Family Bits and Pieces November 2011

St. Martin in der preschool
In unserer preschool gibt es immer wieder Eltern, die in einer Sonderaktion einen Teil ihrer Kultur vermitteln, z. B. Irish folk dance (zum St. Patrick’s Day), Lichterfest (Schweden), Hannukah (mit Lattkes und Dreideln), chinesisches Neujahr. Ole und Paul sind also schon öfter mit kleinen Basteleien nach Hause gekommen.

 

Heute sind wir dran und es gibt das ganze „Paket“: Martinsgeschichte erzählen, Bilder zeigen, Laternen basteln und Martinslieder hören. St. Martin kennt hier wirklich niemand. Ole und Paul waren mächtig stolz. Beim Vorlesen der Martinsgeschichte fügt Ole an der richtigen Stelle ein: „Now comes the most important part“ – klar, die Mantelteilung. Das Holzschwert war dann natürlich ein Highlight für viele Kids, insbesondere die Jungs. Ein Mädchen war ganz perplex, als ich den mit Bindfäden zusammengenähten „Ikea-Decken-Mantel“ mit einem Schwerthieb durchtrennte: „How did she do it?“ Jaja, den Trick kennen die amerikanischen Kids noch nicht ;-); offene Münder und konzentrierte Gesichter.

 

Warum das Ganze so erwähnenswert ist? Weil ich überrascht war, wie sicher man doch auf eigenem kulturellem Boden steht, wie viel Spaß es macht, von deutschen Traditionen zu erzählen, und wie viel man selbst ein Stück dieser Traditionen in sich trägt. Einfach mal die Rollen tauschen, tat vor allem Paul und Ole gut. Aber auch die Lehrerinnen fanden es klasse und sagten hinterher, es sei so toll gewesen, Ole und Paul mal in dieser Experten-Rolle zu sehen – besonders, wenn man im Ausland ist und sich fast immer in der Rolle des „Ahnungslosen“ lebt.

Und so hörte sich die Aktion in der Monatsausgabe der preschool-Zeitung an:

Thank you to Mrs. W. for sharing „The Feast of Saint Martin“. This German Martinstag celebration is like Halloween and Thanksgiving rolled into one. It is celebrated on November 11th. Each child had an opportunity to make a traditional lantern and to parade around the classroom listening to German music.“

(Vielen Dank an Frau W., die uns das “St. Martinsfest“ näher gebracht hat. Das deutsche St. Martinsfest ist eine Kombination aus Halloween und Thanksgiving. Es wird am 11. November gefeiert. Jedes Kind hatte die Möglichkeit, eine traditionelle Laterne zu basteln und zu deutscher Musik im Klassenzimmer zu marschieren.)

Und eins muss ich gestehen – ich habe noch nie eine so disziplinierte „Martinsparade“ gesehen wie in diesen Klassenzimmern: Ohne Gerempel, ganz andächtig und still sind die Kinder mit ihren Laternen (mit „Spongebob“, japanischen Schriftzeichen und Kriggelkraggel verziert) im Kreis gelaufen und haben sich dabei „Laterne, Laterne, Sonne Mond und Sterne“ angehört. Heißa, es lebe die kulturelle Vielfalt!

Safety issues
Also, diesen Monat bin ich mal wieder in Sachen „gesunder Menschenverstand in Bezug auf Sicherheit“ an meine Grenzen gestoßen – vor allem, was den Bereich „Muttersicherheitsbedürfnis“ für Kinder angeht. Hier scheint alles verdreht, und ich liege verrückterweise irgendwie immer daneben – sowohl in die eine als auch in die andere Richtung:
Ich spüre noch ziemlich stark die Nachwehen vom Schneesturm Ende Oktober – mein „Urvertrauen“ in unsere Sicherheit hier ist zurzeit etwas angekratzt. Mich belasten die gigantischen Äste, die noch bis Mitte November über unserer Wiese und über dem driveway baumelten, bis sie dann endlich abgeschnitten wurden. Das dumpfe, intensive Aufschlagen der abgeschnittenen und auf den Boden aufschlagenden Holzstücke hängt mir immer noch nach. Die, die senkrecht fallen, rammen sich in den Boden ein und stecken danach fest – ich habe immer Angst um die Kids und meine Fantasie läuft manchmal Amok.

 

Mit meinem deutschen „Muttersicherheitsbedürfnis“ für die eigenen Kinder bin ich – jedenfalls was die Naturgefahren angeht – nicht gut gerüstet hier. Die Amerikaner/innen scheint das alles jedoch nicht zu belasten und sie leben weiter seelenruhig in ihren Holzhäusern. Ich frage mich, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, in den USA von einem Baum bzw. Ast erschlagen zu werden? Mit Sicherheit (haha, doofes Wort 🙂 ) um 100 Prozent höher als in Deutschland. Aber das wird hier wohl unter „normales Lebensrisiko“ abgebucht.

Und während einerseits irgendwo schwere Bäume umkippen, sorgen sich die Leute andererseits, dass eine Person, die ihre Kinder auf dem Schulweg anspricht, ein Entführer bzw. eine Entführerin sein könnte – drei entsprechende Warn-E-Mails sind diesen Monat schon vom school district reingekommen (gibt es denn direkt drei Verrückte hier???). Ich warne euch – sprecht NIEMALS ein Kind oder einen Jugendlichen auf dem Schulweg an! Da könnt ihr ganz schnell in Schwierigkeiten geraten, selbst wenn ihr nur nach dem Weg oder eurem eigenen Kind fragen wollt.

