Auch für Ole bin ich unterwegs: einen Integrationsdienst für die Schule finden, Ergotherapie anleiern und eine geeignete Fachärztin bzw. einen Facharzt aufspüren. Außerdem gibt’s zufällig eine Fachtagung zum Thema Autismus in Deutschland an diesem Wochenende und bei der „Autismus-Selbsthilfegruppe“ schaue ich auch direkt vorbei. Schon gewusst? Was genau versteht man unter Autismus? Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich einiges über Autismus gelernt habe, z. B.: „Wenn du eine/n (Autistin/Autisten) kennst, kennst du genau eine/n.“ Sprich, jede und jeder ist komplett anders. Ich habe nun auch mehr Informationen über die Lage in Deutschland, aber die Situation von Ole bedrückt mich noch mehr als vorher. An den verschiedenen Anlaufstellen macht es doch den Eindruck, dass das Thema „Leben mit Handicap“ in Deutschland eine komplett andere Sache ist als in den USA. Die Inklusion von Kindern mit Handicap in den Schulen scheint bei uns noch in den Kinderschuhen zu stecken. Irgendwie reiben sich hier alle aneinander (Lehrer/innen, Eltern und Jugendamt). In der Selbsthilfegruppe lerne ich als Quereinsteigerin schnell dazu: Eine Mutter spricht von ihrem „Aspi“ (sprich Asperger) und ihrem „Normalo“, viele Eltern berichten vom „Kampf gegen das System“ (sprich: Schulamt/Jugendamt/Schulen), manche wirkten ziemlich abgekämpft, andere zynisch. Eine Mutter macht nur noch Urlaub in Italien und der Schweiz (weil die Leute da viel lockerer mit ihrem Sohn umgehen), eine Familie denkt darüber nach, nach Belgien umziehen, weil „die da viel weiter sind“. Die größten Verlierer sind die betroffenen Kinder. Ich bin geschockt, was für „Karrieren“ einige von den Grundschulkindern schon hinter sich haben (mehrfache Schulwechsel, unbegrenzte Suspendierung). Das soll Ole auf keinen Fall passieren. Der Besuch bei einer Psychologin war der Tiefpunkt: Sie zweifelte die Aussagekraft der Gutachten aus Amerika in einer arroganten und besserwisserischen Art an, die mich sprachlos machte. Da kamen alte Gefühle bei mir wieder hoch – diese überhebliche Art muss man einigen Deutschen echt mal abgewöhnen! Am Ende stritten wir uns fast darüber, wieso die Zahlen diagnostizierter Kinder in Amerika so viel höher sind. Also – bei allen Fragezeichen steht jedenfalls eins jetzt schon fest: Sie wird nicht die betreuende Ärztin von Ole. Unser Plan: Wir haben beim …
Zurück in Morristown
Als ich aus Deutschland zurückkomme, tickt unsere Zeit hier auf einmal ganz laut – es ist schon ein Realitätsschock, wenn man die verbleibenden Wochen plötzlich an einer Hand abzählen kann. Bei mir löst das ähnliches Unwohlsein wie ein Stromausfall aus – nicht mehr alles im Griff haben, den Boden unter den Füßen verlieren. Und wie bei unserem Start in den USA sind es die kleinen Dinge, die einen aus dem Tritt bringen, z. B. ein krankes Kind, Zahnschmerzen und solche alltäglichen „Kleinigkeiten“ – als ob der Rest nicht auch schon reichen würde! Aber erst mal geht es noch nach Plymouth in Massachusetts, an die Wiege der USA.
