Zunächst noch einmal zum Februar-Wetter (weniger überraschend, einfach nur nervig): Der Februar fängt so an, wie der Januar aufgehört hat: mit Schnee und – noch schlimmer – mit Eis. Direkt zu Beginn gibt es fiesen Eisregen – eine komplett neue Erfahrung für uns. Das ist kein Schnee und auch kein Hagel, sondern das sind winzig kleine Mini-Eiskristalle, die stundenlang vom Himmel regnen, wild vom Wind aufgepeitscht. Sie hören sich an wie Millionen von Stecknadeln, die auf den Boden fallen. Später wird der Eisregen zu Regen, aber bei eisigen Temperaturen. Bedeutet: Glatteis pur! So wird jeder Meter Fortbewegung zum Abenteuer, und es gibt natürlich wieder einen snow day für die Kids (den fünften dieses Jahr 🙁 ). Über Nacht hat sich alles draußen in eine Eis-Arena verwandelt: Die Kids können über den Schnee schliddern, weil eine mehrere Zentimeter dicke Eisschicht über der 40 Zentimeter dicken alten Schneeschicht liegt. Einen Schlitten brauchen sie nicht mehr – einfach auf den Popo setzen und los geht’s. Nach dem ersten Spaß aber ist dieses Eis einfach nur nervig. Es ist unvorstellbar hart, wie Beton, und man kann es nicht entfernen – selbst Spaten, Spitzhacke und eine Menge guter Willen und Kraft können da nichts ausrichten. Wem es schwerfällt, das zu glauben, der kann gerne nächstes Jahr vorbeikommen: Unser Gästezimmer ist zwar bis November fast komplett ausgebucht, aber die Wintermonate sind noch frei 🙂 . Schneebälle sind hart wie Stein, selbst kleine Eisbrocken auf der Straße sind so festgefroren, dass man sich eher den Zeh bricht, als das Ding auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Das Schlimmste ist, dass die Kinder fast nirgendwo mehr draußen spielen können: Unser Trampolin biegt sich unter einer mehrere hundert Kilogramm schweren Schnee- und Eisschicht, der ganze Garten ist eine einzige Rutschbahn und die einzig eisfreien Orte – die Straßen – sind nun eben auch nicht gerade geeignet zum Spielen. Selbst ich, die die vier Kids sonst unnachgiebig bei jedem Wetter raussetzt, muss kapitulieren und bin schachmatt gesetzt – es gab genug Verletzte diesen Winter. Und außer Ausrutschen und sich-Wehtun ist nichts mehr drin. Die Folge dieses Extremwetters: Frust, bewegungsdurstige …
Der Sommer als Reizthema
Unser neues Reizthema ist der Sommer, also die Zeit von Ende Juni bis Anfang September (elf lange Wochen), in der die Kids keine Schule haben. Die ersten Reklameblätter für die summercamps flattern ins Haus und die ersten Organisationsversuche (wer, wo, mit welchen Kindern, wie lange, welche summercamps) verlaufen wenig euphorisch – ein Thema, das definitiv weder bei Marc noch bei mir gut ankommt. Aber da müssen wir – noch einmal – durch!
