Wie, Laufen verboten?!

Bewegung in unserem Alltag

Warum die Amerikaner/innen quasi in ihren Autos leben und wie es kommt, dass man zu Fuß unterwegs schon mal von der beunruhigten Polizei angehalten wird. Warum Mütter ihre Kinder im Sportdress zur preschool bringen, dann aber den Aufzug in die 1. Etage nehmen.

 
Die Amis und ihr Auto
In Deutschland waren wir immer viel zu Fuß unterwegs: zu Kindergarten und Schule, zum Einkaufen (mit Kindern im Kinderwagen), zum Spielplatz, zum Eisholen … Das hat sich hier komplett verändert, was gleich mehrere Gründe hat.

Klar, man hat sie schon hundertmal gehört, diese typischen Geschichten:

  • In den USA braucht man immer ein Auto, weil alles so weit auseinanderliegt.
    Ja, stimmt, denn die USA sind flächenmäßig ca. 25 Mal so groß wie Deutschland.
  • Vielen Expats geht genau dieses Autofahren in den USA auf den Wecker.
    Ja. Und ich muss zugeben, dass ich es erst jetzt verstehe, wo ich es selbst erfahre.
  • Die Amis leben in ihren Autos.
    Ja, stimmt auch. Nach der Anzahl der cupholder zu urteilen, nach ihrer Angewohnheit, die Autos sogar mit Weihnachtskränzen am Kühler auszustatten und nach ihrer Unart, den Motor beim Warten immer laufen zu lassen ist es so: „My car is my castle.“

 

  • Wenn man zu Fuß unterwegs ist, wird man schnell mal von der Polizei angehalten und gefragt, ob alles in Ordnung sei.
    Stimmt auch. Die denken sich: Da muss doch was faul sein, wenn jemand zu Fuß unterwegs ist … Das ist einer Freundin im Winter passiert, als sie mit dem Kinderwagen unterwegs war.
  • Viele Besucher/innen legen hier an Gewicht zu und kommen einige Kilos schwerer aus den Staaten in die Heimat zurück.
    Auch das passiert sicherlich einigen, aber es muss nicht sein. Wir sind „unverändert“ bisher.
  • Nirgendwo gibt es so viele dicke Leute gibt wie in Amerika.
    Nein, also unsere deutsche Heimatstadt und Morristown/New Jersey tun sich nicht viel, würde ich sagen. Mag sicher sein, dass das in anderen Staaten anders aussieht.

Ihr seht, diese Geschichten stimmen bis auf wenige Ausnahmen. Aber ganz ehrlich? Das ist doch alles kalter Kaffee, das weiß jeder und muss sich, wenn er in die Staaten zieht, darüber im Klaren sein. Also, wenn einige jetzt denken: „Self-inflicted – no pity“ (selbst Schuld) – stimmt genau … fast … Denn der Hund liegt ganz woanders begraben, jedenfalls für unser Alltagsleben und vor allem für das unserer Kinder!

 

Ist nix mit zu Fuß gehen …
Zu Fuß mal eben Brötchen kaufen gehen, mit dem Fahrrad zum Markt fahren oder abends noch einmal um den Block gehen – das alles geht hier für uns nicht: Die Bäckerei ist zu weit weg, die Straßen sind nicht fürs Fahrradfahren ausgelegt (mit Kindern zu gefährlich), und außerdem fehlen häufig die Bürgersteige. Oder das Klima haut einen um (im Winter auch mal minus 20 Grad, oder eben im Sommer lähmende Schwüle bei 40 Grad) – das macht die Sache nicht eben leichter.

Die Leute hier haben einfach einen komplett anderen Ansatz in Bezug auf das Thema: „Bewegung im Alltag“. Da kommen eine Menge verschiedener Faktoren zusammen, über die man immer wieder stolpert.

Alltag und Sport – zwei verschiedene paar Schuhe
In den USA wird scharf getrennt zwischen Alltag und Sport. Generell gilt die Maxime, sich im Alltag möglichst wenig zu bewegen.