Das Tempo zieht an
Dieser Monat hat rasant an Tempo gewonnen. Die in den letzten beiden Monaten bereits aufgenommene Fahrt mit den Vorbereitungen des Umzugs wurde noch weiter beschleunigt – und dabei wird uns doch schon manchmal etwas schwindelig. Woran es liegt? Das hat natürlich damit zu tun, dass wir langsam aber sicher in die Umbruchsphase geraten. Es läppert sich … es passieren viele „Extras“, aber auch viel „Normales“: Nr. 1 ist momentan auf unserer Liste, für Ole (6) eine geeignete Schule zu finden: Das ist ein Hammerjob aus dieser Entfernung, der Kraft und Zeit kostet. Marc und Ole reisen dafür nach Deutschland, um sich Schulen anzugucken – und am Ende kommen wir schließlich zu einer Entscheidung. Haus ausmisten: Jeden Tag nehme ich mir dafür 30 Minuten vor. Unfassbar, was wir mit so ein paar Leutchen hier in zwei Jahren angesammelt haben … Mein Motto: „Begin anywhere“ (John Cage). Haus auf Vordermann bringen: Unser Vermieter will sein (unser) Haus verkaufen, und ab 1. April sollen hier schon Besichtigungen stattfinden. Amerikaner/innen renovieren ihr Haus grundsätzlich vor dem Verkauf (alles streichen, neue Tapete, neue Bäder, neue Küche). Daher laufen hier in den letzten Wochen immer wieder fremde Menschen durch unseren Garten und schauen sich das Haus von außen an. Nach dem ersten Besuch der Maklerin ist der ursprüngliche Plan allerdings obsolet: Als die das Haus von innen begutachtet hatte, meinte sie, dass das wohl eher ein europäisches Haus sei – mit Bildern der Kinder an der Wand, ihren Basteleien auf der Fensterbank, einem Matratzenlager als Elternbett in einem der Kinderzimmer und einem Kinderzimmer im master bedroom. Mit freundlichem Kopfschütteln sagte sie: „Americans want to see a real master bedroom.“ Naja, ich kann es nicht ändern, in dieser Hinsicht sind wir einfach immer noch viel zu unamerikanisch. Abwarten, was jetzt passiert. Übrigens sagte unser Umzugsunternehmer beim ersten Besichtigungstermin, dass er europäische von amerikanischen Häusern leicht unterscheiden könne, weil die Europäer/innen modernere Möbel und oft viel mehr Bücher in den Regalen stehen hätten. Und vieles andere mehr: etliche kranke Kids, Heuschnupfen, bei mir Prüfungen und Probleme in der Deutschen Schule (ein Kind fühlt sich gemobbt), Marc auf Europareise, …
Eine Schule für Ole
Diesmal fliegen Marc und Ole gemeinsam nach Deutschland. Wir hatten nach Marcs letztem Besuch in Deutschland schon eine Schule ausgeguckt und Ole sollte sich eigentlich nur noch kurz persönlich vorstellen. Es läuft auch alles gut. Bis auf eine „Kleinigkeit“, die Marc am Ende des Gesprächs erfährt: Diese Schule – die örtliche Waldorfschule – lässt keine zusätzlichen Hilfen im Unterricht zu! BUMM! Da haben wir wohl vorher schlecht recherchiert – jedenfalls schlage ich Alarm. „No sink or swim“ für Ole, sonst geht er ziemlich sicher unter (und der Rest der Familie gleich mit – zumindest halb). Er kann auf keinen Fall ohne Integrationshilfe auf diese Schule! Also wieder alles von vorne, Kontakte zu anderen Schulen, Termine zur Besichtigung, Gespräche mit der Schulleitung, Vorstellen von Ole. Marc ist eigentlich komplett mit geschäftlichen Terminen ausgelastet, aber es muss trotzdem irgendwie gehen. Wir haben inzwischen beim Jugendamt eine/n Integrationshelferin/er beantragt, aber wissen nicht, ob es genehmigt wird. In Sachen „Inklusion“ stehen wir in NRW wohl noch ganz am Anfang – im Vergleich dazu sind die Schulen hier in New Jersey Lichtjahre weiter. Aber es hilft ja nichts – also überall anfragen und dann entscheiden. Nach dem Rückschlag haben wir aber auch Glück – wir kennen einige Leute in Deutschland, die dann wiederum Leute kennen, die dann wiederum andere anrufen usw. Und so kommen wir in recht kurzer Zeit ganz gut weiter. Auf diesen Heimvorteil mussten wir jetzt über zwei Jahre verzichten, denn hier in New Jersey waren wir ja ein Nobody. Und eigentlich kommt der Heimvorteil gerade zur rechten Zeit, als wir mit unserem Latein ziemlich am Ende sind … Fazit der Schulsuche: Für ein Kind, das nicht ins Normkonzept passt, eine Schule zu finden, ist eine ganz schöne Herausforderung – und dabei sind wir ja schon einiges gewohnt. Dass wir 6.000 Kilometer weit weg wohnen, macht die Sache auch nicht gerade einfacher. Wir werden in den nächsten Jahren nicht nur intensivsten Kontakt zu den Lehrerinnen und Lehrern von Ole haben, sondern auch immer mit dem Jugendamt arbeiten müssen – Neuland für uns. Mal abwarten, wie das so laufen wird. Nach langem Hin und …
Abschied vom Schiff und Schwebezustand
