Bei uns im Garten hämmert der Specht jeden Vormittag unbeeindruckt gegen die Armada von motorisierten Gartengeräten an, die die Grundstücke der Nachbarschaft wieder auf Vordermann bringt. Auch in unserem Vorgarten stand eines Samstags plötzlich eine Horde Männer, die fleißig Herbizide und Pestizide versprühte – damit sind die hier nicht zimperlich. Ich konnte gerade noch Schlimmeres im Garten hinter unserem Haus (backyard – verrückt „front yard“ schreibt man getrennt, „backyard“ tatsächlich zusammen) verhindern.
Viele Väter, viele Kinder
Die Spielplätze füllen sich und vor allem am Wochenende sieht man sehr, sehr viele Väter, die sich um ihren Nachwuchs kümmern – genau wie beim Eltern-Kind-Turnen von Ole (4) und Paul (3) im YMCA, bei dem ich tatsächlich schon öfter die einzige Frau in der Halle war. Außerdem scheinen wir hier in einer sehr fruchtbaren Gegend zu leben, denn es gibt viel mehr Geschwister-Kinderwagen (mit Sitzplätzen für zwei Kinder) als in Deutschland. Ein Blick auf die Statistik bestätigt meinen Eindruck aus dem Alltag: Während wir in Deutschland durchschnittlich weniger als anderthalb Kinder pro Frau haben, sind es in den USA über zwei Kinder. Das fällt sofort auf und diese Tendenz scheint quer durch alle ethnischen Gruppen zu gehen.
Unser April
Die letzten Wochen waren wieder ziemlich anstrengend – das Wort „Routine“ im letzten Brief habe ich wohl etwas vorschnell benutzt: Wir sind wieder ohne Hilfe im Haus. Die Folge: Ich bin ganz schön am Rotieren. Seit einer Woche machen wir unseren zweiten Versuch mit einer neuen Kinderfrau: Sie heißt Duaa, kommt aus dem Sudan und lebt seit zehn Jahren in Amerika. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass wir mit einer Nicht-Amerikanerin bessere Aussicht auf Erfolg haben. Die Schule bei Theo (7) und Tim (6) läuft soweit gut. Wir haben eine neue preschool für Ole (4) gefunden und Paul (3) geht direkt auch mit. Marcs derzeitiger Job: Reisen quer durch die USA. Mein derzeitiger Job: Kinder Hin- und Herfahren und immer mit dem Handy auf Abruf stehen.
Montessori heißt hier auch Disziplin
Zunächst die positive Nachricht: Der neue Montessori-Kindergarten (also die preschool) von Ole und Paul ist um Lichtjahre besser als die erste preschool. Sie hat viele Vorzüge: Die „Hauptlehrerin“ (the head teacher) Mrs Rossi: mit Leib und Seele dabei und lässt sich von Ole auch mal ganz feste drücken. Die anderen Kids: erfrischend locker und sehr hilfsbereit. Das Montessori-Material: Super. Ole und Paul sind beim „Arbeiten“ (sie sprechen hier von „work“) oft völlig vertieft.
