Vom falschen Schubsen und Tannenkränzen, Tannenkränzen, Tannenkränzen. Warum Kinder in der Schule ihre Weihnachtsgeschenke einkaufen können und wie und warum wir „Pajama Partys“ lieben gelernt haben.
Das Jahr geht schon wieder zu Ende
Ich kann es nicht glauben, aber schon sind wir am Ende dieses Jahres angekommen und ein neues steht vor der Tür – wo ist nur die Zeit seit September geblieben? Geht es nächstes Jahr tatsächlich für uns bereits wieder zurück nach Deutschland? Ich will noch nicht darüber nachdenken, auch wenn uns unsere Freunde hier immer wieder darauf ansprechen. Aber – nur damit hier kein Missverständnis aufkommt: Das heißt nicht, dass ich nicht zurück will! Ich möchte nur die Zeit hier noch genießen, ohne ständig in Gedanken beim Organisieren für Deutschland zu sein.
Der Winter hält Einzug
Im Dezember sind die Bäume fast alle kahl, und die ohrenbetäubenden Laubgebläse, die im November hier oft von mehreren Seiten gleichzeitig röhrten, haben ihre Arbeit für dieses Jahr erledigt – es wird wieder ruhiger auf unserer Straße.
Verrückterweise sind jetzt die Überreste vom Schneesturm im Oktober besonders gut zu sehen: Alle abgeknickten Äste, die noch nicht entfernt wurden – und das sind etliche! – tragen noch viele, viele welke Blätter. Ganz im Gegensatz zu den kahlen Bäumen, an denen sie baumeln. Ja, Blätterabwerfen ist tatsächlich ein aktiver Prozess, den der Baum selbst auslöst! Einige der Bäume stehen immer noch bedenklich schief und hängen halb über der Straße – da gebe ich dann einfach ein bisschen mehr Gas beim Drunterdurchfahren.
Während sich die squirrels wie letztes Jahr eifrig über die Reste der Kürbisse vor unserer Haustüre hermachen, sind die Streifenhörnchen und die Grillen, von denen einige bis November ausgehalten hatten, auf einmal komplett verschwunden. Über die Temperaturen können wir nicht klagen: zwischen knapp unter Null bis plus 20 Grad Celsius – alles noch sehr gemäßigt. Und bisher kein Schnee !!! 🙂 🙂 🙂
Brasilianischer contra amerikanischer Winter
Unser Au-pair Vitoria, das vom brasilianischen Winter in Sao Paulo Durchschnittstemperaturen von 16 Grad gewöhnt ist, hat aber jetzt schon zu kämpfen. Zum einen mit den Temperaturen (sie stöhnt schon bei plus zehn Grad!), zum anderen mit dem Widerspruch zwischen ihren ästhetisch-modischen Ansprüchen und funktionaler Winterkleidung. Diese Anpassungsphase haben wir Gottseidank schon hinter uns und holen unsere klobigen, gesteppten Daunenjacken (ihr erinnert euch? Steppdecken! 🙂 ) wieder raus. Und wenn es auf einmal wieder 15 Grad ist, dann lassen wir die eben einfach weg. Ich hoffe nur, dass Vitoria den Winter hier besser wegsteckt als unser letztes brasilianisches Au-pair – sie braucht jedenfalls mit ihren 19 Jahren morgens länger als unsere Kinder, um sich mit Mütze, Schal und Handschuhen für draußen zu wappnen (und die sind schon sehr lahm). Aber da muss man wohl Nachsicht und Geduld haben (oder einfach langsam in Ruhe bis 50 zählen und an was anderes denken).
Der Dezember läuft für uns recht ruhig – unterm Strich. Während wir viele kulturelle Feste nun schon insgesamt zweimal erlebt haben, ist der Dezember für uns noch ein besonderer Monat: Letztes Jahr sind wir ja schon Mitte Dezember nach Deutschland in die Weihnachtsferien gestartet. Vor allem ich kann den Monat – wie erhofft – so richtig genießen, weil im Moment alles gut läuft: das Wetter, die Kinder, Vitoria – alles soweit im Lot. Da bleibt ausreichend Zeit, die fröhliche amerikanische Weihnachtszeit zu genießen.
Aber dann gab es doch einige kleine bis mittelgroße Stressfaktoren, die uns zeitweise auch länger in Atem hielten und uns mal mehr, mal weniger aus unserer Weihnachtsstimmung rissen.
Stressmomente
Wir sitzen im Dezember zweimal auf gepackten Koffern, bereit zum Abflug. Das erste Mal wegen eines Notfalls bei den Großeltern, bei dem wir uns große Sorgen gemacht haben. Aber dann geht es zum Glück wieder bergauf, und wir fliegen doch nicht rüber nach Deutschland.
Beim zweiten Spontanaufbruch erhalten wir Mitte Dezember unverhofft die fristlose Kündigung von unserer Expat-Krankenversicherung wegen fehlenden Eingangs unserer Beiträge – das Schreiben ist von Anfang November. Ja, das sind die Nachteile eines Nachsendeauftrags aus Deutschland – manches kommt einfach viel zu spät an. De facto haben wir also seit über einem Monat hier ohne Versicherungsschutz gelebt – da muss man dann doch mal kurz die Luft einziehen, denn das kann einen finanziell schnell ruinieren. Marc flippt komplett aus, telefoniert die halbe Nacht, um herauszufinden, was da mal wieder beim Überweisen schiefgegangen ist. Wir sitzen quasi schon im Flieger, denn ohne Versicherung bleiben wir keinen Tag länger. Aber dann taucht das Geld doch noch auf – es war überwiesen, aber die Versicherung konnte es nicht zuordnen, weil unsere Identifizierungsnummer gefehlt hatte. Puh, riesiger Schreck, der vor allem Marc einige Tage in den Knochen steckt, aber ist noch mal gutgegangen.
Falsches Schubsen
Anfang Dezember bin ich dann dran: Ich bekomme morgens einen Anruf von Theos (9) Schulleiterin. Von Oles (6) preschool bin ich solche Telefonate ja schon gewöhnt, aber von der Schule? Das ist neu.
Mrs. Bell ist sehr höflich und klärt mich auf: Theo habe ein Mädchen im Schulbus geschubst. Sie habe den Fall schon ausführlich mit Theo besprochen, es täte ihm sehr leid und er hätte auch geweint (hm … kommt mir komisch vor). Ja, das Mädchen habe ihm wohl mit einem Spielkrokodil immer wieder in den Bauch geknufft und auch nach wiederholten Bitten von Theo nicht damit aufgehört. Von daher sei sein Verhalten (Schubsen) zwar verständlich, aber dennoch nicht akzeptabel (stimmt, ich bin derselben Meinung). Sie teilt mir weiterhin mit, dass sie schon mit Theos Lehrerin über sein Fehlverhalten gesprochen habe und er wohl schon öfter durch Schubsen aufgefallen sei (hm, das sieht Theo gar nicht ähnlich … aber gut). Weiterhin seien die Schulleiterin und die Klassenlehrerin des Mädchens bereits unterrichtet (Uauh! Alle sind unterrichtet – was Mrs. Bell macht, macht sie gründlich).
Ich höre die ganze Zeit zu und warte auf die Verkündigung der Konsequenzen: Nachsitzen, Verwarnung oder noch schlimmer? Komisch, ich hätte Theo gar nicht so eingeschätzt. Am meisten irritiert mich, dass sie die ganze Zeit den Namen von Theos alter Lehrerin verwendet (hier wechseln ja jedes Jahr die Lehrkräfte für die Klassen). Als ich am Ende der Predigt in dieser Sache vorsichtig nachhake, ist auf einmal Schweigen am anderen Ende der Leitung (einige lange Sekunden). Und dann kommt ein wiederholtes „Oh, I’m so sorry“. Auflösung: Ich war die „falsche Mutter“! Es ging tatsächlich um einen Theo aus Polen, der genau wie unser Theo letztes Jahr, jetzt im dritten Schuljahr bei Mrs. Ciorcalo Unterricht hat! So kann es gehen, zweimal „Theo“ aus dem Ausland bei gleicher Lehrerin.
