Es wird Zeit, dass wir den Heimweg antreten, sonst kommen wir hier gar nicht mehr los: Wir haben jetzt zehn Kindergeburtstage hier gefeiert – Paul hat so ziemlich die Hälfte seines Lebens hier verbracht. Bei unserer Ankunft war er zwei, jetzt ist er fünf Jahre alt. Auf dem Hinflug hatte er noch Windeln an, kroch mit seiner Thomas-Lok auf allen Vieren über die Flugzeugflure und fing gerade an, erste komplette Sätze auf Deutsch zu bilden. Jetzt plappert er munter auf Englisch, ist von Zahlen bis 1.000 besessen, sein Zimmer schmücken meterlange Papierschlangen mit Zahlen. Und er erkennt Abraham Lincoln treffsicher unter allen amerikanischen Präsidenten, während er mit dem Namen „Angela Merkel“ gar nichts anfangen kann. Paul kann sich nicht mehr an Karneval erinnern, und Ole kennt den Unterschied zwischen Halloween und Karneval auch nicht mehr. Die Kids können „genug“ Englisch, Tims Akzent kann nicht noch „amerikanischer“ werden und zuletzt fragte er mich: „Mama, bist du echt mit diesen Haaren geboren worden?“ Die Jungs haben genug „Good Job“-Aufkleber und „certificates/awards“ für die nächsten zehn Jahre gesammelt und mehr „pledges-Gelöbnisse“ in den letzten 30 Monaten geleistet als die meisten deutschen Menschen das in ihrem ganzen Leben tun.
Freude …
Wir freuen uns auf Deutschland und euch. Wir hoffen, dass wir wieder mehr Kontakt zu euch aufbauen werden, viele in den nächsten Wochen wiedersehen und dann auch erfahren, was bei euch so ansteht im Moment. Außerdem freuen wir uns auf viel Bewegung auf guten deutschen Bürgersteigen (und abends körperlich platte Kinder), die Fußball-Europameisterschaft (und die lockere Stimmung), Mittagessen zur Mittagszeit (und nicht um 16.30 Uhr), Reistopf mit Fleischklößchen, Hausaufgaben vor 15 Uhr (und nicht am Abend), Familienschwimmen am Sonntagmorgen, selbstständigere Kinder, Schokoküsse, funktionierende Toiletten, deutsche Fleischwurst vom Metzger, Fahrradtouren, „nur“ sechs Wochen Sommerferien (und nicht mehr drei Monate), weniger Autofahren, nie wieder „Snack-Schmiererei“ für lange Schultage, Sand auf den Spielplätzen, gute Schokolade, Tunfischpizza, weniger Einbahnstraßen auf Parkplätzen, lärmfreie Sonntage (jedenfalls ohne Laubgebläse von der einen und Rasenmäher von der anderen Seite), Essengehen mit deutscher Gemütlichkeit (auch, wenn wir wieder eine halbe Stunde aufs Essen warten müssen). Aber uns ist schon klar, dass wir uns an viele Sachen auch erst wieder werden gewöhnen müssen. Zum Beispiel oft im blauen Dunst der Raucher stehen zu müssen – das sind wir von hier gar nicht mehr gewöhnt.
