Im Flieger geht’s schon los

Wir dürfen wieder als erste ins Flugzeug (family boarding) und haben daher genügend Zeit, alle nachkommenden Passagiere ganz in Ruhe zu beobachten:   Die Deutschen meist bestrumpft und geschlossen „beschuht“, mit Fleecejacken, tendenziell eher ungeduldig, einige bedienen sich einfach an den Zeitschriften in den overhead bins. Die Amerikaner/innen Baseballkappen, halbnackte Babys auf dem Arm, eher geduldig (wenn der Vordermann Sachen im overhead bin verstaut), pedikürte Füße in Flip-Flops, fragen die Flugbegleiter/innen, ob sie eine Zeitschrift haben können. Die erste Woche … … ist teilweise etwas anstrengend und auch aufregend. Paul (4) schläft mit Jetlag vor dem Fernseher, Tim (7) macht zum zweiten Mal in seinem Leben Erfahrungen mit Brennnesseln, und Theo (9) ist bei der Uhrzeit komplett verwirrt („Halb drei?“ – Is that two thirty, or three thirty? – I don’t get it). Beim gemeinsamen Mittagessen üben wir dann alle mal wieder, mit geschlossenem Mund zu essen, und statt des Tutens vom NYC-Zug hören wir jetzt wieder regelmäßig das Glockengeläut der Kirchen – ungewohnt vertraut.   Als wir mit dem Auto unterwegs sind und Radio hören, wundert sich Tim: „Gibt es in Deutschland kein Radio?“ – „Warum?“ – „Aber das sind doch alles englische Lieder?“ Und als ich mit WDR 5 ein bisschen tagesaktuelle Politik tanken möchte, meldet sich Paul nach kurzer Zeit: „Ist das Deutsch?“ Dafür gibt es jedes Mal, wenn ein Betonmischer in Sicht ist, großes Gejohle auf der Rückbank (in New Jersey gibt es die nur super selten, weil ja alles aus Holz gebaut wird). Eine liebe alte Nachbarin grüßt mich zufrieden: „Hallo Fräulein Britta, sind Sie ein bisschen dicker geworden?!“ Also, dass die Hosen an den Beinen enger geworden sind, mag ja an Muskeln liegen, aber in der Taille … – blöde Esserei, schwer zu dosieren für mich wegen der Lauferei. Also abgenommen habe ich definitiv nicht, aber solange der Gürtel noch ins selbe Loch passt, auch wenn´s enger wird, bleibe ich cool (die Waage habe ich vor Jahren aus dem Fenster geworfen). Ohne Flagge? In Deutschland haben die Sommerferien noch nicht begonnen und so gehen Theo und Tim zum Unterricht in ihre entsprechenden Klassen – …

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Schulchaos Deutschland

Während der ersten Tage in Deutschland habe ich eine ganze Horde von meinen preschool moms im Schlepptau – fühlt sich jedenfalls so an. Jeder Versuch, sie abzuschütteln misslingt, sie verfolgen mich im Kopf auf Schritt und Tritt, und ich überlege bei vielen Situationen, was sie wohl jetzt denken oder sagen würden – es nervt. Deutschland aus der Sicht amerikanischer Mütter würde sich wohl etwa so anfühlen: Schon auf dem Schulweg bekommen meine amerikanischen Mütter ihren Mund nicht mehr zu. Überall sind Kinder unter zehn Jahren ohne Eltern auf den Straßen unterwegs – manchmal in Gruppen, manchmal auch allein. Meine „Begleiterinnen“ bleiben ganz nah bei mir und sind fürs Erste sprach- und fassungslos. Dann kommen wir auf dem Schulgelände an, die Kinder laufen wild rufend durcheinander, fröhlich bis wild, einige stellen Beinchen, andere fangen wieder andere an den Kapuzen, die Schulhofaufsicht ist nicht in Sicht: aufgeregtes Getuschel hinter mir – ich höre etwas von rough housing, not safe, und ich stimme irgendwie zu. Ja doch, da ist die Aufsicht, zwei Kinder berichten ihr, dass sich zwei andere Kinder gerade prügeln – die Aufsicht winkt ab („das machen die jeden Tag“), da kommen gerade andere Kinder mit ihrem Fahrrad über den Schulhof gebraust (vielleicht aus der zweiten Klasse?). Offenes Staunen, einige missbilligende Worte – viel zu gefährlich. Wo sind bloß all die Eltern zu diesen Kindern? Ich ertappe mich, wie ich auch fast die Kamera zücke, um ein Foto zu machen. Ein Gewusel mit hohem Lärmpegel. Ein Kind ist am Boden, wird von anderen verprügelt – ich mische mich ein. „Der will das so!“, lautet die Verteidigung. Himmel, ist das der Wilde Westen hier? Meine New Jersey moms pendeln zwischen Ungläubigkeit und Entgeisterung, stehen unschlüssig auf dem Schulhof herum und beobachten alles ganz genau. Nun bringen wir Tim zu seiner Klasse (die Klasse, in die er in einem Jahr nach unserer endgültigen Rückkehr hineinkommen wird). Er darf dieses Jahr für die letzte Schulwoche schon zum „Schnuppern“ kommen. Die Schultür ist natürlich für alle offen, die moms tauschen ungläubige Blicke aus! Eltern, Kindern, Lehrer/innen, Großeltern … alle gehen hier ein und aus, wie …

