High five motiviert

Marathon-Countdown, September 2011 – noch zwei Monate bis zur Ziellinie

Warum ich so langsam zur Straßenfrau werde und wie ich die Städte geschrumpft habe. Wer zu meiner bunten Laufgemeinde gehört und wie sich die Ähnlichkeit „Marathon – Schwangerschaft“ weiterhin hartnäckig hält.

Der Monat der Mammutläufe – 268 Kilometer gelaufen.

September: der Monat der Mammutläufe
Noch neuneinhalb Wochen bis zum Marathon. Aber es läuft rund und langsam sind wir fit. Das Motto: „digging deep“: 100 Kilometer in drei Läufen. Vom reinen Lauftraining gibt es nichts Neues, viel Routine, nur alles intensiver. Aber es gibt schon mal einen Vorgeschmack auf die Unberechenbarkeit eines Marathons: dauernd wechselnde Laufbedingungen mit Temperaturen von unter 10 Grad Celsius bis knapp 30 Grad und ein Tempotraining bei Regen und sau-glitschigem Untergrund (Hilfe! Ich bin nur froh, dass ich nicht hinfalle). Wir erreichen diesen Monat das Maximum an Trainingskilometern und sind 268 Kilometer gelaufen. Übrigens habe ich bei einem der Langläufe ein nagelneues Paar Laufschuhe für den Marathon eingelaufen. Die stehen jetzt wieder im Schrank und müssen sich bis zum 6. November gedulden.

 

Straßenfrau
Ich bin viel auf der Straße unterwegs und das bleibt nicht ohne Folgen: „I saw you this morning/yesterday on … road xy …“ – immer öfter sprechen mich Freund/innen, preschool/school moms, Marcs Kolleg/innen an. Ich sehe wie immer niemanden – bin in Gedanken und kann mir eh keine Autos merken (und hoffe nur, dass es mir niemand krumm nimmt).

Ich werde jetzt echt fitter – das Ziel 42 Kilometer scheint greifbarer und dadurch irgendwie „normaler und weniger spektakulär“ zu werden. Fast schon schade 😉 . Noch überraschender finde ich allerdings, dass sich meine Umwelt irgendwie mit verändert. Und ich erlebe eins sehr deutlich im Moment: Alles ist relativ, und je nachdem, von welcher Seite man auf etwas guckt, sieht die Sache ziemlich unterschiedlich aus. Das betrifft z. B. die Entfernungen, die ich im Moment laufe oder auch die Fitness-Level, die man so trifft im Moment.

 

Hilfe, ich habe die Städte geschrumpft!
Ich könnte schwören, dass Morristown und Umgebung heimlich über Nacht geschrumpft sind: Strecken um die 21 Kilometer sind mittlerweile „kürzere“ Läufe – jedenfalls in meinem Kopf. Und vor so einem Trainingslauf gehe ich abends mit dem Gefühl ins Bett: „Morgen ist’s ja nicht so weit, da bist du schnell wieder zurück“. So war ich auch ziemlich überrascht, als beim „Rock’n’ Roll-Halbmarathon“ in Philadelphia auf einmal die Ziellinie vor mir auftauchte, obwohl ich noch gar nicht ans Ende gedacht hatte! Daher mein Tipp: Wer richtig Spaß bei einem Halbmarathon-Rennen haben will (also richtig Gas geben, ohne das Ende herbeizusehnen), sollte auf einen Marathon trainieren – dann ist die Strecke mehr als nur halb so kurz.

Es geht aber nicht nur um die Kilometer. Das Thema „Marathon“ erweist sich insgesamt als „dankbar“ in fast allen Situationen – selbst „fremde“ Leute zeigen Interesse, fragen nach und viele finden es bewundernswert. Und das finde ich, ganz ehrlich, etwas verrückt, weil das Training für mich eher Erholungsinseln vom anstrengenden Alltag bietet – um sechs Uhr aus dem Haus zu dürfen und anderthalb Stunden zu traben und zu kontemplieren und sich weder mit einer morgenmuffeligen Vitoria noch mit vier müden und verqueren Kids auseinanderzusetzen – das ist schon etwas Feines!

Verrückterweise dichten mir einige Leute jetzt auf einmal einen Marathon unter vier Stunden an. Was soll das jetzt? Woher kommt das? Nur, weil man 30 Kilometer am Stück läuft, heißt das nicht, dass man in einem „Affenzahn“ über 40 Kilometer laufen kann.