Für mich eine erfreuliche Antiklimax, aber auch eine klare Ansage, was hier passiert, wenn eine Schülerin oder ein Schüler körperlich wird (es ging wohlgemerkt „nur“ um Schubsen). Ich frage mich, was Mrs. Bell zu tun hätte, wenn sie einen Tag mit einer deutschen Schulleitung den Job tauschen würde – da würden die Telefonleitungen heiß laufen.
Was Scheren anrichten können
Und wir nehmen diesen Monat noch einmal die Notfallambulanz mit. Ole (6) ist mit der Hand auf eine offene Schere gefallen und es ist klar, dass das genäht werden muss. Es geht also zum „Faster Urgent Care“. Die kennen uns mittlerweile schon ganz gut, und ich kenne den Weg dorthin auswendig – das will was heißen! Vitoria fährt, ich beruhige Ole und drücke die Wunde zu. Nach 45 langen Minuten sind wir endlich dran: Derselbe Raum wie damals, als Ole hier mit gebrochenem Handgelenk und Platzwunde am Kinn saß. Und dann wieder das gleiche Begrüßungsprozedere, um das hier noch nicht mal heftig blutende Kinder herumkommen: Blutdruckmessen, Pulsmessen, Temperaturmessen – alles muss seine Richtigkeit haben! Himmel, Herrgott: Alles, was Ole braucht, ist eine Naht!!
Nach einer halben Stunde sind wir wieder draußen: War nicht schön, aber viel besser als beim letzten Mal. Oles Hand funktioniert noch, die Wunde ist genäht, er hat ein Lego-Set bei mir rausgehandelt (weswegen mir Theo für den Rest des Abends die Hölle heißmacht), und die anderen drei haben in der Zeit völlig schwachsinniges Kinderfernsehen im Wartezimmer gesehen.
Als alle vier schließlich schlafen, stoße ich mit mir selber an (Marc ist in Europa). Darauf, dass es Ole gut geht und es wieder „nur“ seine rechte Hand erwischt hat (er ist Linkshänder). Und darauf, dass unser Holzhaus noch steht – beim überstürzten Aufbruch am Nachmittag hatten wir vergessen, den Adventskranz auszupusten und er brannte munter die zwei Stunden alleine vor sich hin … Na dann: Prost!
Katastrophe über Morristown
Am 20. Dezember kommt ein wirklicher Dämpfer, der ganz Morristown lähmt. Beim Einkaufen erfahre ich von einer Kassiererin, dass auf der James Street ein Kleinflugzeug abgestürzt ist – 400 Meter neben unserem Haus! Wollte Marc nicht heute fliegen gehen? Ich erwische zunächst nur die Mailbox, aber bevor ich wirklich panisch werden kann, hebt er dann einige Minuten später doch ab. Schreck, lass nach!
Und weil ich keine Gafferin sein will, nehme ich nicht die besagte Straße nach Hause, sondern entscheide mich dazu, über die Autobahn zu fahren. Großer Fehler, denn schon auf der Auffahrt sehe ich, dass da alles steht. Zu spät. Nichts bewegt sich. Von Marc erfahre ich am Telefon, dass das Flugzeug auf der Autobahn heruntergekommen ist (genau dort, wo ich mit dem Auto stehe!) und dann quer über beide Bahnen geschleudert ist. Den Flügel hat es noch in der Luft verloren, und der ist bis in die James Street geflogen (das ist dort, wo ich immer joggen gehe, wenn ich nach Morristown reinlaufe!).
Helikopter und Autos überall. Es ist ausnahmsweise einmal eng auf dem Highway, und die großen Autos helfen auch nicht gerade dabei, eine Rettungsgasse zu formen. Zudem scheinen einige Fahrer/innen die Ausmaße ihrer eigenen Wagen nicht zu kennen und sind noch nicht mal in der Lage, nah an die Leitplanke zu fahren! Nach eineinhalb Stunden (für 300 Meter!) passiere ich endlich die Unfallstelle. Am Mittelstreifen ist alles verbrannt und auf der Fahrbahn liegen überall Flugzeugteile herum. Ich kann kaum glauben, wie wenig von dem Flugzeug übrig geblieben ist – es sieht gerade mal aus, als habe ein Müllauto seine Ladung verloren! Die Wrackteile liegen mit einem Radius von einem Kilometer um die Absturzstelle verteilt.
Morristown erleidet einen Verkehrskollaps, weil die Autobahn gesperrt wird. Und für den Rest des Tages kreisen Hubschrauber über unserem Haus. Traurige Bilanz: Die vierköpfige Familie des Piloten und ein Geschäftsfreund (Vater von drei Mädchen aus NYC) sind tot. Als Ursache wird Vereisung der Tragflächen vermutet. Wie durch ein Wunder wurde beim Aufprall auf der Autobahn kein Wagen getroffen (es war zehn Uhr morgens). Theo (9) und Tim (7) erzählen aufgeregt, dass man sie aus dem Unterricht geholt hat, um ihnen mitzuteilen, dass es nicht ihr Papa war, der da abgestürzt ist. Wir sind alle geschockt. Vor allem Marc, dem frischgebackenen Piloten, sitzt der Schreck tief in den Knochen. Wir beschließen, dass wir nicht gemeinsam in sein Flugzeug steigen, bis die Kids groß und aus dem Haus sind.
Dieses letzte Ereignis dämpft die Stimmung der Leute hier, doch wir schaffen es trotzdem, vier Tage später unser Weihnachtsfest fernab von Deutschland zu feiern und zu genießen. Mindestens ebenso schön war aber auch die Zeit davor, die wir – trotz der diversen Schrecken – in vollen Zügen genießen konnten (jetzt kommen auch die Fotos 🙂 – und zwar richtig viele).
Von Kranz bis Kitsch
In der ersten Hälfte des Dezembers bringen die Leute ihre Häuser und Gärten in vorweihnachtliche Stimmung. Wie bereits vergangenes Jahr bin ich angenehm überrascht von den vielen geschmackvoll geschmückten Fenstern, Türen und Gärten. Besonders die Türen haben es mir angetan: Mit Girlanden aus echtem Tannengrün umrahmt, einem grünen Kranz in der Mitte und einigen Lichtern geschmückt, sehen die Eingangstüren der im Kolonialstil gebauten Holzhäuser (typisch für unsere Gegend) so gemütlich und einladend aus, dass man am liebsten anklopfen und sich mit einer Tasse Tee an den Kamin setzen möchte. Viele weiße Lattenzäune sind ebenso mit grünen Naturgirlanden und kleinen Lichtern geschmückt. Ich probiere das Ganze direkt auch mit unserem Holztreppengeländer – sieht schön aus und verbreitet Weihnachtsstimmung im ganzen Haus.
Sharing is caring!
Vor „Kings“, unserem überteuerten Minisupermarkt in Morristown, stehen jetzt oft Spendensammler/innen von der Heilsarmee, die unaufhörlich mit ihrem goldenen Glöckchen (das sie nach oben halten!) die Leute auf sich aufmerksam machen. „Sharing is caring“ – viele Leute werfen nach dem Einkauf ein bisschen Kleingeld in den großen Messingeimer. Einer der Angestellten trägt den ganzen Dezember über eine Weihnachtsmütze auf dem Kopf und eine blinkende Minilichterkette um den Hals – er sieht damit etwas abenteuerlich aus, ist aber einfach immer gutgelaunt, saufreundlich und hilfsbereit.
Abends erleuchten viele Lichterketten die Häuser und Gärten. Zugegeben, es gibt auch einige weihnachtlich beleuchtete Häuser, bei denen es die Besitzer/innen etwas zu gut meinen. Bemerkenswert finde ich die Lichterketten, mit denen viele Leute ihre Dachgiebel von außen schmücken – das müssen halsbrecherische Aufhängaktionen sein, aber es lohnt sich wegen der schönen Wirkung.
