Unser neues Reizthema ist der Sommer, also die Zeit von Ende Juni bis Anfang September (elf lange Wochen), in der die Kids keine Schule haben. Die ersten Reklameblätter für die summercamps flattern ins Haus und die ersten Organisationsversuche (wer, wo, mit welchen Kindern, wie lange, welche summercamps) verlaufen wenig euphorisch – ein Thema, das definitiv weder bei Marc noch bei mir gut ankommt. Aber da müssen wir – noch einmal – durch!
Ausblick auf den April 2011
Anfang April steht eine Woche „Spring Break“ (Frühjahrsferien) in der Schule an. Und wenn die Leute mich fragen: „Are you guys doing anything fun over spring break?“, dann kann ich nur grinsen und sagen: „Yeah, we are going to Florida!!“
P3 wird seriöser und professioneller
Marc erzählt: Wir haben in den vergangenen zwölf Monaten auf improvisierten Möbeln gearbeitet. Die haben wir gebraucht bei Ericsson in North Carolina erworben. Mittlerweile ist das aber blöd, wenn wir Bewerber bekommen – der erste Eindruck sieht zusammengeschustert aus. Deshalb haben wir eine große Bestellung von IKEA Büromöbeln getätigt und die in einer großen Aktion zusammengeschraubt. Auf einmal sieht alles viel seriöser und professioneller aus. In allen P3-Büros in Deutschland steht irgendwo ein Kickertisch, aber in einem Großraumbüro ist das zu laut. Ich bin dann auf die Idee gekommen, stattdessen einen Billardtisch aufzustellen. Das kommt gut an und die amerikanischen Mitarbeiter sind immer wieder verblüfft, wenn sie das zum ersten Mal sehen. Sowas kennt man hier nur von GOOGLE. Special: Die Hälfte ist um – ein Blick von außen Warum wir tatsächlich ein bisschen wie in amerikanischen Filmen leben und was die 15 Monate New Jersey mit uns und unseren vier Jungs gemacht haben. Was das Tolle an amerikanischen Cafés ist und wer Deutschland für den größten Kontinent der Welt hält.
Das Geheimnis nächtlicher Telefonate und der bad hair month. Von hochgeklappten Bürgersteigen und letter days. Und warum wir bei eisigen Temperaturen und Schnee dann doch irgendwann von faulen Sofahockern zu fleißigen Schneeschippern geworden sind. Wir melden uns aus dem frostigen und verschneiten NJ – aber das kennt ihr ja dieses Jahr wohl auch zur Genüge! Ja, der Winter hält uns fest umklammert, drückt uns einen ganz neuen Rhythmus auf und verlangt viel Flexibilität von uns allen. Wir verloren hin und wieder die Bodenhaftung – im wörtlichen wie übertragenen Sinne – und haben uns vor der gesamten Nachbarschaft bis auf die Knochen blamiert. Dass wir nicht von hier sind, wissen jetzt jedenfalls alle.
Nächtliches Klingeln
Wir haben in den letzten vier Wochen so viele nächtliche Anrufe bekommen wie bisher noch nie in unserem Leben. Wenn es nachts um kurz vor vier Uhr grell durchs schlafende Haus klingelt, dann ist das entweder die Bank aus der Heimat, die meine Finanzen durchsprechen will oder die Schule von den Jungs, die uns mitteilt, dass morgen kein Unterricht stattfindet, weil wieder Schnee gefallen ist. Wir hatten tatsächlich keine einzige reguläre Woche, sondern mindestens immer einen snow day, dazu einige „delayed openings“ und „early dismissals“. Neben dem ganzen Schnee gab es auch eisige Temperaturen und wir haben sogar die Null Grad Fahrenheit Marke geknackt (das sind dann knapp minus 18 Grad Celsius). Letzte Woche waren es sogar minus sechs Grad Fahrenheit (minus 21 Grad Celsius – sprich „minus twenty degrees centigrade“). Bei diesen Temperaturen frieren unsere Vorhänge manchmal am Fenster fest, es steigen überall dicke, weiße Dampffontänen aus den Kanaldeckeln auf die Straßen hoch und in den Cafés setze ich mich etwas weiter in den Raum rein, weil mir meine Lieblingsplätze am Fenster selbst mit Winterjacke zu kalt sind und meine Füße durchfrieren. Und wenn man morgens verschlafen vor die Haustüre tritt und einmal einatmet, ist man sofort putzmunter und glasklar im Kopf und hat das Gefühl, man habe ein extra scharfes Fisherman`s friend Mint inhaliert.
