutschen Schule in Morristown haben Prüfungen – diesmal hochoffiziell: Sie machen das sogenannte „Deutsche Sprachdiplom der Kultusministerkonferenz“, das aus einer mündlichen Prüfung und einem schriftlichen Teil besteht. Die Prüfungen werden zentral von Deutschland aus organisiert, aber von den Deutschen Schulen auf der ganzen Welt durchgeführt. Für die gesamte Nordhalbkugel gibt es da tatsächlich nur genau einen Termin für das Schriftliche – das Gleiche gilt für die Südhalbkugel.
Als Fachlehrerin nehme ich die mündlichen Prüfungen ab – meine Schüler/innen machen allerdings erst das sogenannte „kleine“ Sprachdiplom. Ort der Prüfung ist die Deutsche Schule in White Plains, an der man tatsächlich sein deutsches Abitur ablegen kann. Sie liegt 30 Minuten nördlich von NYC und unterrichtet Kinder vom kindergarten bis zur Oberstufe. Als höchsten Abschluss gibt es direkt zwei Abschlüsse: das NY State High School Diploma und das internationale deutsche Abitur. White Plains liegt eine Stunde nordöstlich von Morristown in „Upstate New York“ (also eben nicht der Stadt NY, sondern dem Bundesstaat NY). Kostenpunkt: über 20.000 Dollar pro Schuljahr.
Ich will wieder in die Schule!
Es ist schon ziemlich verrückt, so mitten in Amerika eine deutsche Enklave zu entdecken. Die Schilder an der Schule sind auf Deutsch, hier stehen klassische Fächer wie „Mathematik“, „Deutsch“, „Spanisch“ usw. auf dem Plan (keine Spur von „language art“ oder „everyday math“) und die Poster in den Gängen sind zweisprachig. Leider sind keine regulären Schulkinder da, weil Samstag ist – das hätte ich gerne mal live miterlebt. Ich bin jedenfalls hin und weg, als ich die Schule von außen sehe. Und als ich dann das Lehrerzimmer mit seinen typischen Aushängen und den ganzen deutschen Schulbüchern betrete, will ich gar nicht mehr weg! Ich fühle mich sofort heimisch. Würde mir hier jemand einen Job anbieten, wäre ich sofort dabei!
Die Prüfungen laufen gut – erst je ein Vortrag der Kids zu einem Thema ihrer Wahl, dann Gespräch (ähnlich wie im Abitur). Ich lerne wieder eine Menge von den Kindern: Zum Beispiel viel über Wien, über den Unterschied zwischen Reiterhöfen in Deutschland und Amerika und über das Leben eines sportlichen middleschoolers, der schon in einer Highschool Mannschaft mittrainiert und daher viermal die Woche eineinhalb Stunden mit Pendeln im Auto verbringt. Darüber, dass die amerikanischen Kinder besonders das Fahrradfahren und die Bürgersteige in Deutschland toll finden – einige allerdings auch das erlaubte Bier ab 16 Jahren!
Alle Schüler/innen bestehen!
Eins steht nach dieser Erfahrung für mich fest: Ich möchte so schnell wie möglich nach unserer Rückkehr wieder an meine Schule in Deutschland zurück. Klar, ich werde nichts überstürzen (habe ja auch noch eineinhalb Jahre Elternzeit übrig), aber da ist doch ein Teil von mir seit fast drei Jahren einfach auf Eis gelegt und der will mal wieder raus. 🙂
It’s Super Sunday again!!!
Vor zwei Jahren haben wir ihn glatt verpasst: den Super Bowl! Das ist ungefähr so, als ob man das Fußball-WM-Endspiel in Deutschland verpasst – wir waren also sehr mit anderen Dingen beschäftigt. Vor einem Jahr habe ich von unserem Gast beim Endspiel einen Crashkurs in den Grundregeln vom American Football bekommen. Dieses Jahr wollen wir ihn alle zusammen feiern. Da uns niemand eingeladen hat (ist wohl eher eine Sache, die man mit alten Collegefreunden feiert), müssen wir uns allein was überlegen. Beim diesjährigen Finale des Super Bowl in der amerikanischen Footballsaison spielen die „New York Giants“ gegen die „New England Patriots“ (Boston).