Also: Die Idee, den Rückweg im Juni mit einem Kreuzfahrtschiff anzutreten, ist jetzt doch vom Tisch. Schade, denn dann hätten die Kids wenigstens mal sehen können, wie groß der Ozean ist, der zwischen Europa und Nordamerika liegt – damit wären die Proportionen mal begreiflicher geworden. Aber daraus wird nichts. Es gibt keine nebeneinanderliegenden Kabinen mehr, und für mich steht unumstößlich fest: Auf so einem Schiff möchte ich NIEMALS nach einem der Jungs suchen müssen. Gerade ist das Kreuzfahrtschiff „Costa Concordia“ im Mittelmeer vor der italienischen Insel Giglio gesunken und 32 Menschen sind umgekommen. Außerdem jährt sich der Untergang der Titanic auch genau zum hundertsten Mal dieses Jahr. Trotzdem schade. Unsere Stimmung in Bezug auf den Umzug schwankt hin und her. Ich habe immer wieder Déjà-vus: Der Spagat zwischen „hier sein“ und „drüben planen“, den Extra-Aufgaben für Theo und Tim und den bereits ersten Übersetzungen von wichtigen Dokumenten für Deutschland. Aber Theo hat sich auch schon über Post von deutschen Freunden als Antwort auf seine Übungsbriefe gefreut – mit Füller geschrieben! Unser Versuch, einen solchen Füller bei Staples zu bekommen, war allerdings nicht erfolgreich – hier schreiben die Schulkids nur mit Bleistift oder Kuli. Ich empfinde diese Gewichtsverlagerung schon als anstrengend. Aber manchmal hat der Schwebezustand auch Vorteile: Man muss die Dinge hier nicht mehr so ernst nehmen (z. B. die Hausaufgaben). Und die Aufgaben, die in Deutschland auf uns zukommen, sind noch weit genug weg und drücken nicht so. Irgendwie ist man gerade ein bisschen zwischen den Welten – fast wie vogelfrei.
„He is on the spectrum“
Und dann kam Ende Februar noch die Nachricht, die mich erst mal völlig unerwartet erwischt hat: Ole hat eine Autismus-Spektrum-Störung (so die Diagnose der Ärztinnen und Ärzte im Memorial Hospital). Die Ärztin sagte mir: „He is on the spectrum“ – so heißt das auf Englisch. Das ist eine „tiefgreifende Entwicklungsstörung“, die einer lebenslangen komplexen Störung des zentralen Nervensystems zugrunde liegt – insbesondere im Bereich der Wahrnehmungsverarbeitung. Mehr kann ich im Moment nicht sagen – liest sich alles nicht gut. Die Diagnose ist definitiv weitreichender und mit größeren Einschränkungen verbunden als ADHS, das bisher im Raum stand. Ich habe mir jetzt erst mal einen Haufen Bücher bestellt und werde mich schlau machen. Marc reagiert wie immer cooler als ich, aber ich bin mir auch nicht sicher, ob er die Tragweite begreift. Na ja, im Moment läuft eben viel parallel. Aber das schaffen wir auch noch!
Unsere Kids beim Zahnarzt
Was Sonnenbrillen und cookie dough-Geschmack mit dem Zahnarzt zu tun haben und warum ich als Rabenmutter abgestempelt werde. Und warum uns nach diesem Horrortrip nur noch ein apple cider mit Sahne und die goodie bags besänftigen können. Unser erster Besuch einer zahnärztlichen Praxis für Kinder war eine Steigerung zu meiner Zahnarzt-Erfahrung. Eigentlich sogar grauenvoll, jedenfalls für mich. Es ist lange her (wir leben ja jetzt schon seit zwei Jahren hier), dass mich etwas hier so auf dem linken Fuß erwischt hat. Dafür kam es jetzt umso so heftiger. Und so war‘s: Die halbjährliche Zahn-Routine-Untersuchung stand an. In Deutschland haben wir die immer in den Ferien hinter uns gebracht. Was ich wusste: Ein strahlend weißes (=gesundes) Gebiss ist in den USA viel wichtiger als in Deutschland. Hier einige Werbesprüche von diversen Praxen: „Your smile is your gateway to your personality.“ „Zoom! One Hour Whitening.“ „Smile Makeovers – now a movie star smile is as close as your mirror.“ „Dr. X has been handcrafting smiles for over 25 years.“ „Call us today for a beautiful new smile.“ „A healthy smile for a lifetime.“ Zunächst hörte sich bei meiner Recherche im Internet alles sehr verlockend an: Eine zahnärztliche Praxis für Kinder warb damit, dass sie besonders geschult sei im Umgang mit Kindern und „that it is so important for children to learn that going to the dentist can be fun“. Hört, hört! Wir haben uns dann für eine Praxis für Kinder hier in der Nähe entschieden, die sich auf ihrer Webseite kunterbunt, mit lachenden Kindern und Luftballons präsentierte – aber von wegen … Was ich nicht wusste: Zu einem Routinetermin für Kinder ab zwei bis drei Jahren gehören immer eine Untersuchung, eine professionelle Reinigung und eine Fluorbehandlung. So ging es los: Wartezimmer: Teppich, alte „Sperrmüllmöbel“ und lautes TV (nervig). Behandlungszimmer: ein fensterloses „Großraumbehandlungszimmer“ mit (Stell)wänden zwischen den Kindern. Es gibt wenige Türen, aber die, die da sind, stehen offen, auch wenn ein Kind gerade behandelt wird. Paul und Ole liegen „im Flur“, alle latschen hin und her, auch ein kleiner Junge mit Gipsbein samt Eltern humpelt vorbei (er kommt in ein separates …
Wie geht es mit den Kindern in Deutschland weiter?
