Schneesturm trifft auf Indian Summer

Pumpkins, pumpkins, pumpkins – apples, apples, apples. Warum auf einmal alles rosa wird. Und wie ein lautes, kaltes, dunkles und gleichzeitig weißes Wochenende Ende Oktober unser Leben komplett auf den Kopf stellt.

 
Dieser Monat endet mit einem großen „bang“ und hinterlässt uns im Moment ziemlich aufgewühlt – mich eher genervt und erschöpft. Vor drei Wochen sind wir noch beim „pumpkin picking“ bei 30 Grad Hitze zerflossen, und jetzt sitzen wir in einer Winterwelt, die definitiv zum falschen Zeitpunkt kommt und dabei ganz schön trügerisch ist. Großer Mist – und das gerade mal ein paar Tage vor dem Marathon, wo alle doch sagen: Beine hochlegen, entspannen und vor allem viel schlafen („Log in those hours of sleep“). Von wegen, stattdessen sind die buzz-words im Moment „war zone“, „no electricity“, „good luck“, „tree guys“, „power“, „wire“, „snapped branches“ (abgebrochene Äste).
 

Leckersterapfelkuchenmonatever

Dabei hatte alles sehr viel versprechend angefangen: Im Oktober wird es richtig bunt. Es ist der Monat der orangen pumpkins, des Zimts und der genial leckeren saftigen apple pies – den besten Apfelkuchen aller Zeiten haben wir in Pennsylvania mitten in einem verschlafenen Kaff im „Water Gap Diner“ genossen.

Auch in der preschool gibt es große Aktionen rund um den Apfel: Apple tasting (Welcher Apfel schmeckt am besten? – Auswertung natürlich über Säulendiagramme!), apple cutting and apple sauce making (Zubereitung von Apfelmus).

Rosa Bäume, orangefarbene Kürbisse und rote Blätter

Die Bäume in Morristown tragen seit einigen Wochen alle dicke rosa Schleifen. Und auch sonst ist Pink überall zu entdecken: Schleifen in allen Größen, Klamotten, Haare, Kuchen, Tüten … selbst einige Männer laufen mit rosa Krawatten, Hemden und Kappen durch die Gegend – Hut ab, das finde ich klasse! Kein Wunder, denn es ist „Breast Cancer Awareness Month“ – eindeutiges Erkennungsmerkmal ist die rosa Schleife. Schon etwas verrückt: Trotz ihrer Prüderie sind die Amerikaner/innen bei diesem Thema – wie auch bei einigen anderen Krankheiten – viel offener und praktischer veranlagt als die Deutschen. Beim Frisör gibt es pinke Haarextensions – der Erlös wird natürlich gespendet. Selbst die Plastiktüten in den Shops sind pink, und auf der Rückseite ist direkt eine Anleitung abgedruckt „How to perform a breast self exam“.

In NYC treffe ich am Ende eines Langlaufs im Central Park auf jede Menge rosa Leute, die teilweise etwas abgekämpft aussehen und sich in den Armen liegen (eine humpelt nur noch) – hier endet der Avon Walk for Breast Cancer – eine gigantische „Wohltätigkeitswanderung“ von 39 Meilen (immerhin 63 km!) – der in verschiedenen Städten der USA stattfindet. Der Erlös geht in die Brustkrebsforschung. Motto ist „In it to end it. Get in. Get empowered. Because every statistics is someone’s best friend.“ Es wird politisch korrekt angespornt: „… knowing that every step you take is helping women and men living with breast cancer“.

Vorbereitungen für Halloween

Die meisten Vorgärten zieren jetzt Halloween-Dekorationen und überall heißt es R.I.P. („rest in peace“) mit passendem Skelett.

