Unser erstes Thanksgiving

Als Anhaltspunkt für Thanksgiving kannten wir bisher nur Spielfilme, die vom Leben bzw. vom Chaos an diesem Tag erzählen: die Anreise (an keinem Tag im Jahr, auch nicht an Weihnachten, sind so viele Amerikaner/innen nach Hause unterwegs!), das Zusammentreffen großer Familien (mit allem was dazu gehört, auch den Familienkrisen) und natürlich das opulente Thanksgiving-Mahl („Thanksgiving Feast“), wo der Truthahn im Ofen brutzelt, die Kinder die alten Tanten ärgern, die Männer „Football“ gucken und sich alle so rund essen, dass sie sich abends kaum mehr rühren können.   Nun zu unseren Erfahrungen: Schon in den Wochen davor ist es nicht zu übersehen, dass das Fest tatsächlich eine große Bedeutung hat: Viele Geschäfte machen an diesem Tag früher zu, alle Mütter reden beim Abholen der Kids von der Schule über die Vorbereitungen (viele kochen direkt mehrere Truthähne für über 30! Leute – viele Küchen haben daher tatsächlich zwei Backöfen eingebaut), in den Kühlregalen verdrängen medizinballgroße Truthähne alles andere (wo ist denn jetzt die Salami?) und an Tims Schule wird von der sonst ultra strikt durchgeführten Richtlinie „no food“ bei Partys abgewichen.

Party Nutrition Guidelines

Diese E-Mail erreichte mich von der Class-Mom (vergleichbar mit einer Elternpflegschafts-vorsitzenden) von Tims Klasse: Hi Everyone, We will be having a party on Wed. Nov. 24 at 11:10 in the class room. We are allowed to bring food! I have attached the food guidelines for you. …. Linda Diese Richtlinien sind schon eine Nummer für sich – hier gilt es, sich zuerst schlau zu machen, bevor man das Falsche kauft: keine zuckerhaltigen Getränke, keinen Kuchen oder Kekse, nichts mit Erdnüssen, geschnittenes Gemüse nur fertig aus dem Geschäft, nur fettarmer Mozzarella, generell keine Lebensmittel über acht Gramm Fett pro Portion. Bei Geburtstagsfeiern ist dann Essen direkt komplett verboten („foodless“)! Was man den Kindern (nicht!) mitgeben darf: The following Party Nutrition Guidelines for the Morris School District need to be followed at all parties and celebrations held at school. This includes holidays and any school-wide or classroom celebrations, except for birthday celebrations which are foodless. The Party Nutrition Guidelines are consistent with the Morris School District nutrition policy, as well as Board of Health Guidelines. Please do not send: Foods and drinks with high sugar content or sugar listed as the first ingredient, including: cookies, cakes, cupcakes, candy of any kind, and soda (regular or diet). Peanuts or foods containing peanuts. Foods with more than 8 grams of fat per serving. Here are some ideas for healthier party foods: Fresh fruit: You may bring whole fruit from home. Cut fruit must come from a store. It can be served with yogurt dip. Dried fruit Fruit leathers: No Fruit Rollups or other brands with added sugar. Look for brands that are all natural, with no added sugar. Fruit popsicles: Made with real fruit and/or 100% fruit juice only. Veggies and dip: Cut up vegetables must be purchased from a store, not prepared at home. Whole grain muffins: Fruit may be added. Baked goods can be prepared at home. Mini rice cakes Baked tortilla, pita, potato or bagel chips with salsa or other dip, such as hummus (under 8 grams of fat/serving) Low fat popcorn Pumpkin seeds or Sunflower seeds Pretzels – plain or …

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Ein bisschen Geschichte vom Thanksgiving feiern

