Britta bat mich, auch etwas zum Thema Vertragswesen zu schreiben (Juristen mögen mir die laienhafte Darstellung verzeihen): Anders als in Deutschland, wo die Eckpfeiler des Rechts in den Gesetzestexten absolut festgeschrieben werden, wird hier im Angelsächsischen vieles auf vorangegangene Rechtsprechungen zurückgeführt (Präzedenzfälle). Um in diesem Chaos für Ordnung zu sorgen, werden in den Verträgen extrem viele Details explizit geregelt. Als Konsequenz sind die Verträge oft sehr lang und ausführlich (40+ Seiten für einen einfachen Dienstleistungsvertrag sind keine Seltenheit, wobei die längsten Passagen den Themen Haftung und Haftungsfreistellung sowie Schadensersatz und geistiges Eigentum (IPR – internationales Privatrecht) gewidmet sind. Das führt dann auch dazu, dass man beim einfachen Mieten eines Kanus auf dem Delaware River an ca. zehn Stellen seine Initialen auf den Vertrag setzen muss, bevor man dann unten vollständig unterschreibt. Auf diese Weise gehen sie auf Nummer sicher, dass man bestimmte Passagen zur Kenntnis genommen hat und den Veranstalter nicht verklagen kann. Diese Angst vor Haftung sorgt auch dafür, dass die Betreuerinnen in der preschool NIE alleine mit den Kindern auf der Toilette sein dürfen, denn im Falle einer Klage wegen „sexual harassment“ stünde Aussage gegen Aussage. Ich habe da gerade selbst erste Erfahrungen mit dem US-Recht machen dürfen („In the US, anybody can sue anybody on anything“), doch auch dazu mehr im Oktoberbrief.
Neu an Bord: Morena
Ich kann es selbst kaum glauben, aber wir haben tatsächlich ein Au-pair (unerlaubterweise, da wir weder American citizens noch permanent residents sind). Wir haben in der Bewerbung als Gastfamilie einfach ein Kreuz bei permanent residents gemacht und sind glücklich durchgeschlüpft durch das sonst doch so feine Netz aus Gesetzen, Regeln und Kontrollen hier. Und bleiben hoffentlich unentdeckt 🙂 . Ihr Name: Morena, 23, aus Brasilien. Morena hat uns auf Anhieb beim Auswahlverfahren sehr gut gefallen. Sie ist sehr kommunikativ, herrlich unamerikanisch und hat in Brasilia am College unterrichtet. In den ersten Wochen kam schnell heraus, dass sie keinerlei Erfahrung im Haushalt hat (privilegiertes Leben mit Hausangestellen bisher, räumte in der Spülmaschine alle Gläser verkehrt herum ein und fühlte mit der Gabel, ob denn die Eier im Wasserbad bald gut wären), aber sie scheint bereit zu sein, sich reinzuknien – darauf kommt es an. Auch mit den Kindern kommt sie ganz gut klar – Ole und Paul haben ihr schon beigebracht, wie man Kuchen backt. Obwohl sie noch einige Übungsstunden im Autofahren braucht und wir sie bisher nicht alleine mit den Kids fahren lassen, ist sie eine große Hilfe und bringt definitiv mehr Ruhe in unser Alltagsleben. Und Marc und ich lernen auch wieder etwas dazu: Am Wochenende ist Morena meist perfekt gestylt auf Partys unterwegs und föhnt sich vorher ZWEI Stunden die Haare (wusstet ihr, dass das geht?) – so ab der 90. Minute fliegt wegen Überhitzung des Föns alle fünf Minuten die Sicherung heraus. Aber gemach – ich bin zuversichtlich, dass es diesmal gutgeht (unser dritter Versuch in Sachen Nanny).
Die September-Tops :-)
Multi-Kulti Es ist einfach unglaublich erfrischend zu sehen, wie viele verschiedene Kulturen hier miteinander und nebeneinander leben. Die Metapher der „salad bowl“, die die amerikanische Gesellschaft mit einer Salatschüssel vergleicht, macht Sinn: Es gibt ganz viele verschiedene „Gemüsesorten“, die als solche auch noch gut zu erkennen und zu unterscheiden sind (die verschiedenen Kulturen), die aber dennoch gemeinsam etwas Neues bilden, nämlich den „Salat“ (die amerikanische Gesellschaft). Unsere Jungs spielen nach der Schule oft auf dem Spielplatz vor der Schule und das bunte Treiben dieser „ganz gemischten Kindertruppe“ ist toll anzuschauen. Ich habe in der ganzen Zeit noch nie das Gefühl gehabt, ausgeschlossen zu werden, weil wir aus Deutschland kommen. Es hat noch niemand das Gesicht verzogen, wenn wir mit Akzent reden und es gab keine einzige offene Anfeindung.
Bullauge willkommen
Ich bin sie los – unsere Zombie-Waschmaschine. Unsere neue Waschmaschine hat das Bullauge vorn, kennt zwar auch keine Gradeinstellungen, aber sie schleudert ordentlich, hat ein Fusselsieb, und sogar ein Programm mit „very hot“, mit dem ich mir einmal schon die Wäsche verfärbt habe (und ich habe mich darüber gefreut). Endlich!