 

Und ich bekomme im Alltag wieder häufiger das flaue Gefühl des Blutabnehmens – neu entdeckt habe ich dieses Jahr Mini-Desinfektionsmittel, die am Schlüsselbund einiger Mütter Platz finden: Damit reiben sie ihren Sprösslingen gerne mal zwischendurch die Hände ein. Im „sick room“, dem Wartezimmer beim Kinderarzt, inmitten fiebriger und hustender Kinder beneide ich eine Mutter fast. Warum? Auf den letzten Metern vor dem Marathon im November krank zu werden und ihn zu verpassen, wäre schon echt mega-ärgerlich …

Auf zum Pumpkin Picking

Und es geht natürlich wieder zu den farmer’s markets, die mit großen Bannern schon von weitem zu sehen sind: „PYOP/A“ – Pick your own pumpkins/apples. Paul erzählt auch die ganze Zeit vom „pumpkin patch“, also von dem Feld, wo die Kürbisse ausgelegt werden. Wer wirklich „picken“ (abpflücken) will, ist da mit den großen Obstplantagen besser bedient. Es ist super spannend, die Leute zu beobachten, während wir im „hay wagon shuttle“ (Heuwagenfahrt) zu unserem Kürbisfeld rumpeln. Da sind viele Familien mit Kindern, aber auch junge Pärchen ohne Kids. Sie halten diesen Brauch anscheinend immer noch hoch und schleppen aufgeregt ihren Kürbis übers Feld.

Unser letzter Herbst hier

Und während die Welt den verstorbenen Steve Jobs und die Nobelpreisgewinner zelebriert, steht in Kalifornien ein pumpkin im Rampenlicht: 1.685 amerikanische pound (766 kg) bringt der Gigant auf die Waage – und ist damit dieses Jahr der Champion. Die größte Schwierigkeit bei dem Heranziehen der Riesenkürbisse ist laut Züchter die Gefahr, dass sie vorzeitig zerplatzen („they blow up at night“). Wie sich das wohl anhört?

 

Ich sammle übrigens wieder einige rote Blätter von den Bäumen, diesmal mit ein wenig Wehmut, denn nächstes Jahr um diese Zeit werden wir schon nicht mehr hier sein … Vitoria ist glücklich aus Disneyland zurück und trägt – während Theo und Tim noch mit Shorts und T-Shirt herumlaufen – sogar im Haus schon ihre Winterjacke: „It is soooo cold!“ Zehn Grad plus sind eben für eine Brasilianerin aus Sao Paulo schon richtig kalt …

Family Bits and Pieces Oktober 2011

Ole (6) tut sich im Moment schwerer in der preschool – „the honeymoon is over“, sagen die Lehrerinnen. Er hat jedenfalls schon Wutanfälle bekommen und um sich getreten. Das kommt nicht gut an, denn „you are a kindergardener now“ ist der Satz, mit dem sie die Kleinen zum guten Vorbild machen möchten. Mal abwarten, wie es sich entwickelt …

Paul (4) leidet immer noch darunter, dass er der Jüngste ist. Aber im Moment tröstet er sich mit der Größe seiner Kuscheltiere: „Die sind kleiner als ich!“

Alles bereit für Halloween

Es sind noch zwei Tage bis Halloween und alle freuen sich: Diesmal haben wir einen Harry Potter (Theo verschlingt die Bücher gerade), einen Ninja (Tim), den Marienkäfer vom letzten Jahr (Ole) und einen Clown (Paul) bei uns zuhause herumlaufen. Vitoria marschiert als „Gretchen“ und „Daisy Bee“ mit high knees und Stöckeln sehr offenherzig durch die Gegend. Theo und Tim freuen sich auf ihre Halloween-Parade in der Schule, Paul und Ole sind zu einem „monster mash“ eingeladen, und Vitoria will auf die Straßenparade in NYC und auf Studentenpartys („I´m here now, so I want to party“).

 

Bis auf die Kinder-Halloween-Party ist also schon fast alles Routine. Nichts wirklich Neues. Aber dann kommt doch alles ganz anders.

Schneesturm

Warum Knacken im Garten beunruhigend sein und wann Schlafen vor dem Kamin gefährlich werden kann. Wieso Halloween ausfällt und warum ich endlich verstehe, weshalb so viele Amerikaner/innen lieber ohne Zaun leben.

