Was mich diesen Monat besonders umtreibt, sind vor allem die Unterschiede in der Kindererziehung, die sich immer klarer im Alltag zeigen und für mich oftmals sehr widersprüchlich sind.
- Eine gängige Regel: Eltern sollten ihre Kids bis zum Alter von zwölf Jahren nicht alleine zuhause lassen – ein beliebtes Thema unter den deutschen Expats. Es gibt zwar nur in wenigen Staaten wirklich entsprechende Gesetze wie z. B. in Maryland (bis 8) und in Illinois (bis 14), aber die Altersgrenze von zwölf Jahren geistert hier trotzdem überall herum. Sie wird von der Organisation „Safe Kids“ national empfohlen und von Eltern, Erzieher/innen und Lehrer/innen als inoffizielle guideline akzeptiert.
- „Playdates“, also Verabredungen zum Spielen, machen nicht die Kinder, sondern die Eltern – selbst in Theos Alter (und Theo ist 7!).
- Kleine Kinder dürfen sich keine zwei Meter von den Eltern entfernen, sonst wird man – wie ich neulich – angehupt. Und Paul lief gerade mal drei Meter vor mir auf dem Bürgersteig! Oder aber man bekommt böse Blicke und spitze Kommentare („He was walking down the driveway (Einfahrt) all by himself!“ Ja, mein Gott, aber ich hatte doch alles im Blick! Auch unsere Nachbarin klingelte verstört an der Haustüre, als Paul auf unserer Einfahrt mit Kreide malte, ohne dass ich direkt neben ihm stand!
- Schulweg? Nur mit den Eltern. Es gibt eine lückenlose Begleitung zur Schule und wieder zurück, Theo und Tim dürfen morgens noch nicht mal allein über unsere Straße zum bus stop gehen und dort allein warten. Ich muss die ganze Zeit mit dabei sein. Und so stehen sich häufig morgens vier Eltern gemeinsam die Beine in den Bauch, bis der Schulbus kommt – kann man das nicht besser verteilen?
- Es gibt kaum Zugang zu „gefährlichen“ Gegenständen – auch jetzt gerade wieder bei Theos science-project-Anweisungen: Nichts mit Feuer, Glas oder spitzen Gegenständen!
Andererseits …
… übertragen Eltern und Pädagog/innen viele Einstellungen aus der Erwachsenenwelt auf die Kinder:
- Zum Beispiel diese Einstellung in der preschool: „It’s not about having fun, it’s about learning and working“ (O-Ton einer der Erzieherinnen).
- Es gibt einige bierernste Erzieherinnen, die ich gerne einmal durchschütteln und ihnen sagen möchte: „Hey, das sind noch Kinder und keine zu klein geratenen Erwachsenen!“ Es sind aber nicht alle so!
- Für Schulkinder sind diese langen Schultage (8.50 a.m. bis 3.15 p.m.) mit anschließenden Hausaufgaben völlig normal. Es ist so, wie mir eine amerikanische Fußball-Mutter (bei Tims Training) erklärte: „We here in USA live to work, you in Europe work to live!“ Und an diese Lebenseinstellung werden hier schon die Dreijährigen herangeführt!
- Die Kinder reden die Lehrerinnen mit Nachnamen an, d. h. sie „siezen“ sie, während sich sonst alle Welt hier mit Vornamen anspricht, was auch oft für Arbeitnehmer/innen und ihre Vorgesetzte gilt (also genau umgekehrt wie in Deutschland).
- Das Fernsehen ist gnadenlos immer präsent – egal ob im Wartezimmer beim Kinderarzt, beim YMCA oder im babysitting-Raum in meinem Fitnessstudio – ständige laute, bunte und anstrengende Berieselung mit vollkommen dämlichem Kinderprogramm. Die amerikanischen DVDs, die wir bisher gekauft haben, haben meist „auto-play“ und „play continuously“ als Normfunktion eingespeichert – wie praktisch für die Eltern. Über das, was in amerikanischen Familien zuhause so abläuft, kann ich (noch) nichts sagen. Jane (unsere amerikanische Ex-Babysitterin) fand „Star Wars“ für Theo und Tim jedenfalls völlig okay und konnte überhaupt nicht verstehen, dass ich das anders sehe („Oh, it’s just a film!“). Aber ihren 17-jährigen Sohn wollte sie nicht eine Minute mit der deutschen Austauschschülerin alleine lassen („you know – they could …“) … ja was denn? Glaubt sie ehrlich, dass die beiden ohne ihre Aufsicht übereinander herfallen??? – Eine im wahrsten Sinn ver-rückte Denkweise, die mir sowas von fremd ist …
- Kurios: Babys und Kinder werden schon in jungen Jahren abgehärtet: Sobald der letzte Schnee weggeschmolzen ist, laufen sie bei Sonnenschein auch bei normalen Frühlingstemperaturen (10-15 Grad) nur noch barfuß, in Shorts und T-Shirts herum. Auch die Kleinsten strecken einem ihre nackten Minifüße entgegen, die Mamas tragen dagegen noch ihre Fleecejacken! Kinder anderer Nationalitäten erkenne ich im Kindergarten tatsächlich an der wärmeren Kleidung.
Soweit die kleine Zusammenfassung meines momentanen Eindrucks von preschool und Kindererziehung – gewöhnungsbedürftig und in einigen Punkten nicht das, was ich mir für unsere Kinder wünsche. Aber ich versuche, das alles nicht zu nah an mich heranzulassen, Ole und Paul zu unterstützen und es mit Humor zu sehen, wenn mir eine der älteren Lehrerinnen beim Abholen mit Grabesmiene erzählt: „Paul and Ole didn’t do well in music“ – und das nur, weil Ole nicht mitmachen wollte und Paul mal wieder eher free-style getanzt hat 🙂 .