Schön statt kitschig In den drei Wochen Dezember, die wir hier erlebt haben, mussten wir unsere klischeehaften Vorstellungen vom kitschigen amerikanischen Weihnachten an vielen Stellen über den Haufen werfen. Es gibt eine Menge positive Überraschungen in Bezug auf Dekoration, Musik, Stimmung (zugegeben: Ich bin ein echter Weihnachtsfan 🙂 ) und buntes Mulitkulti an religiösen und kulturellen Festtagen. Die Winterkonzerte an den Schulen von Theo und Tim zeigen genau diese Vielfalt auf eindrucksvolle Weise – das werde ich so schnell nicht vergessen.
„Tis this time of the year again“
„Tis this time of the year again …“ – das sind die Worte, die einem jetzt überall begegnen, egal ob es um Spendengesuche, Schulinformationen zur Festzeit oder Aufrufe zur Grippeschutzimpfung geht. Was die Verabschiedungsformel im öffentlichen Leben angeht, kann man auf den November aufbauen und braucht sich zum Dezember gar nicht umzugewöhnen: „Happy Holidays!“ bzw. „Have a nice Holiday!“. Was zum Thanksgiving-Fest passte, ist auch jetzt noch aktuell, man liegt damit immer goldrichtig und tritt keinem auf die Füße. Bei Leuten, die man jeden Tag sieht, sagt man natürlich weiterhin „Have a nice day“! Der schriftliche Gruß (auf Karten oder in Geschäften) ist neben „Happy Holiday!“ auch oft „Seasons’ Greetings“. Kein Adventskranz Die Weihnachtszeit ist hier viel kürzer als in Deutschland, weil wir im Oktober und November noch voll mit Halloween und Thanksgiving beschäftigt waren. Wir gehen also frisch und unverbraucht in die Weihnachtswochen im Dezember – wie angenehm – und verpassen glatt die ersten zwei Adventssonntage. Der Brauch mit dem Adventskranz ist hier sowieso nicht so verbreitet – jedenfalls sehe ich keinen einzigen Adventskranz in den Geschäften, und die öffentlichen Schulen unserer Kinder haben ja sowieso keinen (keine religiösen Feste an public schools).
Nicht besinnlich, aber stimmungsvoll
Unmittelbar nach Thanksgiving machen sich die Leute an die Arbeit und schmücken ihre Häuser und Vorgärten. Auch in der Stadt und in den Geschäften taucht flächendeckend üppige weihnachtliche Dekoration auf. Ein „must-have“: die grünen Kränze aus echtem Tannengrün, die mit roten Schleifen und Lichterketten festliche Stimmung verbreiten (also quasi wie deutsche Adventskränze, nur ohne Kerzen). Sie hängen an Haustüren und Fenstern, an öffentlichen Gebäuden, Kirchen, Polizeistationen und Feuerwachen, an den Anzeigetafeln auf den Sportplätzen, an Tankstellen, vorne an Kühlern der Autos und sogar an Grabsteinen habe ich einige gesehen. Und in Morristown hat JEDE Straßenlaterne einen dieser grünen Kränze mit Schleife drumherum – das wirkt einfach feierlich. Viele Bäume sind mit Lichterketten umwickelt und verbreiten Festtagsstimmung in der Nacht. Morristown könnte jedenfalls glatt als Kulisse für einen schmalzigen amerikanischen Weihnachtsfilm herhalten! Zugegeben: Es gibt einige Leute, die es zu gut meinen und ihr Haus und ihren Vorgarten tatsächlich komplett mit Leuchtfiguren zustellen. Und es stimmt ebenso, dass das Schmücken anscheinend ansteckend ist (jedenfalls kommt eine verrückte Person selten allein). Auch Krippen, die es hier in allen Größen und Ausführungen gibt und die oft in Parks aufgebaut werden, sind manchmal schon nicht mehr grenzwertig, sondern eindeutig kitschig. Aber das scheinen eher Randerscheinungen zu sein.
