Das heißt übersetzt „Truthahn Traberei“ und bedeutet ein bisschen Bewegung vor dem Festmahl! Um im Bauch Platz für den Truthahn zu bekommen, laufe ich morgens an Thanksgiving noch einen 5-km-Lauf mit. Beeindruckend ist mal wieder die Anstelldisziplin der Leute vor den Dixie-Klos (zwei 50 Meter lange Schlangen – hier schlägt sich wirklich niemand in die Büsche). Vom 5-Kilometer-St.Patties-Lauf im März bin ich „vorgewarnt“: Unterwegs wird die zurückgelegte Distanz in Meilen und nicht etwa in Kilometern angegeben. Heißt: Beim 3-Meilen-Schild kann man in den Endspurt starten, denn dann hat man es fast geschafft (5 km = 3,1 Meilen).
Gemeinsam feiern
Ich hatte mir ja eigentlich fest vorgenommen, endlich mal unseren XXL-Backofen voll auszureizen, in den man zwei runde Pizzen nebeneinander bequem reinschieben kann, aber dann haben wir überraschend eine Einladung von einer deutsch-amerikanischen Familie bekommen – und das ist natürlich noch viel besser als alleine zu feiern, was für eine Ehre! Und so erleben wir einen Thanksgiving-Tag, der geprägt ist von großer Gastfreundschaft, sehr leckerem traditionellem Essen, dem üblichen Kinderchaos und auch etwas Extra-Zeit für interessante, entspannte Gespräche. Zum Entzücken der Kinder fallen sogar die ersten Schneeflocken in diesem Winter. Auch Marc kann das Fest rundum genießen, denn bei ihm im Büro läuft an diesem verlängerten Wochenende einfach nichts, weil alle zu Hause feiern – ein Gefühl wie Weihnachten, nur ohne Geschenke.
Black Friday und Cyber Monday
Und jetzt kommt ein harter Bruch, genauso wie im echten Leben. Denn nach Thanksgiving kommt traditionell am nächsten Tag der „Black Friday“. Das ist der Freitag, an dem im Einzelhandel die Kundschaft mit Hammerangeboten in die Geschäfte gelockt und das Weihnachtsgeschäft („holiday shopping“) eingeläut wird. Ab diesem Tag werden „schwarze Zahlen“ geschrieben (so zumindest eine Erklärung des Begriffs „black friday“). Noch in der Nacht machen einige Geschäfte auf: Toys„R“us um 22 Uhr, andere folgen um drei bzw. vier Uhr morgens. Manche Leute kampieren tatsächlich schon abends bzw. nachts vor den Geschäften, um noch eins von den begehrten Schnäppchen zu bekommen (meist große Elektro-Dinge). Ihr sonst so diszipliniertes Anstellverhalten scheinen die Amerikaner/innen im Angesicht unschlagbarer Angebote an diesem Tag zu vergessen – vor zwei Jahren wurde bei Wal-Mart ein Sicherheitsmann beim Öffnen der Türen von den Horden überrannt und dabei getötet. Black Friday ist laut Wall Street Journal wahrscheinlich auch in diesem Jahr wieder der No.1-Verkaufstag im Einzelhandel – 138 Millionen Käufer/innen werden erwartet. Wir verdauen lieber in Ruhe das Festmahl und genießen die ruhige Zeit mit Freunden und Familie. Einige Mütter hatten mir schon vorher sehr lebensnah ihre Erfahrungen beim nächtlichen Anstellen bzw. stundenlangen Stehen im Stau vom letzten Jahr berichtet. Cyber Monday ist der darauffolgende Montag, an dem die Leute durch Angebote motiviert werden sollen, online besonders viel zu kaufen. Aber auch der ließ uns kalt. So war unser erstes Thanksgiving eine vier Tage dauernde, vom Himmel fallende Auszeit mitten im November – ein durchweg positives, sehr stimmungsvolles Erlebnis.