Eisprinzessinnen-Joggen
Ich gehe weiter stur morgens laufen. Was zieht man sich bei diesen Temperaturen fürs Laufen an? Also: Ich versuche es mit drei Oberteilen plus Jacke, zwei dicken Laufhosen übereinander, einer Skimaske, dicker Mütze und Handschuhen – damit geht es ganz gut, auch wenn das Laufen durch den Mundschutz echt mühsam ist und meine Oberschenkel bei der Rückkehr eiskalt und knallrot sind und ziemlich stechen. An einem Morgen fand ich nach meiner Laufrunde einen Eisblock in meiner Jackentasche – da habe ich doch etwas überlegen müssen, bis ich verstanden habe, dass das wohl mein Trinkvorrat für unterwegs war, der von mir unbemerkt aus der Flasche ausgelaufen und sofort gefroren ist. Die Kinder staunen immer bei meiner Rückkehr, denn meine schwarze Mütze und die Skimaske schimmern glitzernd weiß, weil sie von vielen winzigen Eiskristallen übersät sind – sieht etwas spooky aus, wenn man leicht angefroren wieder ins Haus kommt. Also: Hinfallen und Nicht-gefunden-werden ist keine echte Option bei diesem Wetter – aber ich laufe ja brav durch Wohngebiete.
Mit nackter Haut der Kälte trotzen
Aber dann wundert man sich doch immer wieder – denn die Leute hier lassen sich durch den Winter nicht aus dem Konzept bringen und führen ein vom Wetter entkoppeltes Leben. Man sieht immer noch jede Menge nackte Haut! Einige Middle School-Kids warten weiterhin im Sweater auf den Schulbus, in der preschool erscheinen Mädchen im ärmellosen Hängerchen und Ballerinas, die Jungs tragen Shorts und T-Shirt und das kleine Geschwisterchen wippt sogar barfuß auf Mamas Hüfte. Man geht weiterhin in Flip-Flops zur Pediküre, eine Frau war gar barfuß auf dem Eis unterwegs (das muss doch wehtun!). Hier findet das Leben im Moment nur drinnen statt, und in den Räumen sind die Temperaturen sogar teilweise höher als im Sommer. Unsere ehemalige Babysitterin, die jetzt in einem Büro in Manhattan arbeitet, berichtet, dass es dort unglaubliche 37 Grad sind. Ich kann bestätigen, dass ich in einigen Innenräumen im Moment wirklich weniger Kleidung anziehen muss als im Sommer, wenn man immer besser einen dicken Pullover mitnimmt. Ausnahme: meine geliebten Cafés, leider. In der Middle School der Kinder einer Freundin, die in Madison wohnt, springt jetzt auch mal öfter die Klimananlage an – es ist sonst einfach zu heiß drinnen. Die Pausen in Schule und preschool finden alle drinnen (indoor recess) statt, draußen spielen die meisten Kinder nicht mehr. Unsere schon, die müssen, da kenne ich nichts.
