Über unsere Heimreise von XL nach S und das luxuriöseste Ferienhaus der Welt. Vom Dämpfer, der unser Expat-Projekt zum Wackeln brachte, vom „Männerurlaub“ in Morristown und der Vorfreude auf die Rückkehr in unsere zweite Heimat. Als wir Anfang Juli hier in Deutschland ankamen, war Hochsommer und alle Welt im Fußball-WM-Fieber. Jetzt, zwei Monate später, fallen schon die ersten bunten Blätter von den Bäumen und die Schule hat in NRW bereits wieder angefangen.
Vertraut und fremd
Bei unserer Ankunft in Deutschland waren wir überrascht: Nach sechs Monaten US-Kultur fühlt sich die Heimat auf einmal anders an – eine Kombination aus vertraut und fremd. Besonders in den ersten Tagen kann man rein gar nichts machen, ohne dass einem die Unterschiede nicht auffallen würden. Deutschland punktet in vielen, aber auch nicht in allen Bereichen. Abgesehen von den kulturellen Überraschungen war unser Sommer eine verrückte Mischung: unbeschwerte Momente im luxuriösesten Ferienhaus, das wir je hatten (nämlich unserem eigenen – unsere „Untermieter“ hatten sich für diese Wochen verzogen). viele schöne Erlebnisse mit Freunden und Familie vier Wochen ohne Theo (8) und Tim (6), da sie schon nach einem Monat Deutschland mit Marc nach NJ zurückgeflogen sind. sieben Wochen ohne Marc (der musste ja in New Jersey arbeiten) über 20 Arztbesuche (viele aufgesparte Vorsorgetermine) einige Dämpfer und eine Hammernachricht, die wir erst noch verdauen müssen… Im Moment steht unser Leben jedenfalls – mal wieder – ziemlich Kopf, und es stand auf Messers Schneide, ob wir unseren Aufenthalt in Morristown überhaupt weiter fortsetzen oder ob ich mit den Kindern in Deutschland bleibe. Sollte mich nächste Woche eine Nachbarin in der Carton Road bei unserer Rückkehr auf der Straße fragen: „How was your summer?“ werde ich wohl gutgelaunt erwidern: „Good – very good! … How was yours?“ und dann werden wir weiter über das plaudern, was so in unserer Carton Road und Morristown passiert ist. Das finde ich auch völlig in Ordnung. Für euch gibt es jetzt die deutsche Version.
Heimaturlaub
Der Flug ist überraschend unkompliziert: Theo (8) und Tim (6) spielen die ganze Zeit mit einem Lufthansa-Kartenspiel, Paul (3) guckt exzessiv Kinderfilme und Ole (5) ist auch recht pflegeleicht. Ich kann mein Glück kaum fassen und schaffe es tatsächlich, einen Film zu gucken – mit Unterbrechungen, aber bis zum Ende! Der erste Eindruck, nachdem wir wieder auf deutschem Boden stehen: „Alles viel kleiner, aber solider“ – wir reisen von XL nach S sozusagen. Nach einem halben Jahr aufgesogener US-Dimensionen kann ich die Amerikaner/innen, die das erste Mal ihr Land verlassen und Europa „niedlich“ finden, schon fast verstehen. Die kleinen Platten der Bürgersteige fallen uns direkt auf – in Morristown liegen auf den „sidewalks“ quadratmetergroße Waschbetonplatten. Beim Kauf der Frühstücksbrötchen in der Flughafenbäckerei in Düsseldorf gibt’s direkt Gedrängel, weil eine Frau versucht, sich vorzufudeln. Blitzschnell ist es wieder da, das vertraute Stressgefühl beim chaotischen Anstellen. Willkommen in Deutschland! Daheim Nach sechseinhalb Stunden Flug landen wir morgens ohne Schlaf um sechs Uhr in der Frühe in Düsseldorf. 90 Minuten später sind wir wieder in unserem Haus: Man ist für einen Moment im falschen Film: Es ist heiß und schwül (über 30°C, wir haben ja Juli!), aber die Weihnachtskarten von 2009 hängen noch an der Wand, einige Geschenke von unserer Abschiedsparty im Januar stehen auf dem Kaminsims, draußen steigt die Sonne immer höher – und das, obwohl man einen superlangen Tag hinter sich hat und sich eigentlich nach Bett fühlt. Aber die Irritation dauert nur einen Moment – nach ein paar Stunden Schlaf fühlt sich das alles wieder genau richtig und heimisch an: Die Kids matschen – „entblößt“ im Garten! – nach Herzenslust mit Wasser und Sand, und die Familie begrüßt uns, das tut einfach sooo gut! Abends gibt’s noch das WM-Fußball-Endspiel und dann geht’s ins Bett. Wir sind wieder zuhause 🙂 . Ein deutsches Sommermärchen Das Wetter ist super und die Kids knüpfen sofort da an, wo sie im Januar aufgehört haben: Theo geht noch mit in die Schule, Tim und Ole besuchen ihren Kindergarten – die Kinder dort haben schon die Tage bis zu ihrer Rückkehr gezählt. Es herrscht ein …
