Aufruhr in der Nachbarschaft um den bus stop: Vorweg: Unsere Nachbarsfamilien sind alle sehr nett und wir kommen gut mit ihnen klar soweit. Aber sie ticken eben manchmal doch anders als wir: Der neue Schulbusfahrer ist ein etwas komischer Kauz und beharrte darauf, nicht dort zu halten, wo wir mit den anderen Leuten gemeinsam warteten, sondern etwa 50 m die Straße hoch, in Richtung unseres Hauses. So stand das angeblich in seiner Anweisung, und viele Amerikaner/innen sind ja sehr law-abiding. Daraufhin brach ein Entrüstungssturm unter unseren Nachbarsfamilien aus, denn alle wohnen am anderen Ende der Straße und mussten diese Entfernung jetzt noch zusätzlich gehen (es geht um ca. eine Minute zu Fuß, ca. 50 Meter!). Sie schrieben mehrfach Briefe an das Transport-Unternehmen, wir wurden telefonisch befragt, ob wir etwas dagegen hätten, wenn der bus stop wieder zurückverlegt würde, und dann, nach fast vier Wochen Hin und Her überbrachte einer unserer Nachbarn eines Morgens strahlend die Nachricht: „Tomorrow is the big day“ – der Bus hielt jetzt wieder an der alten Stelle. Jetzt hat alles wieder seine Ordnung und alle sind zufrieden – ich übrigens auch, denn ich bin froh, wenn unsere Kids morgens genau diese 50 Meter mehr laufen dürfen. Ich will, dass sie später nie auf die Idee kommen, das zu machen, was unsere Nachbarin Deborah (zwei Häuser neben uns) gemacht hat – sie ist mit dem Auto zu unserer Einweihungsparty im Februar gekommen!
Schöne Hände und Füße
Drei Generationen bei der Maniküre und Pediküre: Das Mädchen war nicht älter als sechs oder sieben Jahre und zeigte anschließend den anderen ganz stolz seine schicken Nägel, die Oma platzte ebenfalls vor Stolz. Was für ein Glück, dass wir nur Jungs haben!
Ungewöhnlicher Schilderwald
Ich habe wieder soooo viele Schilder entdeckt … Aber versprochen, es ist das letzte Mal, dass ich mich darüber auslasse … Ich finde nur immer wieder neue auffällige Exemplare, die sich doch von den deutschen Pendants deutlich unterscheiden. Klare Ansage der Konsequenzen: Bei vielen Schildern bekommt man direkt klipp und klar gesagt, was einem blüht, wenn man sich nicht dran hält. Ist doch gar nicht schlecht und bestimmt effektiver als die deutschen Pendants, oder? Aber auf der anderen Seite muss man sich hier durch mehr Informationen wühlen, um nicht die Hauptaussage zu verpassen. Was ist wohl effektiver? Einfach reicht oft nicht – es wird verstärkt mit „unexceptionably“, „absolutely“ oder auch durch die Wiederholung bzw. Darstellung einer Regel auf diverse Arten. Das ist beim Autofahren manchmal ganz schön verwirrend, weil die Straßenränder oft gepflastert sind von Schildern, die eigentlich überflüssig sind (in meinen Augen). Die Krönung habe ich bei uns in Madison (Nachbarort) gefunden: Linksabbiegeverbot: direkt sechs Mal als Bild und noch drei Mal „No left turn“ (die Leute biegen dort übrigens immer noch links ab).
„Kunterbuntes“ Multi-Kulti Morristown
Von „bunt“ gemischten Schulklassen und vom Bild der amerikanischen Gesellschaft als Schmelztiegel und Salatschüssel. Von Amerikaner/innen, die auch Deutsch sprechen – und außerdem Französisch, Spanisch und Vietnamesisch. Von der beeindruckenden Tatsache, dass es in Morristown 35 Kirchen für 19.000 Einwohner/innen gibt. Und wo die amerikanische Flagge überall präsent ist. Als ein absolutes Highlight erlebe ich die „bunte“ Mischung von Menschen, die hier zusammenleben und gemeinsam die amerikanische Gesellschaft bilden – jedenfalls bei uns in Morristown. Deutsch, Amerikanisch, Russisch, Finnisch und mehr Theo (8) geht zu einer öffentlichen Grundschule hier in Morristown. Mit einigen Klassenkameraden ist er näher befreundet: Eric ist halb Deutscher, halb Amerikaner. Theo und Eric kommen gut miteinander aus. Sein Freund Samuel ist aus Russland adoptiert, lebt jetzt in einer jüdischen Familie und feiert eben