Bad Hair Month
Ich erkläre diesen Monat ganz offiziell zum „bad hair month“. Meine Lösung: Ich lasse meine wollige Wintermütze auch im Haus an – dann sieht man die Haare wenigstens gar nicht mehr und meinen angeschlagenen Stirnhöhlen tut es ebenfalls sehr gut. Viel mehr ist dann bei uns im Januar nicht passiert – immer wieder Eis und Schnee, Schneeschauer, Eisregen, Schnee und Eis …
Der Anfang war richtig gut …
Wir sind seit dem 7. Januar wieder zurück aus Deutschland. Die Ankunft hier tat überraschend gut: Unser Haus ist durch den draußen liegenden Schnee ungewöhnlich hell, es ist warm und sehr gemütlich – im Winter kann ich Holzhäusern definitiv mehr abgewinnen als im Sommer. Marc und ich sinken unmittelbar nach der Ankunft in die Sessel im family room und genießen den Moment Ruhe: kein Weihnachtsstress mehr, keine Anrufe, keine Besucher … Der Aufenthalt in Deutschland war sehr schön, aber auch ganz schön anstrengend. Jetzt nur noch die Koffer auspacken und dann ist wieder für ein halbes Jahr Ruhe. Theo (8) und Tim (6) meistern ihren ersten Schultag nach drei Wochen unterrichtsfrei gut: Sie werden begeistert von ihren Klassenkameraden empfangen – die freuen sich tatsächlich, denn unsere beiden wurden vermisst. Und so kommen die Jungs gut gelaunt von ihrem ersten Schultag nach Hause – ein guter Start. Und zusätzlich ist es morgens um sieben Uhr schon angenehm hell (wenn es in Deutschland ja immer noch stockfinster ist).
Aber der Rest … naja …
Der Schnee und die Kälte stellen das Leben hier jedoch ganz schön auf den Kopf – jedenfalls unseren Alltag. Paul (3) stimmt immer wieder Weihnachtslieder an und Ole (5) gibt ihm recht, dass „hier alles immer so nach Weihnachten aussieht“. Neben den Briefkästen in unserem Wohngebiet liegen wochenlang ausgediente echte Weihnachtsbäume herum (hier hatte also mindestens jeder zweite Haushalt einen echten Tannenbaum!), die im Laufe der Wochen wieder komplett unter dem neuen Schnee verschwunden sind und erst Ende Januar von einem kombinierten Schneepflug-Grünabfallauto abgeholt werden. Während unser Rasen und unsere Bürgersteige hier seit Wochen unter einer dicken Schneeschicht liegen, sind die Straßen komplett frei. Wer den Bürgersteig vor seinem Haus im Zentrum von Morristown nicht schneefrei macht, muss ein 100 Dollar-Ticket zahlen, erzählte mir eine Freundin. Im Gegensatz zu Deutschland werden die Straßen alle unmittelbar während bzw. nach Schneefall von Schneepflügen freigeräumt – und das gilt auch für die kleinsten Nebenstraßen! Die weißen Häufchen, die man hin und wieder auf den Straßen sieht, sind übrigens kein Schnee, sondern tatsächlich Salzanhäufungen – denn was die Amis machen, machen sie richtig, halbe Sachen gibt´s hier nicht: Also, mit Salz sparen kommt nicht in die Tüte. Da die Straßen durch die Sonne abgetrocknet sind, ist das Fahren völlig unproblematisch. Alles ist slushy und mushy … Kurios finde ich, dass die allermeisten Autos hier keine Winterreifen haben. Kein Wunder, dass die Welt stehenbleibt, sobald ein Schneeschauer herunterkommt (da sind wir in Deutschland definitiv cooler). Schnee ist natürlich nicht gleich Schnee, daher hier noch einige nützliche Wörter, die uns immer wieder begegnen: slushy (gesprochen [slaʃɪ] matschig, schmierig), sleet (Schneeregen, Graupelschauer) und mushy [maʃɪ] (breiig, weich). Um hier im Alltag, z. B. beim Wettfrieren am bus stop mit den anderen Eltern, bei den Wettervorhersagen für den nächsten Tag mitreden zu können, kommt man um die „inches“ nicht herum: „Tomorrow we will have 5-7 inches of snow.“ (ca. 15-18 cm; 1 inch/Zoll = 2,54 cm). Aber auch, wenn man nicht ganz so schnell ist im Umrechnen, tut es im Moment ein „Oh, no, not again!“ eigentlich immer.