|
Zur Einstimmung schon mal selbst eine Runde laufen …
Bevor aber das Spiel nachmittags losgeht, hat Marc seinen großen Auftritt – nach fünf Wochen Training mit Pamela läuft er mit mir gemeinsam den „Super Sunday 4 Miler“ mit. Ein kalter, glasklarer Tag, wie immer Volksfeststimmung, viele Hunde, einige Kinder, einmal rund um Morristown und den Golfplatz herum, sehr beschaulich. Einige Anwohner/innen stehen mit Tischen vor ihren Haustüren und reichen uns Wasser, viele feuern uns Läufer/innen an mit „Keep it up!“ Ein Auto fährt bis unters Dach beladen mit Giants-Luftballons an uns vorbei.
Auch wer keine Ahnung von Football hat, kommt nicht um den Superstar das Tages herum: Eli MANNING, gesprochen „Ilai Männing“, der begnadete Quarterback der Giants. Wenn ihr euch einen Namen merken wollt, dann diesen! Alternativ ist es „Brady“ – der Quarterback der anderen Mannschaft. Die Namen der beiden Spieler zieren unzählige T-Shirts der Läufer.
Marc kämpft sich durch, es geht zwischendurch ganz schön bergauf, und auf den letzten Kilometern liefern wir uns ein spannendes Rennen mit einem Dreikäsehoch-„Manning-Fan“, seiner rothaarigen Mutter, einer etwas untersetzten grünen Ninja-Turtle und drei ziemlich fitten Typen mit ominösen Rucksäcken (nein, keine Bomben, sondern „bricks“ – Wackersteine zum Kraft- und Muskelaufbau, wie sie uns später verraten). Wir schlagen zumindest die Ninja-Turtle und sind im Ziel. Herzlichen Glückwunsch, Marc!!!
… dann vor den Fernseher hocken
Während wir noch beim Lauf sind, fangen vielerorts schon die „Super Bowl Partys“ an – die haben einen Stellenwert wie „New Year’s Eve“! Wer keine Einladung bekommen hat, fühlt sich schlecht (wir nicht!). Direkt nach Thanksgiving ist dieses Sportereignis die zweitgrößte „eating occasion“ des Jahres: Die turkeys haben noch Schonfrist, dafür geht es den Hühnern an den Kragen: 100 Millionen pounds „chicken wings“, dazu über 42 Millionen pounds Tortilla Chips (entspricht dem 96fachen Gewicht der Freiheitsstatue!), 45 Millionen pounds Kartoffelchips (entspricht zehn Space Shuttles) und 111 Millionen Gallonen Bier (entspricht 168 olympischen Schwimmbecken) werden an diesem Tag in den USA verzehrt und getrunken. Aber es gibt auch was Gesundes: Der Verzehr von „baby carotts“ (die kleinen, schon geschälten Karotten) steigt an diesem Tag um 25 Prozent im Vergleich zu einem normalen Sonntag an! „The Super Bowl is the largest single event for carrots.“ Aha. Verhungern tut hier also niemand! Und unsere Kids machen sich begeistert über Möhren und Tortilla Chips her …
Und damit auch die nicht eingefleischten Footballfans auf ihre Kosten kommen – es ist ja nicht so, als wären ALLE Amerikaner/innen Footballfans – gibt es natürlich auch dieses Jahr wieder ein Showspektakel um das eigentliche Sportevent herum: Die Nationalhymne zu Beginn singt Kelly Clarkson live auf dem Footballfeld, wobei Theo vor dem Fernseher kommentiert: „I know this song. It’s one of our school songs.“
Zur Halbzeit liefert Madonna im Cleopatra-Kostüm mit blonder Mähne eine Show ab, die eher an ein Madonna-Konzert erinnert als an einen Pausenfüller. Die anderen namhaften Künstler/innen wirken eher wie Deko neben ihr.
Und dann gibt es noch die „Halftime Ads“ – die mit viel Spannung erwarteten Werbespots, die vor diesem Publikum das erste Mal ausgestrahlt werden. Diesmal hoch gelobt: Clint Eastwood, der mit rauchiger Stimme die Auferstehung von Chrysler beschwört. „This country can’t be knocked out with one punch. We get right back up again und when we do, the world´s going to hear the roar of our enemies. Yeah. It´s halftime, America, and our second half is about to begin.“ Ja, ja, ganz schön patriotisch und mit viel Pathos, aber auch wirklich gut gemacht.