Die fast facts (so nennen die Leute hier oft „Hintergrundinformationen“) zu Thanksgiving: Das erste Thanksgiving wurde 1621 von den Pilger/innen in Plymouth gefeiert, nachdem sie ihre erste erfolgreiche Ernte dank der hilfreichen Tipps der „Indianer“ (Native Americans) eingefahren hatten. Sie gaben ihren Dank an Gott (give thanks) und feierten fröhlich mit den Ureinwohnern gemeinsam. Soweit zumindest die Fassung in preschool und Grundschule, die unsere Kinder hier lernen. Für alle, die an einer etwas differenzierteren Darstellung der Ereignisse interessiert sind, hier die Perspektive des National Museum of the American Indian: Thanksgiving Flyer Abraham Lincoln hat 1863 daraus einen nationalen Feiertag gemacht, und seitdem gibt es immer am vierten Donnerstag im November das Truthahnfest. Fest steht, dass an keinem anderen Tag im Jahr so viele Amerikaner/innen tatsächlich frei haben und in ihren Familien zusammenkommen. An Thanksgiving hält das Land inne und kommt kurz zur Ruhe. Thanksgiving steht übrigens am Anfang der sogenannten „Holiday Season“ (holiday = Feiertag/ Festtag, und nicht etwa „Ferien“, wie wir das im Englischunterricht der Schule gelernt haben. „Ferien“ sind im Amerikanischen „vacation“). Es läutet die ganz besondere Zeit ein, in der dann verschiedene religiöse und kulturelle Feste im Dezember gefeiert werden. Die „Holiday Season“ schließt ab mit „New Year’s Day“, also dem 1. Januar. Danach ist der Zauber schnell vorbei und es gibt wieder „business as usual“.

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Wir wappnen uns

Schon seit Mitte November rufen einem die Kassierer/innen „Happy Holiday!“ zum Abschied zu (anstelle von „Have a nice day“). Damit wir nicht ganz unvorbereitet auf das Fest treffen, nehmen wir einige Aktivitäten mit, die hier angeboten werden: Turkey trekking Das ist die Spurensuche nach Truthähnen bzw. Puten: Wir besuchen mit Theo (8) und Tim (6) den lokalen Naturschutzpark und erfahren, dass es hier tatsächlich wilde Truthähne gibt, die bis zu 55 Meilen/Stunde fliegen können (wenn auch nur für einige Meter). Sie wiegen zwischen fünf und elf Kilo, haben super gute Augen, sind daher sehr schwer zu jagen und fliegen genau zwei Mal am Tag: Morgens vom Baum runter, abends wieder rauf zum Schlafen. Wie man auf dem Foto sieht, sind Truthähne ja nun wirklich nicht besonders hübsch, aber dafür schmecken sie gut. Die „Vögel“ in den Lebensmittelgeschäften sind inzwischen mehrheitlich mit einem „pop-up timer“ ausgestattet (Paul (3): „Was ist das für ein blauer Knopf, da?“) – wenn das Fleisch gar ist, dann springt der blaue Kolben raus – fertig.

Ein bisschen einkaufen

So richtig in Stimmung kommen wir beim Einkaufen: Ich schiebe zwei voll beladene Einkaufswagen zur Kasse und bin wieder mal platt, als sich eine Angestellte vom Laden freundlich anbietet, mir beim Schieben zu helfen. Als wir gemeinsam rausgehen, steht dann draußen ein Mann, der laut mit seiner metallenen Glocke herumbimmelt, um Geld für eine Wohltätigkeitsorganisation zu sammeln (wie in den Fernsehfilmen halten die Leute diese Glocken tatsächlich mit der offenen Seite nach oben – in Deutschland hält man die doch eher nach unten, oder?). Am Auto angekommen flötet mir die Verkäuferin noch ein fröhliches „Happy Holiday!“ entgegen – und ich fahre gut gelaunt nach Hause mit weihnachtlicher Festtagsstimmung im Bauch.

Turkey Trot

Das heißt übersetzt „Truthahn Traberei“ und bedeutet ein bisschen Bewegung vor dem Festmahl! Um im Bauch Platz für den Truthahn zu bekommen, laufe ich morgens an Thanksgiving noch einen 5-km-Lauf mit. Beeindruckend ist mal wieder die Anstelldisziplin der Leute vor den Dixie-Klos (zwei 50 Meter lange Schlangen – hier schlägt sich wirklich niemand in die Büsche).   Vom 5-Kilometer-St.Patties-Lauf im März bin ich „vorgewarnt“: Unterwegs wird die zurückgelegte Distanz in Meilen und nicht etwa in Kilometern angegeben. Heißt: Beim 3-Meilen-Schild kann man in den Endspurt starten, denn dann hat man es fast geschafft (5 km = 3,1 Meilen).