  • Da ist z. B. unsere Nachbarin, die per Auto zu unserer Einweihungsparty kommt.
    Dabei ist ihr Haus gerade mal 50 Meter entfernt!
  • Da ist sind die preschool-Eltern, die mit ihren Kids den Aufzug nehmen.
    Auch wenn sie nur in die 1. Etage wollen!
  • Da sind unsere Nachbarsfamilien, die lautstark protestieren, wenn der bus stop um 50 Meter verlegt werden soll.
    Weil sie dann ein paar wenige Schritte mehr laufen müssen!
  • Da sind die Leute an Shopping Malls, die unbedingt einen Parkplatz direkt neben dem Eingang ergattern wollen.
    Und darum daher lieber mehrere Runden mit dem Wagen drehen als ein paar Meter zu laufen.

Soweit einige unserer Beobachtungen im Alltag. Aber Vorsicht, das heißt nicht, dass die Leute hier unsportlich sind! Denn wenn man morgens um 5.30 Uhr im YMCA aufschlägt, findet man kaum noch einen Parkplatz (ehrlich!), weil eben alle beim Workout sind. Ebenso kommt etwa die Hälfte meiner preschool-Mütter morgens in Sportklamotten, um ihre Sprösslinge abzuliefern, weil es danach zum Sport geht (oder vielleicht doch „nur“ ins Café zum Quatschen oder zum Einkaufen?). Es scheint, dass sportlicher „Schlabberlook“ hier durchaus gesellschaftsfähig ist. Ich bin mit meinen Jeans immer schon fast „overdressed“.

 

Sowohl morgens als auch nachmittags und abends nach Feierabend sieht man viele Erwachsene quer durch Morristown joggen. Das Äquivalent zum Spruch aus Deutschland „Sport ist Mord“ habe ich hier noch nie gehört. Ich konnte auch auf Nachfrage bei unseren amerikanischen Freuden bisher keine gleichbedeutende Redewendung finden – nur fragende Gesichter und ratloses Kopfschütteln bei den Amerikaner/innen.

Bei uns in Morristown findet man, wie eben bereits erwähnt, nur wenige dieser extrem übergewichtigen Leute („obese“), die manche direkt mit Amerika verbinden – im Gegenteil: Viele sind hier sehr gut in Schuss – als Faustregel gilt: je dicker die Autos, desto dürrer die Frauen.

Positiv zu erwähnen ist, dass man sehr viele ältere Leute beim „workout“ sieht– auf der Straße und im gym, in meinen Augen mehr als bei uns in der Stadt in Deutschland. Und auch Menschen mit Handicap laufen mir im YMCA immer wieder über den Weg. Aber bitte kein Nordic Walking hier machen – das kennen sie hier nicht (zumindest in NJ). Eine mutige europäische Freundin wurde beim Marschieren mit den Stöcken von passierenden Autofahrern schon gefragt, ob sie ihre Ski vergessen hätte. Ein anderer sagte mit breitem Grinsen: „There is no snow, you know.“

Als Erwachsener darf man sich nicht beschweren, dass man zu wenig Bewegung bekommt … wenn man sich die Zeit dafür nimmt. Es gibt genug Angebote; Sport ist gesellschaftlich gewünscht und auch überall äußerst positiv angesehen. Ich würde sagen, er hat sogar noch einen höheren Stellenwert als in Deutschland. Man hat die Freiheit, sich selbst darum zu kümmern – alles eine Frage der Prioritäten.

Anders sieht es bei unseren Kindern (3 bis 8 Jahre) aus, die hier im System integriert sind und deren Tagesauflauf dadurch relativ vorbestimmt ist. Da kommen ganz verschiedene Faktoren zusammen, die dann in den letzten 18 Monaten dazu geführt haben, dass aus quirligen Kindern, die in Deutschland immer draußen unterwegs waren, auf einmal sitzende, manchmal träge, wenig aktive Kinder wurden, die aber gleichzeitig aggressiv und unausgeglichen sind, weil ihnen die Bewegung fehlt.

Diese Bewegungslosigkeit im Alltag bei unseren Kindern ist eine ganz dicke Kröte, die wir erst mal schlucken mussten und an der wir auch in den nächsten zwölf Monaten noch weiter würgen werden, um sie dann im Sommer 2012 im hohen Bogen auszuspucken!!! Pfui!

Hier nun einige der Aspekte, die gemeinsam wirken und insgesamt übermächtig sind – für mich sind das brainwash-Themen bzw. institutionalisierte Wertvorstellungen/ kulturell bedingte Handlungsmuster, die man nicht ändern kann. Ich muss mich bei diesem Thema wirklich zusammenreißen, um nicht polemisch und unsachlich zu werden – aber das kann mich einfach nicht kalt lassen, weil ich komplett andere Werte und Überzeugungen aus Deutschland mitgebracht habe und es unsere Jungs jeden Tag betrifft.