… und Vorfreude
Theo und Tim werden übrigens direkt für zwei Wochen in ihre deutsche Schule gehen, bis die deutschen Sommerferien starten. Und in den Ferien gibt es dann Schreibschrift für Tim und deutsche Rechtschreibung für Theo. Wir werden unsere Koffer auspacken, auf den Container warten, alle Kisten auspacken und für alles wieder einen Platz im Haus finden. Ich habe mittlerweile eine Allergie gegen Kisten, aber es hilft ja nichts. Wir wollen – bzw. ich will – sofort wieder einen Rhythmus in unser Leben bekommen, denn vier Kinder im „luftleeren Raum“ sind so mit das Anstrengendste, was ich mir vorstellen kann. Aber nun stehen ja erst mal die Sommerferien an, von daher wird echte Routine wohl noch auf sich warten lassen. Die Ferien können wir immerhin schon mal nutzen, um den ersten Kulturschock hinter uns zu bringen und etwas aufgeräumter in die aufregende deutsche Schulzeit zu starten. Ole ist dann unser i-Dötzchen, Tim kommt ins dritte Schuljahr und Theo aufs Gymnasium. Wir werden also erst einmal drei Schultüten und drei Tornister besorgen müssen. Paul darf noch ein Jahr in den deutschen Kindergarten – wie gesagt, er hat eigentlich keine Lust mehr auf „Buddeln“, aber ich hoffe ja immer noch, dass er daran Geschmack finden wird. Ich werde erst im Mai nächsten Jahres wieder in meine Schule zurückgehen. Ich würde zwar lieber heute als morgen zurück, möchte unser Einleben in Deutschland aber auch nicht zu sehr „auf Kante nähen“. Diesmal bin ich auf einiges gefasst, und mittlerweile kenne ich auch die „W-Kurve“ beim Anpassungsprozess – das zweite „Tal“ steht uns nämlich bei der Rückkehr in die Heimat bevor („It’s my second time around!“). Und dann noch „re-connecten“ – die Zeit ist ja in Deutschland auch nicht stehen geblieben. Neue Kinder da, andere Menschen weg, unsere „Lücke“ ist längst geschlossen – also einfach irgendwo anfangen. Das wird eh einige Zeit dauern. Wie gut, dass die Europameisterschaft gerade läuft: Deutschland ist im Fußballfieber, alle Leute sind in Feierstimmung, und das Leben scheint den Deutschen in diesen Zeiten einfach mal fröhlich und leicht von der Hand zu gehen – gute Voraussetzungen, um uns damit die Umstellung etwas …
The final countdown – überraschend ruhig
Es ist fünf Tage vor Schluss. Die Leute von der Spedition kommen und packen innerhalb von eineinhalb Tagen alles ein – Bücher, Spielzeug, Kleidung, Küchenzeug, Betten – alles, wo kein Sticker „DO NOT PACK“ dranklebt. Die Kids sitzen am Anfang noch gemeinsam auf einen Sessel gequetscht und gucken zu. Doch dann wird auch der irgendwann eingepackt. Man hört den ganzen Tag im Haus nur das „Ratsch, Ratsch, Ratsch“ der Paketband-Abroller. Ich habe auch ein Auge auf die Leute, denn meine Panik ist, dass sie etwas einpacken, was nicht mit soll, wie z. B. irgendwelches Essen. Es grassiert hier nämlich die Story vom eingepackten Spanferkelabschiedsessen bzw. dessen Resten, die dann für vier Wochen ganz in Ruhe mit dem Rest des Hausstandes in einem Container im Sommer über den Atlantik schipperten … 🙂 Am Ende sind es 404 Gepäckstücke – alle für den Zoll fein säuberlich nummeriert und mit Inhalt aufgeführt – die so gerade in einen Container reinpassen. Glück gehabt und gut abgeschätzt vom Chef der Spedition. Nachmittags fahren wir ins Hotel. Abfliegen dürfen wir noch nicht, falls es noch Fragen gibt. Also warten, bis wirklich alles „eingeboxt“ ist.
Überraschung!
Und dann, ganz am Schluss und nach dem ganzen Stress mit Packen kommt mit dem Auszug aus unserem Haus eine vollkommen überraschende Entschleunigung: Leben im Hotel, Einladungen zum BBQ und zum Pool von Freunden, noch mal Shoppen … fast wie in einem stinknormalen Urlaub.