Morristown und Madison mögen zwar keinen über tausend Jahre alten Dom haben wie Aachen, aber an Gemütlichkeit stehen sie vielen deutschen Städten an nichts nach – meine Meinung ;-). Beim Laufen sehe ich morgens tatsächlich zwei Männer, die ihr Holz vor der Tür hacken – das sieht man doch in Deutschland eher nie, oder? Umgefallene Bäume hatten wir ja genug. Und ein Mann läuft mir morgens in Morgenmantel und Weihnachtsmütze über den Weg, um die Zeitung von der Einfahrt aufzuheben.
In einigen Vorgärten und Parks sieht man Krippen von klein und fein bis zu solchen mit aufgeblasenen, lebensgroßen Figuren – viele schon keine Grenzfälle mehr, sondern echt krasser Kitsch. Und in öffentlichen Gebäuden schmücken Unmengen von gigantisch großen Weihnachtssternen die Hallen.
„Candy of the month“
Ganz, ganz wichtig hier ist der „Candy Cane“, eine rot-weiß gestreifte Zuckerstange, die oben wie ein Spazierstock gebogen ist. Das Typische daran: Candy Canes sind sowohl Süßigkeit als auch Dekoration. Man findet sie beleuchtet in Vorgärten, viele Leute hängen sie aber ebenso als Dekoration in den Weihnachtsbaum. Paul (4) bastelt mit Pfeifenputzern und roten und weißen Perlen jeden Tag einen Candy Cane in der preschool, und die Zuckerstangen sind auch das typische „Mitbringsel“ für Kinder in der Weihnachtszeit. Die Ursprünge dieser Süßigkeit lassen sich übrigens bis ins 17. Jahrhundert nach Köln zurückverfolgen, wo der Chormeister sie seinen jungen Sängern in die Hand drückte, damit sie während der langen Messe ruhig auf ihren Sitzen blieben (steht zumindest so auf einer der Packungen).
Sehnsucht nach deutscher Weihnacht
Und wenn man in der Weihnachtszeit unterwegs ist und auf einmal das Gefühl hat, dass man die Schlümpfe singen hört, dann sind das in Wirklichkeit ihre amerikanischen Kolleginnen und Kollegen, die „chipmunks“ (Streifenhörnchen). Mit ihren verzerrten Stimmen sehnen sie Weihnachten herbei – naja, also da schüttelt es mich schon. Den Film dazu erspare ich mir und unseren Kindern.
Und zugegeben: Manches Mal erwischt uns die Sehnsucht nach der deutschen Weihnacht doch – das sind dann kurze Momente, wenn man zum Beispiel das erste Mal wieder in deutschen Lebkuchen beißt oder wenn wir deutsche Kinder-Weihnachtslieder anstellen. Da sagt Ole ganz spontan: „Ich werde traurig. Mach die aus.“ Also hören wir diese Saison viel mehr englisch-amerikanische Weihnachtslieder, weil einen das sofort wieder fröhlich macht.
Wem das jetzt alles befremdlich klingt, weil die Feierlichkeit und die Ernsthaftigkeit der Weihnachtszeit hier verlorengegangen scheint: Stimmt, dem kann ich nur zustimmen. Aber dafür ist die Stimmung viel fröhlicher und spaßorientierter. Der Trick ist wohl, sich darauf einzulassen, neugierig zu sein, nicht zu bewerten und mit „deutscher Weihnacht“ zu vergleichen, sondern einfach dabei zu sein. Zugegeben, manchmal muss man schnell weggucken, aber ansonsten ist diese Zeit sehr einladend, feierlich und kann auch sehr besinnlich sein (unten mehr).
Tatü – Tata – der Weihnachtsmann ist da
Kurz vor Weihnachten kommt das Feuerwehrauto mit heulender Sirene und rot-blauem Geblinke durch die Wohngebiete gebraust – Santa Claus höchstpersönlich verteilt Candy Canes an alle Kinder, die aus ihren Häusern kommen und dem Weihnachtsmann winken. Klar, Ole und Paul wollen auch und laufen schnell zur Straße. Irgendwie scheinen die Feuerwachen hier bei „Santa-Specials“ sehr kreativ zu sein. Mt. Kemble’s Fire Trucks bieten für 15 Dollar pro Geschenk einen „Abhol-, Einpack- und Santa-Lieferservice“ an, bei der Fairchild Fire Company gibt es „Pancake Breakfast“ und „Photos with Santa“, und bei unserer Feuerwache um die Ecke gibt’s jede Menge Weihnachtsbäume zu kaufen.
Auf der Suche nach dem Christmas Spirit
Ja, auch hier gibt es ganz viel Rummel um die Geschenke, und die Geschäfte werden vor Weihnachten eindeutig voller – aber das ist wohl keine Überraschung. Per E-Mail bekomme ich jeden Tag von diversen Firmen Angebote mit ziemlich vielen „promotional discount codes“ (Rabatt-Angeboten): 40% off one thing, free shipping, 30% off everything, buy one, get one free“ usw. In der letzten Woche vor Weihnachten erreichen die Angebote dann ihren Höhepunkt: „40% off everything“. Und nach Weihnachten gibt es sogar oft „60-80% off everything“.
Holiday Shoppe – ja oder nein?
Auch vor den Kindern macht diese Kaufhysterie – leider – nicht halt. An Theos und Tims Schule gibt es den sogenannten „Holiday Shoppe“, ein von engagierten Eltern (dem „Holiday Shoppe Commitee“) eingerichteter kleiner Laden, in dem die Kids während der Schulzeit Geschenke für kleines Geld einkaufen können – für zwischen einem und sechs Dollar. Original heißt es in der Elterninfo:
„Your school is holding a KidSmart Holiday Shoppes Program,
the in-school shopping program that`s fun for everyone! ….
The KidSmart Holiday Shoppes Program is designed to be a safe,
child-centered environment where the children can learn how to
budget and spend wisely …“
Nein, ich bin davon weder begeistert noch überzeugt. Aber ich weiß, dass eine andere deutsche Mutter es inzwischen sogar richtig gut findet, weil die Kids sich schon überlegen, wem sie was schenken möchten und keine Unmengen an Geld ausgeben. Ich dagegen hänge immer noch mehr an selbstgemachten Geschenken …
Dazu bekommen die Kids vom „Holiday Shoppe Commitee“ sogar direkt Vorschläge, was man so für moms, grandmothers and older sisters, oder für dads, grandparents, big brothers … einkaufen könnte. Alle sind aufgelistet. Das geht von Handschuhen, Handcremes, Schmuck und Tassen bis zu Schlüsselanhängern, Büchern, Lavalampen, Sportautos. Praktisch, wie die Amis nun mal sind, gibt es eine vorgedruckte Liste mit allen Familienmitgliedern, die man als Eltern mit den Kindern ausfüllen soll. Es gibt sogar zwei Spalten „1st choice“ und „2nd choice“, falls ein Gegenstand nicht mehr vorrätig sein sollte! Und dann braucht man den Kids nur noch abgezähltes Geld oder einen Scheck mitzugeben und der Weihnachtseinkauf erledigt sich von selbst …
Ich erkläre Theo und Tim, dass das in unserer Familie so nicht funktioniert. Sie bekommen kein Geld mit – das ist mir wirklich etwas zu einfallslos. Zugegeben: Da wir das Selberbasteln für Brüder und Omas und Opas zeitlich und von der Motivation nicht so ganz hinbekommen, gibt es, wenn es hochkommt, ein selbstgemaltes Bild von unseren Jungs. Aber dieser „Holiday Shoppe“ geht mir komplett gegen den Strich. Oder bin ich da zu konservativ/deutsch/eigensinnig? Vielleicht macht es den Kids ja doch Spaß, von ihrem Taschengeld kleine Geschenke für andere Leute zu kaufen? Ich weiß nicht …
Bei uns zu Hause bringt nach wie vor das Christkind die Geschenke, so dass wir mit dem Rummel nichts zu tun haben. Die Kids laufen auch gut, und das Wetter schlägt ausnahmsweise mal keine Kapriolen. So habe ich genug Muße, die gemütlichen Aspekte der amerikanischen Vorweihnachtszeit zu genießen, wie z. B. die Cafés. Aber ich probiere auch mal etwas Neues aus.