Unseren Kindern, die gar kein Fernsehen kennen und von daher nichts gewohnt sind, gehen jedenfalls die Augen über. In vielen Werbespots geht es aber auch ganz schön brutal und anzüglich zu – da ist der Super Bowl die große Ausnahme im amerikanischen Fernsehen, denn normalerweise dürften diese Spots nicht um diese frühe Uhrzeit laufen.
Und wer hat gewonnen?
Wir fiebern mit, und es ist bis zum Schluss spannend. Die Patriots (aus Boston) führen die gesamte zweite Hälfte bis kurz vor Schluss (17 zu 15) und in der sprichwörtlich letzten Minute wird auf einmal alles sehr bizarr. Die Patriots lassen den Giants-Angreifer einfach zu einem „go-ahead touchdown“ durch (so, als ob beim Fußball der Torwart seinen Posten verlässt, damit die Gegner ein Tor schießen), wodurch die Giants in Führung gehen – allerdings mit einem „Popo-touchdown“: Der Angreifer hatte in letzter Minute versucht, eine Vollbremsung hinzulegen und doch nicht zu punkten, aber war dann hinter die Linie geplumpst (das ist etwa so, als ob ein Fußballspieler versucht, das freie Tor mit Absicht zu verfehlen, aber dann doch trifft). Und auf einmal stehen unerlaubterweise zu viele Giants-Spieler auf dem Spielfeld herum. Die gegnerische Mannschaft darf daher weiter nach vorne rücken, verliert aber kostbare Zeit, die sie am Ende den Sieg kostet. Habt ihr noch den Durchblick? 🙂
Dieses undurchsichtige Taktikspiel wird noch Tage nach dem Bowl in allen Zeitungen diskutiert – am Ende waren also nicht nur wir als Laien verwirrt. Im Sportteil des Wall Street Journal gab es sogar einen eigenen Artikel unter der Überschrift: „Breaking down that bizarre ending – Beneficial Penalty? Uncontested Touchdown? The Super Bowl’s Last Minute was a Big Tactical Puzzle.“ (auf Deutsch: „Das bizarre Ende aufschlüsseln – Ein vorteilhafter Strafstoß? Ein unangefochtener touchdown? Die letzte Minute des Super Bowls war ein großes taktisches Rätsel). Es hatte wohl ganz viel mit unorthodoxen Spielzügen und Gewinn-Wahrscheinlichkeiten zu tun, je nachdem, wer wann den Ball hat und wie viel Spielzeit noch übrig ist. Und solche Leute wie Manning (der hier mindestens so berühmt ist wie Obama!) behalten in diesen Augenblicken anscheinend den Über- und Durchblick und dirigieren ihre Leute da durch.
Die Giants aus New York gewinnen am Ende dann tatsächlich doch noch – mit 21 zu 17. Bei ihrer Heimkehr gibt’s eine riesige Straßenparty mit einer Million Besucher/innen in New York, bei der 30 Tonnen(!) Papierkonfetti geworfen werden. Das ist ungefähr so, als ob Deutschland Fußballweltmeister wird und dann in Berlin bei der Ankunft gefeiert wird.
Abschied vom Schiff und Schwebezustand
Also: Die Idee, den Rückweg im Juni mit einem Kreuzfahrtschiff anzutreten, ist jetzt doch vom Tisch. Schade, denn dann hätten die Kids wenigstens mal sehen können, wie groß der Ozean ist, der zwischen Europa und Nordamerika liegt – damit wären die Proportionen mal begreiflicher geworden. Aber daraus wird nichts. Es gibt keine nebeneinanderliegenden Kabinen mehr, und für mich steht unumstößlich fest: Auf so einem Schiff möchte ich NIEMALS nach einem der Jungs suchen müssen.
Gerade ist das Kreuzfahrtschiff „Costa Concordia“ im Mittelmeer vor der italienischen Insel Giglio gesunken und 32 Menschen sind umgekommen. Außerdem jährt sich der Untergang der Titanic auch genau zum hundertsten Mal dieses Jahr. Trotzdem schade.
