Aber das Beste kommt am nächsten Tag. Der Tipp von unserem asiatisch aussehenden, amerikanischen Touristenführer, der zu unserer totalen Überraschung mit muttersprachlichem Deutsch in ein Gespräch zwischen Marc und mir einsteigt (sein Vater war in Deutschland stationiert): In den nationalen Archiven kann man sich kostenlos eine Sammlung an historischen Dokumenten der Unabhängigkeit der USA anschauen. In imposanten halbrunden Gewölbehallen liegen die drei „Charters of Freedom“ nebeneinander in prunkvollen Schaukästen: „Declaration of Independence“ (1776), die „US Constitution“ (1787) und „The Bill of Rights“ (1789), im Halbdunkeln und Eiskalten und im Edelgas Argon gelagert. Hier ist nichts „hands-on“: Nicht zum Anfassen, nicht zum Riechen, nicht zum Fotografieren, aber doch wohl zum Lesen und nicht weniger beeindruckend. Ich weiß sofort, wo ich hinwill: Es ist schon ein besonderer Moment für mich, eine ca. 60 x 80 Zentimeter große Original-Urkunde der Unabhängigkeitserklärung aus dem Jahr 1776 vor mir zu haben. Das Lesen fällt nicht gerade leicht: Eine Zeile ist 60 Zentimeter lang, die Schrift recht klein und verschnörkelt und in den letzten knapp 230 Jahren fast komplett verblichen (das dicke Panzerglas macht die Sache auch nicht gerade leichter). Trotzdem: Ich lehne mich auf den Schaukasten und suche die Zeilen mit meinem Finger ab. Und dann finde ich doch tatsächlich den Satz, den ich auswendig kenne und den ich schon so oft als Papierarbeitsblatt an meine Schulkinder ausgeteilt habe: „We hold these truths to be self-evident that all men are created equal, that they are endowed by their creator with certain unalienable rights, that among these are life, liberty and the pursuit of happiness …“ Das steht echt da, Wort für Wort! Auf Deutsch wäre das so ungefähr: „Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen wurden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt wurden, dass zu diesen Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit gehören.“ Die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten, maßgeblich verfasst von Thomas Jefferson, ist das erste offizielle Dokument, das allgemeine Menschenrechte postuliert hat. Sie ist bis heute unübertroffen als Signal, wenn es um die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Volkssouveränität geht. Ich bin jedenfalls …
Musik, Musik, Musik!
Was hält die Laune oben, bei so vielen Fahrten zwischen Kinderarzt, pharmacy and Abholen von kranken Kindern? Laute Musik im Auto – ich habe bisher noch nichts drüber geschrieben – aber jetzt! Es macht definitiv gute Laune, wenn man hier über die Straßen und den Highway braust und dabei einen Sender hört, der, wie Marc immer sagt, die „ten songs club rotation“ spielt – also so ungefähr die zehn aktuellen Hits rauf und runter. Das war mir in Deutschland nicht klar, aber amerikanische Musik passt einfach viel, viel besser nach Amerika und macht viel mehr Sinn hier: Die Straßen sind breiter, der Himmel ist meist blauer und vielleicht kommt ja auch noch ein bisschen mehr Abenteuer in unserem Leben dazu. Allein dafür lohnt es sich mal, rüber nach Amerika zu kommen – um im Auto zu sitzen und endlich mal amerikanische Musik zu hören. In dem Land, wo sie herkommt und hinpasst. Auch Theo und Tim hören immer ganz fasziniert auf der Rückfahrt von der Schule zu – sie gucken zum Fenster raus, lassen die Landschaft und Musik auf sich wirken und genießen einfach nur. Das Lied „Granade“ von Bruno Mars ist auf diese Weise jedenfalls tief in ihre Köpfe eingebrannt.
Singen, tanzen, Musik machen … Hauptsache spontan!
Und dann gibt es als Abschluss noch einen kurzen Bericht über die beeindruckendste Darbietung von amerikanischer Lebensfreude und Spontanität, in die Marc und ich rein zufällig eines Abends nach dem Dinner reingeraten sind. Angelockt von Musik und Gejohle entdeckten wir in der sportsbar nebenan einige Herren mittleren Alters, die richtig losrockten (und zwar gut!). Alle in bunten Pyjamas und flauschigen Riesen-Tiger-Hausschlappen. Ich fand das Outfit schon bemerkenswert, aber es schien sich niemand dran zu stören, und die Stimmung war kolossal gut! Während der Bassist und der Drummer leise weitermachten, moderierte der Sänger dann auch noch spontan eine kurze Modenschau von einer zufällig anwesenden Bachelorette-Party (die Kleider alle so grell, dass ich mal wieder nicht so richtig sicher war, ob das eine „most ugly dress“-Party war oder doch normaler Dresscode): Die Damen präsentierten sich alle locker, drehten sich ein paarmal herum und dann kam schon die nächste. Komplett verrückt. Und genauso schnell, wie die Damen gekommen waren, waren sie wieder verschwunden und es ging weiter zum nächsten Programmpunkt: Wer aus dem Publikum will etwas vorsingen? Eine Frau meldete sich, sprach kurz mit der Band das Lied ab und legte dann auch schon richtig los (das war jedenfalls nicht das erste Mal, dass die gesungen hat!). Applaus, sie ging wieder von der Bühne, erneut weiter mit der Band. Also echt, jetzt verstehe ich auch, warum es in amerikanischen Filmen so oft Gesangseinlagen gibt und die öfter mal statt eines Films direkt ein Musical machen. Nehmen die etwa alle Gesangsunterricht? Egal, ich bin beeindruckt, wie entspannt, locker, respektvoll und selbstsicher die Leute hier in Kontakt treten und miteinander umgehen (und das auch noch vor Publikum!), sich selbst nicht immer so ganz ernst nehmen und dabei eine gute Zeit haben. Davon könnten wir uns in Deutschland mal eine dicke Scheibe abschneiden …