Das Geheimnis der sauberen Schuhe
Am Anfang habe ich mich immer gewundert, wieso amerikanische Kinder so saubere Schuhe an den Füßen haben – kaum Gebrauchsspuren und schon gar kein Dreck oder Matsch. Das ist umso verwunderlicher, da sie noch nicht einmal Buddel- oder Matschklamotten in der preschool haben. Die Antwort? Ganz einfach, sie gehen nur sehr selten raus und wenn, dann nur bei perfektem Wetter – Fall gelöst.

Generell ist das Erziehungssystem hier viel weniger auf die Bewegungsfreude und den Bewegungsbedarf der Kids ausgerichtet als in Deutschland. So wie ich das bisher erkenne, liegt der Schwerpunkt ganz klar woanders: Mit fünf Jahren muss man lesen können und bitte auch schon anfangen zu schreiben! Diskutieren kann man sich sparen – die Leute hier sind bei dem Thema „Lesen und Schreiben lernen“ (Literacy) komplett anders sozialisiert und kollektiv programmiert.

 

Unsere Montessori-preschool vernachlässigt fast komplett das Bedürfnis der Kids, sich zu bewegen und die Welt mit allen Sinnen (und eben nicht nur den Montessori-Klassenraum) zu erfahren. Zwischen „work“, „my ABCs“, „lining up“, „Spanish“ und „music“ gibt es nur eine Bewegungspause von 20 Minuten. Über dreieinhalb Stunden (!) sitzen die Kids in dem einen Klassenraum oder sie gehen vorsichtig zwischen den auf dem Teppich liegenden Kindern hindurch. Jeder „Bewegungsausbruch“ wird direkt mit freundlicher, mahnender Stimme gezügelt „walking feet, please!“

Die Pause wird in über 50 Prozent der Fälle nur drinnen in einem urhäßlichen „playroom“ „abgehalten“, weil das Wetter mal wieder nicht perfekt ist – es geht nur raus, wenn die Sonne scheint, es aber dabei nicht zu heiß ist, kein Wind weht und keine Wolke am Himmel ist!
Der Raum ist unterteilt: Die Kids, die sich endlich mal bewegen müssen, laufen dann sieben Meter hin und sieben Meter her, von der Wand bis zur Abtrennlinie – immer, immer wieder. Das erinnert mich schon fast an die Eisbären bei uns im Zoo, aber die Kids lachen dabei wenigstens und nach 20 Minuten sind einige sogar nassgeschwitzt.

 

Wenn die Kids Glück haben, geht es in den „Zwinger“ – wie Marc und ich den sterilen, wenig einladenden, hochumzäunten Minispielplatz nennen. Der hat keinen Sandkasten, keine Schaukel, keinen Baum und nur einen minikleinen Schattenplatz. Im Sommer in der prallen Sonne ist dieser „Spielplatz“ daher eigentlich aus unserer deutschen Elternsicht einfach nicht akzeptabel.

Wenn Ole (5) diesen September in die „Kindergarten Class“ kommt, dann wird er dort die Zeit von 8.30 bis 15 Uhr verbringen – puh, mal sehen, wie er das so packt. Ich bin jedenfalls heilfroh, dass Paul nach unserer Rückkehr nach Deutschland noch ein Jahr in einen richtig deutschen Kindergarten geht – Matschen im Sandkasten, Toben durchs Freigelände und freies Bewegen in der gesamten Kita inklusive.

Die „dicke Schule“ nimmt viel Raum ein
Die Schule hier kommt mir immer so vor wie eine dicke Person, die sich mit ihrem mächtigen Hintern auf einen eh schon engen Sitz quetscht – ich will damit sagen, dass die Schule im Alltag fast den ganzen Tag okkupiert und den Kids für andere Aktivitäten, wie Sport oder Verabredungen, kaum mehr Zeit bleibt. Morgens um 8.25 Uhr kommt der Bus bei uns an. Das System mit dem Schulbus, der jedes amerikanische Kind quasi vor der Haustüre abholt, ist zwar praktisch, aber so fängt der Schultag schon mit 25 Minuten Sitzen für unsere Kinder an. Und für die allermeisten hört er dann um kurz nach 16 Uhr (je nach Schulbeginn auch früher) genauso wieder auf – nämlich sitzend.