Tschüss Flip-Flops
Pünktlich zu Beginn des Monats kippt bei uns endgültig das Wetter von Spätsommer auf Herbst/Winter. Die Temperaturen sinken unter die T-Shirt-Marke und wir haben nun alle Sommersachen weggepackt. Rückblickend kann ich sagen, dass unsere Kinder noch nie so viel und so lange ihre T-Shirts, kurzen Hosen und kurzen Pyjamas angezogen haben – also, der bisher längste Sommer unseres Lebens – von Anfang April bis Ende Oktober! Anfang November verlieren viele Bäume jetzt ihr Laub innerhalb weniger Tage, und die herunterfallenden Blätter erinnern manchmal an Schneeflocken, da sie in großen Mengen vom Wind wild durch die Luft gewirbelt werden. Die Flip-Flops sind alle verschwunden, und von einem Tag auf den anderen tragen hier ganz viele eine „North Face“-Jacke (die gibt es hier in den Outlet Malls ziemlich preiswert). Nur der UPS-Mann fährt noch mit sommerlicher Kleidung bei offener Tür herum – einer von diesen Amerikanern, die auch im Winter in T-Shirt und kurzen Hosen anzutreffen sind. Aber die Zeichen, die auf Winter stehen, sind unübersehbar: Viele Pick-ups haben bereits ein Paar Extra-Scheinwerfer vorne höher montiert, um bei Bedarf sofort die Schneepflüge zu montieren, mit denen sie dann die Straßen von Schnee freiräumen. Ebenso stecken schon einige Leute ihre Einfahrt mit Schneemarkierungen (Eisenstangen mit rot-weißen Ringeln) ab. Diese langen Pinne dienen nicht etwa nur dazu, die Höhe des Schnees zu erkennen (wie ich am Anfang dachte), sondern auch, unter einer geschlossenen weißen Schneedecke relevante Dinge wiederzufinden (wie z. B. seine Einfahrt oder den Hydranten (diese haben ebenfalls rote Stangen – dagegen zu donnern, wäre nicht so ratsam). Im ganzen Herbstgestöber bzw. bei den Wintervorbereitungen gibt es aber dennoch die Gewissheit vom sicher kommenden Frühjahr: Die zahlreichen Magnolienbäume haben schon ganz dicke Blütenknospen angesetzt – darauf freue ich mich jetzt schon! Drei Wochen nach Deutschland halten auch wir die Zeit eine Stunde an und nun ist es, Ende November, tatsächlich um 17 Uhr richtig dunkel. Wer hier vergisst, in welche Richtung die Uhr gestellt wird, findet Hilfe im kleinen Reim: „Spring forward, fall back“ spring (Frühjahr/springen) = nach vorne fall (Herbst/fallen) = nach hinten/zurück
Turkey Trot
Das heißt übersetzt „Truthahn Traberei“ und bedeutet ein bisschen Bewegung vor dem Festmahl! Um im Bauch Platz für den Truthahn zu bekommen, laufe ich morgens an Thanksgiving noch einen 5-km-Lauf mit. Beeindruckend ist mal wieder die Anstelldisziplin der Leute vor den Dixie-Klos (zwei 50 Meter lange Schlangen – hier schlägt sich wirklich niemand in die Büsche). Vom 5-Kilometer-St.Patties-Lauf im März bin ich „vorgewarnt“: Unterwegs wird die zurückgelegte Distanz in Meilen und nicht etwa in Kilometern angegeben. Heißt: Beim 3-Meilen-Schild kann man in den Endspurt starten, denn dann hat man es fast geschafft (5 km = 3,1 Meilen).
Bunt. Bunter. Am buntesten.
Wir haben diesen Monat den Indian Summer in vollen Zügen genossen. Also, solltet ihr überlegen, eine Reise an die Ostküste zu machen, kann ich euch den September/Oktober nur empfehlen: Angenehme Temperaturen und einfach wunderschön verfärbte Bäume, die in Gelb, Orange und Rot leuchten. Wenn man nicht wüsste, dass sie echt sind, könnte man glatt glauben, dass da jemand nachgeholfen hat. Im Gegensatz zu Deutschland behalten hier die Bäume ihre farbigen Blätter noch für viele Wochen – ich konnte mich gar nicht satt dran sehen. Das Blättersammeln weckt Glücksgefühle wie beim Muschelnsammeln, denn eins ist schöner als das andere und hinterher hat man viele kleine Schätze. Mein Tipp: Kommt einfach selber gucken! Laub. Mehr Laub. Noch mehr Laub. Nicht so schön ist der Lärm von den Laubgebläsen, die jetzt allgegenwärtig das Laub auf dem Boden zusammenpusten. An den Straßenrändern liegen riesige Haufen mit braunen Blättern – bei mir kommen schon die Erinnerungen an den Schnee hoch, der ja ebenfalls bald wieder an den Straßenrändern aufgekippt wird und die Straßen enger macht. Manchmal muss man einfach durch die mannshohen Laubberge stapfen, um auf die andere Seite zu kommen – ähnlich wie beim Schnee. Stare und noch mal Stare. Immer wieder beobachten wir Stare, die in großen Schwärmen aufsteigen, um sich dann wieder alle gemeinsam über einen Rasen herzumachen und Würmer zu picken. Wenn ihre Schatten an den Bäumen vorbeihuschen, erinnert das eher an Fledermausschwärme: Sie tauchen völlig überraschend auf, dafür aber in wirklich unvorstellbar großen Mengen, und lassen sich dann unvorhersehbar alle gleichzeitig nieder – beeindruckend und auch ein bisschen beängstigend. Wenn man mit dem Auto in so einen Schwarm gerät, muss man schon auf die Bremse treten.
