Ich freue mich über die Entlastung durch Vitoria, übe weiter fleißig Gitarre spielen und langsam werde ich auch etwas besser. Die Kids bewundern ganz ehrlich meine „Künste“ (sie haben ja wahrlich auch keinen Vergleich 🙂 ). Das Beste: Morgens setze ich mich in den Hausflur und wecke alle Kinder gleichzeitig mit kräftigem Gitarrengeschrammel – spart Zeit, schont die Stimme und bringt direkt eine gute Morgenatmosphäre. Ansonsten plagt mich ein eher universelles Eltern-Problem. Ich bin im Moment richtig gefrustet mit unseren Erziehungsbemühungen: Klamotten wild verteilt, Ohren auf Durchzug, altes gammeliges Essen im Schulrucksack, Badezimmerchaos mit Zahnpasta-Schmiererei, keine Lust mit anzupacken in der Küche, sightwords auf den letzten Drücker, schmutzige Klos … Ich sehe ja ein: Mit Mikromanagement, Gardinenpredigten und alltäglichen Machtkämpfchen macht es wenig Freude, vier Kinder groß zu bekommen … da verlieren alle – aber was dann? Wir haben noch 46 „Erziehungsjahre“ vor uns, bis alle vier 18 Jahre alt sind. Uff – also da muss uns noch etwas Besseres einfallen…. Ich sehe mich durch die kulturellen Neu-Erfahrungen hier ja auch oft genug als Kind (im Sinne von keine-Ahnung-haben, wie etwas läuft und dann öfter mal anecken) und weiß, wie allergisch ich auf Regeln und Bräuche reagiere, die ich für sinnlos halte. Habe mich in den letzten Monaten ja selbst dabei beobachtet, wie ich entweder eine Faust in der Tasche mache, mich der Sache entziehe, rebelliere oder die Regeln hinten herum umgehe. Ja, ich erlebe mich manchmal wirklich als sneakerin oder Querulantin – alles Rollen, in denen ich mich vorher nicht gekannt habe. Von daher kann ich unsere Kids auch ein Stück weit verstehen. Egal – Jammern hilft ja nun nicht, und in einer Familie braucht man neben Nestwärme eben auch klare Regeln und Grenzen, die von allen mitgetragen werden … Wie gut, dass wir im Moment hier leben, denn seitdem sind uns unzählige Werbe-/ Infoblätter mit „parenting tips“ (Erziehungs-Hinweise) durch Theo und Tims Schule ins Haus geflattert. Es geht um „discipline solutions, good choices, choosing to behave, expect the best, Teen anxiety in the 21st Century, help for bullying, „Smart Discipline ®“ … Positiv hilft (www.positivediscipline.com) Ich …
Memorial Day
Der letzte Montag im Mai ist „Memorial Day“, ein Gedenktag für alle im Dienst gefallenen US-Soldatinnen und Soldaten – und das sind mehr als eine Million Menschen. Das ist nicht zu verwechseln mit dem „Veterans Day“ (dazu hatte ich im November ja schon etwas geschrieben), an dem alle Veteraninnen und Veteranen der US-Armee gefeiert werden. Der Memorial Day diesen Monat ist der zweite „Militär-Gedenktag“, den wir hier ganz bewusst erleben. Das Wochenende davor und der Montag selbst sind jedenfalls schon besondere Tage – eine verrückte Mischung aus Feiertags-Ferienstimmung und landesweiten Gedenkfeiern. Seit der vorangehenden Woche sprechen die Moderatoren und Moderatorinnen im Radio oft vom „Happy Memorial Day Weekend“, denn viele Leute nutzen das lange Wochenende für einen Ausflug. Am Samstag vorher sind einige öffentliche Gebäude geschlossen (z. B. die Bibliothek), montags fällt natürlich die Schule aus, das Parken in Morristown ist kostenlos, und ein offenes Geschäft zu finden, ist reine Glückssache. Ich will mit Theo und Tim essen gehen, aber das Restaurant ist ebenfalls geschlossen – „in observance of memorial day“ (in Einhaltung des Gedenktages). So geraten wir zufällig in die Memorial Day-Gedenkfeier, die auf dem Green mitten in Morristown stattfindet. Überall im Land besuchen die Leute heute die Friedhöfe und Gedenkstätten, stecken unzählige US-Flaggen auf die Gräber und legen Blumen dort