Unsere Stimmung in Bezug auf den Umzug schwankt hin und her. Ich habe immer wieder Déjà-vus: Der Spagat zwischen „hier sein“ und „drüben planen“, den Extra-Aufgaben für Theo und Tim und den bereits ersten Übersetzungen von wichtigen Dokumenten für Deutschland. Aber Theo hat sich auch schon über Post von deutschen Freunden als Antwort auf seine Übungsbriefe gefreut – mit Füller geschrieben! Unser Versuch, einen solchen Füller bei Staples zu bekommen, war allerdings nicht erfolgreich – hier schreiben die Schulkids nur mit Bleistift oder Kuli.
Ich empfinde diese Gewichtsverlagerung schon als anstrengend. Aber manchmal hat der Schwebezustand auch Vorteile: Man muss die Dinge hier nicht mehr so ernst nehmen (z. B. die Hausaufgaben). Und die Aufgaben, die in Deutschland auf uns zukommen, sind noch weit genug weg und drücken nicht so. Irgendwie ist man gerade ein bisschen zwischen den Welten – fast wie vogelfrei.
„He is on the spectrum“
Und dann kam Ende Februar noch die Nachricht, die mich erst mal völlig unerwartet erwischt hat: Ole hat eine Autismus-Spektrum-Störung (so die Diagnose der Ärztinnen und Ärzte im Memorial Hospital). Die Ärztin sagte mir: „He is on the spectrum“ – so heißt das auf Englisch. Das ist eine „tiefgreifende Entwicklungsstörung“, die einer lebenslangen komplexen Störung des zentralen Nervensystems zugrunde liegt – insbesondere im Bereich der Wahrnehmungsverarbeitung. Mehr kann ich im Moment nicht sagen – liest sich alles nicht gut. Die Diagnose ist definitiv weitreichender und mit größeren Einschränkungen verbunden als ADHS, das bisher im Raum stand.
Ich habe mir jetzt erst mal einen Haufen Bücher bestellt und werde mich schlau machen. Marc reagiert wie immer cooler als ich, aber ich bin mir auch nicht sicher, ob er die Tragweite begreift. Na ja, im Moment läuft eben viel parallel. Aber das schaffen wir auch noch!
Checkliste der Spedition
So, und am Ende noch die Checkliste der Spedition, die unser Hab und Gut über den Atlantik schippern wird. Wenn ihr mich fragt, sind die angegebenen Zeiträume etwas sehr sportlich, wenn man bedenkt, dass ein einziger kleiner Punkt, wie z. B. Aufräumen von Dachböden, Garagen, Kellerräumen doch schon ein echtes Unterfangen ist, das in den normalen Alltag reingequetscht werden muss.
TO-DO-LISTE DER SPEDITION
5 bis 6 Wochen vor der Abreise:
3 bis 4 Wochen vorher:
1 bis 2 Wochen vorher:
1 bis 2 Tage vorher:
|
Kalifornien, Februar 2012
Wie unser Auto in San Francisco fast umkippt und wir zufällig am Tag der Oscar-Verleihung in Los Angeles landen. Und was einem leider den Strandbesuch in Santa Barbara vermiest.
Florida? Kanada? Kalifornien!
„Wir fahren nach Florida … nach Kanada … wie heißt das noch mal?“ Paul (4) ist verwirrt.
Ende Februar geht es los. Wir nehmen die Kinder für fünf Tage aus der Schule. Die nurse winkt uns durch: „Just let the teacher know. She might suggest Tim keeps a journal of his trip. Enjoy.“
Die Messlatte liegt hoch – unsere bisherigen Urlaube in den USA haben tiefen Eindruck bei den Kindern hinterlassen. Ob Kalifornien da mithalten kann?
Von New York nach San Francisco
Dank „priority seating“ dürfen wir mit als erste Passagiere rein und sitzen sogar zusammen (keine Selbstverständlichkeit bei „domestic flights“, auch nicht bei Familien). So können wir ganz gemütlich den Kampf der anderen Passagiere um die overhead bins anschauen. Der Flug dauert ewig (in die andere Richtung wären wir bis nach Deutschland gekommen), zu essen gibt’s nichts, dafür aber immer wieder Stewardessen, die mit Tüten vorbeilaufen und Müll einsammeln. Also – „domestic flights“ (inneramerikanische Flüge) haben mehr von angegammelten Busfahrten als von erhebenden „Globetrotter-Gefühlen“.