 
Schneesturm trifft auf Indian Summer
Zwei Tage vor Halloween, genau eine Woche vor dem Marathon, hält komplett überraschend der Winter Einzug und bringt direkt einen Schneesturm mit. Die Leute hier reden von einem „Nor’easter“ – einem großflächigen Sturm mit Winden aus dem Nordosten, der häufig sturmflutartige Regenfälle, in diesem Fall aber einen Schneesturm mit sich bringt. Es trifft alle hier unerwartet – ich habe bisher keine hochmontierten Scheinwerfer, keine Schneemarken in Nachbarsgärten und keine snowploughs gesehen. Was aber schlimmer ist: Die Natur ist nicht darauf vorbereitet ¬– schließlich haben wir hier noch Indian Summer, also recht dicht belaubte Bäume.

 

Ein Chaoswochenende Ende Oktober

 
Samstagvormittag, 29.10.2011
Wir sind gerade, wo wir immer sind um diese Zeit: Ole hat Schwimmkurs und schwimmt seine allerallererste Bahn im doggy-style. Ich bin in der deutschen Schule und meine sonst so coolen Schulkinder laufen immer wieder aufgeregt zum Fenster: „It snows? … No, that is no snow! … Yes, it is snow … it sticks, it sticks.“ Und tatsächlich: Schnee! Und er bleibt liegen! Nach zwei Stunden sind es fast 30 Zentimeter! Schlidderfahrt mit Sommerreifen nach Hause. Dort ist Vitoria ganz aus dem Häuschen, denn das ist der allererste Schnee in ihrem Leben! Auch die Kids sind begeistert und wollen direkt mit den Schlitten raus …

 

Samstagmittag
Und dann auf einmal überall ein ungewohntes, unheimliches Knarren und Knacken im Garten. So was habe ich noch nie gehört, aber gut hört sich das nicht an. Es ist das gemeinsame Ächzen der Bäume, die die Schneelast kaum halten können. Die farbigen Blätter sind zum Teil noch unter den Schneehauben zu sehen. Eine ungewohnt bunte Wintermärchenwelt – aber im falschen Moment und nicht ganz geheuer. Marc pfeift die Kids zurück ins Haus – alle haben Ausgehverbot.

Kurz danach wird es mit einem Mal dunkler und still im Haus: Stromausfall. Vitorias Bettzeug steckt in der Waschmaschine fest, alle Lampen sind aus und unsere Heizung funktioniert auch nicht mehr. Unser Besuch (Familie mit zwei Kindern) ist in Hochstimmung – der geplante Ausflug fällt flach, stattdessen gibt es ein echtes Abenteuer gratis.

Meine Laune dagegen befindet sich ab diesem Moment im freien Fall. Das Wort „Stromausfall“ ist viel zu harmlos für das, was es bedeutet. Das Schlimme ist nicht die Tatsache, dass der Strom weg ist (das kenn ich vom Zeltplatz), sondern dass man nicht weiß, wie lange er weg ist und wann es vorbei ist – von Stunden bis Tagen ist hier alles drin.

Im Gegensatz zum Sommer, wo die Sorge vor allem den verderblichen Sachen im Kühlschrank galt, ist es diesmal eine Herausforderung, halbwegs warm zu bleiben. Draußen ist es unter Null. Wir haben Glück: Unser Gasherd und der Kamin funktionieren. Aber aufgepasst vor dem „silent killer – carbon monoxide“: Die Idee, mit dem Gasherd zu heizen, ist wenig effektiv und nicht ganz ungefährlich. Und mit dem Kamin muss man ebenso aufpassen: Bei Freunden von uns gehen dauernd die Kohlenmonoxid-Detektoren an – und dann muss man mal gut lüften! Schlafen vor dem Kamin würde ich mir daher gut überlegen …

Zugegeben: auf die Idee, den Grill ins Haus zu holen oder sich in der Garage ins laufende Auto zu setzen, um sich mal ordentlich aufzuwärmen, wäre ich wahrscheinlich nicht gekommen. Aber wer weiß, was für Ideen man so entwickelt, wenn einem kalt ist. Kleiner Trost für mich: Auf dem Herd können wir heißes Wasser für meine Wärmflasche machen.

