Welche vielfältige Unterstützung es für Eltern von Kindern mit Handicap gibt und wie gut der Austausch mit anderen tut.
Als Eltern eines Kindes mit „special needs“ stehen einem in Morristown zahlreiche „parent support groups“ für diverse Krankheitsbilder und Handicaps zur Seite: ADHD, autism spectrum disorder, dyslexia & reading disabilities, learning differences parent discussion group. Es ist beeindruckend, wie das Ganze vernetzt ist und man durch zahlreiche E-Mails über Treffen und Aktionen auf dem Laufenden gehalten wird.
Die Gruppen sind gut organisiert, wurden meist von betroffenen Eltern selber ins Leben gerufen, finanzieren sich über Spenden und sponsern Vorträge von Expert/innen – z. B. von Ärztinnen und Ärzten, die sich zu Diagnosen und Medikation äußern oder von Zuständigen vom „public service“, die die Abläufe an der Schule vom ersten Verdacht bis hin zur „Klassifizierung“ und den speziellen Hilfeleistungen erklären. Und man bekommt jede Menge nützlicher Tipps, gute Adressen von Therapeut/innen und Ärzt/innen und eben auch einen Einblick in das amerikanische System.
Ich treffe mich einmal pro Monat mit einer ADHD-Gruppe und es tut gut, sich mit Eltern, v. a. Müttern, auszutauschen, die im selben Boot sitzen. Wir erzählen und lachen viel, verdrücken aber auch – nur ganz selten – gemeinsam ein paar Tränchen. Man kennt die Nöte der anderen und fühlt einfach mit. Die meisten kennen eben das Schockgefühl im Bauch, wenn mal wieder das Telefon klingelt und man mit etwas zittriger Hand danach greift und sich fragt, was denn jetzt schon wieder in preschool oder Schule passiert ist. Oft geht es um praktische Fragen (z. B. „Die Schule hat das IEP von meinem Kind weggenommen. Was machen wir jetzt?“), manchmal ist es super traurig (als z. B. eine Mutter erzählt, dass ihr sechsjähriger Sohn mit ASS seine einjährige Schwester immer noch komplett ignoriert), manchmal auch lustig (als eine Mutter erzählt, dass ihr Sohn jetzt doch wegen schlechter Noten aus dem Fußballteam der Highschool geworfen worden ist, obwohl sie zuhause alle Hausaufgaben und Essays für ihn geschrieben hat – sie war zu schlecht 🙂 ).
Was macht man, wenn man in einer schweren Phase ist? Da gibt es verschiedene Strategien: Eine Mutter verrät, dass sie im Moment im Auto immer ganz laut den Song „What doesn´t kill you makes you stronger“ mitsingt und dann komische Blicke von den vorübergehenden Leuten abbekommt, wenn sie nach dem Einparken aussteigt und das Lied noch super laut aus dem Auto schallt. Eine andere Mutter meint, dass sie immer nach dem „silver lining“ sucht (also nach einer positiven Seite, die es eben auch immer gäbe). Bei mir hilft Laufen (in den allermeisten Fällen) – danach geht es besser weiter.
Einen Spruch, der hier immer mal wieder in der Elterngruppe zitiert wird, finde ich sehr bemerkenswert:
„Fair doesn´t mean that everyone gets the same thing. Fair means that everyone gets what they need.“
(Rick Lavoie, Advocate for Children with Learning Disabilities and Special Needs).
Und ab und zu erfährt man auch etwas von den sogenannten „normalen“ Geschwistern: Eine Mutter erzählt, dass sie ihren 16-jährigen Sohn, der mit den falschen Kumpels abhängt und mittlerweile mit Drogen zu tun hat, im Morgengrauen von einem Abholtrupp aus dem Bett direkt in ein „wilderness camp“ mitten im Nichts hat bringen lassen. Dort wird er für die nächsten sechs Monate bleiben. Ja, die Amis sind da echt nicht zimperlich. Aber vielleicht hilft es ja auch wirklich in einigen Fällen besser als das, was in Deutschland in solchen Fällen gemacht wird.
In Deutschland sind wir noch gar nicht in dieser „Szene“ drin und ich war bisher nur bei einem Treffen der Selbsthilfegruppe in Mönchengladbach. Die Stimmung dort war definitiv düsterer und zynischer als bei den Treffen hier in Morristown. Jedenfalls habe ich mich hinterher super schlecht gefühlt, während ich hier meist „beschwingt“ von den Treffen nach Hause fahre.