Die Dämpfer
Dann kamen leider die schlechten Nachrichten: Wir hatten einen medizinischen Notfall bei den Großeltern, so dass Marc, der den Sommer in Morristown verbracht hat, extra wieder für einen Blitztrip nach Deutschland kam. Und gleich darauf die Sache mit Oles (gerade 5) Handgelenk, das leider schief zusammengewachsen ist. Zunächst stand eine Korrekturoperation zur Diskussion. Dann haben die Ärzte aber doch entschieden, zunächst abzuwarten, ob der Knochen sich selber wieder richtet. Außerdem hat der Kinderarzt bei Ole eine Wahrnehmungsstörung festgestellt. Damit hatten wir nicht gerechnet und so mussten wir uns erst mal schlaumachen: Bei einer sensorischen Wahrnehmungsstörung ist die „sensorische Integration“ gestört. Darunter versteht man das Ordnen von Sinneseindrücken durch das Nervensystem. Wenn dieser Prozess nicht richtig läuft, dann sind Bewegungs- und Verhaltensweisen oft nicht angemessen. Ole ist u. a. motorisch nicht altersgemäß entwickelt, packt oft zu fest an, läuft gegen Sachen, verschluckt sich häufig. Zusätzlich besteht der Verdacht, dass er eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung hat – ADHS, habt ihr doch bestimmt schon öfter gehört. Umgangssprachlich wird das als „Zappelphilipp-Syndrom“ bezeichnet – eine psychische Störung, die sich durch Auffälligkeiten bei der Aufmerksamkeit, durch Impulsivität und Hyperaktivität auszeichnet. Wir machen uns jetzt erst mal selbst schlau und lesen uns ins Thema ein. Das „Gute“ an dieser Neuigkeit ist, dass es zumindest mit Blick auf die Wahrnehmungsstörung einen guten „Pack-an“ gibt, denn mit Ergotherapie kann man Ole in einigen Bereichen (z. B. in der Grob- und Feinmotorik) fördern. Damit haben wir dann auch sofort in Deutschland angefangen. Im Nachhinein lässt sich seine „Schieflage“ in den USA jetzt auch mit diesen Einschränkungen erklären – er braucht im Moment genau die Sachen, die in New Jersey und vor allem in der preschool eben nicht ganz einfach zu bekommen sind: viel Bewegung, Erleben mit allen Sinnen (also z. B. Sand und Matsch), keinen Erfolgsdruck und Rückzugsmöglichkeiten, wenn es ihm zu „bunt“ wird. Das war ehrlich gesagt ein ganz schöner Schock für uns. Wir haben überlegt, ob ich mit den Kindern nun doch in Deutschland bleibe. Marc ist allerdings für die nächsten Jahre in New Jersey eingebunden und wird weiter dort wohnen bleiben müssen – und eine Trennung der Familie …
Ein Sommer (fast) ohne Atempause
Marc erzählt: Der Sommer in Morristown war extrem ereignisreich und überhaupt nicht langweilig. Nachdem ich Britta mit allen Jungs nach Deutschland gebracht hatte, habe ich mich auf zwei etwas ruhigere Wochen alleine in den USA gefreut. Allerdings gab es dann in dieser Zeit bei P3 so viel zu tun, dass ich quasi durchgearbeitet habe. In der ersten Woche war wahnsinnig viel in New Jersey los, in der zweiten Woche war ich drei Tage an der Westküste unterwegs und habe mich mit Kunden getroffen. Wenn ich nicht gearbeitet habe, gab es die lange Liste der Dinge zu bearbeiten, die wir als Familie hier in Morristown in Angriff nehmen wollten, um die Situation besser in den Griff zu bekommen. Anfang August habe ich Theo und Tim in Deutschland abgeholt und mit den Jungs zunächst drei Wochen in Morristown verbracht. Die ersten zwei Wochen waren die beiden vormittags im summercamp, nachmittags hat mir unser Babysitter Judith oft geholfen. Danach habe ich mich eine Woche lang nur um die Vorbereitung der Rückkehr von Britta, Ole und Paul gekümmert. Dazu gehörte die neue Waschmaschine, das Gespräch mit der preschool, ein Roller für Ole, das Organisieren einer Putzhilfe und vieles mehr. Alles in allem ein Sommer ohne Atempause. Und zu allem Überfluss ist dann bei einem Sturm auch noch ein Baum direkt neben unserem Haus umgekippt….