Schon bald laufen wir wieder mit

Endlich, endlich, nach der ersten Woche sind die meisten meiner „moms im Kopf“ wieder heimgeflogen (mit klarer Ansage an ihre Männer: „Hier ziehen wir nicht hin!!!“), und bald lassen sie mich ganz in Ruhe – gut so. Jetzt kann ich wieder ohne Stress laufen gehen – über alle Hundehaufen und Nacktschnecken hinweg. Wie schön flach es hier bei uns ist 🙂 . Ich betreibe fleißig Fundraising-Aktionen für meinen Marathon in der Umgebung (Kita, Schulfeste, private Feste) – darüber an anderer Stelle mehr. Theo und Tim gehen morgens noch für eine Woche alleine zur Schule, unsere Kinder sind jeden Tag zu Fuß unterwegs und stromern danach noch durch den Garten (ganz wie früher). Vor unserer Haustür werden die Stöckeberge mit jedem Streifzug der Kinder von Tag zu Tag größer, und Theo ist auch eigenständig zu seinen Freunden unterwegs. Man merkt ihm an, dass es ihm gut tut und er dadurch wächst, aber es ist auch ungewohnt, ihm so viele Freiheiten zu lassen. Ich bin selbst über meine Sorgen überrascht – vor eineinhalb Jahren war ich definitiv cooler, aber nach so langer „Totalüberwachung“ muss man sich da wohl erst langsam wieder herantasten. Wie das wohl erst in einem Jahr sein wird? Aber wir lassen uns den Spaß nicht verderben. Wir genießen die guten Kartoffeln, die leckere Wurst, den scharfen Senf, die „Süddeutsche“ und den Reistopf mit Fleischbällchen.   Vitoria tourt in ihrer freien Zeit durch Europa (Paris, London, Berlin etc.). Sie fragt sich, wie wohl der deutsche Winter so ist (wenn schon der Sommer so verregnet und kalt ist). Aber sie lässt sich weder vom Wetter noch von den unfreundlichen Busfahrern noch von den Deutschen (die ihr leider oft auf Englisch keine Auskunft geben können) aus der Fassung bringen und gehört ab jetzt endgültig fest mit zur Familie. Ich will nach Hause! Und nach fünf Wochen fragt Tim zum ersten Mal, wann wir wieder nach Amerika fahren. „Warum, willst du wieder zurück?“ Ja, Tim will – wegen der Spielzeuge, wie er sagt. Also kosten die Kids noch mal ausgiebig ihre Freunde aus, haben viele sleepovers und playdates, bevor es für sie dann …

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KEEP TALKING (8) – 18 Monate USA