Was ich wiederum gut finde, ist ein Programm in der Schule, bei dem die Kinder schon sehr früh auf diese Situationen vorbereitet werden, indem man ihnen Handlungsanweisungen gibt: Wenn dich z. B. ein Fremder aus dem Auto anspricht: weglaufen und schreien! Oder auch in Bezug auf das Internet: Immer an Erwachsene wenden, wenn dir etwas nicht geheuer ist! Ihnen wird auch erklärt, wie wichtig es ist, niemals seine persönlichen Daten (Name, Adresse, Telefonnummer, Schule) herauszugeben. Ich glaube nicht, dass es etwas Entsprechendes bereits implementiert an deutschen Grundschulen gibt. Motto der Kampagne ist: „Keep safe – keep away – keep telling“.

 

Sie verbieten Scheren in den Schulen, Glasflaschen sind total verteufelt (beim Marathon drohte einem Teilnehmer wegen einer mitgebrachten Glasflasche die Disqualifikation!), in jedem Restaurant hängen große Plakate, die den „Heimlich-Griff“ demonstrieren (falls gerade jemand an Essen zu ersticken droht), auf Rolltreppen muss man sich festhalten, die Kinder auf Karussells festschnallen – gut, macht vielleicht auch Sinn, ist aber alles trotzdem verwirrend.

Kinderarbeit auf der Bühne
Das I-Tüpfelchen diesen Monat war das große Warnschild am Eingang des Shakespeare-Theaters: Es macht darauf aufmerksam, dass an einer Stelle ein lauter Schuss ertönen wird (so weit, so gut). Aber dann spielen im Stück Kinder in Theos Alter (9 Jahre) mit, die tatsächlich bis zum Ende ausharren (etwa 22.30 Uhr). Was machen Kinder um diese Zeit auf der Bühne? Sollten die nicht längst zuhause im Bett liegen?

 

Das Stück wird für sechs Wochen, sechsmal die Woche jeweils zweimal pro Tag aufgeführt. Wenn die nicht zehn verschiedene Kinderbesetzungen haben, finde ich das einfach nicht okay! Während meine Sitznachbarin im Theater leise vor sich hin schnarcht und ich mich nur mit Cola wachhalte (es lag nicht an der Qualität der Vorstellung, eher an mir), stehen da Kinder im Rampenlicht, die noch nicht mal Teens sind und müssen funktionieren – das geht mir echt gegen den Strich. Haben die hier kein Kinderschutzgesetz?

Also, ihr seht, ich bin ein bisschen emotional bei diesem Thema und sehe das vielleicht auch zu unrealistisch, zugegeben. Die Sache kostet mich aber trotzdem Kraft und Nerven – ist nicht abzustellen.

Spielspuren
Eine Sorge, die ich zu Beginn unseres Aufenthaltes hier hatte, bin ich in dem ganzen Durcheinander aber definitiv los: Die Angst, Ärger mit unserem Vermieter zu bekommen, weil unsere Jungs den gemieteten Garten so „auseinandernehmen“ könnten. Nun muss ich sagen, dass die „Spielspuren“ unserer Kinder im Vergleich zu den Einwirkungen der Natur hier komplett vernachlässigbar sind.

 

Im Laufschritt Richtung Christmas
Wie ihr seht, war wirklich viel los in den letzten Wochen. Meine Hummeln im Bauch, mal rauszukommen und etwas zu erleben, geben jedenfalls erst mal Ruhe. Wir zehren immer noch vom Thanksgiving-Festmahl, und so langsam kann niemand von uns mehr „turkey sandwiches“ sehen. Ole verkündet sofort nach Thanksgiving, dass er sich auf Weihnachten freut.

Und vor ein paar Tagen habe ich auch tatsächlich das erste Auto mit Weihnachtsbaum auf dem Dach vorbeifahren sehen. Die Bäume sind inzwischen ziemlich kahl, dafür sieht man überall noch lose Äste in schwindelerregenden Höhen baumeln. Die Laubpuster röhren wieder. Und wenn sie weg sind, ist es ungewohnt ruhig draußen – das Zirpen der crickets ist inzwischen auch verstummt.

 

Ab und zu sieht man noch mal ein chipmunk (Streifenhörnchen) vorbeihuschen, vielleicht auf der Suche nach einem guten Winterquartier. Dafür fallen hier wieder unglaublich große Schwärme von Starenvögeln ins Land ein. Bei einer Fahrradtour habe ich mit offenem Mund gestaunt – der ganze Waldboden war für einige Minuten von einer schwarzen, krächzenden Masse bedeckt, bevor sich die Truppe gemeinsam erhob, um sich ein paar Meter entfernt wieder niederzulassen – gespenstisch. Unser Garten ist übrigens jetzt winterbereit – wir haben gemeinsam aufgeräumt: Spielzeug, Pflanzen, Laub, alle haben mitgeholfen. Am Ende zeigt mir Paul stolz seinen Eimer voll abgepflückter Rhododendronknospen (schluck – ein bisschen Verlust ist immer).