kein Weihnachten, sondern Hanukkah. Rachel ist ebenfalls Jüdin und geht jeden Sonntag in die „Hebrew School“. Ansonsten kennt Theo noch vom letzten Schuljahr Mikka, einen Finnen, und Max, einen deutschen Jungen. Das sind seine beiden besten Freunde hier. Dazu kommen noch einige Kinder mit hispanischen Eltern und einige junge Afro-Amerikaner/innen. Das Klassenfoto, das Theo dieses Schuljahr mit nach Hause gebracht hat, ist daher richtig „bunt“. Vom Schmelztiegel zur Salatschüssel Wie ihr wisst, sind die USA ein Einwanderungsland und die Gesellschaft besteht aus Leuten ganz verschiedener Herkunft, Religion, Hautfarbe, Sprache und kultureller Tradition. Etwa 61 Prozent der Bevölkerung sind im Moment weiß, 18 Prozent lateinamerikanisch, 13 Prozent afroamerikanisch, 6 Prozent asiatisch und 1 Prozent indigen (also Native Americans oder Native People). Viele von ihnen können einem ganz genau Auskunft geben, wann und woher Vater und Mutter, Großtante oder Urgroßvater nach Amerika gekommen sind. Eine meiner Schülerinnen an der deutschen Schule erzählte mir, dass einer ihrer Vorfahren im Jahr 1776 die Declaration of Independence mitunterschrieben habe. Wer weiß – vielleicht stimmt das sogar…. Aus meinem Englisch-Oberstufenunterricht kenne ich nur allzu gut die beiden Metaphern, die für die amerikanische Bevölkerung benutzt wurden bzw. werden. Früher wurde das Bild des Schmelztiegels (melting pot) benutzt, der die Idee veranschaulichte, dass es zu einer Assimilierung und Integration von Einwander/innen in die Kultur des Landes kommt und dass …
Alles neu macht der … September!
Im September werden hier die Uhren wieder auf Null gedreht – alles einmal kräftig durchschütteln (das Gefühl habe ich jedenfalls). Die Leute sind aus ihren Sommerhäusern zurück, die Hitze ist erträglich geworden und am 6. September ist Labor Day (Feiertag, immer der erste Montag im September), der das offizielle Ende des Sommers einläutet – alles danach gehört eben nicht mehr in den „summer“. Die Leute reden jetzt von dieser Jahreszeit schon in der Vergangenheit – „In the summer we went…“ – auch wenn sie gleichzeitig bei ziemlicher Hitze in knappen Klamotten herumlaufen – etwas verrückt. Jetzt beginnt hier ein neues Jahr: Es gibt etliche Kalender, die den September als ersten Monat haben – und das nicht nur in den Kalendern für Lehrkräfte wie bei uns in Deutschland.
Schule upside down
Am Tag nach Labor Day geht nach elf Wochen Pause die Schule wieder los. Andere Bundesstaaten starten schon früher, aber hier ist es traditionell immer dieser Tag. Irgendwie wechselt viel mehr zum Schuljahresanfang als bei uns. In der Schule werden alle Klassen einer Jahrgangsstufe jedes Jahr komplett durchgemischt, stets gibt es dann eine neue Lehrerin oder einen neuen Lehrer. Während in Deutschland so etwas undenkbar wäre und Entsetzen bei den Schüler/innen und Eltern auslösen würde, schlagen hier die Mütter die Hände über dem Kopf zusammen, wenn ich erzähle, dass man in Deutschland mindestens zwei bis drei Jahre Kontinuität anstrebt. Ihr Argument: „Oh, that’s horrible. Then you are stuck with a bad teacher for more than one year.“ Ja, klingt ja auch irgendwie einleuchtend. Auf jeden Fall bekommen die Kids hier jedes Jahr in einer neuen Klasse eine neue Chance (sowohl, was Lehrer/innen als auch, was Mitschüler/innen angeht) und kennen nach vier bis fünf Jahren so ziemlich alle Kinder in ihrer Jahrgangsstufe – auch nicht schlecht. Für Theo und Tim ist das jedenfalls die Chance, das Image des „Fremdlings“ (anders angezogen, kein Wort Englisch sprechend) loszuwerden und in einer neuen Klasse neu zu starten. Auch was Sportkurse und sonstige freizeitliche Aktivitäten angeht, muss man jetzt wieder auf die Suche gehen. Hier dauern die meisten Angebote nur zwischen vier und acht Wochen, danach steht man wieder ohne da – das nervt mich ziemlich.
