Ole (4) ist in unserem Haus die Treppe heruntergefallen. Ich war mit ihm zunächst in einer ambulanten Notarztpraxis, wo seine Platzwunde genäht und Röntgenaufnahmen von Hand und Kiefer gemacht wurden. Der Arzt und die Helfer/innen waren alle super nett zu uns, einer hat sogar sein angestaubtes Highschool-Deutsch rausgekramt und sich unheimlich Mühe gegeben, Ole abzulenken. Die ganze Mannschaft hat zwei Überstunden gemacht (bis 22 Uhr), bis er soweit versorgt war, dass wir zunächst mal nach Hause konnten. Ich musste meine Kreditkarte übrigens nicht schon gleich zu Beginn abgeben wie sonst – sie wollten sie erst am Ende haben! Die ganze Sache war für mich eine Herausforderung der neuen Art: Ich hatte keine Ahnung, wo Marc steckte (ich hoffte, irgendwo in der Luft auf dem Weg zu uns) und bin bei blutigen Angelegenheiten nicht die erste Wahl (da behält Marc eher den kühlen Kopf – er hat ja als Kind genug Erfahrungen aus erster Hand gemacht, als er nach einigen Unfällen und Verletzungen Stammgast in der Notaufnahme war). Leider wurden die Diagnosen in der Praxis immer schlimmer: komplizierter Handgelenksbruch und Verdacht auf Kieferbruch. Hieß: Ole musste auf jeden Fall zum Richten noch in der Nacht ins Krankenhaus, also in den emergency room (ER). Ole weinte und blutete, mir sackte der Kreislauf weg. Zum Glück fiel mir dann der Name einer neuen Expat-Freundin ein, die tatsächlich auch direkt kam, um zu helfen. Aber es war schon ein ungewohnt hilfloses Gefühl, in einer Situation, die einen selbst umhaut, die volle Verantwortung zu haben. Dazu kamen auch noch die fremden Namen der Schmerzmittel (Tylenol, Advil, Benadryl …) – kein Mensch hat mich verstanden, als ich etwas von „Paracetamol“ oder „Nurofen“ erzählte. Marc ist um Mitternacht tatsächlich in Newark gelandet und mit Ole sofort in den ER (Emergency Room) gefahren. Dort waren allerdings 41 (!) Leute vor ihnen dran und sie mussten bis morgens um acht Uhr warten, bis die Knochen wieder in die richtige Position gebracht waren – ganz ohne OP, nur durch Ziehen! Kommentar Marc: „Ole hat ganz schön gejunkt!“. Sechs Wochen Gips („cast“) sind jetzt für Ole angesagt. Nach zwei Wochen …
Ole spricht seine ersten Worte Englisch
Ole (4) spricht seine ersten Worte Englisch. Sein Verhalten in der preschool und auch zuhause zeigt aber, dass er noch nicht über den Berg ist. Beim Abholen höre ich manchmal: „He was screaming to the top of his lungs …“ Er schubst andere Kinder, wirft mit „woodchips“ auf dem Spielplatz … nein, das alles ist noch nicht wirklich richtig gut. Aber immerhin beschwerte er sich kürzlich, warum es denn immer Kartoffelpüree mit Fischstäbchen gäbe. Time to move on 🙂 , zumindest beim Mittagessen.
Ole hat seine Orientierung noch nicht wiedergefunden
Er brauchte schon immer Routine, damit er sich sicher und wohl fühlt. Selbst kleinere Veränderungen wie z. B. ein neuer Pullover, konnten ihn schnell aus der Fassung bringen. Das gilt jetzt noch mehr. Er sagt ganz oft, dass er zurück nach Deutschland möchte und begründet es damit, dass „ich sonst immer jammere, weil ich keine Geduld habe“ (O-Ton Ole). Er braucht mehr Zeit, um Zugang zum Englischen zu finden. Er zupft mich den ganzen Tag am Ärmel und fragt: „Was sagen die? Was hat die gesagt?“ Das tut mir schon leid. Er vermisst seinen deutschen Kindergarten, wo er sich frei bewegen konnte. Seine Versuche, sich mit Eimer und Schaufel am Baseball-Feld zu schaffen zu machen (der einzige Ort, wo man hier Sand finden kann) sind bisher auf wenig Gegenliebe gestoßen. Wir tun alles, um ihm zu Hause Stabilität zu geben – es gibt viele Kuschelduschen, fast jeden Tag Kartoffelpüree mit Fischstäbchen, und seit kurzem haben wir ein großes Trampolin und einen kleinen Sandkasten im Garten – beides große Renner und ein bisschen Heimat.
Mir fehlt der Durchblick!
Um die richtige Umkleidekabine im YMCA zu finden, muss man sich hier erst einmal durch einen Dschungel von Schildern arbeiten. Und wo ich mich dann mit den Kindern gemeinsam umziehen kann, weiß ich am Ende immer noch nicht. Aber ich bin nicht allein mit diesem Problem – in einer Einzel-Damen-Kabine hörte ich einmal eine verrückte Kombination von leisem Schluck-Glucksen, einer hellen Kinderstimme und einer Frauenstimme, die verzweifelt immer wieder versucht, das Kind mit einem beschwörendem „shush, shush“ zum Schweigen zu bringen (meine Interpretation: stillende Mutter mit Geschwisterkind). Prüderie gepaart mit strengen Regeln – schlimmer geht es nicht! Aber hey – das Y hat auch gute Seiten – man trifft auf eine ganz bunte Klientel. Ich laufe hier oft neben Menschen mit Handicap, z. B. mit Down-Syndrom, die regelmäßig in Jeans ihren workout machen. Ebenso sieht man sehr viele ältere Leute. Letzte Woche übten zwei betagte Damen in der Umkleide ihre neuen Tanzschritte 🙂 .