Marc erzählt: Für das Leben in den USA ist ein lokaler Führerschein sehr hilfreich (Begegnungen mit der Polizei, Versicherungsbeiträge). Offiziell darf man in New Jersey nur 60 Tage mit einem out-of-state-Führerschein fahren, danach sollte man die New Jersey Driver‘s License machen. Ich hatte mir für diese zwei Wochen auch noch das Thema Führerschein (nur den Theorie-Test) vorgenommen. Um einen Führerschein zu beantragen, benötigt man fünf ID-Punkte – in den USA gibt es kein Melderegister und der Führerschein ersetzt den Personalausweis. Damit man den bekommt, muss man fünf Dokumente vorlegen, die beweisen, dass man der ist, der man vorgibt zu sein – dazu gehört eine Strom- oder Gasrechnung, eine aktuelle Kreditkartenabrechnung, ein Gehaltscheck o. ä.! Damit geht man zum Department of Motor Vehicles (DMV) und muss einen schriftlichen Test absolvieren. Nach Bestehen bekommt man die New Jersey Driver‘s License. In den zwei Wochen wollte ich eigentlich für den Test lernen, konnte mich aber wegen des ganzen Aufbaus der Möbel usw. nicht dazu motivieren. Am Freitag der zweiten Woche bin ich dann mit meinen fünf Dokumenten einfach zum DMV, habe 30 der 40 Fragen richtig beantwortet und dann bei den verbleibenden 10 Fragen so lange geraten, bis ich die notwendigen 32 Punkte zusammenhatte. Damit hatte ich das Thema Führerschein auch in dieser Woche erledigt und konnte doch noch nach Hause fliegen.
Vorbereitungen in den USA
„New York, New York” oder „California Dreaming”? Direkt nachdem Marc die Gründung der Firma beschlossen hatte, folgte die Frage, wo wir uns denn nun ansiedeln wollten. Die erste Idee war San Diego, weil das Wetter dort einfach perfekt ist und ein großer Kunde von Marc in der Stadt seinen Sitz hat. Alternativ kam natürlich New York bzw. New Jersey in Frage, weil hier Verizon seinen Hauptsitz hat. Für die Ostküste sprach die deutlich bessere Logistik: Es gibt tägliche Nonstop-Flüge von Düsseldorf nach Newark und die Zeitverschiebung beträgt nur sechs Stunden. Aber San Diego hat wirklich ein Traumklima, und von dort ist man schnell im Silicon Valley. Puh, gar nicht so einfach, wer die Wahl hat, hat eben die Qual … Look and see-Trip, der erste Also sehen wir uns beide Städte an. Was steht auf dem Programm? House hunting mit Maklerinnen und Maklern, diverse Schulen besuchen, Sportvereine abchecken, die beiden Städte genauer angucken. Und ein Besuch bei SeaWorld in San Diego ist auch drin. San Diego – „Americas Finest City“ San Diego liegt an der Pazifikküste in Kalifornien und ist mit ca. 1,3 Millionen Einwohner/innen die zweitgrößte Stadt im Sunshine State. Sie ist bekannt für ihre Strände (Wellenreiten!), Parks (z. B. mit dem San Diego Zoo) und ihr mildes Klima (Jahresdurchschnitt 17 Grad!). Die Stadt hat sich in den letzten Jahren zu einem der bedeutendsten Zentren der Telekommunikations- und Biotechindustrie entwickelt. Unser Eindruck: sehr sympathisch und „jung“, direkt am Wasser, schöne Laufstrecke am Hafen … ja, hat etwas von Traumstadt, aber puh, ist ganz schön heiß (über 30 Grad). Viele der Häuser, die wir uns angucken, liegen in sogenannten „gated areas“ – d. h. man kommt nur durch ein bewachtes Tor ins Viertel – und das Ganze ist von einem hohen Zaun umgeben. Was mich stört: Es gibt keine Geschäfte in Laufnähe, die Spielplätze der Wohnviertel sehen „un-einladend“ und kahl aus in der brütenden Hitze. Was soll ich da den ganzen Tag mit den Kindern machen? Die Häuser wirken auf mich kalt und ungemütlich, weil sie (sinnvollerweise) viele Fliesenböden haben. Dann noch Besuch einer strip mal (Einkaufsmeile): Uauh! Die Geschäfte …