Letter Days
Was nach den snow days bleibt: Die allgemeine Verwirrung, welche Fächer am nächsten Tag unterrichtet werden. Und jetzt wird es spannend – also gut aufgepasst: Unser Stundenplan ändert sich nämlich durch einen Schneetag: Alle Schultage rutschen einen nach hinten. Die Schule schreibt dazu: „Please be aware that when we have a snow day the following day is the letter of the snow day. We do not skip letter days.” Also: Die Kinder hier im Morris County school district haben keine Fächerverteilung nach Wochentagen, sondern sie haben ihre Fächer auf sechs verschiedene „letter days“ verteilt, nämlich A-, B-, C-, D-, E-, F-Days. Wie passen sechs „letter days“ in eine fünftägige Schulwoche? Also, ein Beispiel: Tim hat Sport immer an A-Days. In der ersten Schulwoche war Sport also an einem Montag, aber schon in der zweiten Schulwoche rutschte der Sport dann auf den Dienstag, und dann auf den Mittwoch usw. – total unpraktisch zum Tornister-Packen, verrückt und unpraktisch, oder? Die Schule gibt daher jeden Monat eine Übersicht, in der steht, welcher letter day auf welchen Wochentag fällt. Zurück zu den snow days: Vor ein paar Jahren hat der Schuldistrikt beschlossen, dass alle Tage „gleichberechtigt“ sind und keiner einfach durch einen snow day oder einen Feiertag ausfallen darf (könnt ihr noch folgen?). Daher wird dann der „letter day“, der an dem snow day/Feiertag war, einfach am nächsten Tag nachgeholt. Das bedeutet: Alle letter days rutschen wieder einen nach hinten, womit der Plan der Schule nicht mehr stimmt. Man muss also gut aufpassen, wenn man den Tornister packt: Wann muss Theo seine Bücher mitnehmen? C-Day: Library! Wann seine Kunstsachen? E-Day: Art. Das Gleiche gilt für Tim. Wie einfach ist es doch in Deutschland: Montag ist Sport, Dienstag ist Englisch, Mittwoch ist Schwimmen … Ich hatte durch den Feiertag und die Schneetage schon recht schnell den Überblick verloren. Um aber alle nun gänzlich zu verwirren, wurde an Theos Schule dann einmal gegen diese Regeln verstoßen, weil sie Besuch von einem Autor bekommen haben. Und sie konnten nicht den Tag „anhalten“, weil das Ganze eben am „library day“ passieren musste J. Also, jetzt haben Theo …
Endlich wieder laufen
Was unseren Alltag angeht, gibt es noch eine Neuerung: Ich bin es soooo satt, soviel Zeit im Auto zu sitzen und ich möchte mit allen Mitteln verhindern, dass unsere Kinder sich die amerikanische Einstellung zum Thema Fortbewegung zueigen machen (z. B. mit dem Auto von Tür zu Tür, bloß keinen Schritt zuviel, siehe bus stop-Konflikt s. u. mit den Nachbarn). Daher dürfen jetzt alle vier Kinder nach der preschool bzw. nach der Schule ein Stück zu Fuß gehen. Da der Weg nach Hause viel zu weit ist, parke ich einfach ein Stück von den Schulen entfernt und gehe den Rest zu Fuß – hört sich vielleicht komisch an, aber mittlerweile haben wir damit auch schon Routine. Oles (5) und Pauls (3) preschool liegt direkt neben der Bahnlinie mit einem autofreien Erholungsweg daneben, der wunderbar geeignet ist für’s Laufrad, Roller und Fahrradfahren. Bei Theo (8) und Tim (6) führt der Weg eher durch die Stadt bzw. das Wohngebiet, aber auch dort tut es gut, endlich einmal Leute auf ihren Verandas (porches) zu sehen und zu erleben. Und auch wenn ich oft zunächst eine meuternde Horde hinter mir habe, kommt nach einigen Metern meist bessere Stimmung auf, wir kommen ins Plaudern und die Kinder entspannen sich. Für mich ist das Laufen wieder ein bisschen Heimat.
28. Oktober – die Halloween Vorbereitung
Einer der wichtigsten Aspekte von Halloween für Kids ist es, die Kostüme auszusuchen. Ich will diesen Teil rechtzeitig abhaken, und wir ziehen daher schon Anfang Oktober los in die entsprechenden Geschäfte, wie z. B. Party City. Wir staunen, denn dort gibt es alles, was das Grusel-Herz begehrt: literweise falsches Blut („bottle of blood“), Körperteil-Süßigkeiten („body part candy“) und jede Menge ekliger aufklebbarer Verletzungen (EZ Grand Opening Kit, Burn Ex Kit, Broken Bone, EZ Scar Set; EZ = easy). Dazu unzählige Kostüme: In dem Laden, in dem wir waren, konnte man zwischen über 150 verschiedenen Kinderkostümen wählen. Der Trip in den Laden war ein Erlebnis, nur hatte Tim leider anschließend Alpträume – die amerikanischen Kids, die da auch schon im Kleinkindalter reingeschleppt werden, sind wohl abgehärteter. Die Kids dürfen ihre Kostüme schon mal anprobieren, aber irgendwie fehlt noch die Stimmung bzw. die Erfahrung, wie sich Halloween denn dann so anfühlen muss. Ich versuche, dieses Vakuum durch deutsche Karnevalslieder aufzulockern – die Kinder rocken zu „Wir spielen Cowboy und Indianer“ durch die Wohnung, aber so ganz passt das nicht – falsche Jahreszeit und falsches Land.