ab. Friedhöfe sehen hier übrigens ganz anders aus als die in Deutschland: eine große Anzahl symmetrisch angeordneter kleiner Grabsteine auf einer großen grünen Rasenfläche. Auf der Frontseite unserer Zeitung (WSJ) war das Bild einer jungen Witwe mit Kleinkind auf dem Arm am Grab ihres Mannes – ganz schön traurig. In vielen Städten gibt es Umzüge, die von „marching bands“, militärischem Personal und Militärfahrzeugen geprägt sind. Die US-Flagge weht bis zwölf Uhr mittags auf Halbmast, danach wird sie wieder hochgezogen – als Zeichen dafür, dass die Lebenden den Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit für alle fortsetzen. Auch unser Green ist geschmückt – „1.600 flags were planted on the Morristown Green“ (so die Headline in unserer lokalen Tageszeitung) – das heißt für unseren kleinen zentralen Park, dass dort an den Rändern alle 25 Zentimeter ein Fähnchen in die Erde …
Diskussionsrunde in der Volkshochschule
Einmal wöchentlich gehe ich zu einer Diskussionsrunde in der hiesigen Volkshochschule. Zum Überthema „Great Decisions“ (große Entscheidungen) im Bereich „Foreign Policy“ (Außenpolitik) gibt es immer ein anderes Spezialgebiet, z. B. den Wiederaufbau in Haiti, nationale Sicherheit, Horn von Afrika. Auch der „Germany Ascendant“ (der wirtschaftliche und politische Aufstieg Deutschlands nach der Finanzkrise) war eine Woche das Thema (da war ich leider nicht da). Für mich ist die Veranstaltung immer ein Highlight, weil ich mal „incognito“ mitten unter Amerikaner/innen bin, etwas für meine Allgemeinbildung tun kann und von zuhause wegkomme. Die Leute dort sind übrigens ziemlich gebildet. Es hat mich überrascht, dass sie sich alle einig waren, dass die USA sich mal lieber um ihre eigenen Themen kümmern sollen, anstatt den Weltpolizisten zu spielen.
+++ Morristown Newsflash 12/2010 +++
Schön statt kitschig In den drei Wochen Dezember, die wir hier erlebt haben, mussten wir unsere klischeehaften Vorstellungen vom kitschigen amerikanischen Weihnachten an vielen Stellen über den Haufen werfen. Es gibt eine Menge positive Überraschungen in Bezug auf Dekoration, Musik, Stimmung (zugegeben: Ich bin ein echter Weihnachtsfan 🙂 ) und buntes Mulitkulti an religiösen und kulturellen Festtagen. Die Winterkonzerte an den Schulen von Theo und Tim zeigen genau diese Vielfalt auf eindrucksvolle Weise – das werde ich so schnell nicht vergessen.
Weihnachtsmusik
Und zur Weihachtszeit gibt es nun endlich auch Musik – Halloween und Thanksgiving fand ich irgendwie recht „stumme“ Feste – so ganz anders als bei uns in Deutschland St. Martin. Aber jetzt geht’s richtig los und von überall her tönt Weihnachtsmusik. Diese ist oft weniger besinnlich als in Deutschland (und daher auch irgendwie besser im Alltag zu ertragen), sondern eher fröhlich, bunt, viele Big Bands, viel Glöckchengebimmmel, viele Popsongs und natürlich ganz viele Klassiker, wie „I’m dreaming of a white Christmas“ (Bing Crosby), „Let it snow, let it snow, let it snow …“ – direkt mit dem ganzen Orchester, inklusive Trompeten und Geigen. Es darf auch gerockt werden, z. B. Bruce Springsteens Version von „Santa Claus is coming to town“ – mein Favorit, um in Stimmung für die amerikanische Weihnacht zu kommen. Hört es euch doch an, während ihr weiterlest – das passt gut…. 🙂 Also, ich muss die Amerikaner/innen (zumindest die hier bei uns) in Schutz nehmen, was den gängigen Kitsch-Vorwurf angeht, denn das Gros der Dekos finde ich einfach sehr geschmackvoll und die Stimmung durch Musik, Laune der Leute und Glöckchengeklingel ist fast schon magisch – den Dezember erlebt man hier als eine wirklich sehr festliche Zeit. Und wer sich drauf einlässt, der wird garantiert angesteckt.