Die bunte Laufgemeinde
Nun ein Wort zur „Laufgemeinde“, die so bunt und verschieden ist, wie Menschen eben verschieden sind: Der „kleinste gemeinsame Nenner“ und der Anknüpfungspunkt – „das Laufen“ – schaffen allerdings direkt eine gewisse Vertrautheit. Und die Tatsache, dass man sich nebeneinander abmüht, Runden dreht und gemeinsam schwitzt, erspart einem jede Anstrengung, sich als irgendetwas oder irgendjemand zu „präsentieren“. Der Rest deines Lebens ist egal – die wenigsten wissen, dass ich nur vorübergehend hier wohne und einen Haufen Kinder zuhause habe.
Meine Trainer/innen sind zwischen Mitte 20 (einer hat gerade das 100-Meilen-Rennen = vier Mal die Marathonstrecke hintereinander gewonnen) und 70 Jahren alt (und richtig fit). Man trifft Leute, die nur so „nebenbei“ laufen – und dann auch ohne Trainingsplan unter dreieinhalb Stunden laufen – und auf der anderen Seite einige „Extremsportler/innen“, wie z. B. die Läuferin, die mit einem gebrochenen Kiefer und sichtbarem „Drahtgestell“ im Gesicht in Philadelphia den Halbmarathon mitläuft …

Und während unsere Gruppe aus ambitionierten „Wonna-Be-Marathoners“ bei einem Schnelligkeitstraining im Central Park schon ganz schön schwitzt, keucht und rudert, überholt uns dann ein Pulk durchtrainierter Frauen leichtfüßig, die nicht nur munter schwatzen, sondern auch noch aussehen, als würden sie gemütlich neben uns spazieren gehen – das ist echt frustrierend!

Fitness ist ein weites Feld, ähnlich wie das Lernen eines Instrumentes: Zwischen „Ganz-fit-Sein“ und „Fit-Sein“ liegen Welten. Und es ist spannend, das einmal so hautnah zu erleben.

Marathon und Schwangerschaft, die zweite
Wie sieht es nun aus mit meiner Assoziation von vor drei Monaten, dass es eine ganze Reihe von Ähnlichkeiten gibt zwischen dem Training für den ersten Marathon und dem Warten aufs erste Kind?

  • Als „first-timer“ weckt man bei „alten Hasen“ Erinnerungen (sehnsüchtige, teilnahmsvolle bis entzückte Blicke): „That´s your first marathon – Oh, that’s so cool! The first one is special.“ Das gilt ja für viele Dinge im Leben, so eben auch fürs Kinderkriegen. Jedenfalls ist die Aufregung beim ersten Kind immer noch am größten.
  • Frage keine Frau nach der Geburt ihrer Kinder, wenn du nicht an einer längeren detaillierten Story interessiert bist! Ähnlich ist es beim Marathon: Man braucht „Marathonerinnen“ und „Marathoner“ nur anzustoßen und schon erzählen sie begeistert von ihrem ersten (NYC) Marathon. Und es gibt – wie beim Kinderkriegen – „Horrorstories“ („Oh, it was so bad. I went out too fast and then crashed after Queensborough Bridge and dropped out“). Oder auch begeisterte Gesichter („Oh, nothing is like it. It is really special. The people give you so much energy. They will carry you through the last miles“). Man muss also auch hier seine eigenen Erfahrungen machen.
  • Nach vier Monaten Training für den Marathon muss ich im Vergleich mit der Vorbereitung auf einen Halbmarathon sagen, dass es da schon gewaltige Unterschiede gibt: mehr Zeit, mehr „commitment“, man wird an sein Limit getrieben. Die Vorbereitung auf einen Halbmarathon hat mehr von Babysitten am Wochenende, während das Marathontraining definitiv mehr von „selbst Kinder haben“ hat.

Ich bleibe also dabei: Vieles ist ähnlich, und ich werde sehen, wie dann der Showdown am Ende zusammenpasst.

Keine Sorge, bei allen „(Relativitäts-)Theorien“ hält das Leben mich fest auf dem Boden der Tatsachen. Die Kinder interessiert das Ganze nur sehr wenig. Als Tim dann doch Interesse zeigt und mich zuletzt fragt, wie oft man denn bei einem Marathon von den USA nach Deutschland und wieder zurücklaufen könnte, war die Enttäuschung groß, als ich ihm sagte, dass man mit einem Marathon gerade mal von unserem Haus in Morristown bis nach Newark zum Flughafen käme. Was soll also der ganze Wirbel?
 

Special: Marathon-Countdown, Oktober 2011 – noch fünf Wochen bis zur Ziellinie

Wie der Marathon langsam in Manhattan einzieht und wie viele Dollars (!) ich mittlerweile eingesammelt habe. Welches die besten „daily tips“ sind und was ich in mein Marathon-Köfferchen packe. Und schließlich: Frühstück mit einer stadtbekannten Frau.