Höhen und Tiefen
Ole (5) und Paul (3) „laufen“ recht gut bzw. unverändert: Ole macht jetzt sogar manchmal in seiner preschool bei der Spanisch-Klasse mit Señora Alto mit, während Paul nach wie vor komplett stumm bleibt (will er nicht? kann er nicht?), ansonsten aber unbeirrbar gute Laune verbreitet. Mit Morena, unserem Au-pair, erleben wir hier so unsere Höhen und Tiefen. Durch ihre Hilfe im Haushalt und mit den Kindern bin ich zwar ein gutes Stück entlastet, aber sie gibt uns auch schon einmal Einblicke in das Leben mit Teenagern: Sie ist unstet und irrational, zeigt extreme Stimmungsschwankungen und ein richtiges Diva-Verhalten – so etwas kenne ich von unseren Jungs überhaupt nicht. Marcs Vermittlungsgeschick ist es zu verdanken, dass sie noch bei uns ist. Unser Motto jetzt: abwarten und uns zusammenreißen. Ende November hört leider auch unsere Babysitterin Judith auf, die von Anfang an einmal die Woche auf die Jungs aufgepasst hat. Sie geht jetzt Vollzeit arbeiten. Das ist super schade, weil sie einfach die einzige war und ist, die auf alle vier gleichzeitig aufpassen konnte. Für unsere „off-Tage“ müssen Marc und ich uns jetzt also etwas anderes überlegen, da Morena mit vier Kindern überfordert ist.
Family Bits and Pieces November 2010
Mein Geburtstag In meinen Geburtstag Anfang November haben wir „low key“, wie sie hier sagen („total entspannt“) mit Peanutbutter-Icecream reingefeiert. Morgens gab‘s einen Jane-Austen-Film im Bett (Mütter brauchen auch mal einen Tag im Jahr eine Pause 🙂 ) und als Geschenk einen Basketballkorb. Der steht jetzt übrigens in unserer Einfahrt, und wir spielen öfter dort mit den Kids. Marc übt nur Freiwürfe und ist schon echt gut geworden. Abends sind wir Indisch essen gegangen – Augen zu und genießen, bei diesen tollen Gewürzen. Mein Geburtstags-Highlight: Theo (8) und Tim (6) hatten keine Schule und mussten daher mitkommen, um Ole (5) und Paul (3) in der preschool abzuholen. Oles Gruppe war noch draußen auf dem Spielplatz, und als Theo und Tim am Gitter auftauchten – wegen der Leuchtjacken für jeden zweifellos als zu Ole gehörig zuzuordnen – bildete sich eine Traube von Kids, die die beiden anstarrten und anstaunten. Ole wurde bewundernd gefragt, ob dass seine Freunde seien. Nein, das seien seine Brüder! Theo und Tim wurden für den Rest der Spielzeit von innen bestaunt, Ole schwebte quasi über den Spielplatz, im Schlepptau einige Jungs, die ihn sonst noch kaum wahrgenommen hatten. Wunderbar, manchmal ist es doch richtig cool, große Brüder zu haben 🙂 .
Abtauchen in die Südpol-Welt
Besuch im Museum of Natural History in New York: Theo und ich tauchen ein in die eiskalte und lebensfeindliche Welt vom Südpol, in der sich Scott und Amundsen vor fast genau 100 Jahren ein spektakuläres Rennen lieferten („The Race to the End of the Earth“). Der Norweger Amundsen hat übrigens gewonnen, während der Engländer Scott einen Monat später ankam und auf dem Rückweg elf Meilen vor seinem Basislager erfroren ist – ziemlich gruselig und ergreifend, die vielen Originalstücke zu bewundern und den dramatischen Rückweg von Scott an einem Zeitstrahl zu verfolgen. Theo war tief beeindruckt.
St. Martin in den USA
Wir feiern mit anderen deutschen Familien St. Martin und backen Weckmänner, denn die gibt es hier nicht zu kaufen. Pfeifen finden wir keine, aber trotzdem sind sie super lecker. Abends gehen wir dann noch eine Runde um den Block bei uns, mit den selbstgemachten Laternen und singen St. Martins-Lieder. Theo wächst ja schon fast aus dieser Tradition raus, aber für Paul und Ole war das aufregend und vor allem Paul stimmt auch Tage später immer wieder „Laterne, Laterne …“ an.
