Was unseren Haushalt angeht, so kommt unser Haus (und ich beim Einkaufen) jetzt an seine Grenzen. Mit drei „Langzeit“-Besuchern sind wir zu neunt – allen voran meine Mutter, die die Frauenquote etwas anhebt und mir ganz viel im Haus und mit den Kids hilft. Nach dem stressigen Februar komme ich wieder zur Ruhe und genieße die kleinen Freiräume umso mehr. Tausend Dank! Ansonsten sind wir fast wie ein alternatives Wohnprojekt, in dem viele Menschen verschiedener Generationen unter einem Dach wohnen: Unsere Kids (unter 10 Jahre), Philipp aus Marcs Familie (20 Jahre), Martin, Marcs Cousin (fast 30 Jahre), Marc und ich (fast 40 Jahre) und meine Mutter als Oma – da kommt Leben ins Haus und feine Beziehungsnetze spannen sich kreuz und quer. Theo und Tim stürzen sich auf Philipp, da sie endlich jemanden haben, der sich mit Star Wars auskennt (und nicht wie ich immer nur „hmm … ja … ja“ sagt), Fußball spielt und Nachtpartys zu Bruno Mars’ „Grenade“ mit ihnen feiert. Aber es läuft wirklich gut, und wenn man nicht gerade als letzte oder letzter morgens duscht, hat man auch noch warmes Wasser 😉 . Ich kann eine „Lost and found“-Stelle in der Waschküche aufmachen, weil es mal wieder zahlreiche Socken und Pullover gibt, die herrenlos bleiben und die niemandem gehören wollen – faszinierend.
Der Sommer als Reizthema
Unser neues Reizthema ist der Sommer, also die Zeit von Ende Juni bis Anfang September (elf lange Wochen), in der die Kids keine Schule haben. Die ersten Reklameblätter für die summercamps flattern ins Haus und die ersten Organisationsversuche (wer, wo, mit welchen Kindern, wie lange, welche summercamps) verlaufen wenig euphorisch – ein Thema, das definitiv weder bei Marc noch bei mir gut ankommt. Aber da müssen wir – noch einmal – durch!
Chaos
Als ich am Tag nach unserer Ankunft um zwei Uhr nachts in der Waschküche inmitten riesiger Wäscheberge stehe, in einem Haus, das noch unvertraut riecht, wo die meisten Koffer unausgepackt die Hausflure blockieren, Tim (6) und Paul (3) putzmunter im Esszimmer „zu Abend essen“, während Theo (8) sich mit Magen-Darm im Bett quält, da frage ich mich schon, was ich hier mache. Ich kann kaum glauben, dass wir gerade erst angekommen sind und bereits so ein Chaos herrscht. Vor 24 Stunden saßen wir noch voller Vorfreude im Flugzeug, und jetzt fühle ich mich elend … Und wo, bitte sehr, kommt soviel Wäsche in so unglaublich kurzer Zeit her? Ich traue mich kaum, es zuzugeben, aber ich vermisse ganz kurz meine amerikanische Waschmaschine, die eine doppelt so große Waschtrommel hat wie meine „Miele“ in Deutschland. Struktur gegen Chaos Da dies die zweite Chaos-Nacht in Folge ist – die Nacht davor wurde uns durch die Zeitverschiebung ganz „geklaut“ – geht man dann doch ganz schön auf dem Zahnfleisch. Ich habe das Gefühl, dass ich vor lauter Müdigkeit und Reizüberflutung gar nicht mehr geradeaus denken kann. Das Einzige was hilft: kühlen Kopf bewahren und den Tag strukturieren (Marcs Spezialität), sich fokussieren und dann aufräumen (meine Spezialität)! Also: einfach irgendwo anfangen und wenigstens schon an einer Stelle ein bisschen Struktur ins allgemeine Chaos bringen!
Kulturschock Bettzeug
Als unsere Putzfrau unsere Betten das erste Mal bezieht, stellen wir abends überrascht fest: Die Bezüge sind auf links aufgezogen – okay, wir erklären ihr das kurz … In der nächsten Woche klappt es dann auch besser – zumindest auf den ersten Blick: Die Bezüge sind richtig herum aufgezogen. Wir wundern uns nur abends darüber, dass die Decken so schwer sind. Kein Wunder, denn sie hat die alten Bezüge nicht abzogen, sondern die neuen einfach noch drübergezogen! In der nächsten Woche erleben wir abends dann noch mal eine Überraschung: Diesmal steckt meine Matratze (!) fein säuberlich im Oberbettbezug. Jetzt reicht’s mir und ich mache das von nun an selbst. Geht schneller, als es jede Woche den wechselnden Putzteams zu erklären. Die kulturellen Verwirrungen funktionieren also auch andersherum –scheinbar triviale Dinge sind eben auch kulturell geprägt.
Bullauge willkommen
Ich bin sie los – unsere Zombie-Waschmaschine. Unsere neue Waschmaschine hat das Bullauge vorn, kennt zwar auch keine Gradeinstellungen, aber sie schleudert ordentlich, hat ein Fusselsieb, und sogar ein Programm mit „very hot“, mit dem ich mir einmal schon die Wäsche verfärbt habe (und ich habe mich darüber gefreut). Endlich!
Ausblick auf den September 2010
Mit Beginn des neuen Schuljahres kommt Theo auf eine neue Schule (die Alexander Hamilton), Tim bleibt auf der Hillcrest School, Paul geht ebenso weiter in seine preschool-Gruppe. Morena, unser Au-pair aus Brasilien, wird Anfang September anfangen und ich beginne als Deutschlehrerin an der deutschen Schule in Morristown. Und ganz wichtig: Wir müssen Ole einen guten, langsamen Start ermöglichen. Heißt: Gespräch mit der preschool, langsames Eingewöhnen, Ergotherapie und einige Änderungen in Haus und Garten, damit es insgesamt ruhiger wird und Ole sich wohler fühlt. Für Paul ändert sich nichts und er wird weiterhin mit Ole zur preschool gehen.
