Behandlungszimmer ohne Aussicht

Ärztliche Behandlung in New Jersey

Warum es lange dauert, bis man am Telefon einen Termin machen kann und wieso die Patient/innen hier „bitte obenrum freimachen“ nie zu hören bekommen. Und aus welchem Grund einem schließlich bei der Rechnung heftig die Ohren klingeln.

 
Braucht man ärztlichen Rat in den USA, wird man an vielen Stellen überrascht sein und so manches gewöhnungsbedürftig finden. Mittlerweile haben wir schon etwas Erfahrung gesammelt. Und: Bis auf die Sache mit Oles Handgelenk, das schief angewachsen ist, sind wir bisher zufrieden mit der medizinischen Versorgung hier. Trotzdem gibt es einige Dinge, die grundsätzlich anders sind als in Deutschland.

Wir haben die wichtigsten „Vokabeln“ in Bezug auf die alltäglichen Wehwehchen bei Kindern gelernt und sind rein sprachlich für unseren Alltag gut gewappnet:

  • „strep throat“ (Richtung: „eitrige Mandeln“)
  • „pink eye“ (entzündete Augen)
  • „spasmodic laryngitis“ (Pseudo-Krupp)
  • „sinus issues“ (Nasennebenhöhlenprobleme)
  • „chicken pox“ (Windpocken)
  • „annual check“ (die jährliche, von den Schulen geforderte, Routineuntersuchung)

Bei Körpertemperaturen, dem Gewicht der Kids und ihrer Größe muss ich bei Fahrenheit, amerikanischen pounds, feet und inches aber immer noch passen – und ohne Umrechnungstabelle bin ich ziemlich verloren.

Mit einem Vorurteil kann ich direkt aufräumen: Wir in New Jersey bekommen Antibiotika hier nicht frei im Supermarkt, sondern brauchen dafür auch eine Verschreibung– ohne läuft nichts. Im Unterschied zu Deutschland bekommen die Kids jedoch bei jedem bakteriellen Infekt direkt für zehn Tage ein Antibiotikum verschrieben.

Hauptsache gut versichert
Zunächst zu unserer Versicherung: Auslandsversicherungen sind billig, solange man nicht länger als 45 Tage im Ausland ist. Die gibt es ja beim ADAC schon für 20 Euro.
Ganz anders sieht die Sache aus, wenn man diesen Zeitraum überschreitet. Dann wird es richtig teuer. Und das Gemeine: Wenn man die USA und Kanada mit einschließen will, dann wird es noch mal um ein Vielfaches teurer. Wir haben lange gesucht und sind jetzt bei VanBreda International versichert. Bereits bekannte „Schwachstellen“, wie z. B. Marcs allergisches Asthma, sind von vorneherein ausgeschlossen. So bezahlen wir zurzeit jeden Monat insgesamt 2.500 (!) stolze Euro für unsere Familie nur an Krankenversicherungen!
Wir müssen nach der Behandlung in Vorkasse gehen und dann die Belege einreichen, so wie Privatpatient/innen in Deutschland.

Der Anruf in einer Praxis
Wenn wir bei unserer kinderärztlichen Praxis oder meinem HNO-Arzt anrufen, dann müssen wir uns zunächst mit einer auf Band aufgezeichneten Ansage zufriedenstellen, die einem diverse Fragen stellt und Anweisungen gibt. Und bis man endlich einen Termin bekommt … das dauert.
 
Der Spruch bei unserer Kinderärztin:
„You have reached Franklin Pediatrics. We are located at 91 South Jefferson Road, in Whippany NJ, 973-538 6116. Please select from one of the following options:

  • If this is a medical emergency, a doctor or a hospital, please press 7.
  • To make or change an appointment please press 1.
  • If this is a pharmacy or a patient wishing to renew a prescription please press 2.
  • If you need a referral to see a specialist please press 3.
  • For a fax number of directions to our office please press 4.
  • For our records department please press 5.
  • If you call for any other reason please press 6 or hold for an operator. Thank you.“

Und? Alles verstanden? Ich am Anfang nicht – ich war immer total verwirrt und musste noch mal anrufen, damit ich wusste, welche Taste ich nun an meinem Telefon drücken musste …

Mich nerven diese Ansagen oft, weil es immer super lange dauert, bis ich dann endlich eine menschliche Stimme in der Leitung habe, um einen Termin zu bekommen. Auf der anderen Seite kommt man so vielleicht auch schneller an die relevanten Leute (wenn man z. B. eine Frage zu einer Rechnung hat).