Wenn Weihnachten aufklappt
Mich locken die Buchläden und die vielen Bücher – ich mache mich also auf zu „Barnes & Noble“, der amerikanischen Mega-Buchladenkette, wo man in aller Ruhe auf gemütlichen Sofas oder im integrierten Starbucks mit heißem Tee und Keksen in den Büchern schmökern kann (ohne sie dann kaufen zu müssen, anscheinend macht hier keiner Fettflecken?). Als erstes finde ich umwerfende „Pop-up“-Weihnachtskarten, bei denen, wenn man sie aufklappt, z. B. ein ganzes Wohnzimmer mit Weihnachtsbaum, einem brennenden Kamin mit Christmas-Socken und den Schuhen von Santa aufpoppt – so etwas finde ich wirklich faszinierend! Weihnachtskarten sind hier sehr wichtig, weil es Tradition ist, sich bei seinen Freunden und der Familie mit solchen Karten zu melden. Viele von ihnen sind auch persönlich gestaltete Fotos vom Kind und Hund. Ich kaufe Unmengen an Weihnachtskarten, die im Vergleich zu Deutschland sehr vielfältig sind, billiger und dann auch noch in wirklich schönen Pappschachteln stecken.
Ho-Ho-Ho-liday books!
Hier gibt es viel zum Thema Weihnachten, u. a. Klassiker wie „A Christmas Carol“ von Dickens, jede Menge Fotobände wie „Christmas in the USA“, Koch- und Backbücher mit unglaublichen Kreationen, wie die Kids sie sonst nur mit grellem Knetgummi machen, „Christmas with the First Ladies“, das Dekorationen von Mrs. Kennedy bis Mrs. Obama zeigt, oder „The ugly Christmas Sweater Book“. Aber diese Tradition von Strickpullovern mit Weihnachtsmotiven für Erwachsene haben wir in Deutschland ja Gottseidank nicht …
Was mich dann aber so richtig in seinen Bann zieht und nicht mehr loslässt, ist die Kinderabteilung: eine Fantasiewelt mit Elfen, Wildtollen, Lebkuchenpiraten, sprechenden Schneemännern, Rentieren, Nussknackern, Weihnachtspferden und natürlich dem Weihnachtsmann – manches verwunschen und vieles verzaubert!
Der Geist der Weihnacht auf bunten Seiten
Jede Menge große Bücher zum Anschauen und Vorlesen – mit tollen Hochglanz-Umschlägen, ansprechenden großen Bildern und wirklich schönen Geschichten. Klar, einige Bücher sind zugegebenermaßen auch scheußlich und kitschig. Aber insgesamt bin ich überrascht, denn in den Büchern geht es definitiv nicht nur um Geschenke, sondern um das, was Weihnachten so besonders macht, wie auch immer man das bezeichnen mag.
„Christmas spirit“ und „magic“, eingebettet in Geschichten mit echten Kindern: Es geht um Schnee-Engel, mit denen man seine Liebe zu anderen Leuten schicken kann, um ein Glöckchen vom Rentiergeschirr, das nur Kinder und die Leute hören können, die noch an Weihnachten glauben (Oles Lieblingsbuch), um eine kleine Maus namens Mortimer, die vom Kellerloch hocherfreut in eine Krippe einzieht, aber nachdem sie die Weihnachtsgeschichte gehört hat, doch lieber ins Lebkuchenhaus übersiedelt (Tims Lieblingsgeschichte) und natürlich um das rotnasige Rentier „Rudolf“, das von allen anderen Rentieren gemieden wird und dann am Ende doch noch ganz groß rauskommt (Pauls Lieblingsbuch).
Theo liest inzwischen lieber selbst – er ist der einzige, den ich nicht immer eingefangen bekomme, wenn ich mich mit einem Buch zum Vorlesen hinsetze – die anderen drei lassen alles stehen und liegen, hören hochkonzentriert zu und tauchen völlig ein in diese Fantasiewelten.
The Polar Express – Oles Lieblingsgeschichte. Ole (6) malt die Geschichte vom Polarexpress, der zum Nordpol fährt, wo die emsigen Elfen (kleine, rot-grün gekleidete Wesen) in großen Werkstätten die Spielzeuge für die Kinder basteln. Ole ist jetzt im Kindergarten und fängt mit dem Schreiben an. Der Text unter seinen Bildern lautet:
Theos Gruselgeschichte als Kontrastprogramm
Gruselstory als Kontrastprogramm: Theo (9) mag die Weihnachtsbücher nicht – er schreibt lieber selber Geschichten. Hier der Anfang einer Geschichte, die er für die Schule geschrieben hat. Da hat sicherlich auch Harry Potter seine Finger im Spiel, oder? Aus der Perspektive einer Englischlehrerin muss ich sagen, dass ich platt war, welche Verben er benutzt: „fumbled, hissed, vanished, whimpered“. Das geht deutlich über Mittelstufe am Gymnasium hinaus, wenn nicht sogar bis zu Oberstufe. Danke, Amerika 🙂 . Englisch wird für Theo wohl später kein Problem sein.
Vorbereitungen in der Weihnachtszeit
It’s Party time – mit kleinen, aber feinen Unterschieden: Winter concerts, Christmas Parties, Holiday Parties and Pajama Parties …
Letzten Dezember haben wir die Erfahrung gemacht, dass viele Leute hier nicht Weihnachten feiern, sondern sich im Dezember auf ihre eigenen Feste vorbereiten. Die Schulferien werden daher neutral auch nur „winter break“ genannt. Ihr erinnert euch: Die jüdischen Menschen feiern ihr achttägiges Lichterfest „Hanukkah“, viele Afro-Amerikaner/innen ihr kulturelles Fest „Kwanzaa“ und wiederum andere einfach gar nichts. Wir aber feiern nach wie vor Weihnachten!
Die Kids erleben diese Vielfalt jeden Tag in Schule und preschool: Sie basteln fleißig Menorahs, dekorieren gingerbreadmen und schneiden Kwanzaa-Kerzenständer aus. Paul will eines abends mit mir das Dreidelspiel (ein Spiel mit Kreisel) spielen und kennt die Namen der hebräischen Zeichen und ihre Bedeutung für das Spiel – so wie es scheint, spielen sie das also in der preschool. Ole schreibt und malt in seinem „Story Journal“ die Geschichte von „Santa und Mary“, die einen Platz für das Baby suchen. Im Laufe der Geschichte taucht dann auch der Zug zum Nordpol auf, und die Menorah bekommt ebenfalls eine Extraseite. Tim erklärt mir völlig abgeklärt, dass sein Freund Deepak kein Weihnachten feiert und löst in der Schule Kombinations-Logikrätsel, in welcher Reihenfolge die Kwanzaa-Kerzen, von denen jede einen anderen Namen und eine andere Bedeutung hat, aufgestellt werden. Probiert es aus:
Umoja is the center candle.
Nia is not a red candle.
Imani is on the right side of Nia.
Ujima is next to the black candle.
Kujichagulia is the third candle from the left.
Ujamaa is on the right side of Kuumba.
Eine Flamme bleibt ohne Beschreibung: Kuumba
Zur Hilfe: Links stehen die roten Kerzen, die mittlere Kerze ist schwarz :-).
Winterkonzerte an den Schulen
Wie letztes Jahr bereiten die Kids in den Grundschulen für Dezember ein Konzert vor. Die Musikschullehrerin von Theo und Tim hat also die Aufgabe, ein Programm auf die Beine zu stellen, das alle Eltern zufriedenstellt und keinem auf die Füße tritt. Und sie schafft es: Diese eine Stunde in der Aula ist wieder ein ziemlich beeindruckendes Multikulti-Spektakel, was die kulturelle Vielfalt dieser Festzeit gut widerspiegelt.
Die Kinder, wie immer in „bunt gemischten“ Hautfarben und unheimlich diszipliniert auf der Bühne (bei Tim steht die gesamte Schülerschar – über 300 Kinder! – auf einmal auf der Bühne – WAHNSINN) und präsentieren für 45 Minuten, was sie geübt haben.
Holiday und Pajama Parties
Wenn die Winterferien näher rücken, wird auch in preschool und Schule gefeiert – die Frage ist nur: Was?