Erster Eindruck nach der Landung
Erster Kommentar von Ole (6) im Shuttlebus: „Die haben ja sogar Palmen hier.“ Paul meint: „Die Straßen sind hier total gebreitert“ – ja, alles noch eine Nummer größer als in NJ. Mein erster Eindruck: Hier ist komplett anderes Licht, alle Bäume sind zwar grün, aber wachsen nicht in den Himmel wie unsere in New Jersey. Homedepot und Starbucks sorgen für Heimatgefühle. Die gesonderten Parkplätze für „expectant mothers“ finde ich mal richtig klasse – die habe ich in Deutschland vermisst. Ich fand das immer unfair, dass ich mich als Hochschwangere nicht auf die Behindertenparkplätze stellen durfte – zieht euch doch mal eine Gasmaske auf, schnallt einen Bierkasten vor den Bauch und rennt durch die halbe Stadt!
Während Theo (9) hin und weg ist vom Hotelbüffet: „Boah, die haben ja alles hier, alle Sorten von Muffins …“, lässt sich Paul nicht täuschen: „Hier ist es nicht so schön wie in Amerika. Wie viele Tage noch bis zu meinem Geburtstag?“ Das wäre dann also geklärt.
Unsere Route
Von San Francisco bis San Diego (nahe an der mexikanischen Grenze) – über den legendären „Highway Number One“, eine der schönsten Küstenstraßen der Welt (so liest man).
Unsere Stationen
- San Francisco (Golden Gate Bridge, Alcatraz, Cable Car Fahrt)
- Monterey (Aquarium)
- Pismo Beach, Santa Barbara
- L. A.
- San Diego (Zoo).
Strecke
Gut 1.000 Kilometer in sechs Tagen (sollte zu schaffen sein).
Californian Highlights
1. Station: San Francisco – die steilste Straße der Welt: Marc hat beim seitlichen Einparken Angst, dass unser Auto umkippt: Man kriegt die Türen kaum auf bzw. kann sie kaum aufmachen, ohne das danebenstehende Auto zu demolieren. Die Kids sind begeistert, selbst im „drive“-Modus fährt unser Automatikauto rückwärts, wenn man kein Gas gibt! Fahrradfahren und Ballspielen fallen hier wohl flach, aber was macht man, wenn man einen Kinderwagen hat? Ein Besuch auf Alcatraz und eine Fahrt in der berühmten Cable Car fehlen natürlich auch nicht.
2. Station: Monterey. Der berühmte amerikanische Autor Steinbeck ist hier in der näheren Umgebung aufgewachsen. Das Städtchen Monterey, in der er für einige Zeit gewohnt hat, diente ihm als Vorlage für seinen Roman „Cannery Row – die Straße der Ölsardinen“, der in den 1920/30er Jahren spielt. Alle sind mächtig stolz darauf; auf den ersten Blick kann ich allerdings nur Souvenirshops entdecken, durch die sich die schwitzenden Reisenden (viele echt dick!) durchschieben. Während Marc die Kids im Aquarium domptiert, kaufe ich mir ein Exemplar des Romans und lese Steinbecks „Cannery Row“ unmittelbar an der historischen „Ölsardinenstraße“. Wer weiß, vielleicht bekommt man so einen authentischen Zugang zu diesem Ort? Und dann spricht mich tatsächlich ein älterer Herr mit weißem Anzug und Melone an (scheint wie aus einer anderen Welt zwischen den ganzen halbnackten Tourist/innen), fragt, was ich denn da lese und freut sich. Kurzer Smalltalk (er hat auch schon in New Jersey gelebt), „gentleman-like“ die Verabschiedung und dann ist er genauso schnell verschwunden, wie er gekommen war. Ich schaffe es sogar, das Buch im Laufe unserer Reise zu Ende zu lesen – war spannend und man kann sich besser in die Gegend einfühlen.