New Jersey: Morristown
Unser Eindruck von Morristown in New Jersey – weniger „exotisch“ und „exklusiv“, kein Wasser, direkt „drei Nummern kleiner“ als San Diego, eher kleinstädtisch, ältere Gebäude, aber sehr sympathisch, viele verschiedene Kulturen, viel Spanisch und andere Sprachen, echter Stadtkern und in der Innenstadt alles gut zu Fuß erreichbar (Bibliothek, Restaurants, Park, Eisdiele, Bank, Lebensmittelgeschäfte, Schule). Aber auch ganz schön heiß (über 30 Grad)… puh! Beeindruckend hohe Bäume und einige „wilde Tiere“ – unser Makler muss zweimal eine Vollbremsung hinlegen, weil ein Reh auf die Straße springt … Aber dafür haben wir kein Problem, ihn zu verstehen, wenn er uns etwas erklärt (klingt nicht ganz so „breit“ amerikanisch) 🙂 . Die Häuser, die wir uns angucken, sind alle aus Holz gebaut, teilweise etwas düster drinnen wegen der kleinen Fenster. Aber sie wirken meist gemütlich mit Parkettboden und offenem Kamin, farbenfrohen Blümchentapeten, goldenen Türklinken (egal) und dicken Ami-Teppichen. Sie sind mir auf jeden Fall viel sympathischer als die Häuser in Kalifornien. Besuch einer Grundschule in Morristown Wieder staunen wir – viel kleinere Klassen (ca. 16 Kinder mit zwei Lehrkräften – eine/r davon ist eine sogenannte Hilfskraft). Da noch Ferien sind, sehen wir keine Kinder. Die Wände der Klassenzimmer sind vollgeklebt mit tausend Lernplakaten. Wir bekommen einen Mensaplan in die Hand gedrückt (ungesundes Essen wie z. B. Pizza, Nudeln mit Käse, Sandwiches). Zurück im Hotel google ich und siehe da – New Jersey gehört zu den fünf Staaten in Amerika, die am meisten pro Kind für die Bildung ausgeben (über ein Drittel mehr als der Durchschnitt). Kalifornien liegt weit abgeschlagen, je nach Berechnungsweise, sogar auf dem 46ten(!) Platz (die USA haben 50 Staaten).
Unsere Entscheidung
Mein Kopf- und mein Bauchgefühl sind sich schnell einig: Morristown ist richtig für uns als Familie. Die Stadt hat „Geschichte“ auf dem Buckel, einen echten kleinen Stadtkern, überragend gut aufgestellte öffentliche Schulen und überschaubare Dimensionen, so dass wir auch zu Fuß unterwegs sein können. Das geht in San Diego nur sehr bedingt. Marc kann sich beides vorstellen, aber ich gebe Morristown den Zuschlag. Look and see-Trip, der zweite Zwei Monate vor dem Umzug fliegen Theo (7) und Tim (5) mit Opa Paul für eine Woche rüber nach New Jersey, um sich das Haus und vor allem ihre Schule einmal anzuschauen. Marc wohnt bereits in unserem Haus dort und so können sie sich schon etwas eingewöhnen. Theo und Tim gehen „zum Schnuppern“ in die Hillcrest School, also die Schule, in die sie zwei Monate später wechseln werden. Sie machen direkt einen Englischtest, der natürlich zeigt, dass sie erst sehr, sehr wenig Englisch können. In unserem school district gibt es ein ESL-Programm (English as a Second Learner), mit dem Kinder, die die englische Sprache gerade erst lernen, entsprechend gefördert werden. Dies findet in Kleingruppen während der normalen Unterrichtszeit statt. Das ESL-Programm ist vor vielen Jahren ins Leben gerufen worden, um die vielen Kinder der Hispanics, die ebenfalls noch kein Englisch können, aufzufangen und zu fördern. Nach der Rückkehr ist Theo sichtbar ruhiger und kann sich besser auf den Umzug einlassen.