preschool mit Betonung auf school
Jetzt leider die negative Nachricht: Der kindergarten ist eben kein „Kinder“garten, sondern eine unverkennbar amerikanische preschool und unsere Kinder verhalten sich auch nach drei Monaten immer noch ziemlich deutsch: Jeden Morgen erregen wir Aufsehen, wenn Ole nicht mit seiner „inside voice“ – also leise – spricht, sondern laut ruft, und Paul nicht mit „walking feet“ – also langsam – den Raum betritt, sondern eher hereinstürmt. Die Kids lernen Zahlen und Buchstaben, Schreiben und erstes Rechnen – selbst die Jüngsten müssen zuerst ihren Namen oder Anfangsbuchstaben auf das Blatt „schreiben“, bevor sie losmalen dürfen. Es herrscht absolute Disziplin: Gerenne, Geschubse, lautes Reden und Drängeln sind tabu. Absolut keine Toleranz – zero-tolerance policy – bei körperlichen Auseinandersetzungen. Wer haut und schlägt, für den heißt es: ab nach Hause! Wie gut, dass Ole und Paul sich gegenseitig zum Knuffen und Kneifen haben! Und weil sie Geschwister sind, sehen sie es dann nicht so eng … Viele Kinder sitzen in einem kleinen Raum (in „unserer“ Gruppe sind 25 Kids). Sie haben kaum Bewegung – drei Stunden heißt es am Platz arbeiten, erst dann 20 Minuten raus, ganz zum Schluss. Es gibt nur einen kleinen, sehr sterilen Spielplatz ohne Sand. Stattdessen liegen „woodchips“, eine Art Rindenmulch, unter den Geräten. Ist grässlich und stinkt schimmelig … Hausschuhe und Buddelsachen gibt es gar nicht. Außerdem herrscht eine übertrieben penible Hygiene: Nach dem Händewaschen müssen die Kinder auch noch Desinfektionsspray benutzen! Eins ist immerhin tröstlich: Es gibt Tageslicht im Klassenraum! Viele der anderen preschools, die ich mir angeguckt habe, liegen tatsächlich im Keller von Kirchen – entweder mit Kellerfenstern oder sogar nur mit künstlicher Beleuchtung. Das scheint hier ziemlich verbreitet und vollkommen akzeptiert zu sein.
Mein aktuelles Grübelthema: Kindererziehung
Was mich diesen Monat besonders umtreibt, sind vor allem die Unterschiede in der Kindererziehung, die sich immer klarer im Alltag zeigen und für mich oftmals sehr widersprüchlich sind. Eine gängige Regel: Eltern sollten ihre Kids bis zum Alter von zwölf Jahren nicht alleine zuhause lassen – ein beliebtes Thema unter den deutschen Expats. Es gibt zwar nur in wenigen Staaten wirklich entsprechende Gesetze wie z. B. in Maryland (bis 8) und in Illinois (bis 14), aber die Altersgrenze von zwölf Jahren geistert hier trotzdem überall herum. Sie wird von der Organisation „Safe Kids“ national empfohlen und von Eltern, Erzieher/innen und Lehrer/innen als inoffizielle guideline akzeptiert. „Playdates“, also Verabredungen zum Spielen, machen nicht die Kinder, sondern die Eltern – selbst in Theos Alter (und Theo ist 7!). Kleine Kinder dürfen sich keine zwei Meter von den Eltern entfernen, sonst wird man – wie ich neulich – angehupt. Und Paul lief gerade mal drei Meter vor mir auf dem Bürgersteig! Oder aber man bekommt böse Blicke und spitze Kommentare („He was walking down the driveway (Einfahrt) all by himself!“ Ja, mein Gott, aber ich hatte doch alles im Blick! Auch unsere Nachbarin klingelte verstört an der Haustüre, als Paul auf unserer Einfahrt mit Kreide malte, ohne dass ich direkt neben ihm stand! Schulweg? Nur mit den Eltern. Es gibt eine lückenlose Begleitung zur Schule und wieder zurück, Theo und Tim dürfen morgens noch nicht mal allein über unsere Straße zum bus stop gehen und dort allein warten. Ich muss die ganze Zeit mit dabei sein. Und so stehen sich häufig morgens vier Eltern gemeinsam die Beine in den Bauch, bis der Schulbus kommt – kann man das nicht besser verteilen? Es gibt kaum Zugang zu „gefährlichen“ Gegenständen – auch jetzt gerade wieder bei Theos science-project-Anweisungen: Nichts mit Feuer, Glas oder spitzen Gegenständen! Andererseits … … übertragen Eltern und Pädagog/innen viele Einstellungen aus der Erwachsenenwelt auf die Kinder: Zum Beispiel diese Einstellung in der preschool: „It’s not about having fun, it’s about learning and working“ (O-Ton einer der Erzieherinnen). Es gibt einige bierernste Erzieherinnen, die ich gerne einmal durchschütteln und ihnen sagen möchte: …