Samstagnachmittag
Wir machen es uns also drinnen gemütlich, so gut es geht. Heute verlässt niemand mehr dieses Haus, der nicht unbedingt muss. Es gibt nichts zu tun, alle Pläne sind hinfällig. Vitorias Party und der „monster mash“ von Ole und Paul sind abgesagt. Vitoria nimmt es gelassen und schläft kurze Zeit später laut schnarchend vor dem Feuer ein, die Gesellschaftsspiele werden rausgeholt, wir sitzen zusammen, es gibt Wein und Bier. Und als es draußen dunkel wird, teilen wir ganz einträchtig unsere Taschenlampen auf – wir sind elf Leute und haben fünf Lampen: pro Familie zwei und Vitoria eine. Wenn man mit Taschenlampe unterwegs ist, hat man irgendwie immer mindestens eine Hand zu wenig, finde ich. Wieso habe ich mir bloß immer noch keine Stirnlampe gekauft?

Samstagabend
Alle, die sich darauf einlassen können, haben eine Menge Spaß. Nur mir will es an diesem Abend nicht so recht gelingen. Ich sehne mich eher nach Ruhe. Aber dann kommt eine wahre „Marc-Aktion“ – aber diesmal eine richtig gute! Er verschwindet für einige Zeit in der Garage und plötzlich geht eine Lampe im Wohnzimmer an – einfach so, „deus ex machina“– und meine Laune macht einen Quantensprung! Seine McGyver-Nummer erklärt er euch aber selbst.

 

Marc erzählt:
Als es in draußen dämmerte, hatten wir es durch den Kamin zwar warm, aber es wurde dunkel und die Kinder konnten nicht mehr richtig spielen. Wir hatten keinen Stromgenerator zur Verfügung, aber in den Testfahrzeugen der Firma (Minivans vom Typ Toyota Sienna) haben wir Inverter eingebaut, die direkt am Motor hängen und die für die Spezial-Elektronik im Auto aus den 12 Volt normale 110 Volt Netzspannung erzeugen. Ich bin also schnell mit unserem Privat-PKW ins Büro und habe den Wagen gegen ein Messfahrzeug getauscht. Diesen Messwagen habe ich auf der Einfahrt mit laufendem Motor geparkt und ein Verlängerungskabel in den Inverter gesteckt. Kurze Zeit später ging das Licht im Wohnzimmer an, und sowohl der Raum als auch die Stimmung hellten sich schlagartig auf. Alle waren echt überrascht und begeistert. Wir waren das einzige Haus in der Carton Road, das erleuchtet war, obwohl die Amerikaner solche Stromausfälle aufgrund der oberirdisch verlegten Kabel häufiger haben. Es gibt wenig Vorsorge für solche Fälle.

Als es am folgenden Morgen ziemlich schattig im Haus war, war klar, dass Licht alleine nicht reicht. Wir haben in unserem Haus eine Gasheizung im Keller – die lief zwar grundsätzlich, allerdings funktionierte die Pumpe nicht, die die Wärme im Haus verteilt. Ich habe mir das mit einer Taschenlampe genauer angesehen und dann festgestellt, dass die ganze Heizungsanlage an einer Sicherung hängt. Diese Sicherung habe ich ausgebaut und die Heizung statt an das nicht funktionierende Stromnetz an ein weiteres langes Verlängerungskabel geklemmt und an den Messwagen angeschlossen. In diesem Moment ist die Heizung angesprungen und es wurde in allem Räumen wieder wärmer. Ich habe davor und danach nie so viel Lob für meinen Beruf („Ingenieur Elektrotechnik“) bekommen 😉 .

 

Später am Abend höre ich irgendwann wieder einen lauten dumpfen Knall im Garten – sehen kann man nichts, es ist alles pechschwarz draußen. Egal. Mir reicht es, ich will ins Bett und hoffe, dass morgen der Fünf-Meilen-Lauf im Central Park („Marathon Kickoff“) stattfindet – meine Laufsachen habe ich jedenfalls gepackt.

