Mein NYC-Marathon-Sommermärchen

Mein ganz persönliches Sommermärchen

Warum die Vorbereitung für den Marathon ein bisschen wie das Kinderkriegen ist. Wie sehr ich die grüne und unglaublich lebendige Oase Central Park im Großstadtdschungel genieße. Und wie es kommt, dass die Leute mich oft für eine Einheimische gehalten haben.

Der Marathon ist vorbei. Und ich bin am Sonntag bei strahlendem Sonnenschein quer durch alle fünf Stadtbezirke von New York gelaufen, mitten in einer bunten Welle aus Läufer/innen aus aller Welt. Leider ohne Fotoapparat, sonst könnte ich jetzt die Bilder in Ruhe angucken und alles noch einmal rekapitulieren.
Ich habe beim Nachtreffen am Dienstag meine Teamkolleg/innen auf meinem gelben Team-T-Shirt unterschreiben lassen und alle übrig gebliebenen Powerriegel und Energie-Gummibärchen an die Leute verschenkt, die das Laufen weiter intensiv betreiben wollen. Jetzt heißt es nur noch, Danksagungen an alle Sponsoren/innen zu schreiben, um sich ordentlich für die Unterstützung zu bedanken.

Marathon und Kinderkriegen, die dritte
Es ist Zeit für mich, gedanklich noch einmal an den Anfang der Reise zurückzukehren. Zu dem Moment, als sie uns eingeschworen haben auf die 26,2 Meilen: „You are a marathoner now … for many people it will be the hardest thing they´ll ever do in their lives … It´s a life changing journey for runners. If you can finish a marathon you can do anything.“

Ich bin noch zu nah dran, um das Ganze „abschließend zu betrachten“. Diesen Lauf auf dieselbe Ebene zu stellen wie einschneidende Erlebnisse wie „Kinder und Heiraten“ (so wie in der Einführungsveranstaltung im Juni gesagt wurde), kann ich mir nicht vorstellen, auch wenn es wirklich ein Hammer war.

Aber dennoch ist an meinen „Anfangs-Assoziationen“, dass ein Marathon schon Ähnlichkeit mit Schwangerschaft und Kind-bekommen hat, doch was dran:

  • großer Spannungsaufbau bis zum Tag X, d. h. die Zeit läuft in diesen Monaten rückwärts
  • die vielen kleinen Wehwehchen, wie z. B. schwere Beine und heiße „dicke“ Finger, müde Füße, Hüft- und Knieschmerzen, Atemnot
  • Solidarität unter den ganzen „first timers“ – man hat sich immer etwas zu erzählen
  • viele Fragen und viele Tipps, aber am Ende müssen alle selber ihre Erfahrungen machen
  • großes Interesse der Außenwelt und immer ein sehr dankbares Thema für spontane Unterhaltungen, auch mit Wildfremden
  • man bekommt sehnsüchtige Blicke von denen, die es schon hinter sich haben
  • die Erleichterung ist groß, wenn es geschafft ist
  • die neugierige Frage der anderen hinterher: „Und – wie lange hat es gedauert?“

Einige gravierende Unterschiede gibt es aber doch: Ein Marathon ist am Ende (fast) reine Kopfarbeit (Ignorieren des Körpers, der nach Aufhören schreit), während es beim Kinderkriegen genau umgekehrt ist (Kopf abschalten, der nur im Weg ist). Außerdem ist bei einem Marathon hinterher „alles vorbei“, während es beim Kinderkriegen dann erst richtig losgeht und nie wieder aufhört (was man aber beim ersten Kind noch nicht so richtig vorher weiß 😉 .

Und auch, wenn es kein neues Kind nach diesem Marathon gibt, so bleibt doch viel mehr als die Medaille, die im Moment zuhause an unserer Pinnwand in der Küche hängt: Das ganze „Drum und Dran“ und die monatelange Vorbereitung waren ein spannendes Abenteuer, das ich nicht vergessen werde und das immer eng mit meiner USA-Erfahrung verbunden sein wird.

 

Meine Marathon-Highlights:

  • die regelmäßigen langen Läufe früh am Sonntagmorgen, wenn der Rest der Welt noch schlief
  • die „Team Socials“, wenn wir nach dem Training noch in New York etwas essen gegangen sind (ich weder als Touri noch als Mama, einfach inkognito unter Gleichgesinnten)
  • die Übernachtung (vor einem Lauf) in einem kleinen Apartment bei meiner Laufkollegin Gigi in Brooklyn in Bayridge, die einen komplett anderen Hintergrund und ein grundverschiedenes Leben führt als ich, die wie eine besengte Sau in ihrem Auto durch New York City saust (mit mir auf dem Beifahrersitz und immer am Hupen „I had to warn him“) und die mir Nachhilfe in karibischer „Frauenpower“ gibt (wieso sollte man bitteschön heiraten, wenn man hinterher den Mann eh irgendwann rausschmeißt und dann nur Stress mit der Scheidung hat?). Sie bekommt einen Lachkrampf, als ich ihr erzähle, wie lange Marc und ich schon ein Paar sind: „Oh, that´s so horrible!“. Außerdem weiß ich jetzt, dass die Frauen auf St. Vincent tatsächlich Guinness mit Milch gemischt trinken – quasi das karibische Äquivalent zu Radler/Spezi in Europa
  • der „familienfreie“ Mittwochnachmittag, an dem ich stets zuverlässig um 16 Uhr aus dem Haus kann
  • die Fahrt zu den Tempoläufen im Central Park mit dem „New York-Zug“ (den ich so oft mit Ole (6) und Paul (4) nach der preschool angeguckt habe)
  • die Subway bis zur Station „Museum of National History“, wo Dino-Mosaike die U-Bahn-Wände schmücken
  • der Weg zurück, wenn ich platt, müde, aber tiefenentspannt und in trockenen Klamotten Mühe hatte, meinen Bahnhof nicht zu verpassen und in ein schlafendes, ruhiges Haus zurückkehren durfte („Kinder, die Mama kommt von ihrem kleinen Abenteuer und ist wieder frisch für eine weitere Runde „Familienchaos“!)
  • die Umzieherei und „Katzenwäsche“ mit Feuchttüchern auf diversen Toiletten im Central Park und in der Penn Station – egal wie klein oder ekelig es war
  • so früh morgens in NYC unterwegs zu sein, dass man müden Nachtgestalten, die auf dem Heimweg sind, beim Weg zu einem Training über den Weg läuft
  • dabei zu sein, wenn die Stadt Luft holt und Pause macht
  • mal ein Kompliment der ganz anderen Art zu bekommen: „You are a real trooper!“, so nennt mich eine Trainerin, mit der ich mich über Familie und Kinder unterhalte und der ich erzähle, dass das Training Entspannung für mich ist
  • die verzweifelte Suche um fünf Uhr morgens nach einer geöffneten Toilette am Central Park und die Freude, wenn man dann ein geöffnetes Starbucks am Columbus Circle findet, wo die anderen Läufer/innen schon Schlange stehen

Und dann ist da natürlich der Central Park
Die besondere Stimmung dieses Parks, der mitten im Großstadtdschungel liegt wie eine Oase, kann ich nur empfehlen. Da sind die unzähligen Laufrunden unserer Gruppe beim Schnelligkeitstraining, das Abzählen der Laternen (eine Runde schnell, halbe Runde langsam, oder vier Laternen super schnell, zwei Laternen langsam traben etc.) und die Schinderei die Berge rauf, egal welche Uhrzeit oder Temperatur, egal, ob wir wegen Starkregen gerade alle wegschwimmen oder in der Sommerhitze explodieren. Dazu gibt’s diese „atemberaubenden“ Perspektiven auf die umliegenden Wolkenkratzer gratis (oft ging gerade die Sonne unter, die Kulisse war einfach spektakulär, aber zum Fotografieren hatte ich da ja leider keine Zeit – gibt eh’ nur verwackelte Bilder, aber manchmal kann ich es mir nicht verkneifen), der Pferdegeruch am südlichen Ende des Parks (der mir immer verraten hat, wo ich war), die frühabendlichen Baseballspiele von kunterbunten Mannschaften. Einmal bekommen wir eine Oper gratis geboten, die irgendwo in der Nähe stattfindet, ein anderes Mal laufen wir Sonntagsmorgens in aller Herrgottsfrühe an einem Jungen mit Dudelsack vorbei, der wohl mit Papa übt, sehen Kleinkinderfußball mit verzückten Eltern und werden von richtig fitten Läufern überholt, die mit Papierhüten und Luftballons („Birthday Boy“) durch den Park sprinten.

 

Ein „ganz anderer Schnack“
Das war eben mal etwas komplett anderes als das, was sonst bei mir auf dem „Kinder-und-Haushalt-Programm“ steht: Mal auf sich selbst gestellt zu sein und unbeschwert und ohne Konsequenzen eine Sache mit hoher Intensität zu verfolgen, die einfach federleicht wiegt im Vergleich zum Alltag – das tat schon gut.

Übrigens kenne ich jetzt auch den Trick, wie einen die Leute für eine „local“ (Einheimische) halten – einfach verschwitzt in Laufklamotten in die Subway steigen: Immer wieder wurde ich von Leuten, sogar Amerikaner/innen nach dem Weg gefragt (und konnte sogar mehr als einmal helfen 🙂 ).

 

Und wenn mich demnächst die Sehnsucht packen sollte, dann zieh ich mir Laufklamotten an und kann mich blitzschnell mit meinen „Laufhymnen“ von Rihanna, Timbaland und Co. wieder in den Central Park beamen. Einfach loslaufen – meine Beine werden sich erinnern und ich mich auch.

Aber ich will auch nicht nur nach hinten gucken. Ich möchte in den nächsten Monaten als volunteer helfen, vielleicht mit Kindern trainieren, die von dem Programm des Team for Kids profitieren oder als „race-buddy“ Jugendliche bei ihren ersten Rennen betreuen. Mal gucken, was da so möglich sein wird. Ich bin gespannt.