3. Station: Pismo Beach.
4. Station: Los Angeles. Wir landen völlig unbedarft am Tag der Oscar-Verleihung in der Metropole. Wir sehen viele total „aufgebrezelte“ (Marc) Frauen in Highheels und dünnen, kurzen Kleidchen. Auf dem „Walk of fame“ gibt es ein high five von Darth Wader, und dann finden wir den Stern des Mannes, der uns nun schon seit Monaten täglich begleitet: Dr. Seuss! – einer der bekanntesten Kinderbuchautoren in den USA
Mit goldenen Oscar-Imitaten in allen Größen geht’s nachmittags dann weiter bis zu unserer Endstation der Reise.
Endstation: San Diego Zoo: Wir sehen echte Pandas – Tim (8) ist hin und weg! Die Pandadame ist völlig unbeeindruckt von uns Zaungästen, probiert in aller Ruhe diverse Bambusstangen, bevor sie sich ganz gezielt für eine entscheidet und diese dann genussvoll seitlich wie eine Selleriestange knabbert. Den Geparden an der Hundeleine, der im Zoo „Gassi“ geführt wurde, fand ich allerdings befremdlich (die laufen in der Natur bis zu über 100 km/h!).
Ostküste vs Westküste
Die Westküste ist insgesamt viel wärmer als New Jersey (das ist erstmal wenig überraschend). Dafür ist San Francisco noch kälter und windiger, als wir dachten – dabei hatten uns ALLE vorgewarnt! Und: Kalifornien ist definitiv weiter als New Jersey im aktiven, gelebten Umweltschutz:
- Unsere Kinder zählen z. B. die Stadtbusse in San Francisco, die mit Stromabnehmer durch die Stadt fahren (zehn Prozent der Autos müssen hier „zero emission vehicles“ – also ohne CO2-Ausstoß – sein).
- Parkuhren funktionieren z. T. mit Photovoltaik.
- Es gibt gräuliches Umweltschutzpapier im Hotel.
- Zwei verschiedene Tasten bei der Toilettenspülung fürs kleine und große „Geschäft“.
- Das Kid´s Menue bei Burger King kommt im Pappkarton (und nicht wie sonst in aufgeschäumtem Kunststoff in New Jersey).
- Unsere Hotelseife hat ein Loch in der Mitte (spart Seife, ganz klar) – übrigens sind die meisten Seifen hier nicht als „antibakteriell“ gelabelt, sondern einfach nur Seife (ob die hier nicht ganz so hysterisch sind in Bezug auf „germs“?).
- Hunde laufen hier oft frei herum.
- Ich sehe ein etwa 8-jähriges Kind auf dem Trittbrett des Cable Cars mitfahren – würde ich in New Jersey bei dem dortigen Sicherheitstick nicht erwarten. Wie dem auch sei – auf den Karussells hier ist aber auch „Anschnallpflicht“.
Meine neuen Einsichten
In Morristown fühle ich inzwischen kaum noch einen Unterschied zwischen den Leuten dort und uns – aber jetzt, wo wir als Reisende unterwegs sind, sind mir die reisenden Amerikaner/innen (zumindest die, die wir sehen) definitiv fremder. Irgendwie bedienen viele das Klischee der typischen amerikanischen Tourist/innen: Turnschuhe, Kaugummi, kurze Hosen, viel nackte Haut, super viele Tattoos (ohne Tattoo ist die Ausnahme), viele fettleibig (aber das liegt sicherlich daran, dass wir eben auch die Sehenswürdigkeiten abklappern).
Zum Abgewöhnen finde ich die sogenannten „boardwalks“. Das sind hölzerne Wege ins Meer, auf denen neben Restaurants teilweise auch gigantische Achterbahnen installiert sind (da stehen die meisten Amis total drauf). Der boardwalk in Santa Barbara ist tatsächlich mit dem Auto befahrbar, damit der Weg zum Restaurant mit „ocean view“ nicht zu weit ist (die spinnen doch!).
Am Strand darunter ist ein symbolischer Friedhof mit tausenden weißen Kreuzen aufgebaut, um an die Opfer der Irak- und Afghanistankriege zu erinnern. Und auf dem Spielplatz daneben – endlich mal einer mit Sand! – ist Schuhe-Ausziehen verboten (???). Dazu superlaute Musik – Dauerberieselung – alle amerikanischen Reisenden fühlen sich sichtlich wohl. Jetzt verstehe ich auch, wieso sich einer unserer amerikanischen Gäste auf der Party beklagte, dass die Musik zu leise sei („You need loud music otherwise it is not a party“).