Sonntagmorgen, 30.10.2011
Am nächsten Morgen sind es nur noch elf Grad im Haus, ziemlich „schattig“ – das ist wie „Zelten im Herbst“. Und dabei ist der Strom gerade mal erst 18 Stunden weg. Meine Laune nähert sich der Außentemperatur – mein Lauf im NYC ist heute Nacht doch noch abgesagt worden, weil im Central Park die Bäume kreuz und quer liegen. Ich hatte mich so drauf gefreut, im Kostüm (extra gekauft!) die Runde dort zu drehen. Stattdessen nun Eiseskälte zuhause. Wie blöd …

Dann folgt die Begutachtung der Schäden: Der Rasen in unserem Garten ist nicht mehr zu sehen – eine dicke Schicht von Ästen, Blättern und Schnee bedeckt ihn vollständig. Drei baumgroße Äste sind runtergeknallt und unser driveway gleicht einem Hurrikan-Gebiet: Der Basketballkorb ist verbogen (noch vom Hurricane Irene), der Zaun liegt an mehreren Stellen platt auf dem Boden, zum Teil ist er hoch in die Luft gebogen. Im Baum genau über dem driveway baumelt ein dicker Ast nur noch an wenigen Fasern. Das Gleiche an zwei weiteren Bäumen im Garten, einer direkt neben dem Kinderzimmer.

 

Auf unserer Carton Road ist es auch nicht besser – alles ziemlich verwüstet. Drei Bäume sind umgefallen, einer aufs Auto des Nachbarn, einer knapp an der Haustüre einer anderen Familie vorbei. Überall liegen Äste oder hängen schlapp von Bäumen herunter, auf dem Boden Massen an Blättern und Schnee. Die Nachbarinnen, die mir begegnen, sind ausgesprochen deprimiert, genervt und auch alle ohne Strom. Und dann die armen Bäume – sie sehen ziemlich verletzt und verstümmelt aus! Vor allem um die tollen Magnolienbäume tut es mir richtig leid.

 

Marc spielt noch mal McGyver und irgendwie funktioniert danach die Heizung im ganzen Haus (absolutes Highlight 🙂 ). Gemeinsames Frühstück an der großen Tafel im „formal dining room“. Marc röstet draußen auf dem Grill Bacon sowie unser Toastbrot, und als dann auch noch Nutella drauf kommt, ist alles in bester Ordnung – zumindest für unsere Kids.

 

Sonntagnachmittag
Nachmittags habe ich mal Pause und darf nach Morristown ins Café. Auf dem Weg dorthin sieht man viele „trees hugging the street“ (auf Deutsch: die sind kurz vor dem Umfallen) und auch solche, die nur noch stehen, weil sie sich gerade auf eine Stromleitung stützen (hier hat man sogar die Chance, nicht nur erschlagen, sondern gleichzeitig „electrocuted“, also unter Strom gesetzt zu werden). An den Tankstellen sind jetzt schon lange Schlangen: Alle tanken ihre Autos voll und holen Sprit für die Generatoren.

Die eine Hälfte von Morristown hat aber Strom, und von daher sind einige Shops und die „coffeeplaces“ geöffnet. Alle Cafés sind total überfüllt – auch die halbe Nachbarstadt Madison ist hier. Diesmal haben die nämlich gar keinen Strom – beim Hurricane Irene war das umgekehrt, da pilgerte alles von Morristown nach Madison.

Man muss aufpassen, dass man im Café nicht über den Kabelsalat auf dem Boden stolpert – alle hängen mit ihren Laptops und Handys zum Aufladen an den Steckdosen. Ich treffe zufällig eine befreundete deutsche Mutter aus Madison – sie ist total schockiert: Ein Baum hat ihren Mann im Auto nur knapp verpasst, und dann ist ihrem Sohn, als er zur Haustür rausging, ein riesiger Ast vor die Füße geflogen. Viele geben ihren Freunden und Familien ein Lebenszeichen übers Handy, alle reden über den Sturm, die meisten tauschen sich über Erlebnisse aus und wünschen sich dann „good luck“. So eine Ausnahmesituation verändert die Dynamik unheimlich. Und ich lebe wieder auf: Wärme, Licht, Gemurmel, Kaffeeduft und das vertraute Gefauche der Kaffeemaschinen.

 

Am späten Nachmittag ist dann die Carton Road wieder hell erleuchtet – ein absolutes Highlight. Vitoria kommt endlich wieder an ihre Bettdecke ran und Marc kann seine McGyver-Konstruktion wieder abbauen. Wir gehören zu den Glücklichen, die schnell wieder Strom haben. Vielen anderen in Morristown geht’s leider anders – das erkennt man unschwer an den dunklen Ampeln und dem blauem Qualm aus dem Kamin.