„Kunterbuntes“ Multi-Kulti Morristown
Von „bunt“ gemischten Schulklassen und vom Bild der amerikanischen Gesellschaft als Schmelztiegel und Salatschüssel. Von Amerikaner/innen, die auch Deutsch sprechen – und außerdem Französisch, Spanisch und Vietnamesisch. Von der beeindruckenden Tatsache, dass es in Morristown 35 Kirchen für 19.000 Einwohner/innen gibt. Und wo die amerikanische Flagge überall präsent ist. Als ein absolutes Highlight erlebe ich die „bunte“ Mischung von Menschen, die hier zusammenleben und gemeinsam die amerikanische Gesellschaft bilden – jedenfalls bei uns in Morristown. Deutsch, Amerikanisch, Russisch, Finnisch und mehr Theo (8) geht zu einer öffentlichen Grundschule hier in Morristown. Mit einigen Klassenkameraden ist er näher befreundet: Eric ist halb Deutscher, halb Amerikaner. Theo und Eric kommen gut miteinander aus. Sein Freund Samuel ist aus Russland adoptiert, lebt jetzt in einer jüdischen Familie und feiert eben kein Weihnachten, sondern Hanukkah. Rachel ist ebenfalls Jüdin und geht jeden Sonntag in die „Hebrew School“. Ansonsten kennt Theo noch vom letzten Schuljahr Mikka, einen Finnen, und Max, einen deutschen Jungen. Das sind seine beiden besten Freunde hier. Dazu kommen noch einige Kinder mit hispanischen Eltern und einige junge Afro-Amerikaner/innen. Das Klassenfoto, das Theo dieses Schuljahr mit nach Hause gebracht hat, ist daher richtig „bunt“. Vom Schmelztiegel zur Salatschüssel Wie ihr wisst, sind die USA ein Einwanderungsland und die Gesellschaft besteht aus Leuten ganz verschiedener Herkunft, Religion, Hautfarbe, Sprache und kultureller Tradition. Etwa 61 Prozent der Bevölkerung sind im Moment weiß, 18 Prozent lateinamerikanisch, 13 Prozent afroamerikanisch, 6 Prozent asiatisch und 1 Prozent indigen (also Native Americans oder Native People). Viele von ihnen können einem ganz genau Auskunft geben, wann und woher Vater und Mutter, Großtante oder Urgroßvater nach Amerika gekommen sind. Eine meiner Schülerinnen an der deutschen Schule erzählte mir, dass einer ihrer Vorfahren im Jahr 1776 die Declaration of Independence mitunterschrieben habe. Wer weiß – vielleicht stimmt das sogar…. Aus meinem Englisch-Oberstufenunterricht kenne ich nur allzu gut die beiden Metaphern, die für die amerikanische Bevölkerung benutzt wurden bzw. werden. Früher wurde das Bild des Schmelztiegels (melting pot) benutzt, der die Idee veranschaulichte, dass es zu einer Assimilierung und Integration von Einwander/innen in die Kultur des Landes kommt und dass …
Die September-Flops :-(
Erster Flop ist der Paperwork-Frust. Die spinnen, die Amerikaner/innen: Zu Beginn eines neuen Schuljahres müssen Eltern hier etliche Formulare ausfüllen, auch wenn wir genau dieselben schon vor acht Monaten ausgefüllt haben und sich einfach die allermeisten Dinge nicht geändert haben (wie z. B. Adresse, Telefonnummern etc). Bei vier Kindern kostet uns diese Ausfüllarbeit mindestens zwei Abende und mich ziemlich viele Nerven: Das Beste sind die Formulare, auf denen man drei Mal unterschreiben muss, nämlich so ungefähr nach jedem Satz. Hier eine kurze Liste von den Papieren, die wir für Theo und Tim ausfüllen mussten (oft mehrere Seiten pro Punkt und z. T. auch mit der Unterschrift der Kids): Direct Donation Drive Morris School District Emergency Card Student Health Questionnaire MSD user agreement of understanding Transportation Department Universal Sign-off form Internet Use Policy Transportation Rules Photo Permission Form Character Code Annual Integrated Pest Management Notice … Puh! Marc liegt immer noch mit der preschool von Ole und Paul im Clinch, weil die wollen, dass wir wieder mit den Kids zum Arzt gehen und 400 Dollar dafür ausgegeben. Und das nur, um das gleiche Formular (Universal Health Child Record) von Ole noch mal ausfüllen zu lassen (klar, mit leicht anderem Körpergewicht und Größe). Da wird man ganz schnell zum Querulanten abgestempelt, obwohl man nur seinen Menschenverstand benutzt. In dieser Hinsicht ist Deutschland ein Paradies: Eine Unterschrift reicht da für drei Jahre (Kita) oder sogar vier Jahre (Grundschule) – purer Luxus.