Wie eineinhalb Jahre USA langsam ihre Wirkung zeigen. Und warum es manchmal auch witzig ist. Zum Beispiel, wenn Theo sagt „Wir sind an Butter ausgelaufen!“   Gleich geht’s in den Sommerurlaub nach „Good Old Germany“. Die Zeit in Deutschland kommt wie gerufen – mir ist in letzter Zeit aufgefallen, dass die vier kaum noch einen „geraden“ deutschen Satz herausbringen. So fragte mich Theo (9) kürzlich, nachdem er mir etwas erklärt hatte und wissen wollte, ob ich das verstanden habe: „Kriegst du das?“ Ole (6) erzählte mir begeistert nach dem summercamp: „Ich bin durch die pit gecrawled“, und Paul (4) berichtete: „Da sind twenty-one people in dem Bus. Ich hab gecounted.“ Paul hat seit einigen Wochen einen genial einfachen Trick gefunden: „Ich trinke nur das Saft./ Mama, kannst du das Rest essen? / Ich komme mit das Buch.“ Warum sich mit einer unpraktischen Sache wie Artikeln aufhalten … (die anderen drei machen diese Fehler nicht!). Und Tim (7) bringt es kurz vor unserem Abflug nach Deutschland auf den Punkt: „Ich freue mich total, nur noch zwei mehr Tage bis wir fahren.“   Im Englischen sind Tim und Theo mittlerweile richtig zuhause. Ein Blick auf ihren Test Ende dieses Schuljahres zeigt, dass beide vor allem im mündlichen Sprachgebrauch riesige Fortschritte im Vergleich zum letzten Jahr gemacht haben. Tim ist im Sprechen bis zur obersten Kategorie geklettert. Theo hat sich vor allem in den Bereichen „Hören, Sprechen und Schreiben“ weiter verbessert.   Hier einige Beispiele aus unserem Alltag: Tim: Wie magst du mein Flugzeug, Mama? (Juni 2011) Theo: Wir sind an Butter ausgelaufen. (Juni 2011, als er feststellt, dass wir keine Butter mehr haben.) Theo: Ich bin ernst. (Mai 2011, als er sich nicht ernstgenommen fühlt und mir klar machen will, dass ich ihn ernst nehme.) Paul: Ich trinke nur das Saft / Mama, dann kannst du das Rest essen / Ich komme mit das Buch. (Mai 2011; Paul benutzt fast nur noch den neutralen Artikel – das hat er vor einem Jahr noch nicht gemacht. Die anderen machen diese Fehler so gut wie gar nicht.) Tim: Mama, kannst du wieder mit mir …

Vieles verboten

Philipp (20) ist also unser erster Besucher, der sich hier so einiges abgewöhnen muss, weil er in Deutschland einfach viel mehr darf. Er hat kein Auto, weil er sich keins leihen darf (wäre in Deutschland allerdings auch nicht anders), und muss daher viele Strecken zu Fuß zurücklegen. Da kommt dann im Laufe der Wochen einiges zusammen, aber es hält auch fit 🙂 . Und dem Alkohol muss er auch entsagen, zumindest an öffentlichen Plätzen. Wir sind uns auch nicht so ganz sicher, ob wir ihm im Haus Alkohol geben dürfen, denn was, wenn er mit einem Glas Wein intus die Treppe runterfällt, zum Arzt muss und dann “rauskommt”, dass er Wein getrunken hat – dann sind wir wohl dran. Wir riskieren es 🙂 . Einige Türen von Clubs und Shows in NYC bleiben für ihn geschlossen – das ist bestimmt schon komisch, nach zweieinhalb Jahren Volljährigkeit in Deutschland. Also, mit 20 Jahren in die USA zu reisen, ist manchmal schon ein Rückschlag und ich glaube, Philipp freut sich auf sein Auto in Deutschland und darauf, nächsten Monat wieder „richtig“ volljährig zu sein. Für Vitoria (19) sieht es in dieser Beziehung noch düsterer aus: Sie muss zwölf Monate durchhalten, bevor sie, wenn sie wieder zurück in ihre Heimat fliegt, ihre alten Rechte aus Brasilien wiederbekommt.

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KEEP TALKING (7) – 15 Monate USA