Die Zeit dazwischen besteht ebenfalls aus Sitzen. Theo (8) und Tim (7) haben in der Schulzeit von 9.00 bis 15.20 gerade mal 40 Minuten keinen Unterricht: 20 Minuten „lunchtime“ (wo sie wieder sitzen!) und eine 20-minütige Pause. Zugegeben, in der Pause dürfen sie sich bewegen – mit Einschränkungen (s.u.).

Für meine Schulkinder in der Deutschen Schule (Samstagsschule), die regulär in eine middle school gehen, war die Frage bei der mündlichen Prüfung: „Was machst du in der Schulpause?“ dann auch einfach komplett verwirrend – fragende Gesichter bzw. die Antwort: „Wir haben keine Pause.“ Also beim nächsten Mal besser nicht danach fragen – das ist eine interkulturelle Falle.

Zusätzlich gibt es in den letzten Jahren die Tendenz, Schulsportstunden zu streichen. Zum einen, damit die Schulen mit einem kleineren Budget zurechtkommen und zum anderen, damit die Kinder mehr Zeit zum Lernen haben (in standardisierten Tests schnitten die Kinder immer schlechter ab in letzter Zeit – dagegen will man etwas tun). Ich kann nicht glauben, dass das Wissen um den Nutzen von physischer Aktivität fürs Lernen hier noch nicht angekommen ist. Wer sich bewegt, hat ein besser durchblutetes Gehirn, was sich positiv auf Gedächtnisleistung, Aufmerksamkeit und Kreativität auswirkt – alles Dinge, die beim Büffeln durchaus helfen. Außerdem gibt’s „Wohlfühlhormone“ und „Anti-Stresshormone“ quasi frei Haus. Ich konnte kaum glauben, dass erst jetzt (Januar 2012) in der Times stand, dass es „wachsende Hinweise darauf gäbe, dass körperliche Aktivität auch dem Gehirn helfen würde“. Da bin ich sprachlos.

Und wenn die mancherorts „sportlose und pausenlose“ Schule dann endlich vorbei ist, gibt es auch noch die Hausaufgaben, die die Kids erledigen müssen – bei unseren kann das je nach Lehrer/in und Kind auch noch einmal eine Stunde dauern.

Wenn Theo und Tim nachmittags gerade anfangen, mental und körperlich endlich im Garten zu landen, muss ich sie gleich wieder reinrufen, weil die Hausaufgaben noch gemacht werden müssen. Und danach geht es schon Richtung Bett. An vielen Tagen ist diese Einteilung für uns alle unbefriedigend, weil die Kids müde, überdreht und schlecht gelaunt sind, was ich ihnen nicht verübeln kann (aber auslöffeln müssen wir es trotzdem gemeinsam).

 

Helikopter-Eltern
Wenn die Kids dann endlich mal frei haben und sich weder im Auto, in Aufzügen oder in Räumen aufhalten (müssen), gibt es aber immer noch einige einschränkende Besonderheiten hier:

Da ist zum einen die Mentalität der hypersensiblen „Kinderüberwachung“: Bis zum 12. Lebensjahr gilt, dass die Kids eigentlich nicht alleine unterwegs sein dürfen. Es gibt dazu in New Jersey zwar kein entsprechendes Gesetz, aber diese Regel wird dennoch von den allermeisten Eltern befolgt und es wird auch von uns so erwartet: Wie ein Schatten müssen wir immer in der Nähe unserer Kinder sein. Theo und Tim dürfen also nicht einfach mal alleine um den Block fahren mit dem Fahrrad, Ole und Paul dürfen sich nicht auf unserer Auffahrt aufhalten, ohne dass ich unmittelbar daneben stehe! Mit vier Kindern ist das einfach schwierig, weil ich mich ja schlecht teilen kann. Und wenn mir mal wieder einer „durch die Lappen“ geht, z. B. Paul, der alleine auf der Einfahrt mit Kreide malt, oder Ole, der vorläuft, um den New York Zug besser zu sehen, dann bekomme ich das in 90 Prozent der Fälle direkt mit einer „Abmahnung“ von vorbeigehenden Leuten quittiert: Die Nachbarin, die klingeln kommt, mit Paul an der Hand, und mir vorwurfsvoll erzählt „that he was playing by the road all by himself“ (also, erstens war er mitten auf der Einfahrt und zweitens habe ich ihn durch die offene Küchen-Garagentür die ganze Zeit im Blick gehabt). Oder Autofahrer/innen, die mich laut hupend darauf hinweisen wollen, dass da eins meiner Kinder auf dem Bürgersteig steht (und ich nicht direkt daneben). Man traut den Kids hier echt nicht viel zu und das verringert ihren aktiven Radius ungemein.