Theo feiert in seiner Klasse eine „Holiday Party“, bei der es Pizza, Popcorn, Gemüse und „low-calorie“-Saucen gibt. Sie basteln dabei Schneeflocken aus Papier – dagegen kann niemand was haben.
Bei Tim gibt es Pizza und sie dekorieren gingerbread-Kekse (die sind schon grenzwertig, weil bei der Dekoration Rot und Weiß, also weihnachtliche Farben, überwiegen). „It’s so christmassy“, beschwerte sich kürzlich eine jüdische Mutter.
Tim und Ole haben beide eine Pajama Party. Bei Ole liegen alle Kinder mit pajama auf Matten, Kuscheltier unterm Arm und heißem Kakao in der Hand, und gucken sich einen „holiday favorite“ im Fernsehen an. Ole strahlt, als ich ihn abhole, und seine Lehrerinnen sagen mir, dass er die ganze Zeit wie ein Honigkuchenpferd gegrinst hat und zu ihnen meinte: „I never thought that Kindergarten could be that much fun.“ Schön, ihn mal so happy zu sehen.
Paul hat dieses Jahr wieder beides – zuerst Hanukkah-Party mit Latkes und Dreidel und dann ein paar Tage später „Christmas lunch“.
Vorsicht Fettnäpfchen!
Die Festzeit im Moment ist eine gute Gelegenheit, den Nachbarsfamilien mal etwas diskret in den Vorgarten zu spinksen – dachte ich zumindest. Also, alle unsere Nachbarsfamilien, die mit rot-weißen Candy Canes ihren driveway beleuchten, die dicke grüne Kränze an der Tür und hell erleuchtete Tannenbäume im Wohnzimmer haben, die feiern Weihnachten. Und sind damit aller Wahrscheinlichkeit zumindest gemischt-gläubig. So weit, so gut.
In unserer Nachbarschaft (30 Häuser) gibt es aber nur ein einziges Haus, das mit einer Menorah geschmückt ist – dabei haben wir mindestens zehn jüdische Familien hier! Tja, da ging meine Rechnung wohl nicht auf.
Und trotzdem: Obwohl ich inzwischen eigentlich weiß, wer in unserer Straße jüdischen Glaubens ist (von denen, mit denen wir Kontakt haben), stellt mir mein Gehirn immer wieder Fallen. Wenn Nachbarinnen, die keine Weihnachtsbeleuchtung im Garten haben, mich fragen „What are you doing for Christmas?“, dann stelle ich fast reflexartig die Gegenfrage „What are you doing for Christmas?“ Und sobald es raus ist, haue ich mir auf den Mund und fühle mich mal wieder so richtig ertappt. Die Leute haben bisher immer abgewunken und gesagt „Oh, it’s o.k.“, aber ich fühle mich immer wie ein Volltrottel. Dabei hatte ich mir geschworen, dass mir das nach Rosh Hashana, wo ich auch ins Fettnäpfchen getreten war (da hatte ich nur blöd geguckt, als mir eine Nachbarin mitten im September erzählte, dass sie mit der Familie große Neujahrsfeier gehabt hätte), nicht mehr passieren würde, aber 40 Jahre „Monokultur“ kann man nicht einfach wegwischen …
Politisch korrekt gibt es für jedes der Feste eine Sondermarke bei der Post zu kaufen. De facto muss man allerdings zugeben, dass die Weihnachtsdekorationen hier so allgegenwärtig und übermächtig sind – da können die Menorahs nicht mithalten. In einem Zeitungsartikel im Wallstreet Journal steht ganz klar, dass als Antwort auf den Weihnachtstaumel Tendenzen zu beobachten sind, dass auch Hanukkah immer größer gefeiert wird: Viele Familien schmücken ihr Haus mit blauen und weißen Lichtern, Kinder feiern „latkes on roller skates parties“, Jugendliche machen „Vodka und Latkes Parties“, es werden Dreidel-Wettbewerbe im Land abgehalten und in NYC gibt es sogar eine gut besuchte Striptease-Show zur Hanukkah-Geschichte – freilich sind nicht alle mit
dieser Veränderung einverstanden.
Diskussionen um politisch korrekte Happy Holiday
Was ich mich frage: Wie erklären jüdische Eltern ihren Kindern, dass sie nicht an den Weihnachtsmann glauben, bzw. dass es ihn nicht gibt, wo er doch überall herumsteht? Und was sagen jüdische Kinder in der Schule zu ihren christlichen Klassenkamerad/innen, wenn die Sprache auf Santa kommt? Was antwortet man wohl als Lehrkraft, wenn ein verweintes Kind nach einer Diskussion mit einem anderen Kind fragt, ob es den Santa nun gibt oder eben nicht. Irgendwie ist die Sache doch etwas komplizierter, und auch getrennte Briefmarken können die Klippen im Alltag nicht umschiffen.
Was machen Familien, in denen die Eltern verschiedene Religionen mitbringen? Keine Ahnung – ich weiß nur von unseren Freunden, dass sie einfach beides feiern. Die Verwandten des Vaters feiern Hanukkah-Partys, und dann kommt an Heiligabend noch Väterchen Frost aus Ungarn zu ihnen nach Hause. Wenn man damit aufwächst, ist es vielleicht doch nicht so kompliziert, wie es für mich scheint.
Bei uns zu Hause haben wir jedenfalls lebhafte Diskussionen darüber. Ist „Happy Holiday“ nun eine politisch gewollte, völlig unhandliche und unnatürliche Formel (Marc) oder eine wirklich hilfreiche, gleichstellende Grußformel? Ich stoße mich jedenfalls nicht daran und benutze sie einfach, wenn ich mir nicht sicher bin, wen ich als Gegenüber habe. Welche Alternative gibt es denn auch?
Unsere erste deutsch-amerikanische Weihnacht
Und wie sieht es nun bei uns zu Hause aus? Warten aufs Christkind … oder doch auf den Weihnachtsmann?
Während ich ihm gegenüber letztes Jahr innerlich sehr skeptisch eingestellt war und ihn als Konkurrenz zu unserem lieblichen, unsichtbaren Christkind gesehen habe, bin ich dieses Jahr schon offener. Die Kinder stellen weder ihn noch das Christkind in Frage. Und wenn uns mal wieder ein Weihnachtsmann auf der Straße begegnet, sagen die Kids nur, dass das wohl schon wieder so ein „pretend Santa Claus“ war – und „gut is“.
Verwirrung um Tage und Jahreszeit
Etwas verwirrender ist für die Kids im Moment der Zeitpunkt der Bescherung.
Ihr wisst, dass die Amerikaner/innen am 25. Dezember morgens ihre Geschenke auspacken. Etwas irreführend ist die Bezeichnung der Festtage. Der 25. Dezember ist offiziell „Christmas Day“ (so weit, so gut), während „Christmas Eve“ der Abend des 24. Dezembers ist (und nicht etwa der Abend des 25., der hier nicht mehr so wichtig ist). Ole besteht am Morgen des 24. Dezembers darauf, dass ich sein selbstgebasteltes Geschenk aufmache, weil seine Lehrerin gesagt hatte, dass ich es am Morgen des „Christmas Day“ aufmachen sollte (was zwar eigentlich der 25. Dezember hier ist, aber das versteht er nicht).
Genauso funktioniert das mit „New Year’s Eve“ (Abend des 31. Dezembers, bei uns „Silvester“) und „New Year’s Day“ (1. Januar).
Wir haben auch ein bisschen gerätselt, was es denn mit den „Twelve Days of Christmas“ auf sich hat, einem beliebten Kinderweihnachtslied. Wieso jetzt auf einmal zwölf? Der Trick ist, dass das ursprünglich aus England (oder Frankreich, da ist man sich nicht einig) stammende Lied nicht die Tage vor Weihnachten, sondern die nach Weihnachten bis zum 6. Januar zählt.
