Fangen wir beim Jüngsten an: Paul (3) macht uns langsam doch Sorgen: Er hat immer noch kein einziges Wort (also wirklich GAR KEINS) in seinem Kindergarten gesprochen – und das seit über einem halben Jahr. Weder seine Lehrerinnen noch die anderen Kinder kennen seine Stimme. Er geht sogar weg, wenn andere Kids mit ihm spielen wollen und beobachtet dann alles aus sicherer Entfernung, bis sie wieder gegangen sind. Das Ganze passt irgendwie gar nicht zu Paul: Er ist sonst eigentlich immer ein „Gute-Laune-Bär“ – weder schüchtern noch introvertiert – der sich auch gegen seine großen Brüder durchsetzt, kräftig mitschreit und sich immer besonders viel Mühe gibt, beim Wettrennen endlich auch mal der erste zu sein (was ihm leider selten gelingt, weil seine Beine einfach kürzer sind als die der anderen). Er ist von den vieren der Kontaktfreudigste, der außerhalb des Kindergartens auf wildfremde Kinder zugeht und sich ganz entspannt mit vielen anderen Leuten (Postboten, Verkäufer/innen) auf Englisch unterhält. Er kann sich gut ausdrücken und auch blitzschnell zwischen Deutsch und Englisch hin- und herschalten. An mangelndem Englisch kann es also eigentlich nicht liegen.
Zugegeben, solche Geschichten hört man ja selber öfter von ausländischen Kindern in Deutschland, die verstört für lange Zeit in der Ecke im Kindergarten „herumstehen“. Aber wenn es das eigene Kind ist, macht einem dieser Zustand dann doch irgendwann Sorgen – und dieser Punkt war jetzt bei uns erreicht. Ich habe mich dagegen entschieden, das Fachwort „selective muteness“ zu googeln, weil man sich erfahrungsgemäß hinterher oft eher schlechter fühlt – noch will ich nicht mehr darüber wissen und weiter hoffen, dass es von alleine mit der Zeit verschwindet.
Folgende Geschichte brachte das Fass dann zum Überlaufen: Beim Abholen erzählte mir seine Lehrerin, dass er beim Lunch Hilfe beim Öffnen seiner Banane brauchte und mit der Banane herumwedelte, um Hilfe herzuholen. Sie versuchte, ein „please“ aus ihm herauszulocken, aber er blieb stumm. Nichts. Auch nicht, als sie ihm das Öffnen dann verweigerte (mein Bauchgefühl sagt mir, dass das auch nicht gerade pädagogisch war … egal). Jedenfalls hat er dann anschließend so lange an der Banane herumgefummelt, bis er sie alleine aufbekommen hat. Armer Kerl, was hält ihn nur davon ab, einfach mal den Mund aufzumachen? Freiwillig verzichtet doch niemand auf seine Sprache, um mit den anderen zu kommunizieren! Ob wir es mal mit Bildkarten probieren sollten, die er als Übergang zum Kommunizieren einsetzt? Finde ich aber auch irgendwie zu krass, er kann ja schließlich sprechen.
Unsere Strategie: Marc ist einmal mitgegangen und hat versucht, ihn zum Reden zu bringen, indem er Quatsch machte und ihn provozierte. Das hat sogar ein bisschen geklappt: Paul hat immerhin einige Worte gesprochen. Aber Marc durfte anschließend nicht wiederkommen, weil er viel zu laut geredet und die ganze Kindergartengruppe unterhalten hat. Das geht natürlich nicht, denn hier reden ja immer alle mit leiser Stimme. Wie gut, dass Marc sein eigener Chef ist und nicht weiter an seiner „inside voice“ arbeiten muss. Damit waren wir erst einmal in einer Sackgasse angekommen. Und dann überschlugen sich die Ereignisse, so dass dieses Problem zunächst wieder in den Hintergrund trat. Doch dazu später …