Wie riesig die Lernfortschritte der Kinder nach 15 Monaten sind und wie das Englische immer mehr aufs Deutsche abfärbt.   Im zweiten Jahr reden Theo (8) und Tim (7) dann nur noch Englisch untereinander, während sie mit Ole (5), Paul (4) und mir meist Deutsch sprechen. Nur wenn Theo sich richtig aufregt und emotional ist, redet er ausschließlich Englisch. Ole und Paul reden meist Deutsch untereinander.   Zu Beginn des zweiten Jahres gelingt es auch Paul immer besser, die Sprachen zu trennen, wobei er sie direkt mit Personen verbindet: „Nein, nicht so wie Morena spricht. Rede anders.“ (Unser Au-pair Morena spricht natürlich Englisch.) Paul kann auf einmal auch schnell hin und her wechseln. So ruft er Morena, nachdem das Puzzle fertig ist: „I’m done. I’m done.“ Als er sie nicht findet und Marc sieht, ruft er: „Ich bin fertig.“ Ihm gehen einige Lichter auf: „›You are welcome‹ heißt ›bitte‹, richtig?“ (Febr. 2011) Ab dem Zeitpunkt, wo Paul im März in der preschool tatsächlich Englisch spricht, entwickeln sich seine Sprachkenntnisse zusehends (noch mit einigen deutschen Wörtern, um Vokabellöcher zu stopfen). Sätze wie „Morena, can you this out cut?“ (Jan. 2011) höre ich immer weniger. Im Urlaub in Florida staunen Marc und ich, wie viel Englisch die Kids schon können. Auch Ole hat Riesenfortschritte gemacht und spricht viele rein englische Sätze. Paul ist nicht zu stoppen: You have so viele wundervolle Palmen here! Mit ihrem Deutsch passiert zu Beginn des zweiten Jahres etwas Auffälliges: Theo und Tim benutzen immer öfter wörtliche Rückübersetzungen vom Englischen ins Deutsche. Sie bilden also Sätze, die nur aus deutschen Wörtern bestehen, die Grammatik stimmt ebenfalls, aber trotzdem redet so kein „rein deutsches“ Kind, irgendwie „unidiomatisch“. Hört sich oft witzig an, und ich muss öfter grinsen, aber ab jetzt muss ich unseren Gästen schon mal erklären, was sie damit meinen. Die Formulierungen kenne ich auch von meinen amerikanischen Schulkindern und langjährigen Expatkindern in der Deutschen Schule: Vielleicht ist das ein Wendepunkt, wo das Englische langsam die Führung übernimmt und immer mehr aufs Deutsche abfärbt – mal sehen. Theo: Papa hat mich reingesendet, um mir andere Schuhe anzuziehen. (März …

KEEP TALKING (6) – Zwölf Monate USA

Wie nach einem Jahr das Englisch aller Kids immer flüssiger wird und jetzt auch zuhause Einzug hält. Und warum ihr Deutsch gleichzeitig immer mehr Fehler zeigt.   Nach einem Jahr hat sich viel getan in der Sprache der Kinder: Seit Sommer redet Theo (8) fast nur Englisch zuhause, und auch er und Tim (6) reden immer mehr Englisch miteinander, egal wo sie sind. Theo macht sich Ende des Jahres sogar große Sorgen um sein Deutsch, und das bedrückt ihn wirklich. Marc konnte ihn beruhigen, als er ihm klarmachte, wie schnell er Englisch gelernt hätte – das würde dann auch wieder funktionieren, wenn wir zurück nach Deutschland gingen. Tim träumt auch auf Englisch – er redet immer im Schlaf. Ole (5) entwickelt sich weiter gut in der preschool und bleibt inzwischen sogar manchmal bis zwölf Uhr dort (also den sogenannten half day). Paul (3) singt voller Begeisterung ungefähr 1.000 Mal im Auto und zuhause den Refrain vom Lied „Mary had a little lamb“ auf Englisch und fragt mich nach dem 1001. Mal: „Warum eigentlich ›Lampe‹?“ J Er bedient sich frei bei beiden Sprachen. Wenn er mit unserem Au-pair Morena Englisch spricht (sie versteht ja kein Deutsch), dann mogelt er viele deutsche Verben unter und hat häufig eine deutsche Wortstellung, z. B. „I zeig you what.“ Das klingt dann fast so, als ob man das Englisch der Deutschen so richtig karikiert. J Aber egal, wie viel da durcheinander geht – Hauptsache, die anderen wissen, was er sagen will. In der preschool spricht er hingegen immer noch nicht. Gegen Ende des ersten USA-Jahres benutzt Tim Adverbien im Englischen korrekt (I can read the book easily), während Theo die meisten „if-clauses“ richtig bildet, also ohne „would“ im if-Satz („If I told you that I did my reading homework already, would you let me play on the Wii?“ (Das „would“ im „if-clause“ ist eine Interferenz vom Deutschen, die man deutschen Schulkindern kaum abgewöhnen kann). Im Deutschen kommen nun Präpositions- und Konjunktionsfehler dazu, die auf Rückübersetzungen beruhen und wirklich sehr „schräg“ klingen. Auch handfeste Grammatikfehler bei den Verben (v. a. den Vergangenheitsformen) machen sich breit. Ab …