Brittas Florida-Highlights
Und ich? Ich darf mir dann die Tierwelt hier etwas genauer angucken. Vor den Keys gibt es ein weltberühmtes lebendes Korallenriff, das jedes Jahr Taucher/innen aus aller Welt anlockt. Ich gehe also auf Schnorcheltour und tauche danach auch einmal zum Riff hinunter. Was ich entdecke: viele, viele bunte Fische (so etwa wie “Nemo”), zwei ziemlich grimmige grün-bläuliche Moränen (versteckt in einer Unterwasserhöhle), eine riesige Schildkröte, einen Barrakuda (alle hatten Ehrfurcht vor ihm), einen Ammenhai (den außer mir niemand besonders spektakulär fand). Und wieder an Land sehe ich einen Iguana (auf Deutsch “Leguan”), eine Echse, die aussieht wie ein kleiner Drache mit Zacken auf dem Rücken bis zum Schwanz hinunter und so groß wie eine kleine Katze – sie legt gerade ihre Eier neben dem Swimmingpool ab. Und dann sind da noch die vielen zarten Kolibris, so klein wie mein Daumen, die fast in der Luft stehend die Blüten aussaugen. Das Einzige, was nervt, sind die ganzen Air-Condition-Generatoren, die vor jedem Ferienhaus laut herumsummen – so etwas kenne ich von Europa nicht.
Marcs Florida-Highlights
Marc Er guckt NICHT EINMAL in seine E-Mails, was er selbst als absolutes Highlight bezeichnet. Er verbringt ganz viel Zeit mit den Kids, geht auch Segeln und hält mir den Rücken frei, mal etwas anderes zu tun.
Pauls Florida-Highlights
Paul (4) Er ist hin und weg von den Palmen und spricht immer wieder wildfremde Leute darauf an: “They have so wundervolle Palmen hier in Florida” – mit sehr amerikanischem “o” in Florida. Genau wie Ole genießt er das Wasser und die Wärme.
Oles Florida-Highlights
Ole (5) Er überwindet sich und erlebt im Kennedy Space Center einen simulierten Raketenstart – es war eiskalt, höllelaut und wir wurden alle in die Sitze gepresst und durchgeschüttelt. Ole genießt den Sand und das Wasser und trinkt etliche Schoko-Milchshakes von McDonalds.
Tims Florida-Highlights
Tim (7) Er schleppt direkt am ersten Morgen ein 25 Zentimeter großes Schneckenhaus an, das er am Strand gefunden hat. Wie sich nachher rausstellt, ist es noch besetzt, und wir haben für ein paar Stunden eine Molluske als Haustier, die mit zwei langen Stielaugen die Umwelt erkundet. Tim (unsere Wasserratte) frischt seine Schwimmkünste nach einem Jahr Enthaltsamkeit auf und kommt beim Dolphin Research Center voll auf seine Kosten.
Theos Florida-Highlights
Theo (8) Er ist fasziniert vom Toaster im Appartement, in dem man vier Scheiben GLEICHZEITIG toasten kann. Er genießt es, alleine mit dem Kanu herumzufahren und will unbedingt immer “Mudslide” (alkoholfreie Version des Sahnecocktails mit viel Schokosirup, Eis und Sahne) an der Tiki Bar trinken.
Zurück in den Regen
In der Schule ist direkt nach unserer Rückkehr aus Florida richtig was los. Bei Theo (8) steht jede Woche ein anderes “assignment” an. Das ist eine Art umfangreichere Hausaufgabe, die wir oft am Wochenende angehen, weil unter der Woche zu wenig Zeit ist. Da gibt es z. B. das “challenge math project”, bei dem er geometrische Formen in Morristown suchen, fotografieren und beschriften muss. Dann kommt das “science project”, für das er über die nächsten zehn Wochen Schritt für Schritt ein von ihm gewähltes Projekt bearbeiten muss (mit Ideensammlung, Themenfindung, Hypothesenbildung, Experimenten …). Jede Woche werden die Fortschritte in der Schule begutachtet. Theo entscheidet sich, die Umwandlung von Flüssigkeiten in Gase näher zu untersuchen – das war wirklich sein eigener Wunsch! Bei der Umsetzung hat Marc ihm geholfen und direkt eine komplette Laborausrüstung bestellt (mit Laserthermometer, Bunsenbrenner …). Aber die beiden haben Spaß, insofern geht das auch in Ordnung. Bei Tim (7) steht ebenso das “science project” bald an. Er baut “Diet-Coke-Mentos-Raketen“ – Riesensauerei mit Spaßfaktor. Das Ganze funktioniert so: Die Mentos reduzieren die Oberflächenspannung der Cola, so dass das vorher gelöste CO2 explosionsartig durch den weggesprengten Deckel entweicht und die Flasche in die andere Richtung beschleunigt. Alles ist voll mit Cola – schon gut, dass die Diet-Coke nicht ganz so klebrig ist wie die zuckrige Cola. Der in der Diät-Cola enthaltene Süßstoff Aspartam ist ein zusätzlicher „Beschleuniger“ der Reaktion.