Better safe than sorry – No running!
Und dann gibt es da noch die in meinen Augen absurde Einschränkung, dass die Kinder oft nicht laufen dürfen: Die „No running“-policy ist hier an vielen Stellen zu finden. Das hängt wohl eng mit der Angst vor Schadensersatzklagen zusammen und mit der allgemeinen Haltung hier, die immer wieder in dem Spruch Ausdruck findet: „Better safe than sorry.“ Die Aussage „We just want you to be safe“ halte ich mittlerweile in ganz vielen Fällen für vorgeschoben, einfach um etwas mehr oder weniger Sinnvolles durchzusetzen. Bei diesem Argument widerspricht hier niemand! Ihr erinnert euch vielleicht auch noch, dass die Kids an Tims Schule in den Pausen nicht laufen dürfen, sondern nur gehen.

Im Winter verschärft sich die Lage dann noch: Sobald draußen Schnee liegt oder es kalt ist, dürfen die Kids in der Pause gar nicht mehr raus – zu gefährlich! Dann dürfen einige Klassen zwar ins gym (Sporthalle), aber die anderen müssen in den Klassenräumen bleiben. Wenn ich Theo an so einem Tag um 15.30 Uhr abhole, stehen ihm die Tränen in den Augen, er ist total aggressiv und schreit nur rum: „Wir hatten wieder indoor recess“ (sprich: Pause im Schulgebäude bzw. im Klassenraum) – keine Ahnung wie die anderen Kids das aushalten. Die scheint das – zumindest von außen betrachtet – nicht umzuhauen. Die sind auch beim Pick-up um 15.30 Uhr noch zivilisiert.

 

Sport für Kids

 

In Deutschland ist das einfach: Man meldet sein Kind mit fünf Jahren im Turn- oder Sportverein an und dann gibt es jede Woche regelmäßig Training. Wenn man nicht kündigt, ist das „Kind“ auch noch als Ehrenmitglied mit 90 Jahren drin – deutsche Kontinuität, einfach und praktisch. Und das für meist rund 50 Euro im Jahr – unschlagbar. Jedenfalls, wenn man mehrere Kinder hat und keine Sport-Management-Karriere für die lieben Kleinen anstrebt.

Hier in Morristown ist das leider nicht so einfach zu haben. Sportvereine nach deutschem Modell gibt es nicht. Hier werden zwar viele Sportarten angeboten (zugegeben sogar ein sehr buntes Angebot), aber man kann immer nur in 6- bis 8-Wochen-Kursen buchen (z. B. im YMCA oder bei der Stadt) und muss dazu noch teuer bezahlen.

 

Wenn man Glück hat, wird danach noch ein Folgekurs angeboten, aber oft ist dann einfach Schluss, weil die Sportarten hier saisonabhängig gespielt werden. Im Frühjahr/Sommer steht Baseball, Softball (einfache Variante von Baseball) und Lacrosse (Ballspiel mit „Schmetterlingsnetzen“) auf dem Programm, im Herbst gibt es dann Fußball (soccer) und American Football. Im Winter haben die Kurse oft alle Pause, bevor es im Frühling zunächst wieder mit Basketball losgeht. Also alles sehr „zerhackstückt“, wenig kontinuierlich und sehr zeitintensiv zu managen. Oft liegen diese Kurse auch noch in den Nachmittagsstunden, wodurch wir das organisatorisch mit Hausaufgaben und Kinderbetreuung gar nicht auf die Reihe bekommen. Mag sein, dass da vier Kinder als „erschwerender Faktor“ hinzukommen – bei „nur“ einem Kind ist dieses System sicherlich weniger umständlich. Wir haben jetzt nach eineinhalb Jahren endlich für drei Kinder im Frühjahr einen Sportkurs gefunden, der funktioniert – im Herbst geht die Suche wieder von Neuem los. Tim wird aber leider leer ausgehen, weil Fußball dann nicht mehr angeboten wird.