Zurück in die Zukunft

Während wir bei unserem Sommeraufenthalt sehr schnell wieder in Deutschland „angekommen“ waren, war die Landung bzw. die ganze erste Woche zu Weihnachten einfach sehr ruppig. Was war anders? Trauriges Gefühl zu Weihnachten Zunächst einmal ist es gerade Winter in Deutschland: saukalt, mega glatt (kein Streusalz mehr!) und einfach Grau in Grau (ja richtig, hatte ich schon fast vergessen). In der warmen Jahreszeit kann man per se leichter Fuß fassen, glaube ich. Hinzu kommt, dass der Effekt „zurück in die Zukunft“ (man erwartet Alt-Vertrautes, aber landet doch irgendwo in der Zukunft) nach einem knappen Jahr im Ausland deutlich gravierender ausfällt als noch im Sommer. Klar, mit vielem ist man zuhause sofort wieder vertraut, aber bei einigen Dingen muss man quasi einen „Schnellverdauungsdurchgang“ einlegen (all das, was die Umwelt bereits im normalen Tempo verdaut hat). Das empfinde ich vor allem für die kleinen Menschen, die inzwischen neu dazugekommen sind (und jetzt schon fast laufen können), aber noch viel mehr für die zwei Menschen, die nicht mehr da sind (ein Nachbar und eine Verwandte – beide im Herbst gestorben). Ihre „Lücke“ in der alt vertrauten Umgebung haut mich fast um – viel mehr als in Morristown, wo sie mir nicht so richtig fehlen konnten, weil sie nie zum Leben dort dazu gehört haben. Aber in Deutschland werde ich jedesmal daran erinnert, wenn ich das Haus verlasse – nein, das kalte, traurige Gefühl im Bauch passt nicht zu Weihnachten.

Chaos

Als ich am Tag nach unserer Ankunft um zwei Uhr nachts in der Waschküche inmitten riesiger Wäscheberge stehe, in einem Haus, das noch unvertraut riecht, wo die meisten Koffer unausgepackt die Hausflure blockieren, Tim (6) und Paul (3) putzmunter im Esszimmer „zu Abend essen“, während Theo (8) sich mit Magen-Darm im Bett quält, da frage ich mich schon, was ich hier mache. Ich kann kaum glauben, dass wir gerade erst angekommen sind und bereits so ein Chaos herrscht. Vor 24 Stunden saßen wir noch voller Vorfreude im Flugzeug, und jetzt fühle ich mich elend … Und wo, bitte sehr, kommt soviel Wäsche in so unglaublich kurzer Zeit her? Ich traue mich kaum, es zuzugeben, aber ich vermisse ganz kurz meine amerikanische Waschmaschine, die eine doppelt so große Waschtrommel hat wie meine „Miele“ in Deutschland.   Struktur gegen Chaos Da dies die zweite Chaos-Nacht in Folge ist – die Nacht davor wurde uns durch die Zeitverschiebung ganz „geklaut“ – geht man dann doch ganz schön auf dem Zahnfleisch. Ich habe das Gefühl, dass ich vor lauter Müdigkeit und Reizüberflutung gar nicht mehr geradeaus denken kann. Das Einzige was hilft: kühlen Kopf bewahren und den Tag strukturieren (Marcs Spezialität), sich fokussieren und dann aufräumen (meine Spezialität)! Also: einfach irgendwo anfangen und wenigstens schon an einer Stelle ein bisschen Struktur ins allgemeine Chaos bringen!

Zeitsprünge

Auch die Kids müssen sich erst wieder zurechtfinden und jeder reagiert anders. Sie treffen sich direkt mit ihren Freunden, nach einer kurzen Aufwärmphase ist alles fast wie immer. Aber eben nur fast – es ist genau, wie einer von Theos Freunden leise zu mir meint: „Theo ist anders geworden“. Es klingt weniger vorwurfsvoll, sondern mehr überrascht und vor allem ratlos. Ja, Theo hat sich sicherlich verändert (man braucht ja nur an sein Pizzaerlebnis zu denken, als er erfuhr, dass sein Freund kein Weihnachten sondern Hannukah feiert) und jetzt steht er ziemlich bedröppelt daneben. Was soll er dazu sagen? Mir fällt auch nichts ein – da hilft nur ein Drückerchen für beide. Die Zeit ist eben doch nicht stehen geblieben, weder für unsere Freunde noch für uns. Das Flugzeug überwindet die räumliche Distanz von 6.000 Kilometern in sechseinhalb Stunden mühelos, aber danach muss man selber auch noch einmal in der Zeit springen (und damit meine ich nicht den realen Zeitunterschied), damit man wirklich dort ankommt, wo man gelandet ist – irgendwo zwischen Vergangenheit und Zukunft. Und in diesem Durcheinander geht einem die Weihnachtslust schon mal verloren. Wie gut, dass man dafür Kinder hat! Ole (5) beschwert sich in den ersten Tagen immer wieder: „Hier sieht es noch gar nicht nach Weihnachten aus!“ Und was soll ich sagen? Er hat Recht! Puh …