Vorbereitungen im neuen Haus
Nachdem unsere Entscheidung für Morristown gefallen war, haben wir das Haus in der Carton Road gemietet. Es war kurz nach der Immobilienkrise und wir hätten das Haus auch günstig kaufen können, aber wir wollten ja nur auf Zeit in den Staaten bleiben. Das Haus war groß und völlig leer, aber sehr nett gelegen. In den Herbstferien 2009 ist Marc für zwei Wochen in die USA geflogen, um unser neues Zuhause vorzubereiten und zu möblieren. Denn wir behalten unser Haus in Deutschland und lassen daher auch die Möbel dort. Marc hat die Räume ausgemessen und mehrere Videos gedreht, die er mit mir durchgesprochen hat. So konnten wir abklären, welche Möbel wir in jedem der Zimmer aufstellen wollten. Dann ist er gefühlte hundertmal zu Ikea nach Elisabeth gefahren, um entweder Möbel zu bestellen oder abzuholen. Es fehlte jedes Mal irgendwas und er hat in der Zeit eine regelrechte IKEA-Allergie entwickelt. Parallel gingen seine Aufgaben in der Firma in Europa und in den USA weiter, d. h. zwischendurch musste er Mails beantworten und Entscheidungen treffen – eine echte Herausforderung …
Vorbereitungen in Deutschland
Ein Leben voller To-do-Listen Die Vorbereitungen in Deutschland sind nicht ganz so umfangreich wie in den USA, aber Kleinvieh macht ja bekanntlich auch Mist. Marc ist in den Monaten vor unserer Abreise fast nur in New Jersey, so dass ich die meiste Zeit mit den Kindern allein in Deutschland bin. Langeweile kommt also nicht auf. 🙂 Was gibt’s in Deutschland zu tun? rechtzeitig Elternzeit einreichen (Britta) Visum in Frankfurt beantragen (wir alle, Marc und Britta persönlich) Auto abmelden und für die lange Ruhezeit präparieren (unseren VW-Bus behalten wir) Nachsendeauftrag einrichten ausgiebige Gesundheitschecks, v. a. die Zähne in Ordnung bringen kündigen, kündigen, kündigen: Zeitung, Abos, Kindergarten, Musikschule, Turnvereine, Essensgeld Kita, Au-pair, Fördervereine, GEZ, Telefon, Müll, Krankenversicherung (ruhen lassen) … unsere Medikamentenvorräte auffüllen, z. B. das Rectodelt für Pauls Pseudokrupp Haus aufräumen Platz für Untermieter/innen machen alle Lebensmittel verschenken Aber wir behalten auch eine ganze Menge: Allem voran – unser Haus! Es steht fest, dass wir nur auf Zeit umziehen (zwei bis drei Jahre), also brauchen wir bei unserer Rückkehr nach Deutschland wieder ein Zuhause. Solange wir weg sind, ziehen eine Freundin und mein Bruder ein.
Countdown – die letzten drei Wochen vor dem Abflug
Wir kommen aus dem Feiern irgendwie nicht mehr raus – Tim wird 6 Jahre jung, Marc 38 Jahre alt. Im Indoor-Spielplatz richten wir (Geburtstags-)Abschiedsfeiern für Theo und Tim aus. Auch Tim und Ole werden von ihren Spielkamerad/innen im Kindergarten mit einer kleinen Feier verabschiedet und bringen Abschiedsgeschenke mit nach Hause: eine Kollage mit Fotos von ALLEN Kindern und Erzieherinnen, und Theo bekommt von seinem besten Freund ein gerahmtes Foto von beiden. Bei unserer Abschiedsparty für Freunde und Familie kommen trotz wilden Schneetreibens ganz viele und sagen uns auf Wiedersehen. Das ist schon etwas Besonderes, dass sich so viele Zeit für uns nehmen. Für unsere Gäste gibt’s „Hamburger“ und amerikanisches Bier – für uns gibt’s als Abschiedsgeschenk jede Menge Lieblingsrezepte inklusive Foto und E-Mail-Adresse. Die Rezeptblätter, teilweise sehr liebevoll und kreativ gestaltet, passen alle noch mit in den Koffer. Jetzt können wir bei akutem Heimweh die Trauer einfach „wegkochen“ (und haben alle aktuellen E-Mails auch direkt dabei). Was die Vorbereitungen für die Abreise angeht, so ist jetzt nicht mehr viel zu tun – wir haben gute Vorarbeit geleistet und das meiste schon hinter uns gebracht.
Countdown – die letzten 24 Stunden
Der Großteil unserer 15 Koffer ist bereits fertig gepackt und blockiert den ganzen Hausflur. Ole und Tim haben noch einen Freund zum Spielen da, aber die unmittelbar bevorstehende Abreise liegt natürlich zum Greifen nahe. Einen Teil der Koffer bringen wir schon zum Flughafen, weil wir das sonst mit zwei Autos am nächsten Tag nicht schaffen. Dann bricht der letzte Abend an: Oma, Opa und unsere Geschwister sind gekommen, um uns ein letztes Mal zu drücken und uns alles Gute zu wünschen. Die Stimmung ist gut und es liegt gespannte Vorfreude in der Luft (jedenfalls bei uns). Ich bin ganz ehrlich froh, dass es jetzt nach den ganzen Feiern und den unzähligen Verabschiedungen ENDLICH losgeht.