Trick-or-Treat-Walk
Nach der Schule fallen unsere Kids dann in ein Stimmungsloch. „Wie, das war’s jetzt? Machen wir keine Party?“ „Halloween ist blöd.“ Ich packe die vier kurz entschlossen ins Auto und fahre nach Morristown rein, wo von 3 bis 5 p.m. ein „Trick-or-Treat-Walk“ auf einer der Hauptstraßen stattfindet – von Geschäft zu Geschäft Süßigkeiten einsammeln. Wir stürzen uns also ins absolute Getümmel, weil wirklich alle Familien mit Kindern in dieser Zeit auf dieser einen Straße laufen. Aber es wird besser als gedacht: Wir sind zwar viel zu spät dran, aber in dieser letzten halben Stunde sammeln die Kinder bei den Geschäften noch recht viele Süßigkeiten in ihre Plastik-Kürbiseimer ein und sind wieder zufrieden. Puh! Die Stimmung ist trotz extremen Gewusels sehr nett und friedlich, immer wieder hört man Kinderstimmen nach unseren Kindern rufen: [haɪ] [θɪəʊ], [haɪ] [tɪm], [haɪ] [əʊl], [haɪ] [pɔːl] Wir sind tatsächlich nicht mehr ganz unbekannt hier 🙂 . Gleiches Recht für alle: Wir sehen ganz viele als Kürbis verkleidete Hunde, aber auch Marienkäfer sind dabei. Oder wie wäre es mit Hot Dog – oft im Partnerlook mit Herrchen und Frauchen. Bei uns in Morristown gibt es sogar einen Wettbewerb mit verschiedenen Gewinnkategorien: furchterregendster Hund, süßester Hund, best match: owner – dog. Als wir wieder zu Hause ankommen, schicke ich die Kids sofort los zu den Nachbarhäusern – lieber alles in einem Aufwasch (meine Philosophie). Aber das geht nach hinten los: „Oh, you are too early. Halloween is on Sunday.“ Stimmt, es war erst der 29. Oktober. Nach zwei Versuchen geben wir auf und vertagen die Aktion auf Sonntag.
Ein Fast-Unfall
Die einzig wirklich negative Erfahrung in diesem Monat: Paul ist auf einem Parkplatz fast von einem rückwärts fahrenden Auto angefahren worden! Nur ein kräftiger Tritt von mir gegen die Stoßstange brachte die Frau dazu, ihr Auto anzuhalten. Wir waren geschockt, sie auch. Aber sie verteidigte sich, sie hätte doch beim Einsteigen ins Auto noch geguckt … Na toll, und dann fährt sie rückwärts, ohne nach hinten zu gucken? Tja, solche Typen gibt es halt überall auf der Welt, nur hier sind wir einfach viel mehr auf Parkplätzen mit riesigen Autos unterwegs – nach dieser Erfahrung gibt es jetzt für unsere Kids absolute „Halsbandpflicht“.
Erst mal beschweren
Aus meiner Sicht werden auch die Kinder hier sehr früh darüber aufgeklärt (im Prinzip ja gut) und darauf „gedrillt“, sich bei „Benachteiligungen“ sofort bei offiziellen Stellen zu beschweren, ohne zunächst mal eine Lösung im Kleinen zu probieren. Als Theo in der letzten Woche von einem Jungen in der Schule ein paar Bemerkungen einstecken musste, wollte er sofort eine „bully note“ schreiben. So eine „bully Note“ (Mitteilung übers Mobben) geht ohne Umweg ganz bis nach oben zur Direktorin, die dann die „Übeltäterin“ oder den „Übeltäter“ vorlädt und zur Rede stellt. Ich konnte Theo gerade noch davon abhalten, diese Mitteilung zu schreiben, und wir haben die Sache ganz in Ruhe mit dem Jungen und seiner Mutter geklärt. Der „offizielle“ Klärungsweg hätte so unglaublich viel mehr Wirbel verursacht und vielleicht sogar einen Kollateralschaden angerichtet. Der Hintergrund dieser „zero tolerance“ policy gegenüber dem Mobben ist sicherlich auch der Freitod einiger minderjähriger Schüler/innen in den letzten Monaten in den USA, die massiven Schikanen durch Mitschüler/innen ausgesetzt waren. Das Thema „Mobbing an Schulen“ und effektive Gegenstrategien sind aber sicherlich ein eigenes Kapitel. In Deutschland habe ich an meiner Schule bisher die gegenteilige Erfahrung gemacht: Da spielt das Thema überhaupt keine Rolle, und die Anregung einiger engagierter Lehrerinnen und Lehrer, doch ein Schülerschlichtungsprogramm aufzubauen, wurde jahrelang von einer mächtigen Lehrerfraktion immer wieder mit dem Argument abgelehnt, dass wir dann ja offiziell zugeben würden, dass es an unsere Schule Probleme unter den Schulkindern gäbe. Das macht mich auch zornig und mir stehen auch die Haare zu Berge! Was lernen wir von diesen Vorfällen? Vorsicht mit flapsigen Bemerkungen – das gilt sowohl für unsere Kinder (die ja auch sonst auf einmal bei den Schulleiter/innen vorgeladen werden könnten), als auch für uns in Beruf (auch für mich als Lehrerin) und Privatleben. Hier gelten einfach andere Regeln als in Europa.