Richtig ins Wackeln kommt die Welt unserer Kinder allerdings erst, als Vitoria erzählt, dass in Brasilien der Weihnachtsmann genau um Mitternacht kommt und dass es dort im Moment richtig heiß ist. Das passt noch nicht mal in Theos Kopf: Er kann absolut nicht verstehen, dass es im Dezember irgendwo Sommer ist. Und er fragt immer wieder nach, ob in Brasilien vielleicht nicht doch gerade Juli ist. Also, Weihnachten am Strand mit Shorts und T-Shirt, das ist noch eine Herausforderung für sie. Und ganz ehrlich: für mich auch.
Neben diesen ganzen kleineren Verwirrungen und dem Thema „Happy Holiday“ mit Hanukkah und Kwanzaa sind wir bei einer friedlichen Koexistenz von Christkind und Santa Claus angekommen, ohne den Zauber dieser Festzeit zu verlieren.
Adventskalender
Die Tradition der Adventskalender für Kinder ist in New Jersey nicht verbreitet, aber ich kann trotzdem vier Schoko-Adventskalender für unsere Kinder auftreiben. Morgens beim Aufwecken flüstere ich also dieses eine magische Wort „Adventskalender“ in ihre Ohren und siehe da: Total verschlafene Kinder schlagen in Sekundenschnelle die Augen auf und hüpfen beschwingt aus dem Bett! Im Moment aber können sie mir sogar noch im Halbschlaf die verbleibenden Tage bis Weihnachten nennen. 😉
Nikolausgeschichten
In unserer Region New Jersey ist auch nicht üblich, Nikolaus zu feiern. Nur bei einigen europäischen Familien, wie bei uns zum Beispiel, werden doch die Schuhe geputzt und vor die Tür gestellt. Die Kinder treibt die Frage um, wie der Nikolaus wohl aussieht, und Ole schlägt vor, dass Marc eine Überwachungskamera vor der Haustüre installiert (die Kids waren dabei, als Marc im Dezember eine Sicherheitskamera im Büro installiert hat, um Sicherheitsauflagen zu erfüllen.) Für bestimmte Räume muss nachgewiesen werden, wer diese wann betreten und verlassen hat. Mit der gleichen Technik kann man natürlich auch den Nikolaus überführen.
Als ich die Stiefel nachts befüllen will, stelle ich fest, dass ich aus Versehen „Gelt“, die Schokotaler für jüdische Kinder zum Hanukkah Fest, eingekauft habe. Die sind auf den ersten Blick nicht zu unterscheiden von „unseren“ Goldtalern. Aber bei genauerem Hinsehen sind darauf die Menora und der Dreidel zu sehen.
Ich entschuldige mich bei beiden Seiten, doch dran ändern kann ich nichts: So hocken die Aachener Lindt-Schoko-Nikoläuse und die Hanukkah-Taler eine Nacht nebeneinander in den Stiefeln unserer Kinder und warten darauf, dass sie morgens entdeckt werden. Unsere Kinder freuen sich und bemerken nichts – Schokolade ist für sie eben Schokolade und schmeckt allen Kindern.
Präsentationen auf einem Bein
Und hier noch eine kleine Geschichte zum Nikolaustag an meiner deutschen Schule:
Meine Klasse (amerikanische Kinder zwischen 12 und 13 Jahren) macht mit bei einem Wettbewerb zum Thema „Deutschland – seine Vielfalt und seine Regionen“, zu der sich hoher Besuch vom Ministerium der Schulen USA-Nordost ankündigte. Genau in der Nikolauswoche ist der Fachberater im Klassenraum mit dabei, um sich die Vorträge anzuhören. Der Nikolaus kommt an diesem Tag auch bei uns in der Deutschen Schule vorbei, und so ziehen meine Schulkinder alle EINEN Stiefel oder Schuh zu Beginn des Unterrichts aus und stellen diesen vor die Tür. Den anderen lassen sie an.
Die Kids präsentieren nun hintereinander vor der Schulleitung, dem Fachberater und mir ihre Poster. Sie erzählen uns etwas über die verschiedenen deutschen Bundesländer, berichten von ihren deutschen Opas, die Thüringer Bratwürste braten, von Fahrradtouren in den Weinbergen, und ein Junge zeigt stolz die handsignierten Fußballschuhe eines deutschen Fußballvereins der dritten Liga (von dem ich noch nie etwas gehört hatte – wie gut, dass der Fachberater Ahnung vom Fußball hatte). Während der Präsentationen wackeln sie nun alle vor uns hin und her. Einige stehen auch wie ein Storch auf einem Bein oder sie versuchen, durch Stehen auf den Zehenspitzen den fehlenden Schuh auszugleichen … der Fachberater, meine Schulleiterin und ich schmunzeln die ganze Zeit in uns hinein. Denn, egal wie albern, cool oder kratzbürstig sie als Teenager manchmal sein können, hier sind sie einfach „ADORABLE“ (auf Deutsch: hinreißend, bezaubernd, liebenswert). Nach Abschluss der Vorträge stürmen dann alle zur Tür und, welche Aufregung: Ja, der Nikolaus war da!
Unser Weihnachtsbaum
Amerikaner/innen stellen ihre Bäume schon vor Weihnachten auf und so sieht man, wenn es dunkel ist, die festlich geschmückten und erleuchteten Tannenbäume in den Wohnzimmern stehen. Bei aller Liebe zur Anpassung ist hier bei mir Schluss – vor dem 24. Dezember wird bei uns kein Baum aufgestellt. Basta. Ich weiß, andere deutsche Familien sehen das lockerer als ich, aber soweit bin ich noch nicht.
Damit wir nicht leer ausgehen (schließlich kauft hier alle Welt einige Wochen vor Weihnachten den Baum), machen wir uns Mitte Dezember auf zur freiwilligen Feuerwehr in Morristown, die auf ihrem Hof die Bäume verkauft. Wir haben Glück: Von den 9.000 Bäumen, die aus Québec geliefert worden sind, sind zwar schon über 6.000 verkauft, aber es bleibt noch genug Auswahl.
Beim Weihnachtsbaumkauf in Deutschland hing bei uns schon öfter der Haussegen schief: zu klein, zu wenig Äste, zu schief gewachsen oder zu ungleichmäßig … Marc hat jedenfalls mittlerweile genug von der Meckerei und kauft keinen Baum mehr allein 😉 .
Nichts dergleichen hier: Erstaunt stellen wir fest, dass amerikanische (bzw. kanadische) Tannenbäume nicht nur viel buschiger (das heißt, ohne „Etagen“) gewachsen sind, sondern alle gleich „gut“ aussehen, perfekt wie ein Dreieck – kein Ast steht über, keiner hängt runter, alles super dicht – wie praktisch. Der Feuerwehrmann erklärt uns, dass alle Bäume während des Wachsens schon in Kanada beschnitten worden sind. Es gibt auch einige wenige „natural trees“ in einer hinteren Ecke, aber die sind alle komplett „spirrelig“ und haben schon viele Nadeln verloren – keine wirkliche Option. Wir kaufen direkt zwei Tannen und die Feuerwehrmänner binden sie super flott mit einigen Schnüren auf unser Autodach.
Beim Schmücken mache ich es wie es die Amerikaner/innen: Man kann so ziemlich alles reinhängen, was man will, und die Lichterketten können weiß oder farbig, beides und/oder blinkend sein. Das Wichtigste: den Baum komplett vollhängen und keine Stelle freilassen! Und so machen wir es auch: Mit blinkender Lichterkette (einfach drumrum wickeln, „Etagen“ zum Feststecken gibt es eh nicht), vielen Anhängern, die ich im Bryant Park als Souvenirs gekauft habe (Elfen, Baseballhandschuhe, Schulbusse, Flugzeuge, Weihnachtsmänner, Coffee-to-go …), roten und weißen Kugeln und dazu noch einem roten glitzernden Band, das um den ganzen Baum herumreicht – ist mal ganz was anderes, aber es passt in unserer Haus und zu unserer Stimmung.