We´re outta here
Die letzten 30 Stunden sind angebrochen und wir sind erstaunlich ruhig. Meine letzte offizielle „Amtshandlung“ heute bei uns im Haus: Die Mülltonnen sauber machen. Verrückt? Nein, muss sein. Das ist mein Abschied vom Haus: 35 Grad, super schwül und ich schrubbe unsere schwarzen stinkenden Tonnen auf dem driveway blitzeblank. Ein unvergesslicher Abend bisher – noch ein letztes Mal diese versonnene Abendstimmung auf unserer Straße, noch einmal von der Nachbarin verabschieden, die gerade vom Gassi gehen nach Hause kommt. Als die Tonnen sauber sind, bin ich nass und dreckig. Unser Haus ist komplett leer, unsere Sachen sind alle im Container verstaut, der mittlerweile irgendwo im Hafen von New York steht. Ich habe Glück: Im Trockner sind noch ein paar Klamotten, die wir vergessen haben. Praktisch, auch ein T-Shirt von mir ist dabei – besser ein eingelaufenes T-Shirt als gar keins. Als ich mich zum Abendessen aufmache, turnen schon unzählige squirrels auf unseren Müllsäcken herum, die an der Straße stehen – auf der Suche nach Essbarem. Wir nehmen langsam wieder Geschwindigkeit auf, hören den Wasserfall schon rauschen, genießen am Abend noch das Abschiedsdinner bei unseren besten Freunden, einmal schlafen und dann sind wir vogelfrei – für sechseinhalb Stunden. Bangemachen gilt nicht – packen wir´s! Also, tief Luft holen, Anlauf nehmen, Augen zu und springen …
New Jersey runterfahren – Deutschland hochfahren
Bei uns geht es jetzt richtig zur Sache. Eine Nachbarin sagte mir zuletzt traurig: „So, you are winding down?“ Wörtlich heißt das „ruhiger werden, etwas nach unten kurbeln“. Aber ich habe eher das Gefühl, dass es jetzt erst richtig stressig wird. So steht der Mai im Zeichen von Entmisten und Aufräumen hier und in Deutschland – eine Woche in New Jersey und eineinhalb Wochen in Deutschland für mich. Währenddessen geht unser Alltagsleben in voller Fahrt weiter. Dazu kommen die ersten Abschiede (von meiner Deutschen Schule und meinen Schulkindern), aber auch mental wird es anstrengend, zum Beispiel wegen Oles (6) Perspektiven in Deutschland – wir hängen voll zwischen beiden Welten und Zuständen, stehen mit jeweils einem Bein in den USA und einem in Deutschland. Manchmal bin ich etwas überwältigt. Marc hat ebenfalls das volle Programm auf beiden Seiten des Atlantiks – sein Büro hier alleine „zum Fliegen“ bringen, Leute positionieren und dann selbst wieder in Deutschland Fuß fassen. Zur Vorbereitung fliegt er zwei Wochen nach Deutschland. Marc erzählt: Als ich aus Deutschland weggegangen bin, habe ich eine Lücke hinterlassen, die sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren geschlossen hat. Ich muss mir also eine neue Aufgabe und eine neue Rolle suchen. Das wird sicher nicht einfach und meine Kollegen werden sich bedanken, wenn ich einfach so auftauche. Außerdem ist die deutsche Kultur an vielen Stellen doch total anders und ich habe großen Respekt vor der Aufgabe, in Deutschland wieder Fuß zu fassen.
Und ab geht die Fahrt
Um eins vorweg zu sagen: Ich habe mich geirrt mit meiner Vermutung, dass wir in Sachen Umzug schon sehr bald den anstrengendsten Teil hinter uns hätten und es danach wieder leicht „bergab“ gehen würde. Im Moment habe ich eher das Gefühl, dass wir auf einer Skiabfahrtsschanze sind, auf der wir mit atemberaubender Geschwindigkeit auf das Ziel (unseren Abflug) zurasen. Und die ganzen Aufgaben, die wir noch zu erledigen haben, überholen mich im Moment rechts und links – hämisch grinsend – und ich weiß manchmal nicht so recht, wie mir geschieht. Jetzt heißt es Nerven behalten und das bewährte „Notprogramm“ fahren: peanutbutter icecream, red velvet cheesecake (mega-fett, aber „yummy“), laufen gehen, Trockner und DVDs einsetzen, Pediküre genießen. Damit bekommt man wieder Bodenhaftung, es wirkt Wunder und schöne Füße hat man auch noch. 🙂 Vitoria wächst über sich hinaus, erledigt alles Alltägliche im Haushalt noch selbstverständlicher als früher. Selbst ihre Morgenmuffeligkeit ist wie weggewischt. Sie packt schon seit Tagen ihre Koffer und man sieht sie öfter mal mit Waage unterm Arm aus dem Badezimmer kommen – anscheinend haben ihre Koffer noch nicht ihr „Wunschgewicht“ erreicht. So langsam fahren wir die wöchentlichen Großeinkäufe runter und brauchen schon mal unsere Lebensmittel aus dem großen Vorratsschrank in der Küche auf. Zwischenzeitlich scheint diesen Monat alles ziemlich chaotisch zu sein, aber am Ende reißen wir das Ruder noch einmal herum. Daher endet der Mai zwar sehr geschäftig, aber doch geordnet, und wir „quetschen“ sogar noch eine Reise zur „Mayflower“, dem Schiff der Pilgrim Fathers rein.