An dieser Stelle: Ich habe noch nie so oft mit Computern geredet wie in den letzten Monaten, denn dieses Prinzip der „digitalen Vorsortierung“ gibt es sehr oft, so auch bei den Schulen, Banken, Wasser-Lieferdiensten …

Die Praxis
Die Praxen sind entweder in „normalen“ Häusern untergebracht (wie immer aus Holz), die wie in Deutschland in der Stadt liegen, oder aber in riesigen büroähnlichen Gebäuden am Stadtrand oder in Gewerbegebieten. Daher braucht man da auf jeden Fall neben der Hausnummer auch direkt eine Suite-Nummer, damit man in dem Wirrwarr von Etagen und Räumen dann auch tatsächlich die richtige Türe findet. Und in allen Wartezimmern, in denen ich bisher war, gab es Teppichboden – ohne geht es einfach nicht.

Das Ankommen
Obligatorisch wie hier überall: das sign-in sheet: Man muss also den Namen, die Uhrzeit und den Grund des Besuchs bzw. den Namen der Ärztin/des Arztes angeben. Der Rest ist wie in
Deutschland: anmelden, Versicherungskarte abgeben, Anamneseblatt ausfüllen.

Das Wartezimmer
Bei unserer Kinderärztin gibt es direkt zwei Wartezimmer – den sogenannten „sick waiting room“ und den Raum für die gesunden Kinder. Eigentlich sehr praktisch. Aber irgendwie fühlt es sich dann schon ein bisschen diskriminierend an, wenn man mit einer nicht ansteckenden Sache mit den Fiebrigen und Hustenden warten darf, während die anderen zum „gesunden Wartezimmer“ durchmarschieren (z.B. zum Routinecheck).

 

Das „Empfangskomitee“ bei der Anmeldung
Die Helfer/innen sind oft nicht so besonders freundlich – bisher finden wir sie jedenfalls deutlich unter dem amerikanischen Durchschnitt des Dienstleistungsgewerbes. Damit kommen sie im Vergleich zu den deutschen aber immer noch ordentlich weg. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Der Stil der Berufskleidung der Sprechstundenhilfen könnte nicht unterschiedlicher zu dem der Deutschen sein. Kunterbunte Farben, wilde Muster, sehr oft Abdrucke von Kinderserien, wie z. B. Mickey Mouse, Dora, The Explorer, „Thomas“ – verschiedene „Serien“ werden manchmal auch ziemlich „mutig“ miteinander kombiniert. Quintessenz: Hauptsache bunt – und das beschränkt sich nicht nur auf ausgesprochene Kinderarztpraxen.

Ein Blick hinter den Tresen gibt einem manchmal auch Einblick in das Privatleben der Helfer/innen: Familienfotos, Kinderzeichnungen etc. schmücken die Arbeitsplätze. Am snow day saß direkt eine Horde Kinder mit bei der Anmeldung. Klar, wo sollten die Leute ihre Kinder auch lassen. Die Stimmung ähnelte der auf einem Bazar.

Unsere amerikanischen Ärztinnen und Ärzte haben wir bisher immer traditionell in weißem Kittel, in normaler Kleidung oder in grünem OP-Dress kennengelernt – von daher gibt’s an dieser Stelle nichts Ungewöhnliches zu berichten.

Wenn ich zu meinem HNO-Arzt gehe und im Wartezimmer sitze, heißt es dann irgendwann [brədə] (das bin ich, mein Vorname auf Amerikanisch 🙂 , und Dr. Feldman steht im Türrahmen und wartet), und dann geht es los.