Nix mit Routine
Unsere Routine vom Mai ist leider wieder dahin. Unser Leben stand im Juni und Juli ziemlich Kopf: Ole hat sich das Handgelenk gebrochen (die Erfahrungen in der Notfallaufnahme waren nicht die besten) und der Schreck sitzt uns allen noch in den Knochen. Wir hatten aber auch einige Feiern (zwei Kindergeburtstage, eine Sommerparty) und sind inzwischen um einiges klüger, was amerikanische Partyregeln angeht. Die Kinder haben ihr erstes Schul(halb)jahr beendet, es gab Zeugnisse (report card) und sie standen mit ihren Klassen auf der Bühne. Und unsere Hilfe, Duaa, ist wieder weg. Hals-über-Kopf. Bumms. Trotz der unruhigen Zeiten gab es zwei absolute Highlights (gute Laune und schöne Füße), an denen ich mich hochziehen kann. Und wir sind jetzt ein knappes halbes Jahr hier – Zeit für eine zweite Bilanz (auch hier später mehr).
Oma statt Duaa
Oma Karin kommt zu Besuch und packt ganz kräftig mit an. Zum Glück! Denn Duaa hat uns Hals-über-Kopf wieder verlassen. Danke an Oma Karin! Und dann noch zwei Unfälle und viele Abschiede Tim (6) läuft beim Herumtoben gegen eine Tür und muss an der Augenbraue genäht werden. Ole (4) fällt die Treppe runter, bricht sich das Handgelenk und zieht sich eine dicke Platzwunde am Kinn zu. Was dann auf uns zukam, lest ihr bei „Hilfe! Emergency Room!“
Schon ganz gut paddelnd unterwegs
Warum ich das Haus nicht ohne mein TomTom verlasse und mich nur schwer an die „staying-at-home mom“ gewöhnen kann. Warum aber zum Glück die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der amerikanischen Leute einfach nur gute Laune machen. Bilanz nach sechs Monaten USA Vieles ist jetzt – im Juni/Juli 2010 – toll, vieles nicht. Ich ziehe den Hut vor allen Leuten, die ihre Heimat verlassen und sich woanders niederlassen – vor allem vor denen, die nicht Zugriff auf die Dinge hatten, die mir/uns hier das Leben am Anfang erleichterten und jetzt fester Bestandteil sind: Gleichgesinnte In unserer Gegend sind viele deutsche und europäische Firmen angesiedelt (z. B. BASF, Novartis …). Daher gibt es selbst bei uns in Morristown eine Menge deutsche Familien. Das Verrückte ist, dass man nur eine/einen Deutsche/Deutschen treffen muss, um – im Zeitalter von Mailing-Listen – auf einmal mit ganz vielen Leuten vernetzt zu sein, die alle in derselben Situation stecken. Ich war direkt im Januar bei einer „wine tasting“-Party eingeladen, und schwupps, schon hatte ich Gleichgesinnte gefunden und sofort ein soziales Netz. Von den Expats bekommt man Antworten auf die vielen größeren und kleinen Fragen, wie z. B. „Wie war das bei euch am Anfang?“, „Wie habt ihr eure Kinder beim Englischlernen unterstützt?“, Wo gibt es hier Leberwurst/gutes Brot/Quark/Würstchen?“, „Welcher Kinderarzt/Friseur/Kindergarten ist empfehlenswert?“, „Wie viel Geld muss ich für ein Geschenk bei einem Kindergeburtstag ausgeben?“ … Außerdem lernt man, dass man nicht die einzige ist, die manchmal gegen die unsichtbaren Wände knallt. Und dann kann man sich auch mal schön gemeinsam wundern. 🙂 Ich treffe übrigens immer wieder zufällig auf Deutsche, einfach weil sie sich an denselben Orten aufhalten wie ich mit unseren Kindern – zum Beispiel auf dem einzigen Spielplatz mit Sandkasten im Nachbarort Madison. Hier scharen sich die deutschen Frauen mit ihren Kleinkindern. Wer nur mit locals zu tun haben möchte, muss die Orte meiden, die die eigenen Kinder lieben.
Mein heißgeliebtes TomTom
Im Ausland Autofahren ist einfach anders. Auch wenn die Leute hier i. d. R. viel gelassener und wohlwollender fahren als deutsche Autofahrer/innen (Ausnahme: Trucks – komplett Irre), ist das schon öfter eine Herausforderung. Dazu kommt, dass mein „sense of direction“ miserabel ist und ich auf dem Rückweg von der Toilette im Restaurant schon mal verloren gehe 🙂 . Schlechte Voraussetzungen für einen kompletten Neustart in fremder Umgebung! Ohne Navi wäre das alles noch viel stressiger, und die Kids und ich kämen wohl oft hoffnungslos zu spät (wenn wir denn überhaupt ankämen). Daher bekenne ich offen: Nie wieder ohne mein TomTom! Internet: Kindergärten, Restaurants, Geschäfte, Sportmöglichkeiten … welch ein Segen, im Internet nachschauen zu können und einen Überblick zu bekommen. Wie viel mühsamer muss ein Quereinstieg mit einer Familie noch vor 20 Jahren gewesen sein! E-Mails: Ich telefoniere kaum mit Deutschland (Zeitverschiebung), dafür kann ich bequem abends E-Mails schreiben und dann am nächsten Morgen die Antworten lesen.