Die Bahn
Ich „gucke“ jeden Tag „Züge“ mit unseren beiden Eisenbahnfans Ole und Paul – die nach New York, die direkt hinter der preschool vorbeifahren. Witzige Situation: Am zweiten Tag nach unserer Rückkehr sitzen wir drei auf einer Bank im Bahnhof und machen Picknick. Noch ziemlich müde vom Jetlag bin ich einen Moment eingenickt und werde von lautem Rufen plötzlich geweckt. Es ist tatsächlich der Lokführer des New York-Zuges, der seinen Kopf aus der Riesenmaschine steckt und mir zuruft, ob wir nicht auch noch einsteigen wollen. „Thanks for asking, but no …“ Das ist doch mal wirklich aufmerksam, oder? Mit der Bahn hatten wir auch schon vorher gute Erfahrungen gemacht – sie haben mich mit den Kids zweimal umsonst fahren lassen, und als wir einmal vom „falschen“ Gleis „Züge geguckt“ haben, wurden wir in kürzester Zeit von verschiedenen Passant/innen darauf aufmerksam gemacht, dass heute die Züge vom anderen Gleis abführen (wegen einer Baustelle). Sie dachten eben auch, dass wir mitfahren wollten und wollten uns rechtzeitig informieren – ist das nicht einfach super nett?
Die September-Flops :-(
Erster Flop ist der Paperwork-Frust. Die spinnen, die Amerikaner/innen: Zu Beginn eines neuen Schuljahres müssen Eltern hier etliche Formulare ausfüllen, auch wenn wir genau dieselben schon vor acht Monaten ausgefüllt haben und sich einfach die allermeisten Dinge nicht geändert haben (wie z. B. Adresse, Telefonnummern etc). Bei vier Kindern kostet uns diese Ausfüllarbeit mindestens zwei Abende und mich ziemlich viele Nerven: Das Beste sind die Formulare, auf denen man drei Mal unterschreiben muss, nämlich so ungefähr nach jedem Satz. Hier eine kurze Liste von den Papieren, die wir für Theo und Tim ausfüllen mussten (oft mehrere Seiten pro Punkt und z. T. auch mit der Unterschrift der Kids): Direct Donation Drive Morris School District Emergency Card Student Health Questionnaire MSD user agreement of understanding Transportation Department Universal Sign-off form Internet Use Policy Transportation Rules Photo Permission Form Character Code Annual Integrated Pest Management Notice … Puh! Marc liegt immer noch mit der preschool von Ole und Paul im Clinch, weil die wollen, dass wir wieder mit den Kids zum Arzt gehen und 400 Dollar dafür ausgegeben. Und das nur, um das gleiche Formular (Universal Health Child Record) von Ole noch mal ausfüllen zu lassen (klar, mit leicht anderem Körpergewicht und Größe). Da wird man ganz schnell zum Querulanten abgestempelt, obwohl man nur seinen Menschenverstand benutzt. In dieser Hinsicht ist Deutschland ein Paradies: Eine Unterschrift reicht da für drei Jahre (Kita) oder sogar vier Jahre (Grundschule) – purer Luxus.
Der „Spiel-Zwinger“
Unsere preschool ist in ein neues Gebäude umgezogen. Enttäuschend ist der Spielplatz, der immer noch eher ein Zwinger ist als ein Außengelände. Der Parkplatz ist dagegen wieder gigantisch groß (bloß keinen Meter zu weit laufen!). Macht euch auf dem Foto selbst ein Bild vom neuen „playroom“ der preschool (als Alternative zum Rausgehen bei „schlechtem“ Wetter, d. h. wenn mal ein Wölkchen am Himmel zu sehen ist!). Der neue Spielraum ist kalt und wenig einladend. Die Kids, die sich endlich bewegen wollen, dürfen im hinteren kleineren Teil laufen (auf vielleicht 16 Quadratmetern), die anderen spielen davor auf dem Boden. Das rote Spielelement darf übrigens nur bekrabbelt werden, sich darauf zu stellen ist verboten (zu gefährlich!). Der Aufkleber auf einem SUV einer Mutter unserer preschool: „America was founded by right-winged extremists“ – da muss ich gleich an die tea party denken, die auch schon zweimal hier in Morristown war und gleich die ganze Stadt lahmgelegt hat mit Hetztiraden gegen Obama …
Alptraum
Unser Bett bzw. die Matratze hier ist ein Alptraum – kein Wunder, wenn eine 30 cm dicke Matratze auf einem Sperrholzkasten liegt (ist hier so). Ich will mein deutsches Bett, aber wie kriege ich das hier hin? So lange versuche ich es mit einem Bett von IKEA mit einer extra harten Matratze und einem europäischen Lattenrost.
Culture clash
Verboten! Verboten! Verboten! Schon fast ein alter Hut, die allgegenwärtigen Gebote und Verbote – aber immer wieder erwischen sie mich auf dem falschen Fuß. Als ich Theo das erste Mal von seiner neuen Schule abhole, bleibe ich zuerst mal stehen und lese mir alle Verbotsschilder durch. Ich bin unsicher, ob ich vielleicht nicht doch unautorisiert bin und dann gleich abgeführt werde. Mein persönlicher Favorit: No horseback riding. Das muss wohl historische Gründe haben, oder? Ein ähnliches Schild steht hier übrigens auch bei einer Auffahrt auf den Highway mitten in Morristown: No pedestrians, no bicycles, no horses.
Bitte ans Pferd schnallen
Besuch im Zoo: ein klassisches Karussell mit Tieren, die sich auf- und abbewegen (auf Englisch sehr anschaulich merry-go-around genannt). Ich setze Ole und Paul gerade auf zwei Tiere, als ich von der Seite böse aufgefordert werde, die Kids doch bitteschön anzuschnallen! Ich bin perplex, die Frau redet weiter auf mich ein, bis ich sehe, dass es tatsächlich Anschnallgurte an den Tieren gibt. Artig schnalle ich Ole an, für Paul bleibt keine Zeit. Das Beste ist ein Vater, der auf einem Tier sitzt und sich ebenfalls angeschnallt hat – ich bin platt! Paul hat die ganze Geschichte ohne mich und ohne Anschnallen überstanden.