Das passt jetzt eigentlich gar nicht ins Bild, oder? Aus den USA kommen doch so gute Sportler/innen! Und an den Highschools haben einige jeden Tag Sport! Man hört immer von deutschen Jugendlichen, die in ihrem Highschool-Jahr in den USA so viel Sport gemacht haben wie noch nie (morgens vor der Schule mit dem swim team oder bei anderen Sportarten während oder nach der Schulzeit). So ist das doch auch in Filmen, oder?

Das mag alles sein, aber für Kinder im Vorschul- und Grundschulalter ist das bei uns hier eine schwierige Sache. Es stimmt, dass hier schon frühzeitig gezielt die begabteren Kinder gefördert werden. So gibt es für Fußballer/innen ab acht Jahren die „travels league“. Aber um da mitspielen zu dürfen, muss man sich in Auswahlspielen jedes Jahr erst qualifizieren – und wer nicht gut genug ist, kann direkt wieder nach Hause gehen. Im Winter ist dann für alle Pause. Für Lauftalente haben wir z. B. auch eine Laufschule im Ort, wo die Kleinen schon richtig gedrillt werden – aber dann semiprofessionell und mit großem Ernst. Für den, der ehrgeizige (und reiche) Eltern hat, die das Leben ihrer Kinder mit dem Umfang einer Halbtagsstelle managen, gibt es hier genug Sportangebote, die sehr leistungsorientiert an die Sache herangehen.

Doch das ist nicht das, wonach ich für unsere Kinder suche. Mir ist wichtig, dass sie Spaß beim Sport haben und ihn schon von klein an als festen Teil des Alltags und Lebens kennenlernen. Nach den Erfahrungen der letzten Monate stehe ich daher auf die deutsche Sportvereins„meierei“ – Kind einmal anmelden und danach ein Leben lang unschlagbar preiswerten Sport „round the year“ bekommen – genial.

Wie halten die Kinder das aus?
Aber wie gehen die Kids hier mit der Bewegungslosigkeit im Alltag um? Das frage ich mich immer wieder – und ich weiß es bis heute nicht. Wenn man die amerikanischen Kinder so beim Pick-up sieht, dann sehen sie nicht so aus, als würden sie total abdrehen. Auch wenn ich mal in Theos oder Tims Klasse aushelfe, sind die Kids super diszipliniert. Vielleicht kann man sich auch an die Bewegungslosigkeit gewöhnen? Oder sind deutsche Kinder ausgesprochen undiszipliniert oder bewegungsdurstig? Oder beides? Mir tun die Kinder hier trotzdem leid.

Ich bedaure vor allem die Kinder, die weder in der Schule noch vom Elternhaus die Möglichkeit bekommen, sich regelmäßig zu bewegen. Daher habe ich mich auch entschieden, für diese Kinder Geld sammeln zu gehen, also Fundraising zu betreiben. Ich bin Mitglied beim Team for Kids geworden, das mit dem Geld Sport- und Laufprogramme für Kinder anbietet, die in Innenstädten und aus ärmeren Verhältnissen kommen. Das ist doch mal richtig sinnvoll. Als Gegenleistung für das „Geldsammeln“ bekomme ich dann einen garantierten Platz beim Marathon in New York. Bin mal gespannt und freue mich.

Und wie halten wir das aus?

 

Ganz klar: Für mich ist die Bewegungslosigkeit der Kids eins der größten Probleme hier, weil ich weiß, dass körperliche Betätigung und Sport wichtig sind für die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder. Und auch fürs Wohlfühlen. Aber es hilft ja nichts – wir leben im Moment hier und da muss man sich eben anpassen. Und statt mich aufzuregen wie am Anfang, wenn Ole und Paul bei gutem Wetter schon wieder nicht draußen spielen durften, sondern den ganzen Vormittag drinnen waren, versuchen wir das im privaten Bereich auszugleichen:

  • Scooter und Like-a-bike nach der preschool
  • zu Fuß zum Auto gehen nach der Schule
  • Kids morgens schon eine halbe Stunde vor dem Schulbus vor die Tür „schubsen“ und ihnen so schon mal einen Bonus auf ihren „Sitztag“ geben
  • mit Theo und Tim sofort im Anschluss an die Schule auf den Schulspielplatz gehen, egal wie viele Hausaufgaben sie haben
  • sie nicht noch durch zusätzliche Nachmittagsprogramme zupflastern

Es kostet mich aber manchmal sehr viel Kraft, diese Aktionen in unseren Alltag einzubauen, da die Kids sich mittlerweile schon an diese Sitzkultur angepasst haben und protestieren.