Unser zweiter Start
Jetzt, vier Wochen nach unserer (Wieder-)Ankunft in Morristown, kann ich sagen: Es war ein guter zweiter Start. Viel runder als der im Januar, alles schon viel vertrauter – wir haben die erste anstrengendste Phase wohl hinter uns. Marc hat in fast allen Punkten gute Vorarbeit geleistet, und alle Kinder sind gut ins neue Schuljahr gestartet. Selbst Ole macht sich richtig gut – mit verkürztem preschool-Alltag und Ergotherapie. Nur auf seinen Sandkasten muss er noch warten. Und es hat tatsächlich geklappt: Wir haben seit zwei Wochen ein Au-pair aus Brasilien! Das wird eine große Erleichterung im Alltag sein. Ich habe endlich auch wieder einen Job – an der Deutschen Schule von Morris County, jeden Samstagvormittag. Es tut mir soooo gut und ist richtig spannend, mal einen Einblick ins amerikanisch-deutsche Schulleben zu bekommen. Marc hat zwar keinen neuen Job, hat sich dafür aber ein neues (ziemlich zeitintensives) Hobby zugelegt: Fliegen. Doch dazu später mehr. Also – wir sind wieder im Rennen und freuen uns über einige Upsides wie z. B. eine neue Waschmaschine (ha, ich bin die Albtraumwaschmaschine los 🙂 ), ärgern uns ein bisschen über einige Downsides wie z. B. endlose Bürokratie in der Schule. Aber selbst kleinere kulturelle Unterschiede wie bei Matratzen oder Kinderkarussels können uns im September nicht aus der Fassung bringen.
Neu an Bord: Morena
Ich kann es selbst kaum glauben, aber wir haben tatsächlich ein Au-pair (unerlaubterweise, da wir weder American citizens noch permanent residents sind). Wir haben in der Bewerbung als Gastfamilie einfach ein Kreuz bei permanent residents gemacht und sind glücklich durchgeschlüpft durch das sonst doch so feine Netz aus Gesetzen, Regeln und Kontrollen hier. Und bleiben hoffentlich unentdeckt 🙂 . Ihr Name: Morena, 23, aus Brasilien. Morena hat uns auf Anhieb beim Auswahlverfahren sehr gut gefallen. Sie ist sehr kommunikativ, herrlich unamerikanisch und hat in Brasilia am College unterrichtet. In den ersten Wochen kam schnell heraus, dass sie keinerlei Erfahrung im Haushalt hat (privilegiertes Leben mit Hausangestellen bisher, räumte in der Spülmaschine alle Gläser verkehrt herum ein und fühlte mit der Gabel, ob denn die Eier im Wasserbad bald gut wären), aber sie scheint bereit zu sein, sich reinzuknien – darauf kommt es an. Auch mit den Kindern kommt sie ganz gut klar – Ole und Paul haben ihr schon beigebracht, wie man Kuchen backt. Obwohl sie noch einige Übungsstunden im Autofahren braucht und wir sie bisher nicht alleine mit den Kids fahren lassen, ist sie eine große Hilfe und bringt definitiv mehr Ruhe in unser Alltagsleben. Und Marc und ich lernen auch wieder etwas dazu: Am Wochenende ist Morena meist perfekt gestylt auf Partys unterwegs und föhnt sich vorher ZWEI Stunden die Haare (wusstet ihr, dass das geht?) – so ab der 90. Minute fliegt wegen Überhitzung des Föns alle fünf Minuten die Sicherung heraus. Aber gemach – ich bin zuversichtlich, dass es diesmal gutgeht (unser dritter Versuch in Sachen Nanny).