Vom Sprung ins kalte amerikanische Wasser
Warum Marc und ich uns jetzt langsam eine neue „Geheimsprache“ suchen müssen und wann Kartoffelpüree mit Fischstäbchen helfen kann. Warum Paul das potty-training nicht ernst nimmt und warum ich mich gerade wie eine Entenmutter fühle. Nach unseren ersten drei Monaten bietet es sich an, einmal Bilanz zu ziehen, wo wir nach unserem „JUMP“ stehen – auch in Bezug auf die Auseinandersetzung mit der neuen Sprache. Und da ja bekanntlich jedes Kind anders ist, gibt es auch bei unseren eine ganze Bandbreite von Reaktionen: Theo (7), der am meisten Angst vor dem Sprung hatte, ist sofort losgeschwommen und hat die Veränderungen sehr gelassen genommen. Für Tim (6) war das Wasser ja zunächst sehr kalt, vom deutschen Kindergarten in den Sechs-Stunden-Alltag der Schule plus Hausaufgaben. Die ersten Wochen gab es viele Tränen, aber inzwischen hüpft er morgens gut gelaunt mit Theo in den Schulbus. In Bezug auf ihren Spracherwerb gilt für die beiden, was uns seit Wochen alle erzählen: „Kids are like little sponges – they pick it up so quickly“. Theo benutzt Englisch ohne Scheu, und er kann sich schon bequem verständigen (u. a. mit Vergangenheit, Komparativ, Verneinung). Marc und ich waren vollkommen überrascht, als wir ihn mit Duaa, unserer Babysitterin, reden hörten – zuhause reden wir ja miteinander sonst nur Deutsch. Jedenfalls müssen Marc und ich uns jetzt eine neue „Geheimsprache“ suchen, wenn wir im Beisein der Kinder über Dinge reden, die nicht für ihre Ohren bestimmt sind. Tim ist noch zurückhaltender und er benutzt vor allem Phrasen, die er anscheinend wie „Wörter“ lernt (sprich [ˌhauˈɑːjə] = How are you?). Auch in der Schule ist bei Theo und Tim alles im grünen Bereich, und ihre Lehrkräfte haben sich beim ersten Elternsprechtag sehr zufrieden geäußert. Beide genießen ihr Wochenende – dann haben sie endlich Zeit zum Spielen und bauen stundenlang mit Lego sehr kreative Erfindungen. Als „science project“ tüftelt Theo z. B. gerade an einer Morsemaschine aus Lego mit Fishertechnik-Motor. Tim spielt seit drei Wochen jeden Donnerstag Fußball mit seinem Freund Justus. Ole (fast 5) dagegen hat seine Orientierung noch nicht wiedergefunden. Er brauchte schon immer Routine, damit er …
KEEP TALKING (2) – Drei Monate USA
Wie es sich anhört, wenn Ole deutsche Wörter englisch ausspricht und was unsere Jungs mit dem „th“ anstellen. Und warum sich das Wort „looking“ auch nach drei Monaten USA immer noch hartnäckig hält. Die Kinder lernen übrigens nicht nur Englisch, sondern auch ihr Deutsch verändert sich – es herrscht reger (Laut-)Austausch zwischen beiden Sprachen. Vor lauter „th“ haben Theo (7) und Tim (6) auch im Deutschen beide wieder angefangen zu lispeln (nach anderthalb Jahren Logopädie zuhause!) – da wachsen mir graue Haare … Inzwischen fangen sie aber im Englischen an, zwischen „th“- und „s“-Wörtern zu unterscheiden. Und Ole (4) beginnt, Vokale im Deutschen englisch auszusprechen (z. B. oben wie [əʊbn] oder unten wie [ɑntn] und das deutsche „W“ wie ein englisches [w] wie in „water“. Paul (3) redet bisher noch ganz wenig, aber er hat auch schon einen Trick raus: Statt stimmlosem „th“ (wie z. B. in „think“, oder „three“) benutzt er eine Art stimmloses [f] (obere Schneidezähnen auf die Unterlippe setzen) – hört sich gar nicht mal so schlecht an. Jedenfalls besser, als es durch ein stimmloses „s“ zu ersetzen (wie viele Deutsche es machen, die kein „th“ aussprechen können). Probiert es doch mal mit dem Wort „think“ aus: wie Paul [fɪŋk] (wie ein Häschen) oder [sɪŋk]. Na, was hört sich mehr nach „think“ an? Die Floskel „looking“ hält sich übrigens weiter hartnäckig in unserem Haus. Abgesehen von Theo, der es sehr schnell nicht mehr genutzt hat, ist es den Kindern nicht auszutreiben, auch wenn Duaa, unsere Hilfe, und ich inzwischen immer sofort zu „look“ verbessern. Wahrscheinlich erfüllt es einfach seinen Zweck – nämlich Kontakt aufzunehmen und die Aufmerksamkeit der anderen Person zu bekommen. Na bitte, funktioniert doch! Wieso also ändern?