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Gemeinsam feiern

Ich hatte mir ja eigentlich fest vorgenommen, endlich mal unseren XXL-Backofen voll auszureizen, in den man zwei runde Pizzen nebeneinander bequem reinschieben kann, aber dann haben wir überraschend eine Einladung von einer deutsch-amerikanischen Familie bekommen – und das ist natürlich noch viel besser als alleine zu feiern, was für eine Ehre! Und so erleben wir einen Thanksgiving-Tag, der geprägt ist von großer Gastfreundschaft, sehr leckerem traditionellem Essen, dem üblichen Kinderchaos und auch etwas Extra-Zeit für interessante, entspannte Gespräche. Zum Entzücken der Kinder fallen sogar die ersten Schneeflocken in diesem Winter. Auch Marc kann das Fest rundum genießen, denn bei ihm im Büro läuft an diesem verlängerten Wochenende einfach nichts, weil alle zu Hause feiern – ein Gefühl wie Weihnachten, nur ohne Geschenke.

Black Friday und Cyber Monday

Und jetzt kommt ein harter Bruch, genauso wie im echten Leben. Denn nach Thanksgiving kommt traditionell am nächsten Tag der „Black Friday“. Das ist der Freitag, an dem im Einzelhandel die Kundschaft mit Hammerangeboten in die Geschäfte gelockt und das Weihnachtsgeschäft („holiday shopping“) eingeläut wird. Ab diesem Tag werden „schwarze Zahlen“ geschrieben (so zumindest eine Erklärung des Begriffs „black friday“). Noch in der Nacht machen einige Geschäfte auf: Toys„R“us um 22 Uhr, andere folgen um drei bzw. vier Uhr morgens. Manche Leute kampieren tatsächlich schon abends bzw. nachts vor den Geschäften, um noch eins von den begehrten Schnäppchen zu bekommen (meist große Elektro-Dinge). Ihr sonst so diszipliniertes Anstellverhalten scheinen die Amerikaner/innen im Angesicht unschlagbarer Angebote an diesem Tag zu vergessen – vor zwei Jahren wurde bei Wal-Mart ein Sicherheitsmann beim Öffnen der Türen von den Horden überrannt und dabei getötet.   Black Friday ist laut Wall Street Journal wahrscheinlich auch in diesem Jahr wieder der No.1-Verkaufstag im Einzelhandel – 138 Millionen Käufer/innen werden erwartet. Wir verdauen lieber in Ruhe das Festmahl und genießen die ruhige Zeit mit Freunden und Familie. Einige Mütter hatten mir schon vorher sehr lebensnah ihre Erfahrungen beim nächtlichen Anstellen bzw. stundenlangen Stehen im Stau vom letzten Jahr berichtet. Cyber Monday ist der darauffolgende Montag, an dem die Leute durch Angebote motiviert werden sollen, online besonders viel zu kaufen. Aber auch der ließ uns kalt. So war unser erstes Thanksgiving eine vier Tage dauernde, vom Himmel fallende Auszeit mitten im November – ein durchweg positives, sehr stimmungsvolles Erlebnis.

Höhen und Tiefen

Ole (5) und Paul (3) „laufen“ recht gut bzw. unverändert: Ole macht jetzt sogar manchmal in seiner preschool bei der Spanisch-Klasse mit Señora Alto mit, während Paul nach wie vor komplett stumm bleibt (will er nicht? kann er nicht?), ansonsten aber unbeirrbar gute Laune verbreitet.   Mit Morena, unserem Au-pair, erleben wir hier so unsere Höhen und Tiefen. Durch ihre Hilfe im Haushalt und mit den Kindern bin ich zwar ein gutes Stück entlastet, aber sie gibt uns auch schon einmal Einblicke in das Leben mit Teenagern: Sie ist unstet und irrational, zeigt extreme Stimmungsschwankungen und ein richtiges Diva-Verhalten – so etwas kenne ich von unseren Jungs überhaupt nicht. Marcs Vermittlungsgeschick ist es zu verdanken, dass sie noch bei uns ist. Unser Motto jetzt: abwarten und uns zusammenreißen. Ende November hört leider auch unsere Babysitterin Judith auf, die von Anfang an einmal die Woche auf die Jungs aufgepasst hat. Sie geht jetzt Vollzeit arbeiten. Das ist super schade, weil sie einfach die einzige war und ist, die auf alle vier gleichzeitig aufpassen konnte. Für unsere „off-Tage“ müssen Marc und ich uns jetzt also etwas anderes überlegen, da Morena mit vier Kindern überfordert ist.