Erst hören, dann schreiben

Schreiben lernen

Welcher Buchstabe sich hinter „big line, little curve, little curve“ verbirgt und welcher unserer Finger der „pinky“ ist. Von den vielen „Teekesselchen“ im Englischen und bei welchen erstaunlichen Vokabeln Theo schon gelandet ist.

 
Keine Schreibschrift, kein Füller
Das Schreibenlernen wird ja in den deutschen Schulen gewissermaßen zelebriert – mit richtiger Stifthaltung, vielen Schwungübungen und dem „Füllerführerschein“. Hier geht es dagegen weniger um die „Kunst“ des Schreibens, sondern vielmehr darum, die Buchstaben erkennbar aufs Papier zu bekommen.

Bereit mit 3 bis 4 Jahren haben die Kinder ihre ersten Erfahrungen gemacht, wie z. B. Paul (3) mit „Buchstabennachziehen“ durch Butterbrotpapier. Totale Überforderung, da die Feinmotorik überhaupt noch nicht gereift war. Ole (5) lernt im Moment im kindergarten mit einem Buch, das ernsthaft „Handwriting without tears“ heißt!!! Da lernen sie die Buchstaben mit kleinen Sprüchen – das „B“ ist „big line, little curve, little curve“. Tataaaa – fertig ist das „B“. Stifthaltung spielt hier keine größere Rolle (Hauptsache, der Stift hält – bei der Bedienung im Restaurant kann man die diversen verkrampften Varianten in Ruhe bewundern), und Schreibschrift (cursive) ist hier zwar bekannt, aber absolutes Stiefkind. Theo (8) und Tim (6) bekommen für jeden Buchstaben genau ein Arbeitsblatt, auf dem dieser isoliert in Schreibschrift geübt wird, aber das war’s. Der Alltag besteht aus Druchbuchstaben (print) und Bleistiftgekritzel. Füller gibt es noch nicht mal bei Staples zu kaufen. Also, von wegen penmanship (Schreibkunst) … ist hier nicht.

 

„Pinky“: ein Finger und ein Versprechen
Ein Highlight zwischen all dem Frust für Tim beim Schreiben ist im Moment der „pinky space“ („pinky“ ist der kleine Finger): Er legt seinen kleinen Finger (pinky) hinter jedes von ihm geschriebene Wort und weiß somit, wo er mit dem neuen Wort anfangen darf, damit es keine endlosen Wortspaghetti werden. Und wo wir schon beim „pinky“ sind: Der kleine Finger hilft nicht nur beim Einhalten von Wortgrenzen – Tim nimmt mir im Moment jede Menge „pinky promises“ ab: Man hakelt sich mit seinem kleinen Finger bei der Partnerin bzw. dem Partner am kleinen Finger ein, macht sein Versprechen und zieht dann kräftig seinen kleinen Finger zurück: „Pinky promise!“

Theo dagegen hat das Lesen im Englischen ohne große Klippen und ohne unsere Hilfe gemeistert. Aber er konnte ja auch schon eineinhalb Jahre Deutsch lesen. Für ihn waren und sind hingegen die zahlreichen Homophone eine große Herausforderung (gleiches gilt für die „einheimischen“ Kids hier). Auch wir haben diese Wörter im Deutschen, die gleich klingen, aber verschiedene Bedeutungen haben und auch unterschiedlich geschrieben werden, z. B.

Seite und Saite
Meer und Mär
Wände und Wende
Leib und Laib
Felle und Fälle

Aber das war es dann auch fast schon mit den Homophonen im Deutschen.
Im Englischen müssen sich die Kids bis zum 4. Schuljahr mit insgesamt 240 Wörtern, also 120 Pärchen (!) auseinandersetzen, weil es diese Wörter hier einfach ohne Ende gibt, z. B.

I’ll – aisle
flower – flour
see – sea
piece – peace – peas
there – their
poor – pour
ant – aunt
wail – whale
sell – cell

Dieses Thema wird Theo und Tim noch für die nächsten eineinhalb Jahre beschäftigen und danach auch weiter im Englischunterricht in Deutschland.

 

Dann zum Abschluss noch eine kleine Geschichte, die Theo (9) nach knapp zwei Jahren USA geschrieben hat. Er ist zu dieser Zeit großer Harry Potter-Fan und verbringt einen Großteil seiner Freizeit mit Lesen. Als ich diese Kapitel auf seinem Schreibtisch fand, war ich platt, wie differenziert er sich schon ausdrücken kann. Die Vokabeln, die er verwendet, wie z. B. „fumbled, hissed, vanished, whimpered“ würde man in Deutschland selbst in der Mittelstufe nicht im produktiven Bereich (also Sprechen und Schreiben) im Englischunterricht erwarten.