P3 in den USA
Marc erzählt: Britta hat mir erzählt, dass es vielleicht auch erwähnenswert ist, wie sich das Geschäftsleben in den USA vom Business in Deutschland unterscheidet. Nachdem ich im letzten Jahr wochenweise gependelt bin und die Grundlagen gelegt habe, sind wir jetzt seit Ende Januar wirklich „feet on the ground“, also nach ziemlich genau drei Monaten. In dieser Zeit haben wir ein heftiges Pensum absolviert: Büro gefunden (keine 500 Meter von zuhause), renovieren lassen, IT installiert, Büromöbel gekauft, Leute eingestellt (wir sind jetzt zwölf) und vieles mehr. Die Arbeitsbelastung ist echt groß, weil – anders als in Deutschland – die Infrastruktur noch nicht da ist: kein Backoffice, keine Buchhaltung, keine IT. Wir arbeiten eng mit Deutschland und unseren Kollegen von P3 North America (Automotive) in Detroit zusammen, aber im Endeffekt mache ich CEO, CTO, CFO und was sonst noch alles gleichzeitig. Hinzu kommt mein eigentlicher Job, das business development. Das ergibt dann auch schon mal vier 20+ Stunden Tage nacheinander. Resultat: ein erhebliches Schlafbedürfnis am Wochenende. 🙂 Viele Kunden in Sicht Aber das Geschäft läuft gut an. Unser Hauptkunde Verizon Wireless (DER Mobilfunkbetreiber in den USA) mag uns und weitet sein Geschäft mit uns aus. Wir haben mittlerweile weitere wichtige Kunden gewinnen können, die ich aber nicht alle nennen darf. Meine Tagesreisen führen mich jetzt nach Toronto, Chicago, Dallas oder Kansas City. Da der Flughafen Newark zwar perfekte Verbindungen hat, aber recht teuer ist, fliege ich häufig auch ab La Guardia oder sogar Philadelphia. Allerdings bedeutet ein Abflug um 6 a.m. auch Aufstehen um zwei Uhr morgens. 🙁 Die Sprache ist überhaupt kein Problem. Die Leute halten mich in der Regel zumeist für einen Südafrikaner oder (seltener) Schweden (warum auch immer), und ich lache mich vor allem über den Slang (‚red tape’) kaputt. Kündigungs- und Zahlprocedere Einige Worte zu den Unterschieden im „Corporate America“ verglichen mit Deutschland: Die Leute sind viel mobiler und das ist nicht immer gut. Da der Arbeitsmarkt viel durchlässiger ist, kann ich innerhalb von zwei Wochen jemanden feuern. Aber das ist ein zweischneidiges Schwert: Wenn jemand Mist baut und man dann ein paar ernste Worte mit ihm redet, …
Ausblick auf den Wonnemonat Mai
Weiter Ole unterstützen, damit er – wie die anderen – bald auch richtig hier landet. Am 16. Mai ist AIDS-Walkathon – und ich laufe die zehn Kilometer mit! Alle, die mich sponsern, unterstützen die AIDS-Forschung – das ist mein Trostpflaster, weil ich kein Glück bei meiner Bewerbung für den NYC-Marathon hatte (ich musste das einfach probieren und gebe nicht so schnell auf 🙂 ). Übrigens sind die Leute hier doch nicht ganz so prüde, wie ich dachte – viele Männer sind im Moment oft „oben ohne“ („topless“) unterwegs und die Frauen laufen in sehr knappen Tops und sehr, sehr kurzen Röckchen herum (wohl aber mit „Sporthose“ drunter) – es gibt also genug zu gucken und der Sommer scheint vielversprechend zu werden 😉 .