Vor zwei Jahren haben wir Theo (7), Tim (6), Ole (4) und Paul (2) aus ihrem Leben „herausgerissen“ und sie nach Amerika verpflanzt. Mittlerweile haben sie Wurzeln geschlagen, finden sich im Alltagsleben gut zurecht, haben neue Freunde und lieben es, freitags nach der Schule vor dem Kamin zu sitzen. Jetzt im Januar, fünf Monate vor unserem Umzug, ändert sich die Blickrichtung für uns wieder Richtung Deutschland. Und auch, wenn sich „äußerlich“ noch nicht so viel tut, finde ich dieses Umschwenken im Kopf ganz schön anstrengend. Wie wird die Anpassung „rückwärts“ wohl werden? Wie wird es mit der Schule und mit Freunden laufen? Ole (6) wird in Deutschland eingeschult. Jetzt gilt es, eine geeignete Schule für ihn zu finden. Wir wollen auf jeden Fall vermeiden, dass er „Schiffbruch“ erleidet, von daher kein „swim or sink“ mehr, wie hier am Anfang – er braucht definitiv mehr Unterstützung als ein „Durchschnittskind“. Daher müssen wir uns Schulen ansehen, die diese Extrabetreuung bieten – kein leichtes Unterfangen, und aus dieser Entfernung schon mal gar nicht. Marc führt einige nächtliche Gespräche (Zeitverschiebung!) mit Grundschulen, denn der E-Mail-Kontakt ist an deutschen Schulen definitiv noch nicht so gut „entwickelt“ wie hier. Das kommt mir vor wie ein „Déjà-vu“, als ich vor zweieinhalb Jahren nachts in Deutschland am Telefon hing und die ersten Termine beim Kinderarzt in den USA zum „annual check“ gemacht habe. Marc fliegt zweimal nach Deutschland, führt Gespräche mit Schulleitungen und guckt sich Schulen an – und eigentlich wäre ich auch gerne mit dabei … aber okay. Außerdem wollen wir die Zeit hier noch nutzen, eine detailliertere Diagnose für Ole zu erhalten als die vor anderthalb Jahren in Deutschland („Verdacht auf ADHS“). Es geht uns nicht ums „Label“, sondern darum, die Therapien besser abstimmen zu können und auch zu schauen, welche Fördermaßnahmen wir an der Schule einfordern können. Eine Testung hier kam bisher nicht in Frage, weil Ole zuerst einmal genug Englisch können muss. Daher stehen nun viele Extratermine für diverse Tests und Gutachten im Child Development Center im Morristown Memorial Hospital an, ich fülle jede Menge dieser endlosen Fragebögen über Oles Entwicklung aus (manche …
„War alles nur Spaß, Jungs! :-) ”
In den letzten zwei Jahren waren wir alle damit beschäftigt, die amerikanische preschool und Schule und die damit verbundenen Aufgaben zu bewältigen. Für Ole war der Übergang wirklich schwierig, und es ist für ihn immer noch sehr anstrengend. Auch Tim musste sich das Lesen- und Schreiben-Lernen ganz schön erkämpfen. Für das Deutsche war da kein Platz – das wäre die totale Überforderung für ihn gewesen. Daher haben wir die Kinder nicht auf die Deutsche Schule geschickt, bei der ich arbeite. Jetzt verschiebt sich überraschend krass der Fokus im schulischen Leben: Warum noch englische “spelling words” pauken – vielleicht doch lieber wieder das Deutschbuch rausholen? In sieben Monaten wird Tim, der weder Deutsch lesen noch schreiben kann – also wirklich überhaupt nicht! – direkt in die dritte Klasse gehen. Theo hat zumindest rudimentäre Deutsch-Kenntnisse vom 1. Schuljahr, er kann Deutsch ganz gut lesen und auch nach englischen Lautregeln schreiben – fragt nur nicht, wie. Uns bleiben noch sieben Monate Zeit, das Deutsch von Theo und Tim aufzupolieren. Daher legen wir seit zwei Wochen am Wochenende