THE Day. NYC Marathon, 6. November 2011
Warum die Nacht vor dem Marathon besonders teuer war und wieso der Lauf auf einer Insel startet. Weshalb ich in einem „Fanggehege für wilde Tiere“ auf meinen Start warte und wie es fast wie im Rausch durch die Menschenmengen der Stadtteile geht. Und was für ein unglaubliches Gefühl es ist, am Ende durch einen Metallkasten zu laufen. Getting to the starting line is the biggest hustle Es beginnt mit einer Besonderheit: Start des Marathons ist auf Staten Island (also einer INSEL). Heißt: Bis sieben Uhr muss man im Privatfahrzeug über die Verrazzano-Narrows-Bridge drüber sein, sonst bleibt nur der Weg übers Wasser („The Verrazano-Narrows Bridge will close to all traffic promptly at 7 a.m.“ – official handbook)! Die Teambusse haben etwas mehr Zeit zum Passieren, aber um 8.30 Uhr heißt es „Go!“ für die „wheel chair division“. 4.30 Uhr Mein Wecker klingelt. Endlich mal wieder gut geschlafen. Aber die Nacht war ja auch teuer genug: 491 Dollar! Und das war kein Luxushotel, sondern einfach NYC. Ich fühle mich besser als an den Tagen davor und bin froh, dass es losgeht. Essen, trinken, anziehen und los … 5.30 Uhr Die Temperatur ist sehr angenehm (für alle Fälle habe ich aber eine Wärmflasche dabei). Es ist noch dunkel, zu Fuß geht es zum Treffpunkt (65 West, 54th Street), wo der Teambus wartet. Gestern Abend war hier noch die Hölle los: Es war laut, grell, Geblinke, Gehupe, Taxen, Leute. Und jetzt ist alles friedlich, gedämpfte Geräusche, fast schon still – und das mitten in Manhattan. Man sieht nur wenige Autos, dafür aber an einigen Ecken die geparkten Busse mit der „Marathon“-Anzeige. So ziemlich alle Gestalten, die im Moment zu Fuß in den highrise-Schluchten unterwegs sind, sind Marathonläufer/innen (eindeutig zu erkennen an dem durchsichtigen Gepäckbeutel der NYRR, den man vor dem Start abgeben kann), viele mit dem obligatorischen „cup to go“, einige haben Bademäntel über ihren Laufklamotten, einige Frauen tragen viel zu große Männerpullover (alles Wegwerf-Klamotten), alle wirken gut gelaunt, man wünscht sich im Vorübergehen „Good luck“ oder „The best of luck“. Eine will meinen Nachnamen wissen – warum? „I´ll look you up …
Die Hälfte ist um – ein Blick von außen
März 2011: Warum wir tatsächlich ein bisschen wie in amerikanischen Filmen leben und was die 15 Monate New Jersey mit uns und unseren vier Jungs gemacht haben. Was das Tolle an amerikanischen Cafés ist und wer Deutschland für den größten Kontinent der Welt hält. Die Hälfte unserer USA-Zeit ist nun um. Wie haben wir uns nach 15 Monaten New Jersey verändert? Sind wir amerikanisierte Deutsche geworden? Oder doch eher ziemlich deutsche internationals? Oder vielleicht auch undefinierbar? Jetzt, Ende März, haben wir Bergfest und – ganz ehrlich – da wird mir schon ein bisschen komisch ums Herz. Jetzt ging es dann doch irgendwie schnell, und ich werde schon traurig, wenn ich an all die Leute denke, die wir hier getroffen haben und die wir bald schon wieder verlassen müssen. Denn einige von ihnen sind inzwischen wirklich unsere Freunde geworden und gehören zu unserem Leben hier. Ob wir schon ein bisschen mehr amerikanisch als deutsch sind, ist eine ziemlich komplexe Fragestellung. Daher heute zuerst mal das, was euch so von außen auf den ersten Blick auffallen würde, kämet ihr uns hier besuchen. Und dazu gibt es die Dinge, die mir an unseren Kindern auffallen. Die „inneren“ Veränderungen sind ein anderes Kapitel, über das ich mir erst einmal selbst klar werden muss. An einigen Stellen gehen die äußeren und inneren Veränderungen sicherlich Hand in Hand und lassen sich kaum scharf trennen. Die Kinder sind ja jünger und deshalb viel formbarer als Marc und ich. Und sie sind dem amerikanischen System viel unmittelbarer ausgesetzt, da sie in Schule und preschool jeden Tag eine konzentrierte Dosis „American Way of Life“ injiziert bekommen. Leben wie im Film? Die Annahme, man kenne die USA aufgrund von Filmen schon ganz gut, hat sich im ersten Jahr für uns in vielerlei Hinsicht als zum Teil schmerzhafter Trugschluss herausgestellt. Aber von außen betrachtet weist unser Leben tatsächlich viele Ähnlichkeiten mit dem „suburban life“ auf, das jeder von den amerikanischen Serien und Filmen kennt: Der typische Zeitungswurf Morgens vor dem Frühstück muss Marc die Einfahrt hinunterlaufen, um sein heiß geliebtes „Wall Street Journal“ vom Boden aufzuheben. Denn das wird morgens …