Montagmorgen, 31.11.2011
Heute wäre Halloween. Aber daraus wird nichts.

Halloween fällt aus

„Morristown and Morristownship police strongly discourage allowing children to trick or treat door to door.“
Da überall noch lose Äste herabhängen, gibt’s in diesem Jahr also keine Halloween-Süßigkeiten auf unserer Straße für unsere Kids. Auch die Schulen haben alle Aktivitäten ersatzlos gestrichen. Mist, unser letztes Halloween fällt also aus – die Jungs sind super enttäuscht.

 

Wieder betten wir die Kids nachts um in das sicherste Zimmer – und die wundern sich gar nicht mehr drüber, sondern haben sich schon daran gewöhnt, morgens an anderer Stelle aufzuwachen. Es ist also kein Wunder, dass die Leute hier so viel entspannter mit diesem Thema umgehen – die kennen das eben schon von Kindesbeinen an. Vielleicht sind sie ja auch als Kinder von ihren Eltern nachts durchs Haus getragen worden?

 

Die Schlagzeile in der Tageszeitung: „Winter pays early call to Northeast“. Für Montag, Dienstag (1.11.) und Mittwoch (2.11) ist die Schule abgesagt („hazardous road conditions“, Tims Schule ist ohne Strom). Super, jetzt haben wir schon vier snowdays dieses Jahr gehabt und es ist gerade mal Anfang November!
Ich muss im Moment mal wieder viel an die Siedler/innen damals denken – Schneesturm, heißes Wetter, Hurrikans … Die mussten ganz schön kämpfen hier. Also kein Wunder, dass die Leute in den USA anders ticken als wir in Europa. Oder habt ihr mit euren Kindern schon mal „homework by candlelight“ machen müssen?

Und dann geht mir noch das Licht auf, warum hier so wenige Leute einen Zaun um ihr Haus haben. Die Natur ist viel zu wild in dieser Gegend – man spart eine Menge Geld und Zeit, wenn man sich erst gar keinen zulegt. Wir sind gerade mal anderthalb Jahre hier und haben schon dreimal den Zaun richtig kaputt gehabt – und damit meine ich nicht „ein bisschen kaputt“, sondern einige drei bis vier Meter lange Löcher!

 

Wir gehen also etwas lädiert in den November: Unser Garten ist verwüstet, und über unserem driveway baumelt ein dicker Ast immer noch an einigen Fasern (keine Sorge, haben wir abgesperrt!). Also hoffen wir, dass die tree guys bald die schlimmsten Notfälle abgearbeitet haben und zu uns kommen können. Unser Vermieter (er lebt im Moment außer Landes) hat sich schon bei uns entschuldigt: „I apologize that the nature keeps attacking you and your family.“ – Ja, genauso fühle ich mich.

Glück im Unglück
Und obwohl in dieser Woche erst mal mein 40. Geburtstag, der Marathon und dann Mitte November Thanksgiving anstehen, habe ich jetzt schon meinen Wunschzettel für Weihnachten gemacht: Ich will einen Generator und eine Stirnlampe mit vielen, vielen Batterien. Als Geburtstagsgeschenk klappt es damit leider nicht mehr (überall ausverkauft, sogar bei Amazon), aber für das Christkind sollte das kein Problem sein.

 

Und am Ende dieser Episode gibt es doch ein „silver lining“ (also etwas Gutes im Unglück): Im ganzen Schlamassel habe ich in den letzten Tagen meinen „Marathon-Spirit“ wiedergefunden – die Vorfreude, dabei zu sein und die Spannung mitzumachen. Ich werde also am 6. November diesem ganzen Mist die Zunge rausstrecken und einfach loslaufen. Von einer Nachbarin habe ich schon eine warme Dusche amerikanischer Solidarität erfahren dürfen: „Britta, you run on Sunday and we will watch you!“ Auf geht’s!

 

Drückt mir die Daumen
 PS: Hier geht’s weiter zum nächsten Monatsbrief. Viel Spaß beim Lesen!