Unsere Jobs in Deutschland
Zuerst ist Marc für zwei Wochen in Deutschland und „kümmert“ sich um seinen Job. Schon seit Monaten führt er mit seiner Firma Verhandlungen, es ist von „Umstrukturierung“ die Rede. Als ich dann auf einmal etwas von „China“ höre, ziehe ich die Handbremse: Die letzten drei Jahre als „Stay-at-home Mom“ reichen mir, jetzt will ich endlich auch wieder arbeiten gehen! Ich bekomme Panik, dass ich auf den häuslichen Arbeiten „sitzenbleibe“. Beim Umzug nach Deutschland geht es bei Marc und mir auch um die Neuverteilung von Ressourcen, und wir beide müssen unsere Gebiete neu abstecken. Das wird noch ein ziemliches Armdrücken und die Stimmung ist stellenweise auf dem Nullpunkt. Aber da müssen wir wohl durch. Als Marc zurück in die USA kommt, machen wir fliegenden Wechsel am Flughafen: Ich bekomme die Haustürschlüssel vom Haus in Deutschland, er die Schlüssel vom Auto, mit dem ich zum Flughafen gekommen bin. Es bleibt Zeit für ein Essen am Airport und dann bin ICH für eineinhalb Wochen weg.
Ausmisten. Ausmisten. Ausmisten.
Statt Bar Mitzwa gibt es für mich Ausmisten in Deutschland – unser Haus einmal „auf links“ drehen und für die Ankunft unserer sechsköpfigen Familie vorbereiten. Mein erster Eindruck von Deutschland nach zehn Monaten „Entzug“: kühler, technischer, stabiler, viele Leute wirken wie unter Strom, als ob sie alle „Red Bull“ getrunken hätten, ungeduldiger, stoffeliger, viele Frauen mit „Storchennest“ auf dem Kopf, asymmetrischer Brille und vor allem JEANS! Wir Deutsche lieben doch wirklich unsere Jeanshosen über alles und ich komme mir komisch vor, weil ich auf einmal so gut ins Bild passe und gar nicht mehr auffalle – ist das bescheuert?! Autofahren ist anstrengender, weil sich so viel bewegt auf Straße und Bürgersteig (wie ein Wimmelbild). Ich vermisse meine Musiksender und „WNYC“ im Radio, weiß geklinkerte Häuser lösen bei mir Hallenbadgefühle aus (ungemütlich und kalt), oh je! Und viele Leute auf dem Fahrrad, die im Verkehr auf ihrem Handy texten – das kannte ich bisher noch nicht. Unser Haus: Es ist schon ein verrücktes Gefühl, nach so langer Zeit wieder da zu sein: Unser Haus ist wie ein alter Kleiderschrank – vieles ist vertraut, man erinnert sich, wo alles liegt und steht. Aber diverse Sachen passen nicht mehr (im wörtlichen wie im übertragenen Sinn), alles ist irgendwie muffig – so wie ein alter Schuh, der bequem, aber ausgelatscht ist. Sieben Tage großes Reinemachen – mit zweieinhalb Jahren Abstand kann man sich leichter von Sachen trennen – danach habe ich mich durch die wichtigsten Räume „gefräst“: Teppich gereinigt, Wände gestrichen, aus Kleinkindzimmer ein Kinderzimmer gemacht, aus Grundschulkind-Zimmer ein Jugendzimmer. Beide Altkleidercontainer im Ort quellen über, der Müllcontainer vor unserem Haus ist rappelvoll und ich bin unzählige Male beim örtlichen Wohltätigkeitsverein gewesen. Abgesehen vom schimmeligen Keller und der kaputten Waschmaschine gibt es noch ein grundlegendes Problem: Mir gefällt die ganze Atmosphäre im Haus nicht mehr – nach fast drei Jahren im gemütlichen Holzhaus ist so ein weißes Steinhaus schon irgendwie kalt. Das müssen wir ändern – so halte ich das nicht aus. Da haben es die Expat-Familien besser, die sich vor ihrem Umzug eine ganz neue Bleibe in Deutschland suchen, denn da können …