Zelten und Kanufahren
Aber es gab auch wunderschöne Zeiten: Ich habe eine Zeltausrüstung gekauft und war mit Theo und Tim zweimal zelten. Einmal haben wir eine lange Kanu-Tour auf dem Delaware gemacht und zwischendurch auf einem Zeltplatz gewohnt, das andere Mal haben wir mitten im Wald im Stoke’s State Forrest übernachtet. Die vielen Schilder, die vor Schwarzbären warnen, und die totale Dunkelheit waren sehr beeindruckend. Bei beiden Trips gab es nachts Marshmellows am Lagerfeuer und viele spannende Geschichten. Bei einer Wanderung in Pennsylvania haben wir die unberührte nordische Schönheit und Wildnis dieses Landes gesehen. Tim hat an einem Wasserfall eine große Schlange entdeckt (wahrscheinlich eine Northern Watersnake) und wir sind viel gewandert. Es war sehr beeindruckend zu sehen, wie gut Theo und Tim Englisch gelernt haben. Nachmittags haben sie oft miteinander stundenlang mit Lego Star Wars gespielt und dabei Englisch miteinander gesprochen. Abends haben wir einen Teil der Star-Wars-Filme unter meiner Aufsicht gesehen. Das war natürlich eine Gratwanderung, aber wichtig, da das hier in den USA zum nationalen Kulturgut gehört und mir das Risiko zu groß war, dass die beiden das sonst ohne Aufsicht bei einem Freund zu sehen bekommen. Wenn du auf einen Schwarzbären triffst, dann solltest du diese 7 Regeln befolgen: Regel: keine Panik bekommen und auf keinen Fall weglaufen! Bären sind eh schneller als Menschen. Und sie können richtig gut klettern! Regel: langsam zurückgehen in sicheres Gebiet Regel: dich richtig groß machen und mit den Armen winken Regel: ihn auf keinen Fall füttern Regel: ihm nicht direkt in die Augen gucken Regel: ihm nicht den Weg versperren (z. B. im Garten) Regel: laute Geräusche machen beim Wandern, dann verziehen sich die Bären
Und Abflug …
Unsere Koffer sind gepackt und wir sind abreisebereit. Mit dabei sind einige „deutsche“ Dinge, die wir bisher in Morristown vermisst haben: deutsches Bettzeug und Bezüge, denn die Amerikaner/innen haben ein „Lakensystem“ (viel zu umständlich) und das Bettzeug von US-IKEA passt nicht zum deutschen Standardystem. deutsches Fieberthermometer in Grad Celsius (spart bei kranken Kindern den Weg zum Computer bzw. zur Umrechnungstabelle). viele, viele Schuhe (Lederschuhe für Herbst und Winter und Sandalen für den nächsten Sommer). DIN-A-4 Papier – in den USA gibt es ein anderes Format („US letter“: breiter, aber kürzer). Und da wir für unsere Unterlagen auch DIN-A-4 Papier brauchen, müssen wir es über den Teich schleppen, dasselbe gilt für Ordner und Locher. einigen Krimskrams wie Tesafilm, Transparentpapier für Laternen, Kringel-Geschenkband, vernünftige Sandschaufeln usw.