Man sieht viel mehr
Auf unseren Touren zu Fuß konnten wir dann auch schon einige nette Begegnungen erleben: Wir haben mit einer Señora geplaudert, die gerade Petersilie im Garten erntete (aha, es gibt also doch Biogemüse im Vorgarten hier), wir haben einen Zimmermann interviewt, der ein 120 Jahre altes Holzhaus reparierte (welches bedenklich schief war, aber der Handwerker erklärte uns, dass sie bei „Schrägstellungen“ die entsprechenden Löcher – bis zu fünf Zentimeter – einfach mit Holzkeilen unterstützen und so dem Haus wieder Stabilität geben), wir haben viele Kinder und Jugendliche gesehen, die auf den Spielplätzen Ball spielen – und last but not least, die sehr gute Pizzeria „El Suvio“ entdeckt, wo ich mit Theo und Tim jetzt jeden Freitag nach der Schule Pizza essen gehe. Und siehe da, ganz von selbst machen unsere Kinder wieder die Dinge, die sie auch in Deutschland gemacht haben: Stöcke, Steine und Blätter sammeln, im Dreck spielen, Tiere entdecken wie eine Katze mit Jungem im Maul, einen Adler, der eine Schlange schlägt, ein Kaninchen, das man sehr selten hier sieht (jetzt legen wir jeden Tag eine Möhre dort ab).
Gefahr beim Straßenüberqueren
Und es ist uns noch ein Licht aufgegangen: Im Stadtkern von Morristown ist das Überqueren von Ampeln kein Problem, auch für Kinder nicht. Die Autofahrer sind aufmerksam, es gibt meist nur eine Geradeausspur und alle fahren eh langsam. Anders sieht es außerhalb aus, in Richtung von Theos Schule. Dort ist das Überqueren von Ampeln als Fußgänger/in tatsächlich nicht ohne bzw. für Kinder ganz schön gefährlich. Zum einen fahren die Autos oft sehr zügig (also über den erlaubten 25 Meilen/Stunde), rechnen in diesem Teil der Stadt dann auch nicht mit Fußgänger/innen und passen daher weniger auf. Zweitens dürfen die Autos hier auch bei roter Ampel rechts abbiegen. Das führt dazu, dass der Weg, den man als Fußgänger/in an einer Ampel zurücklegt, von drei Seiten durchquert werden kann (rechts- und linksabbiegende Autos der parallel fahrenden Autos (wie in Deutschland), aber eben auch Wagen von der in Deutschland sicheren Seite (einmündende Straße). Und da bei Rot oft dicke Autos und Trucks an der Kreuzung warten (zum Geradeausfahren und Linksabbiegen), haben die Rot-Rechtsabbiegenden Leute in der Spur daneben dann eine sehr schlechte Sicht (nach links) und fahren einfach bis zur Sichtlinie vor – tja und da sind eben wir, die zu Fuß unterwegs sind. Also: Alleine dürfen Theo und Tim an ihrer Schule nicht über die Ampel gehen! Ich muss schon alle meine Sinne offenhalten und für die Autos mitdenken, dann ist es o.k. Das Laufen hat nur Vorteile für uns: Wir bewegen uns, sind draußen an der Luft, können einen Bogen um die gefährlichen Parkplätze machen und bekommen leichter Kontakt zu den Leuten hier. Ich hoffe, das Wetter bzw. der Schnee machen uns nicht zu schnell einen Strich durch diese schöne Rechnung.
Pumpkins
Zur Einstimmung ein Gedicht, das Tim auswendig lernen musste: Pumpkin Pumpkin, pumpkin Big and round I’m glad you grow Upon the ground I’m glad you don’t Grow in a tree, For then you might Fall down on me. Was im September anfing, erreicht im Oktober seinen Höhepunkt: die pumpkin-Saison. Egal ob Schule, öffentliches Leben oder eigenes Haus – um Kürbisse kommt niemand herum. Man sieht sie überall zur Dekoration (in den Geschäften, in den Vorgärten), es gibt besonders viele Gerichte mit Kürbis, und in den Cafés gibt’s Kürbiskaffee zu trinken („Pumpkin Spice Latte“ oder “Pumpkin Chai “). Da ich keinen Kaffee trinke, kann ich leider nicht sagen, wie der schmeckt. Der Kürbiskäse mit Zimt schmeckt für mich jedenfalls eher gewöhnungsbedürftig. Und in der Schule gibt es den „pumpkin science day“, wo die Kinder Kürbisse messen, wiegen, aushöhlen usw.
Hilfe, Biss-Spuren!
Selbst wir zuhause besitzen jetzt eine stolze Sammlung von 16 Exemplaren, um die es schon ein kleines Drama gab. Die Kinder hatten den Kürbissen zunächst Gesichter gemalt, und ich hatte sie dann nach dem Vorbild vieler Nachbarsfamilien zur Dekoration vor die Haustür gestellt. Eines Morgens gab es fürchterliches Geschrei und Tränen, als die Kinder Biss-Spuren und geknabberte Löcher an ihren Kürbissen entdeckten. Das waren wohl die squirrels oder Streifenhörnchen, die sich da bedient hatten. Die anderen Familien haben mir dann ihre Tricks verraten: Haarspray draufsprühen oder den Kürbis in Bleichmittel oder einem Aufguss von roten Pfefferkörnern baden. Vicks VapoRub soll auch gut funktionieren. Die Kinder waren von all dem nicht überzeugt und so sitzen unsere Kürbisse jetzt wieder bei uns im Haus, sicher und mit Knetgummi und Pflaster repariert.