Mein Kalifornien-Fazit
Kalifornien hat sich dennoch gelohnt und wir haben wieder einen kleinen Stein unseres USA-Puzzles mitgenommen. Aber es war auch ein verdammt anstrengender Trip – das tägliche Ein- und Ausladen plus Schleppen des Gepäcks, viel Zeit im Auto, das mit sechs Leuten, Koffern, Proviant, Spielen und Müll immer proppevoll war.
Oles Standardfrage, fünf Minuten nach Abfahrt, danach in 20-Minuten-Intervallen: „Wie lange noch?“ Was für ein Glück, dass es Schneekugeln (snow globes) gibt, die wir an jeder Station als Souvenir kaufen: Sie lenken ihn wunderbar ab, er schüttelt sie unentwegt und betrachtet sie stundenlang. Ansonsten beruhigt er sich mit meinem Timer am Handy, der die noch vor uns liegende Fahrzeit runterzählt (na, da tut sich wenigstens was).
Wenig Übereinstimmung gibt es bei uns, was die musikalische Unterhaltung angeht. Marc liebt die Dire Straits, Tim hasst sie: „Mach die schreckliche Musik aus.“ Paul will „The Ants go marching“. Aber gut, wenn es die nicht gibt, beschäftigt er sich eben mit seinen Zahlen: “I´m counting to 1.000!“. Er will einfach seine Ruhe haben und fängt bei einer Ablenkung wieder von vorne an.
Selbst „Route One“ – die landschaftlich reizvolle, steile Küstenstraße – stößt auf wenig Gegenliebe bei den Kids. Für sie ist sie viel zu langweilig und zu lahm. Aber dann zieht ein Unwetter auf und wir fahren durch tiefliegende graue Wolken, bevor der Starkregen einsetzt. Und schon steigt die Stimmung im Auto senkrecht – jedenfalls auf den hinteren Plätzen. Und als wir bei Sonnenuntergang auf dem superbreiten Highway nach L. A. reinfahren, helfen nach einem Tumult zwischen Theo und Ole nur noch Nenas Schlaflieder zur Herstellung des allgemeinen Friedens. Marc krallt sich am Lenkrad fest, nimmt einen großen Schluck aus an seinem Quad-Venti-Latte und tritt aufs Gas; Theo und Tim beißen sich auf die Lippen, aber Ole und Paul lauschen andächtig und gucken selig aus dem Fenster …
Und wenn dann später abends alle Kinder im Auto eingeschlafen und ihre Köpfe zur Seite gekippt sind, dann schweigen Marc und ich und genießen einfach nur die Ruhe – wir wissen, dass die vier ihre Batterien gerade wieder aufladen und bald wieder „fully charged“ quietschfidel herumspringen. Also: jede Minute Ruhe auskosten!
Am Ende der Reise gibt es dann noch eine „Beinahe-Katastrophe“: Ole hat eine seiner geliebten Schneekugeln mit in sein Handgepäck genommen – durfte er aber nicht, weil zu viel Flüssigkeit drin ist. Ole war völlig aufgelöst, es gab viele Tränen, weil er sie nicht hergeben wollte. Wir hatten Glück im „Unglück“: Marc durfte mit seinem Fliegerstatus kostenfrei Extragepäck einchecken – also haben wir Oles kleinen roten Koffer als Gepäck aufgegeben – mit snow globe drin.
Zum Schluss noch ein überraschendes sprachliches Highlight – eins von diesen „Superwörtern“, die sich unfassbar deutsch anhören. Das Werbeplakat eines „whale watching-Bootes“ lockt mit dem Versprechen: „The whales are frolicking“ (die Wale „frohlocken“). Toll, und dann auch noch mit „ck“. Passt gut zu „snorkeling“ – schnorcheln und „abseiling“ – sich abseilen. Das hört sich so an, als hätte wieder eins unserer Kinder „Denglish“ gesprochen, aber es sind tatsächlich alles Worte, die die Leute hier benutzen!
Der nächste Urlaub wird definitiv kein Roadtrip – gelohnt hat es sich aber trotzdem.
PS: Hier geht’s weiter zum nächsten Monatsbrief. Viel Spaß beim Lesen!