Vertraut und fremd
Bei unserer Ankunft in Deutschland waren wir überrascht: Nach sechs Monaten US-Kultur fühlt sich die Heimat auf einmal anders an – eine Kombination aus vertraut und fremd. Besonders in den ersten Tagen kann man rein gar nichts machen, ohne dass einem die Unterschiede nicht auffallen würden. Deutschland punktet in vielen, aber auch nicht in allen Bereichen. Abgesehen von den kulturellen Überraschungen war unser Sommer eine verrückte Mischung: unbeschwerte Momente im luxuriösesten Ferienhaus, das wir je hatten (nämlich unserem eigenen – unsere „Untermieter“ hatten sich für diese Wochen verzogen). viele schöne Erlebnisse mit Freunden und Familie vier Wochen ohne Theo (8) und Tim (6), da sie schon nach einem Monat Deutschland mit Marc nach NJ zurückgeflogen sind. sieben Wochen ohne Marc (der musste ja in New Jersey arbeiten) über 20 Arztbesuche (viele aufgesparte Vorsorgetermine) einige Dämpfer und eine Hammernachricht, die wir erst noch verdauen müssen… Im Moment steht unser Leben jedenfalls – mal wieder – ziemlich Kopf, und es stand auf Messers Schneide, ob wir unseren Aufenthalt in Morristown überhaupt weiter fortsetzen oder ob ich mit den Kindern in Deutschland bleibe. Sollte mich nächste Woche eine Nachbarin in der Carton Road bei unserer Rückkehr auf der Straße fragen: „How was your summer?“ werde ich wohl gutgelaunt erwidern: „Good – very good! … How was yours?“ und dann werden wir weiter über das plaudern, was so in unserer Carton Road und Morristown passiert ist. Das finde ich auch völlig in Ordnung. Für euch gibt es jetzt die deutsche Version.
„Tiefere“ Einblicke sorgen für mehr Verständnis
Manchmal hat man Vorstellungen von seinen Mitmenschen, die sich im Laufe der Jahre wenig ändern und quasi fossilisiert sind, weil es einfach bequem ist und keinen Grund gibt, diese Vorstellungen (Vorurteile?) zu ändern. Eine Zeit im Ausland bringt da so einiges in Bewegung, weil es dann nicht mehr ins Bild passt. Ich habe jedenfalls jetzt eine andere Einstellung zu türkischen „Big Mamas“ bekommen: Unsere türkische Nachbarin in Deutschland, die seit 18 Jahren hier lebt, hat fünf Kinder (zwischen 2 und 18 Jahren) und spricht nur sehr gebrochenes Deutsch. Ihr Mann spricht gut Deutsch, und alle Kinder sind bilingual aufgewachsen. Diese Diskrepanz war für mich schwer nachzuvollziehen, weil man nach so langer Zeit in einem Land einfach etwas anderes erwartet. Aber jetzt ist es mir ähnlich gegangen: Marc und die Kinder hatten durch Job und preschool/school schnell einen festen Platz in der neuen Gesellschaft und dadurch täglich mehrere Stunden Kontakt zur neuen Sprache. Bei mir sah das anders aus: Ich war voll ausgelastet mit Hausarbeit und Kinderbetreuung und hatte trotz Bemühen kaum Zeit, mich um „authentischen Sprachinput“ zu kümmern. Als Hausfrau und Mutter von vielen, noch jungen Kindern lebt man tatsächlich ziemlich isoliert vom Rest der einheimischen Welt (im Ausland durch die Kulturunterschiede noch verstärkt), und man muss schon auf die Pauke hauen, um da herauszukommen. Ich kann jetzt also gut nachvollziehen, warum unsere Nachbarin, die den ganzen Tag im Haus putzt, kocht, Kinder hütet und aufräumt, so wenig Deutsch kann. Das muss schon ein verrücktes Leben sein, so lange in einem Land zu leben und kaum Zeit zu haben, eine eigene Berührungfläche mit den „Einheimischen“ zu haben (abgesehen von den Dingen, die im Zusammenhang mit den Kindern stehen). Ich könnte das nicht aushalten, aber man braucht, um aus dieser Falle herauszukommen, einen Mann, der mitzieht, extra Geld für Babysitter und genug Energie, sich selber diesen Raum zu schaffen.
Deutsch bleibt deutsch
Ebenso kann ich jetzt noch besser verstehen, dass man mit den Kindern weiter seine native Sprache spricht. Ich war zwar nie jemand, der es unhöflich fand, wenn Eltern mit ihren Kinder ihre Landessprache gesprochen haben (z. B. beim Abholen im Kindergarten), aber inzwischen weiß ich aus eigener Erfahrung, dass sich alles andere irgendwie falsch anfühlt. Insbesondere mit den eigenen Kindern kann man nicht von heute auf morgen einfach eine andere Sprache sprechen. Für mich ist das Deutsche die Sprache, in der ich mich am wohlsten fühle, in der auch die emotionale Seite der Beziehung verankert ist. Wenn amerikanische Kinder dabei sind, ist das wieder eine völlig andere Sache (z. B. bei playdates), aber wenn man „unter sich“ ist, ist für mich Deutsch die richtige Wahl.