Das Behandlungszimmer
Die Behandlungszimmer sind oft winzig klein – man kann sich gerade einmal um sich selbst drehen – und oft gibt es noch nicht mal ein Fenster. Und wenn doch, dann freut man sich eben.
Dafür bekommt man aber manchmal Ablenkung durch diverse Urkunden, die der Arzt bzw. die Ärztin in ihrem Leben so bekommen haben, auch wenn sie gar nichts mit ihrer medizinischen Kompetenz zu tun haben – alles ein bisschen familiärer als in Deutschland.

Bei unserer Kinderärztin kommt immer zunächst eine männliche nurse rein und fragt mich: „So, what’s going on, Mum?!“ Dann antworte ich brav und er schreibt auf und guckt sich das Kind an (von „außen“, also z. B. Rötungen, aber er hört nicht ab). Wenn dann die Kinderärztin kommt, müssen wir alles noch mal erzählen und es geht wieder von vorne los.

 

Bloß nicht „freimachen“
Beim Thema „Freimachen“ stößt man direkt auf einen wunden Punkt hier. Am Anfang unseres Aufenthaltes war ich beim Chiropraktiker, weil ich Rückenschmerzen hatte (ja, ja … das amerikanische Bett). Als ich anfing, mich auszuziehen, winkte der Chiropraktiker hektisch ab – nein, das sei nicht erforderlich! Verschämt und verlegen knöpfte ich mir die Hose wieder zu. Und tatsächlich – er untersuchte mich, ohne dass ich mir auch nur ein Teil auszuziehen brauchte!

Gerade bei Beschwerden, die die Knochen betreffen, finde ich das ziemlich ungeheuerlich (die ganze Behandlung – Gelkissen in den Schuhen, hat mir übrigens auch nicht geholfen).

Herz und Lunge werden hier auch bei Kindern über der Kleidung abgehört, z. T. auch über zwei und drei Lagen. Selbst bei akutem Asthmaanfall bleibt die Kleidung am Körper. Ich bin zwar kein Ärztin, aber direkter Hautkontakt kann doch bei so einer Untersuchung für eine differenzierte Diagnose nur förderlich sein, oder?

 

Dann habe ich mich lange vor dem Gang zum „OB-GYN“ (gesprochen [əʊ] [biː] [dɜiː] [waɪ] [en] gedrückt. Was das ist? Hinter dem Akronym stecken Frauenärztinnen und Frauenärzte. Ich erspare euch die Details – kein Stress! – aber das Ganze war ein ziemlicher Eiertanz mit Tüchern und Abdecken. Und jetzt mal ganz im Ernst – das Greifen und das „Gefummel“ unter dem weiß-blau gepunkteten „Leibchen“ fand ich richtig unangenehm und peinlich. Irgendwie sagte mir mein Instinkt, dass das was Verbotenes und Unanständiges sei – weil’s so im „Geheimen“ passierte. Das war die kürzeste Untersuchung meines Lebens – hat noch nicht mal eine Minute gedauert – Uauh! Als wäre die Ärztin einfach nur darauf bedacht, das Ganze so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Umgedreht ist es aber bestimmt noch viel schlimmer – die armen Amerikanerinnen, die in Deutschland in eine gynäkologische Praxis müssen – die bekommen den Schock ihres Lebens!

 

Egal, wie man zur Prüderie der Amis steht: Ich finde sie im medizinischen Bereich doch sehr unangemessen und eher hinderlich, auch wenn die Angst vor Klagen wegen sexueller Belästigung oft eine Rolle spielt. Da muss man doch auch andere Lösungen finden können …

Die Ärztin kommt: was jetzt?
Die Hand kann man getrost in der Tasche lassen, denn ein Händeschütteln habe ich noch nicht erlebt. Also besser auch nicht die eigene entgegenstrecken, dann wird es eher peinlich. Aber das hat sich ja mittlerweile in Deutschland auch schon verbreitet … Hygienischer ist es bestimmt.

Bezahlen
Wir müssen immer sofort nach der Behandlung bezahlen. Das geht dann mit EC (Debit)- oder Kreditkarte. Einmal haben sie aber auch nur Bargeld bzw. Schecks akzeptiert. Da musste ich vor der Untersuchung mal eben zur Bank laufen und 800 Dollar für meine CT-Untersuchung von meinem Konto abheben!