Ausflug zum Christmas Coach
Letztes Jahr sind wir nur ins Nachbarstädtchen nach Whippany zum „Santa Claus Special“ gefahren (https://www.whippanythepolarexpressride.com, seit 2016 „Polar Express Train“). Aber diesmal wollen wir zu einer echten Dampflok – es geht also ins Amishland in Pennsylvania nach Strasburg. (https://www.strasburgrailroad.com/christmas-trains). Die lange Fahrt hat sich gelohnt – es gibt eine verwunschene Weihnachtstimmung mit einem Hauch Nostalgie. Auf dem Bahnsteig begrüßen uns „carolsingers“ in traditioneller Kleidung und singen fröhliche Weihnachtslieder, dahinter steht die größte Dampflok, die wir je gesehen haben: echte Kohleöfen in den Waggons, blaue Samtbezüge, das Holz innen auf Hochglanz poliert, alles top in Schuss.
Und los geht die Fahrt – mit dicken Rauchschwaden: Santa steigt auf offener Strecke mit Elfen ein: „Say cheese“ – jeder bekommt ein Foto mit Santa. Tatsächlich wird „Engel auf den Feldern singen“ (auf Deutsch!) im Zug gespielt! Der letzte Waggon ist der „story telling caboose“ – am Kohleofen sitzt eine in einen Poncho gehüllte „Oma“ mitten in Büchern: “What would you like next“ – der perfekte Platz zum Aufwärmen und Zuhören.
Wie „begehen“ wir dieses Jahr die Feiertage?
Also, das ist unser allererstes Mal, dass wir an Weihnachten nicht zuhause sind. Aber wir sind fast alle guter Laune, nur Theo ist ein bisschen geknickt, weil er seine Freunde und die Oma vermisst. Unsere Weihnachtstage hier sind insgesamt nicht ganz so feierlich gewesen, aber dafür umso gemütlicher und auch ein bisschen fröhlicher als in Deutschland. Wir „begehen“ also weniger, als dass wir uns eine saugemütliche Zeit machen.
Unser Heiligabend
Am Heiligabend sind wir nachmittags bei Freunden zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Das heißt, vielmehr zu eggnog und Kuchen. Diese dicke, sehr süße Milch mit aufgeschlagenen Eiern und einer Prise Muskat wird mit bunt gemischten Keksen serviert. Das alte Haus unserer Freunde ist wunderschön renoviert, überall liegen „Hohoho-Kissen“ auf den Sofas, an den Kaminen stehen jeweils ein Meter große Nussknacker und für jedes Familienmitglied hängen dort auch schon dick gefüllte stockings (lange Strümpfe) – ein sehr gemütlicher Einstieg in den Heiligabend.
Kirche mit Funkmikro und goldenen Tellern
Kirche gehört für mich auf jeden Fall mit zu Weihnachten, daher suchen wir uns einfach eine von den vielen Gotteshäusern aus, die schon Wochen vorher Plakate aufgestellt haben und einladen, an Weihnachten zum „Carol-Singen“ oder „Krippenspiel“ vorbeizukommen. Wir gehen direkt mit unseren Freunden zu Fuß in die Presbyterianische Kirche am Markplatz in Morristown und der Priester begrüßt uns persönlich mit Handschlag: „Merry Christmas!“ Ein guter Anfang, der Verbindung schafft.
In der Kirche steht ein Flügel, eine Stars and Stripes hängt vorne im Chor, überall rote Christrosen und sogar ein Adventskranz mit drei lila Kerzen und einer rosa Kerze. Es ist nicht so überfüllt wie bei uns und die Leute singen kräftig mit. Die Orgel hat einen „Gang“ mehr als bei uns – sie schaltet nicht nur mit jeder Strophe mehr „Fülle“ mit ein, sondern in der letzten Strophe kommt eine sehr angenehme „Glöckchentonstimme“ mit dazu. Damit bringt sie stimmungsvolle Leichtigkeit in die durchaus feierlichen Lieder.
Der Priester führt mit Funkmikro am Kopf durch die Messe. Ähnlich wie in Deutschland gibt es ein von Kindern aufgeführtes Krippenspiel und einen Kinderchor in blauen, wallenden Gewändern. Die Weihnachtsgeschichte wird aus der Kinderbibel vorgelesen, es wird gesungen, die Adventskerzen werden nacheinander angezündet und die Kollekte wird eingesammelt – verrückterweise nicht im „Beutelchen“, sondern auf einem goldenen Teller, wo man genau sehen kann, was die Person vor einem so drauflegt.
Alle Kinder sind herausgeputzt, vor allem die Mädchen tragen wieder ihre „Prinzessinnenkleider“. Viele mit nackten Armen – wie halten die das nur aus bei der Kälte? Die Messe war kurzweilig, und am Ausgang bekommen wir – ihr ahnt es schon – einen Candy Cane von den Kirchenhelfern in die Hand gedrückt. Selbst einige Erwachsene stehen anschließend eine Zuckerstange lutschend vor der Kirche. Ja, und während unsere Kinder voller Vorfreude und Spannung sind, ob das Christkind bzw. der Weihnachtsmann schon da war, dürfen die amerikanischen Kinder jetzt in ihren Prinzessinnenkleidern und schicken Klamotten nach Hause gehen und müssen noch eine Nacht schlafen – wie gemein 😉 .
Und wir haben tatsächlich Glück. Das Christkind war schon da und hat die Geschenke unter unseren blinkenden Weihnachtsbaum gelegt.
It’s Pajama Day!
Die Amerikaner/innen sind ja nun mal etwas prüde – Nacktheit ist „bäh“ und geht gar nicht. Als Ausgleich gewissermaßen gibt es hier aber umso mehr Menschen in Schlafanzügen, auch am helllichten Tag. Aber keine falschen Hoffnungen – das sind „klassische“ Schlafanzüge, mit langen Ärmeln und Beinen, hoch zugeknöpft.
Die Beziehung der Amerikaner/innen zu diesem Kleidungsstück ist schon sehr innig und findet in verschiedenen Bereichen des Alltags ganzjährig ihren Niederschlag. In der Schule gibt es regelmäßig „Pajama Days“ (pajama schreibt man übrigens wirklich mit „a“), an denen die Kinder, v. a. die Mädchen, mit ihren kleingemusterten Schlafanzügen und Puschen einen ganzen Tag in die Schule gehen und anschließend auch so in der Stadt herumlaufen.
Im November auf unserer Fahrt nach Kanada liefen in unserem Hotel ab sechs Uhr abends auf einmal fast alle Kinder im Schlafanzug durch die Gegend und versammelten sich dann zum gruseligen Musical aus der Retorte im Hotelfoyer – da haben wir gut gestaunt. Wir haben Bands gesehen, die im rosa Schlafanzug auf der Bühne rockten, und selbst jetzt an Weihnachten sind Schlafanzüge Bestandteil der fröhlichen Zeremonie: Die Geschenke werden am 25. Dezember morgens noch im pajama aufgemacht.
Da wäre es doch ein Wunder, wenn es nicht auch einen Pajama-Fundraiser gäbe: Und tatsächlich – in der Vorweihnachtszeit findet in der preschool und in unseren Schulen der sogenannte „Pajama Drive“ statt, d. h. eine „Schlafanzugsammelaktion“: Für jeden (neuen) pajama, der gespendet wird, gibt es als „matching gift“ (quasi obendrauf) noch ein Buch von einer Wohltätigkeitsorganisation dazu – pajamas und Bücher werden dann an bedürftige Kinder weltweit ausgehändigt. Und wie bereits oben beschrieben, dürfen Tim und Ole dieses Jahr die “Holiday Season“ mit einer Pajama Party feiern – als Ausgleich für die ins Wasser (bzw. in den Schnee) gefallene Halloweenparty.
Aber nun zurück zu den klassischen pajamas:
Wir probieren es auch einmal aus – den ganzen Tag im pajama. Da wir dieses Jahr keine „Verpflichtungen“ an den Weihnachtsfeiertagen haben, machen wir stattdessen einen Pajama Day am 25.12: Wir drehen die Heizung hoch, es gibt pancakes und bacon zum Frühstück, die Kids spielen mit den Geschenken, der ganze Boden ist flächendeckend mit Lego bedeckt und ich räume nicht auf, sondern stapfe mutig drüber.