Ausblick auf den September 2010
Mit Beginn des neuen Schuljahres kommt Theo auf eine neue Schule (die Alexander Hamilton), Tim bleibt auf der Hillcrest School, Paul geht ebenso weiter in seine preschool-Gruppe. Morena, unser Au-pair aus Brasilien, wird Anfang September anfangen und ich beginne als Deutschlehrerin an der deutschen Schule in Morristown. Und ganz wichtig: Wir müssen Ole einen guten, langsamen Start ermöglichen. Heißt: Gespräch mit der preschool, langsames Eingewöhnen, Ergotherapie und einige Änderungen in Haus und Garten, damit es insgesamt ruhiger wird und Ole sich wohler fühlt. Für Paul ändert sich nichts und er wird weiterhin mit Ole zur preschool gehen.
Verschieden und gleich
August 2010: Warum sich bei unserem ersten Heimatbesuch Deutschland vertraut und fremd zugleich anfühlt und wie schön es ist, schamlos nackt herumzulaufen. Und weshalb wir aus 1.000 Gründen unser deutsches Haus ganz neu wertschätzen. Unser neuer Blick auf Deutschland Wir haben in den letzten sechs Monaten jeden Tag US-Kultur erlebt. Mit der Ankunft am Flughafen in Düsseldorf sind wir überrascht, dass sich das eigene Land anders anfühlt als erwartet – ein neues Bild aus wunderbar vertraut und ungewohnt fremd. Die Unterschiede zwischen den beiden Ländern sind so knallig und plakativ, dass sie uns in den ersten Tagen immer „anspringen“ – nicht mal auf der Toilette hat man seine Ruhe. Deutschland hat viele Asse für uns im Ärmel, aber auch einige Pferdefüße. Und bei einigen Dingen werde ich richtig nachdenklich …
1. Pluspunkt: die große Freiheit – ein unschätzbarer Luxus für uns alle
Das Leben mit vier Kindern ist in Deutschland deutlich unkomplizierter für uns. Wir können zu Fuß von zu Hause starten, denn vieles liegt in erreichbarer Nähe (Städtchen, Spielplätze, Zoo, Kindergarten) und es gibt einfach überall Bürgersteige, wo man Kinderwagen, Roller, Bobby-Car oder Fahrrad fahren kann (ohne in Lebensgefahr zu sein). Für mich als Bewegungsmensch macht das einfach einen Riesenunterschied. Die Kinder dürfen auch mal vorweg laufen oder fahren (keine „Leinenpflicht“), sich einfach mal eben für ein „Picknick-Pipi“ in die Büsche schlagen (ohne ein öffentliches Ärgernis zu sein) und im Spielplatz nach Herzenslust im Sand spielen (anstatt mit stinkigem Rindenmulch). Mit nackten Füßen durch Sand zu laufen ist eben auch ein bisschen Urlaub – die Leute in New Jersey wissen gar nicht, was sie ihren Kindern vorenthalten. Theo (8) darf zu seiner alten Schule, macht auch direkt den Ausflug mit, ohne dass wir irgendetwas unterschrieben hätten (in den USA undenkbar). Ole (5) und Paul (3) gehen öfter in den Kindergarten, einfach so. Wer denkt, dass Deutschland Spitzenreiter in Bürokratie ist, sollte einmal mit seinen Kindern in die USA bzw. nach New Jersey ziehen … Die Kinder genießen das selbstständige Leben, wie zum Beispiel einfach mal eben mit dem Fahrrad um den Block zu Uroma zu fahren. Theo und Tim (6) können auch mal eine Stunde alleine zu Hause bleiben oder eben kurz fünf Minuten im Auto sitzenbleiben, wenn Mama etwas in der gegenüberliegenden Bäckerei einkauft. Alles in New Jersey nicht möglich – bis zum 12. Lebensjahr der Kinder muss man praktisch immer in Reichweite sein (und das ist wörtlich zu nehmen – so lernen es auch die Au-pairs). Diese Freiheit ist ein ganz klares Plus hier in Deutschland, denn es tut den Kindern und ihrer Entwicklung gut. Deutsche Kinder lernen viel früher, für sich selber Verantwortung zu übernehmen und können sich auf diese Weise unabhängiger entfalten. Wer will schon bis zwölf Jahren am Rockzipfel von Mama und Papa hängen? Dies ist einer der Gründe, warum wir nicht für immer in den USA bleiben werden – ich wünsche uns selbstständige Kinder mit common sense.