eine Deutscheinheit ein. Denn ich finde einen etwas kontrollierten „Angriff“ besser als ein “Abstürzen” in einem halben Jahr, wenn die restliche Umstellung auch noch dazukommt. Es kommen Erinnerungen an unsere erste Zeit hier in Morristown hoch, wo wir mit Theo auch schon sonntags mit den Hausaufgaben angefangen haben, weil es unter der Woche einfach nicht alles zu schaffen war. Mit Theo arbeite ich jetzt Themen aus dem Deutschbuch der 2. Klasse durch (obwohl er hier in der 4. Klasse ist), Tim muss sich erst mal mit der deutschen Schreibschrift anfreunden. Das sogenannte „cursive” ist hier ein absolutes Stiefkind, wenig beachtet und kaum geübt. Meine Schulkinder an der deutschen Schule haben sogar Schwierigkeiten, meine Tafelanschriebe in Schreibschrift zu lesen. Ich staune, wie viele Fehler man in einem Wort machen kann (z. B. „lekeres flysh“ – leckeres Fleisch). Eine Mischung aus vereinfachter Ausgangsschrift und englischer Schreibweise. Der Trick bei „flysh“ ist, laut wie ein/e Amerikaner/in zu lesen – dann versteht man es. So trivial, wie ich gedacht habe, ist die deutsche Rechtschreibung eben auch nicht, wenn man …
Schneesturm
Warum Knacken im Garten beunruhigend sein und wann Schlafen vor dem Kamin gefährlich werden kann. Wieso Halloween ausfällt und warum ich endlich verstehe, weshalb so viele Amerikaner/innen lieber ohne Zaun leben. Schneesturm trifft auf Indian Summer Zwei Tage vor Halloween, genau eine Woche vor dem Marathon, hält komplett überraschend der Winter Einzug und bringt direkt einen Schneesturm mit. Die Leute hier reden von einem „Nor’easter“ – einem großflächigen Sturm mit Winden aus dem Nordosten, der häufig sturmflutartige Regenfälle, in diesem Fall aber einen Schneesturm mit sich bringt. Es trifft alle hier unerwartet – ich habe bisher keine hochmontierten Scheinwerfer, keine Schneemarken in Nachbarsgärten und keine snowploughs gesehen. Was aber schlimmer ist: Die Natur ist nicht darauf vorbereitet ¬– schließlich haben wir hier noch Indian Summer, also recht dicht belaubte Bäume. Ein Chaoswochenende Ende Oktober Samstagvormittag, 29.10.2011 Wir sind gerade, wo wir immer sind um diese Zeit: Ole hat Schwimmkurs und schwimmt seine allerallererste Bahn im doggy-style. Ich bin in der deutschen Schule und meine sonst so coolen Schulkinder laufen immer wieder aufgeregt zum Fenster: „It snows? … No, that is no snow! … Yes, it is snow … it sticks, it sticks.“ Und tatsächlich: Schnee! Und er bleibt liegen! Nach zwei Stunden sind es fast 30 Zentimeter! Schlidderfahrt mit Sommerreifen nach Hause. Dort ist Vitoria ganz aus dem Häuschen, denn das ist der allererste Schnee in ihrem Leben! Auch die Kids sind begeistert und wollen direkt mit den Schlitten raus … Samstagmittag Und dann auf einmal überall ein ungewohntes, unheimliches Knarren und Knacken im Garten. So was habe ich noch nie gehört, aber gut hört sich das nicht an. Es ist das gemeinsame Ächzen der Bäume, die die Schneelast kaum halten können. Die farbigen Blätter sind zum Teil noch unter den Schneehauben zu sehen. Eine ungewohnt bunte Wintermärchenwelt – aber im falschen Moment und nicht ganz geheuer. Marc pfeift die Kids zurück ins Haus – alle haben Ausgehverbot. Kurz danach wird es mit einem Mal dunkler und still im Haus: Stromausfall. Vitorias Bettzeug steckt in der Waschmaschine fest, alle Lampen sind aus und unsere Heizung funktioniert …