Marc und ich lesen vor dem Kamin und spielen mit den Kids, dann gibt es noch ein babble bath, wir gucken zusammen Dr. Seuss „How the Grinch stole Christmas“ (ein Klassiker hier), hören den ganzen Tag auf Pandorra amerikanische Weihnachtssongs, knuddeln mit den Kids im Bett und lassen die squirrels, die sich mal wieder frech über unser Vogelfutterhäuschen hermachen, gewähren – ist ja schließlich Weihnachten.
Nur den Fuchs, der unsere Garage von innen erkundet, treiben wir dann doch raus. Laut unserer Kinder kommt das Beste vom Pajama Day am Schluss: Man muss sich abends noch nicht mal fürs Bett umziehen, sondern kann sich einfach hinlegen und schlafen 🙂 .
Es hatte wirklich etwas, war ungewöhnlich und ausgesprochen friedlich bei uns im Haus – das machen wir auf jeden Fall noch einmal, auch ohne Geschenke!
Kultur am zweiten Weihnachtstag
Am zweiten Weihnachtstag gibt es dann das Kontrastprogramm: Wir gehen mit den Kids ins Ballett, es wird der Nussknacker aufgeführt – „The Nutcracker“. Der hat hier Tradition und gehört so fest zu Weihnachten wie Santa Claus – dass das alles Importware aus Europa ist, wissen wahrscheinlich die wenigsten (Kinder). Das Theater ist voll mit Familien, Omas und Opas sind auch oft dabei, die Kids sind rausgeputzt, und wir genießen die wirklich tolle Inszenierung, die Tänze, die Farben und die Musik.
Unsere Kinder kennen die Geschichte aus einem Kinderbuch und wissen daher, worum es geht. Wir sind überrascht, denn alle vier halten super bis zum Ende durch – den Kampf des Mäusekönigs mit dem Nussknacker finden sie natürlich am besten! Paul (4) wundert sich, dass die Tänzerinnen alle Schwimmflügel anhaben (die farbigen Tutus an den Armen), Ole (6) bewundert die Tänzer, weil die so stark sind, dass sie die Tänzerinnen tragen können, und Tim (7) vermutet Springspiralen unter den Füßen der Tänzer. Das amerikanische Publikum aber liebt besonders eine Rolle: den Kosaken, der in großen Sprüngen in Kreisen auf der Bühne herumspringt. „Bravo, Bravo!“ rufen sie jedes Mal, wenn der Hüne mit den langen blonden Haaren seinen Auftritt hat, und sie klatschen begeistert. Also, ich fand den Rest mindestens genauso gut. Bin aber keine Ballettexpertin 🙂 .
Am Ende gibt es tosenden Applaus, aber das Ensemble muss sich mit der zweiten Verbeugung schon fast beeilen, weil die Leute – wie schon öfter erlebt – hier wenig Ausdauer beim Applaudieren haben. Das Klatschen erstirbt, noch während die Tänzer/innen auf der Bühne sind und alles stürmt raus. Schade.
Die restlichen Feiertage
Der Rest der Weihnachtstage verläuft ruhig und gemütlich. Es gibt noch einmal einen „homemade“ Truthahn von 20 Pfund, und Marc und ich dürfen einen zweitägigen Mini-Erholungsurlaub auf Long Island machen (Opa ist zu Besuch und passt auf die Kids auf).
Silvester ist auch sehr „low key“ bei uns. Da Feuerwerk für Privatpersonen in New Jersey verboten ist, gehen wir auf dem Marktplatz gucken, wo die Stadt öffentliche „fireworks“ macht. Praktisch wie die Amis sind, gibt es zwei Feuerwerke: Eins um 21 Uhr für die Kinder, eins natürlich um Mitternacht. Wir ziehen um kurz vor neun mit den Kindern los und sind positiv überrascht, denn auf dem Green ist eine richtige Outdoor-Party mit Musik im Gange. Viele Kinder laufen herum, einige tanzen – und alles ohne Alkohol. Jedenfalls kann ich keine Bier-, Wein- oder Sektflaschen entdecken – aber ich nippe zugegebenermaßen auch nicht an allen Plastikbechern 🙂 . Nach dem wirklich sehenswerten Feuerwerk fahren wir nach Hause, essen und sind alle weit vor Mitternacht im Bett. Happy New Year!
Ein Jahr ist zu Ende, nun gebt euch die Hände … (James Krüss)
Unser zweites Jahr in den USA geht zu Ende und es war definitiv angenehmer als das erste Jahr – ohne Frage und ohne Einschränkungen. Unser „Familienballon“ hat endlich eine gute Reisehöhe erreicht, ließ sich besser lenken, wir hatten meist klare Sicht und sogar mal ab und zu Zeit, einige Abstecher zu machen (z. B. nach Florida und Kanada). Im ersten Jahr hier war das noch undenkbar. Da waren wir noch mit einem ziemlich schweren, kaum navigierbaren Ballon öfter im Nebel unterwegs und sind nicht nur ständig an den Baumwipfeln hängengeblieben, sondern auch einige Male richtig runtergekracht. Da mussten wir unseren Ballon zuerst mal wieder flott machen und hochsteigen – keine Zeit für Extravaganzen, reines Alltagsüberleben war angesagt.
2011 war eine verrückte Mischung aus ganz viel Alltag, vielen Highlights mit den Kids, einigen einschneidenden Naturerlebnissen und persönlichen „Bestleistungen“.
Die Kids haben sich noch viel mehr an Schule und preschool gewöhnt, und es läuft ja bis auf den gelegentlichen Schluckauf, den man im Leben wohl immer hat, schon verhältnismäßig ruhig.
Noch mal davongekommen …
Aber wir sind auch etwas nachdenklich – mir fällt immer das englisch Wort „humble“ dazu ein. „The natural disasters in 2011 were the most expensive ones on record“ schreibt unsere Zeitung im Dezember – und wir waren zumindest zwei Mal mittendrin. Im Hurrikan im Juli und Schneesturm im Oktober sind uns einige Bäume und Äste ziemlich knapp um die Ohren geflogen, wir haben wieder öfter im Dunkeln und Kalten gesessen, und ich habe auch einmal etwas verzweifelt vor leergefegten Supermarktregalen gestanden und Batterien gesucht. Ich habe mehrfach unsere Kinder nachts schlafend ins sicherste Zimmer im Haus gebracht, wenn draußen mal wieder der Wind brauste und der Boden vom Dauerregen total aufgeweicht war.
Der Baumstumpf von unserer umgekippten 30 Meter hohen Eiche ist erst vor zwei Wochen von einem Bagger ausgebuddelt worden (nach vier Monaten), und unser Gartenzaun ist immer noch ein Schweizerkäse (keine Leute zu bekommen, weil sie einfach total mit den Reparaturen überlastet sind) – die Rehe und anderen Tiere haben unseren Garten wieder voll als ihr Territorium annektiert. Und dann musste ich vor einigen Tagen die beängstigend mickrigen Überreste eines Flugzeugs aus nächster Nähe betrachten – Hubschraubergeräusche in der Luft lösen bei mir inzwischen leicht mulmige Gefühle in der Magengegend aus. Das waren wohl einige „wake-up calls“ – ja, das Leben ist kostbar und entgegen meiner bisherigen Erkenntnisse nicht selbstverständlich und schon gar nicht endlos.
Aber ihr braucht euch keine Sorgen um uns zu machen – wir sind wohl im Moment in einer „sensiblen Phase“ – mit 40 sieht die Welt anders aus als mit 20 oder 30 Jahren (ja, ja, midlife-crisis 😉 ).
Trotz unserer gelegentlichen Nachdenklichkeit nutzen wir die unbeirrbar positive Gelassen- und Sturheit unseres Gastgeberlandes und gucken gespannt aufs nächste Jahr – wir wollen noch einiges von den USA sehen, die verbleibenden Monate hier mit unseren Freunden genießen und uns nicht durch Umzugsstress verrückt machen (soweit der Plan – mal sehen wie es so läuft).
„Wishing you SMILES all through the year!“ (von Tims Winterkonzert).
„… stapft fröhlich ins Neujahr und dreht euch nicht um.“ (James Krüss)
PS: Hier geht’s weiter zum nächsten Monatsbrief. Viel Spaß beim Lesen!