Sopranos und Pizza
Wir starten den „Sopranos-Club“: Mit einigen deutschen Frauen fangen wir an, die „Sopranos“-Saga auf DVD zu gucken. „Die Sopranos“ ist eine amerikanische Fernsehserie (1999-2007), die vom Leben einer fiktiven italienisch-amerikanischen Mafiafamilie in New Jersey handelt. Die Serie ist hier sehr bekannt, hat Kultcharakter und ist mehrfach preisgekrönt. Die Figuren sind fiktiv, aber die Saga orientiert sich an der Realität, dass New Jersey in fester Hand der italienischen Mafia ist. Sie gibt uns als Neuzugezogenen daher einen guten Einblick, was hier so alles hinter den Kulissen abgeht. Ich habe schon von verschiedenen Leuten verrückte Geschichten gehört, nach denen z. B. italienische Restaurants bzw. deren Besitzer über Nacht auf einmal verschwinden. Ich muss jetzt jedenfalls immer an die „Sopranos“ denken, wenn ich mit Theo und Tim freitags nach der Schule bei „Suvio’s“ Pizza essen gehe – bei den „Sopranos“ ist der zentrale Treffpunkt der Bosse immer die Pizzeria „Vesuvios“. Der Besitzer unserer Pizzeria „Suvio’s“ ist sehr nett zu Theo und Tim, und die Pizza ist auch super lecker – aber es ist doch ein bisschen komisch.
Formal Dinner
Wir hatten unser erstes „Formal Dinner“ zu Hause – mit einem Geschäftspartner von Marc inklusive seiner Frau. Ich war schon etwas nervös, aber es ist gut gelaufen (hoffe ich, so genau weiß man das ja nie). Ich hatte vorher noch einmal fleißig in den Rezepten von zuhause gewühlt und bin dort auch fündig geworden: Als Vorspeise gab es Feldsalat mit roter Beete und Walnüssen, als Hauptgang Coq au vin. Ich bekam übrigens keine Blumen, sondern Marc hat Scotch und Whiskey als Geschenk erhalten. Wie das so in den Restaurants üblich ist, habe ich jeden Gang sofort nach dem Essen abgeräumt und dann sofort den nächsten aufgetischt. Ich hoffe, das entspricht so der amerikanischen Sitte?! Mein Essen wurde mehrfach von beiden gelobt (auch wenn das Fleisch etwas trocken geraten war, wie ich fand). Den Nachtisch hatte ich gekauft (ist hier aber durchaus üblich) – da konnte nichts passieren. Insgesamt ist es hier übrigens ungewöhnlich, Geschäftspartner/innen nach Hause einzuladen, aber Marc ist da eben eher unkonventionell. Auch mit Freunden geht man hier viel auswärts essen.
Little Germany mitten in Manhattan
Mit den Kolleginnen von der deutschen Schule gehe ich zu einer Konferenz ins Deutsche Konsulat in New York. Nach der Sicherheitskontrolle weist uns ein Mann ein, wo und wie es weitergeht. Ich bin wie vom Donner gerührt – und das nicht wegen der deutschen Sprache! Sondern wegen des Manns, der so „deutsch“ ist, dass ich geschockt bin und mich gleichzeitig ertappt fühle: Es sind diese muffige Miene, der bierernste und unenthusiastische Tonfall und diese kraftlose Körperhaltung, die so vertraut sind und mich innerhalb von Sekunden nach Deutschland versetzen, aber mich doch auf dem völlig falschen Fuß erwischen (ich bin doch in NYC!). In Deutschland wäre der Mann gar nicht aufgefallen – aber es ist eben der krasse Unterschied (gerade noch in den USA – jetzt in Deutschland), der einen einfach umhaut. Die drei Ansprachen zu Beginn der Konferenz – z. B. über die Bedeutung von Schüleraustauschen für die Stärkung der deutschen Sprache in der Welt – sind nicht nur langweilig, sondern erinnern auch eher an Klagereden. Puh, man hat das Gefühl, dass dieses ganze Unterfangen einfach nur schrecklich, hoffnungslos und grau ist und geht daher eher gedrückt aus der Einführung. Die Workshops danach sind bis auf eine Ausnahme ebenfalls einfach nur schlecht und die Referent/innen wenig vorbereitet. Ich lerne nur bei einem Vortrag wirklich etwas Neues. Das Geld für diese Konferenz, zu der tatsächlich Deutschkollegen/innen aus den gesamten USA nach NY eingeflogen worden sind, hätte sich wirklich besser einsetzen lassen. Das, was Mrs. Low, die amerikanische Schulleiterin von Theo und Tim, manchmal zu viel hat (wenn sie ihre Schule und die Kollegen über den grünen Klee lobt: „We have the most wonderful teachers for your kids“), das haben wir Deutschen definitiv zu wenig. Was ist bloß los mit uns? Und da schließe ich mich hier mit ein, denn man fällt so schnell wieder in „alte Verhaltensmuster“ zurück. Warum fällt es uns so schwer, einfach mal ein bisschen Optimismus zu verbreiten?