Hauptsache flexibel
In Oles (5) und Pauls (3) preschool sind zwar die Hauptlehrerinnen geblieben, aber auch dort haben die Musiklehrerin und die Spanischlehrerin wieder gewechselt. Wo sind bloß die anderen geblieben? frage ich mich. Vieles scheint hier von vornherein auf kürzere Zeitspannen angelegt zu sein. Die Kinder lernen jedenfalls schon von klein auf, flexibel zu bleiben und sich auf wechselnde Situationen einzustellen. Vielleicht sind einige Leute aber auch manchmal daher so kurzatmig und zeigen wenig Bereitschaft durchzuhalten/zu bleiben, wenn mal eine Situation etwas schwieriger ist – wie z. B. unsere Nannys Jane und Duaa oder auch die Leute bei Marc im Büro, die schon nach kurzer Zeit unvermittelt kündigten. Da muss man aufpassen, den Mund aufzumachen, denn sonst sieht man sie nur noch von hinten …
Langfristig ist deutsch
In Deutschland sind wir viel mehr auf langjährige, zumindest langfristige Gruppierungen eingestellt – in Sportvereinen, der Grundschule (am besten vier Jahre mit einer einzigen Lehrerin bzw. einem einzigen Lehrer), und ich hatte auf dem Gymnasium sogar sechs Jahre denselben Klassenlehrer. So etwas löst bei den Müttern hier Fassungslosigkeit und Ungläubigkeit aus, gepaart mit Schrecken und Grauen – und ich muss zugeben, dass sie ja auch ein valides Argument haben: jahrelanges Leiden bei schlechter Lehrerin bzw. schlechtem Lehrer. Eine der wenigen langjährigen Konstellationen, die ich bis jetzt entdecken konnte und mit denen die Kids hier klarkommen müssen, sind die Schulbusse. Denn da wechselt gar nichts über die Jahre – außer jemand zieht um. Und da es auch keine unterschiedlichen Schultypen gibt – mit der Ausnahme von Privatschulen – wird man die Nachbarskinder für die nächsten zwölf Jahre nicht mehr los. Ausnahme bilden da der Bus und der Busfahrer: Wir haben einen neuen und da gab es direkt dicken Ärger – dazu später mehr.
Nun zu mir
Mir geht es auch gut – ich freue mich im Moment einfach darüber, dass es Ole so viel besser geht und dass auch die anderen Kids zufrieden sind – da komme ich im Moment mit den kleinen Rückzugsräumen für mich gut aus. Die Aachener Hochschulfitness aus der Konserve (aufgezeichnet auf DVD) funktioniert auch in unserem Keller gut. In meinem neuen Job an der Deutschen Schule von Morris County habe ich schon eine Menge darüber gelernt, inwiefern sich deutsche Schulen in den USA von deutschen Schulen in Deutschland unterscheiden (auch wenn wir eine deutsche Schulleiterin haben und Deutsch das einzige Unterrichtsfach ist). Meine erste Lehrerkonferenz vor Unterrichtsbeginn lief so ab: Die Schulleiterin stellt sich vor und macht dann sofort etwas unmissverständlich klar (vor allem in Richtung der neuen Lehrerinnen): „Ihr habt bei den Unterrichtssthemen ziemlich freie Hand (kein fester Lehrplan für die unteren Klassen), aber no sex, no politics, no religion – da verbrennt ihr euch nur die Finger. Die Eltern hier sind anders als die Eltern in Deutschland. “ Entsprechende Seiten in unseren Deutschbüchern (von deutschen Verlagen) sind zu überspringen – das kann nur schiefgehen.
Sehnsucht nach Tafel und Kreide
Ich vermisse allerdings „richtige Tafeln“ und Kreide! Hier gibt es nur sogenannte „dry-eraser-pens“ (trocken-abwischbare Stifte, Riesensauerei), die auf weißen Kunststofftafeln schreiben. Außerdem hat man überall dunklen Teppichboden, die Kids sitzen an Einzelpulten (es gibt keine Zweier-Bänke), überall läuft die Klimaanlage (und das oft störend laut). Die Fenster sind zum Hochschieben (wie in vielen Filmen) und klemmen allesamt. Aber das sind Kleinigkeiten, die meine Freude, endlich wieder unterrichten zu können, nicht wirklich trüben. Alle Wände in meinem Klassenraum sind übrigens voll mit „klugen Sprüchen“ (Amerikaner/innen haben eine Schwäche für gute Sprüche, wie mir scheint), die sicherlich bis ans Lebensende reichen. Ich unterrichte im Moment genau unter einem Spruch von Otto von Bismarck: „The nation that has the schools, has the future.“ Das Einzige, was mich richtig nervt, sind die elektrischen Bleistiftspitzer, die es in allen Klassenräumen gibt. Wenn also ein Kind den Bleistift (anscheinend das Lieblingsschreibgerät der meisten) spitzen will, dann steht es einfach auf, geht nach hinten, und dann heult die Maschine auf (und alle Konzentration ist weg). „Hand“-Spitzer habe ich noch bei keinem gesehen. Übrigens kommt man auf einmal in ein Dilemma, weil man wieder in offiziellen Zusammenhängen mit deutschen Familien zu tun hat: „Du“ oder „Sie“? Aber klar, das englische „you“, was man mit den Eltern austauscht, entspricht eben in diesem Zusammenhang dem deutschen „Sie“ – da muss man blitzschnell schalten, wenn man gemischte Elternpaare vor sich hat und zwischen den Sprachen hin- und herwechselt. Aber es klingt auf einmal wieder ungewöhnlich formell, nachdem man monatelang das „you“ und den Vornamen für Leute wählt, die einem wildfremd sind.